Hallo.
Den meisten Klassikhörern dürfte ECM ein Begriff sein. Bevor sich diese Plattenfirma auch in diesem Bereich etablierte, prägte sie wie keine zweite die Aufnahmegeschichte des Jazz in den siebziger und achtziger Jahren - zumindest die europäische. 1969 gründete der Bassist Manfred Eicher in München ECM (Edition of Contemporary Music).
Der Mann verfolgte ein Klangideal, das später einmal als "most beautiful sound next to silence" tituliert wurde. Der Wille zur Abkehr vom gängigen Jazz-Sound, der Wunsch nach einem transparenten, fast unterkühlten Klangbild und wohl auch die recht knapp bemessene Geldbörse veranlassten Eicher, sich nach jungen, hoffnungsvollen Talenten umzutun. Und was für ein Händchen er dabei hatte!
Früh gewann er den Pianisten Keith Jarrett und den Saxophonisten Jan Garbarek für ECM, noch heute die großen Aushängeschilder der Firma. Er holte Pat Metheny, Gary Burton, Chick Corea, Dave Holland, Egberto Gismonti, Jack DeJohnette oder Ralph Towner ins Boot, die allesamt zu stilprägenden Instrumentalisten ihrer Generation heranreiften. Dabei verstand es Eicher, den Musikern großen Spielraum zu lassen, sie aber doch in das klangliche Gesamtkonzept des Labels zu integrieren.
Beispiele der frühen Erfolge waren die sogenannten "Fjord-Jazzer" (neben Garbarek z.B. Gitarrist Terje Rypdal und Pianist Bobo Stenson - alle heute noch bei ECM!). die mit weitem, elegischen Klang ein neues Ideal prägten. Keith Jarrett machte mit seinen improvisierten Solo-Parforce-Konzerten Schalgzeilen (Köln Concert, Bremen/Lausanne) oder Akustik-Gitarristen loteten die Möglichkeiten zwischen Jazz, Folklore und Klassik aus (Towner, Gismonti).
Aufgenommen wurde zumeist in den Rainbow Studios in Oslo oder im Tonstudio Bauer in Ludwigsburg, manchmal auch in der New Yorker Power Station. Haus-und-Hof-Toningenieur Jan-Erik Kongshaug sorgte für gleichbleibend hohe Produktionsergebnisse. Viele CDs waren aber auch Live-Mitschnitte - auch diese auf tontechnisch überragendem Niveau.
Was Eicher finanziell nicht bieten konnte, glich er mit der Labelpolitik aus, alle Platten immer am Markt zu halten und nichts etwaigen Streichungen zu opfern. Bis auf einige wenige Ausnahmen, zumeist im Sampler-Bereich, gilt das bis heute. Gitarrist Pat Metheny erinnert sich, bei der Veröffentlichung seines Debuts "Bright Size Life" gerade mal eine dreistellige Anzahl an Tonträgern verkauft zu haben. Bis heute allerdings ist die Halbe-Million-Grenze erreicht.
Bleiben wir beim Beispiel Metheny: Lebten sich die musikalischen Vorstellungen des Musikers von denen Eichers zu sehr auseinander, trennte man sich. Methenys immer dicker angerührte Klangsauce wollte nicht mehr recht zu ECMs klarem, puristischen Image passen. Finanzielle Gründe mögen aber auch eine Rolle gespielt haben. Das Gleiche galt für Chick Corea und Gary Burton. Erstaunlich war, dass all diese Musiker lange brauchten, um künstlerisch wieder an die ECM-Zeiten anzuknüpfen, wenn sie es denn überhaupt taten.
Die Covergestaltung unterlag fast ausnahmslos einer Frau, was zu einem hohen Wiedererkennungseffekt führte, trotzdem sehr abwechlungsreich war. Was man heute kaum noch behaupten kann: Wer sich in den letzten zehn Jahren CDs von ECM gekauft hat, wird sie äußerlich kaum voneinander unterscheiden können: Die immer gleich anmutenden Schwarz-Weiß-Cover sind doch des Guten zuviel.
Wo wir bei den Wehrmutstropfen sind: In den letzten Jahren habe ich das Interesse an ECM deutlich verloren. Das Durchschnittsalter der Künstler wächst anscheinend mit dem Eichers. Die alten Haudegen reproduzieren sich immer und immer wieder neu. Am schlimmsten ist dies bei Garbarek zu hören. ECM ist nicht mehr das Label, das in großem Maße junge, aufregende Musiker entdeckt und fördert. In dieser Hinsicht spielt die Musik heute bei ganz anderen Firmen. Der letzte große Clou war womöglich die CD "Khmer" von Nils Petter Molvaer, vielleicht noch die Entdeckung des polnischen Klaviertrios um Marcin Wasilewski. Sollte ich in dieser Hinsicht irren und mir ist entscheidendes entgangen, bitte ich um entprechende Hinweise. Meine favorisierten ECM-Produktionen werde ich zu einem späteren Zeitpunkt aufführen.
Was ECMs Leistungen im Klassikbereich anbetrifft, so sollte dies in dem entprechenden Thread Platz finden.
Gruß
B.