Die Bachkantate (069): BWV112: Der Herr ist mein getreuer Hirt

  • BWV 112: Der Herr ist mein getreuer Hirt
    Kantate zum Sonntag Misericordias Domini (Leipzig, 8. April 1731)




    Lesungen:
    Epistel: 1. Petr. 2,21-25 (Christus als Vorbild; ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen)
    Evangelium: Joh. 10,11-16 („Ich bin der gute Hirte“)



    Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 15 Minuten


    Textdichter: Wolfgang Meuslin (1497-1563)
    Choral (Nr. 1-5): “Der Herr ist mein getreuer Hirt”, nach dem 23. Psalm (um 1530)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe d’amore I + II, Horn I + II, Violino I/II, Viola, Continuo





    Versus 1 Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Horn I + II, Streicher, Continuo
    Der Herr ist mein getreuer Hirt,
    Hält mich in seiner Hute,
    Darin mir gar nichts mangeln wird
    Irgend an einem Gute,
    Er weidet mich ohn’ Unterlass,
    Darauf wächst das wohlschmeckend Gras
    Seines heilsamen Wortes.


    Versus 2 Aria Alt, Oboe d’amore I, Continuo
    Zum reinen Wasser er mich weist,
    Das mich erquicken tue.
    Das ist sein fronheiliger Geist,
    Der macht mich wohlgemute.
    Er führest mich auf rechter Straß’
    Seiner Geboten ohn’ Ablass
    Von wegen seines Namens willen.


    Versus 3 Recitativo Bass, Streicher, Continuo
    Und ob ich schon wandert’ im finstern Tal,
    Fürcht’ ich kein Ungelücke
    In Verfolgung, Leiden Trübsal
    Und dieser Welte Tücke:
    Denn du bist bei mir stetiglich,
    Dein Stab und Stecken trösten mich,
    Auf dein Wort ich mich lasse.


    Versus 4 Duetto Sopran, Tenor, Streicher, Continuo
    Du bereitest für mir einen Tisch
    Für mein’ Feinden allenthalben,
    Machst mein Herze unverzagt und frisch,
    Mein Haupt tust du mir salben
    Mit deinem Geist, der Freuden Öl,
    Und schenkest voll ein meiner Seel’
    Deiner geistlichen Freuden.


    Versus 5 Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Horn I + II, Streicher, Continuo
    Gutes und die Barmherzigkeit
    Folgen mir nach im Leben,
    Und ich wird’ bleiben allezeit
    Im Haus des Herren eben,
    Auf Erd’ in christlicher Gemein’
    Und nach dem Tod da werd’ ich sein
    Bei Christo, meinem Herren.




    Diese Kantate ist eine Choralkantate Bachs, die allerdings untypischerweise nicht nur zwei oder drei Strophen des zugrundeliegenden Chorals wörtlich verwendet (während die übrigen Strophen vom Kantatendichter sinngemäß umgedichtet wurden, um daraus Rezitative und Arientexte zu gewinnen), sondern den gesamten Text aller Strophen des Chorals in unveränderter Form beibehält.
    Bach hat dies nicht oft praktiziert (z. B. in seiner Osterkantate BWV 4), evtl. geschah dies auch in Ermangelung eines Poeten, der ihm beim "Umdichten" der alten Choralstrophen half.


    Wie schon in den Kantaten BWV 104 und BWV 85 ist das Thema "Jesus als guter Hirte" auch in dieser Kantate dankbar aufgegriffen worden.
    Der Choral, der dieser Kantate zugrundeliegt, ist wiederum eine freie Umdichtung des bekannten Psalms 23 ("Der Herr ist mein Hirte"), der ja sehr gut zum Evangelium des heutigen Sonntags passt.
    Nicht zu verwechseln übrigens mit den Choralstrophen von Cornelius Becker, die Bach in seinen beiden anderen Kantaten für den Sonntag Misericordias Domini verwendet hat - auch hier wird der 23. Psalm zu einem mehrstrophigen Choral umgedichtet.


    Die Wahl von 2 Hörnern und 2 Oboi d'amore hat Bach sicherlich getroffen, um den pastoralen Charakter dieser Kantate auszudrücken.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)