Die Bachkantate (063): BWV145: Ich lebe, mein Herze

  • BWV 145: Ich lebe, mein Herze
    Kantate zum Osterdienstag (evtl. Leipzig, 19. April 1729)




    Lesungen:
    Epistel: Apg. 13,26-33 (Paulus predigt in Antiochia)
    Evangelium: Luk. 24,36-47 (Jesus erscheint den Jüngern in Jerusalem)



    Fünf (Sieben) Sätze, Aufführungsdauer: ca. 19 Minuten


    Textdichter: Picander ( Kantaten-Jahrgang von 1728 )
    Choräle: Nr. 5 Nikolaus Herman (1560); vorangestellter Choral von Caspar Neumann (um 1700)


    Besetzung:
    Soli: Sopran, Tenor, Bass; Coro: SATB; Traversflöte, Oboe d’amore I + II, Tromba, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    Choral SATB, Traversflöte, Oboe d’amore I + II, Tromba, Streicher, Continuo
    Auf, mein Herz, des Herren Tag
    Hat die Nacht der Furcht vertrieben:
    Christus, der im Grabe lag,
    Ist im Tode nicht geblieben.
    Nunmehr bin ich recht getröst’,
    Jesus hat die Welt erlöst.


    Coro SATB, Oboe I + II, Tromba, Streicher, Continuo
    So du mit deinem Munde bekennest Jesum, dass er der Herr sei,
    und gläubest in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferwecket hat, so wirst du selig.


    1. Aria Duetto Sopran, Tenor, Solo-Violine, Continuo
    Jesus
    Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen,
    Mein Leben erhebet dein Leben empor.
    Seele
    Du lebest, mein Jesu, zu meinem Ergötzen,
    Dein Leben erhebet mein Leben empor.
    Beide
    Die klagende Handschrift ist völlig zerrissen,
    Der Friede verschaffet ein ruhig Gewissen
    Und öffnet den Sündern das himmlische Tor.


    2. Recitativo Tenor, Continuo
    Nun ford’re, Moses, wie du willt,
    Das dräuende Gesetz zu üben,
    Ich habe meine Quittung hier
    Mit Jesu’ Blut und Wunden unterschrieben.
    Dieselbe gilt;
    Ich bin erlöst, ich bin befreit
    Und lebe nun mit Gott in Fried’ und Einigkeit;
    Der Kläger wird an mir zuschanden,
    Denn Gott ist auferstanden.
    Mein Herz, das merke dir!


    3. Aria Bass, Tromba, Traversflöte, Oboe d’amore I + II, Violino I/II, Continuo
    Merke, mein Herze, beständig nur dies,
    Wenn du alles sonst vergisst,
    Dass dein Heiland lebend ist!
    Lasse dieses deinem Gläuben
    Einen Grund und Feste bleiben,
    Auf solche besteht er gewiss.
    Merke, mein Herze, nur dies!


    4. Recitativo Sopran, Continuo
    Mein Jesus lebt!
    Das soll mir niemand nehmen,
    Drum sterb’ ich sonder Grämen.
    Ich bin gewiss
    Und habe das Vertrauen,
    Dass mich des Grabes Finsternis
    Zur Himmelsherrlichkeit erhebt.
    Mein Jesus lebt!
    Ich habe nun genug,
    Mein Herz und Sinn
    Will heute noch zum Himmel hin,
    Selbst den Erlöser anzuschauen.


    5. Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Traversflöte, Tromba, Streicher, Continuo
    Drum wir auch billig fröhlich sein,
    Singen das Halleluja fein
    Und loben dich, Herr Jesu Christ;
    Zu Trost du uns erstanden bist.
    Halleluja!





    Diese Kantate ist lediglich in einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Abschrift überliefert, was die Rekonstruktion ihrer Entstehung schwierig macht.


    Sicher ist, dass die Textvorlage der Sätze mit den Nummern 1-5 aus Picanders Kantaten-Jahrgang von 1728 stammt. So gesehen kann Bach frühestens zu Ostern 1729 den Text vertont haben.
    Während Alfred Dürr vermutet, dass Bach diesen 5 Sätzen eine Einleitungssinfonie vorangestellt haben könnte (wie er dies für mehrere Kantaten dieses Jahrgangs ebenfalls getan hatte), stellt die oben erwähnte, einzig erhaltene Abschrift dieser Kantate jedoch die beiden hier aufgeführten Sätze der Picander-Kantate voran.


    Während der einleitende Choralsatz (in seiner Einfachheit an erster Stelle in einer Kantate stehend, ist absolut ungewöhnlich!) mit großer Sicherheit von Bach stammen dürfte, ist der folgende Bibelwort-Chorsatz (aus dem Römerbrief Kapitel 10 Vers 9) aus Georg Philipp Telemanns Kantate „So du mit deinem Munde bekennest Jesum“ entnommen worden.
    Es ist leider nicht mehr zu klären, ob diese Hinzufügung von Bach selbst vorgenommen wurde. In der Barockzeit wäre eine solche Praxis sicher nicht ungewöhnlich. Bach hat selber regelmäßig Kantaten und Passionsmusiken anderer Komponisten in Leipzig aufgeführt – aber die Integration eines fremden Satzes in eine seiner eigenen Kantaten ist eine Vorgehensweise, die meines Wissens bei Bach eher die Ausnahme ist...


    Vielleicht musste unter großem Zeitdruck eine Kantate zusammengestellt werden, die am Ostersonntag aufgeführt werden konnte? Die erwähnte, einzig erhaltene Abschrift dieser Kantate gibt als Bestimmungstag nämlich den Ostersonntag an, während Picanders Kantatendichtung eigentlich für den 3. Ostertag, den Osterdienstag, bestimmt ist.


    Wie dem auch sei – die Musik zu dieser Kantate ist trotzdem hörenswert und zudem mit Trompete, Flöte und 2 Oboen abwechslungsreich und reich besetzt.


    Das wunderbare Duett Nr. 1 zwischen der Seele und Jesus (unter Begleitung einer Solo-Violine) ist insofern ungewöhnlich besetzt, als dass Jesus nicht mit dem Bass als traditioneller „Vox Christi“ besetzt ist. Gerade dieser Satz hat nun wiederum Anlass gegeben, auch bei dieser Kantate (ähnlich wie bei den Kantaten BWV 66 und BWV 134) eine weltliche Vorlage in Form einer Glückwunschkantate aus Bachs Köthener Zeit zu vermuten, die dann für den gottesdienstlichen Gebrauch entsprechend umgewandelt wurde. Aber wie in so vielen Punkten bei dieser Kantate besteht hier keine Gewissheit, dass dies auch tatsächlich so gewesen ist.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)