Die Bachkantate (067): BWV104: Du Hirte Israel, höre

  • BWV 104: Du Hirte Israel, höre
    Kantate zum Sonntag Misericordias Domini (Leipzig, 23. April 1724)




    Lesungen:
    Epistel: 1. Petr. 2,21-25 (Christus als Vorbild; ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen)
    Evangelium: Joh. 10,11-16 („Ich bin der gute Hirte“)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 23 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choral: Cornelius Becker; nach Psalm 23 ( 1598 )



    Besetzung:
    Soli: Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Chor SATB, Oboe I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
    Du Hirte Israel, höre, der du Joseph hütest wie der Schafe, erscheine, der du sitzest über Cherubim.


    2. Recitativo Tenor, Continuo
    Der höchste Hirte sorgt vor mich,
    Was nützen meine Sorgen?
    Es wird ja alle Morgen
    Des Hirtens Güte neu.
    Mein Herz, so fasse dich,
    Gott ist getreu.


    3. Aria Tenor, Oboe d’amore I + II, Continuo
    Verbirgt mein Hirte sich zu lange,
    Mach mir die Wüste allzu bange,
    Mein schwacher Schritt eilt dennoch fort.
    Mein Mund schreit nach dir,
    Und du, mein Hirte, würkst in mir
    Ein gläubig Abba durch dein Wort.


    4. Recitativo Bass, Continuo
    Ja dieses Wort ist meiner Seelen Speise,
    Ein Labsal meiner Brust,
    Die Weide, die ich meine Lust,
    Des Himmels Vorschmack, ja mein alles heiße.
    Ach! sammle nur, o guter Hirte,
    Uns Arme und Verirrte,
    Ach lass den Weg nur bald geendet sein
    Und führe uns in deinen Schafstall ein!


    5. Aria Bass, Oboe I, Streicher, Continuo
    Beglückte Herde, Jesu Schafe,
    Die Welt ist euch ein Himmelreich.
    Hier schmeckt ihr Jesu Güte schon
    Und hoffet noch des Glaubens Lohn
    Nach einem sanften Todesschlafe.


    6. Choral SATB, Oboe I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
    Der Herr ist mein getreuer Hirt’,
    Dem ich mich ganz vertraue,
    Zur Weid’ er mich, sein Schäflein, führt,
    Auf schöner grünen Aue,
    Zum frischen Wasser leit’ er mich,
    Mein’ Seel’ zu laben kräftiglich
    Durch’s selig’ Wort der Gnaden.




    Der heutige Sonntag hat seinen Namen Misericordias Domini von den ersten Worten des lateinischen Introitus der heutigen Messe: "Die Erde ist voll der Güte des Herrn" (Psalm 33,5).


    Das Sonntagsevangelium und die Epistel behandeln beide thematisch den "Guten Hirten", der Jesus für seine ihm anvertrauten Schäfchen sein möchte.


    Allein die Thematik "Hirte" ist im Barockzeitalter ja äußerst beliebt gewesen - man denke nur an die zahlreichen Schäferspiele, Arkadien, etc. Es trifft sich geradezu perfekt, wenn diese eher weltlichen "Schäfereien" durch das Bild des guten Hirten Jesus Christus nun auch noch einen christlichen Aspekt hinzugefügt bekommen.


    So gesehen inspirierte diese ganze Pastoral-Thematik Bach mit Sicherheit auch bei der Komposition der Kantaten für den heutigen Sonntag. Außer der hier besprochenen sind das noch BWV 85 und BWV 112.


    Die Kantate beginnt mit einem (Hirten-)Bibelwort aus Psalm 80 Vers 2.
    Und schon erklingen drei Oboenstimmen im Eingangschor, die, über teilweise lang ausgehaltenen Basstönen erklingend, direkt an Pastoral-Musiken erinnern, wie sie auch zur Weihnachtszeit (die Hirten zu Bethlehem) häufig komponiert wurden.


    Den gleichen pastoralen Charakter hat die Arie Nr. 5 (passend zum Text!), die zudem noch im typischen 12/8-Takt steht - ein ganz wundervolles Stück! :jubel:


    Eine zum Choral umgearbeitete Strophe des bekannten Psalms 23 ("Der Herr ist mein Hirte") schließt diese Kantate sinnfällig ab.


    Eine meiner Lieblingstextstellen ist übrigens:


    Ach lass den Weg nur bald geendet sein
    Und führe uns in deinen Schafstall ein!


    Hach - Barockdichter müsste man sein ;):D;)

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Die Hirten-Christologie ist eine der Hauptkategorien im Kantatenschaffen Bachs - freilich barocker Ästhetik folgend. Besonders deutlich tritt diese naturgemäß am sog. Hirtensonntag zu Tage.

    BWV 104 ist meine liebste Hirtenkantate. Dies liegt vor allem am Eingangschor und an der herrlichen Bassarie "Beglückte Herde".

    Im Eingangschor "Du Hirte Israel höre" wird ein Wort aus Psalm 80 vertont. Bach vertont es mit einer genialen Mischung aus typischer Pastorale und kunstvollen Fugen-Passagen. Das Ritornell mit seinen Triolen und Orgelpunkten und dem markanten Holzbläserklang ist traditionelle Hirtenmusik. Zu den Worten "der du Joseph hütest, erscheine" entsteht aber zwei Mal im Laufe des Satzes eine - gewissermaßen - lyrische Fuge (ein wenig im Stile der "Et in terra pax" Fuge in der hohen Messe). Das ist eine tolle Interpretation der traditionellen Hirtenthematik.

    In der Arie "Beglückte Herde Jesu Schafe" begegnet erneut Pastoralmusik, mit triolischer Begleitung, vielen Orgelpunkten und an die Schalmei gemahnende Oboe. Dieser Satz antwortet mit neutestamentlicher Gewissheit (Christus) auf die alttestamentarische Psalm-Bitte des Eingangssatzes. In dieser typischen katechetischen Virgehensweise des Textdichters findet sich das übliche lutherisch-orthodoxe Verhältnisdenken der beiden Testamente. Bach bezieht auch deshalb beide Sätze musikalisch aufeinander. Dass dabei wunderschöne und berührende Musik herauskommt ist zu hören.


    Ein theologischer Kommentar zu dieser Kantate findet sich auch hier.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Dies ist nur ein Test wg. Signatur. Entschuldigt bitte!

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")