Verdis erster Otello- FRANCESCO TAMAGNO

  • Hallo!!


    Ich möchte euch jetzt einen großen, aber unbekannten Tenor vorstellen:


    FRANCESCO TAMAGNO 1850-1905



    Francesco Tamagno wurde 28. Dezember 1850 in Turin (damals noch Königreich Piemont) als Sohn eines Wirten geboren.
    Er studierte in Turin bei Pedrotti.
    Im Alter von 20 Jahren begann er seine Sangeskarriere im Chor des Teatro Regio in Turin, ebenso sang er kleinere Rollen. 1873 fiel er zum ersten Male durch ein wunderschönes und kraftvolles B in Donizettis Poliuto auf.
    1874 wurde er an das Teatro Bellini in Palermo berufen und sang dort den Riccardo in Verdis Un ballo in maschera.
    Schon im selben Jahr wurde er an die Fenice gerufen. Er sang dort ua in Roberto il Diavolo, Poliuto, Lucia di Lammermoor und Il Guarany.


    Die Zeitungen loben seine Kraft, sein Mezzovoce und seine unglaublich einprägsame hohen Cs!!


    1875/76 trat er in Barcelona am Teatro Liceu auf und im nächsten Jahr schon an der Scala als Vasco da Gama in Meyerbeers L´Africana. Er erweiterte hier sein Repertoire auf Don Carlos (Verdi) Il Re di Lahore (Massenet), Ernani und Gabriele Adorno (Simon Boccanegra). Den Adorno gab er in der Uraufführung von Verdis Neufassung.


    In den nächsten Jahren trat er auch in Madrid, Buenos Aires, Lissabon und an allen führenden Opernhäuser Italiens auf. Er sang nun am liebsten den Arnold in Guglielmo Tell, Den Hugenotten, in Meyerbeers Propheten und als Manrico im Trovatore.


    Als Verdi die Partie des Otello gestaltete, dachte er an Giovanni Battista De Negri oder an Tamagno. Er entschied sich für Tamagno, da er die kraftvollere Stimme hatte, obwohl er ihn nicht für ausgebildet genug hielt und einiges mehr an ihm zu bemängeln hatte.


    Am 5. Februar 1887 kommt es in der Mailänder Scala zur Uraufführung unter der Leitung von Franco Faccio. Francesco Tamagno sang die Titelpartie des Otello, Romilda Pantaleoni die Desdemona und Victor Maurel den Jago. Die Aufführung war ein unbeschreiblicher Triumph.

    Doch trotz des Erfolges war Verdi nicht sonderlich zufrieden mit Tamagno. Er lobte sein "Esultate" und das "Addio sante memorie", aber er meinte, dass de Negri wohl doch besser gewesen wäre.
    als Otello
    Kritiker der Uraufführung allerdings meinten, dass es wohl keinen besseren Otello geben könnte, als Tamagno.


    Doch Tamagno startete mit dem Otello seine Weltkarriere, die ihn nach Chicago (1889, Arnold) New York (1894 MET, Radames), London, Buenos Aires und viel weiter führte.


    Zum Ende des Jahrhunderts beschränkte sich sein Repertoire fast ausschließlich auf den Otello, den Arnold und auf Jean de Leyde (Prophet; Meyerbeer). Ab und zu sang er noch den Raoul, Polito und den Manrico.


    Schön langsam ließ seine Stimme nach. Die Kraft war noch vorhanden, aber das Piano wollte nicht mehr so richtig.


    Am Ende des Jahrhunderts wurde Caruso zu seinem großen Konkurrenten. Caruso setzte sich an der Scala durch, da seine Stimme am Höhepunkt war und Tamagnos Stimme schon nachließ


    Darum klingen die Aufnahmen mit Klavierbegleitung aus den Jahren 1903-1905 sehr gebrüllt. Aber die unbändige Kraft lässt sich erhören, weswegen ich seine Stimme sehr bewundere.


    1904 zog er sich von der Bühne zurück und kaufte sich ein Landhaus in Varese. Er erkrankte an einer schweren Herzkrankheit, der er am 31. August 1905 erlag.


    Er machte wie schon gesagt in den Jahren 1903-1905 einige Schallplattenaufnahmen mit Klavierbegleitung. Seine Stimme ist nicht mehr in voller Blüte, dennoch ist die Kraft vorhanden. Er verkörpert das Ideal des Italienischen Heldentenors: Wuchtig, Pathetisch, Dramatisch.


    Einfach toll!! :jubel: :jubel: :jubel:


    CD-Aufnahmen aus der Great Voices-Edition!
    1903
    Adieu donc
    Quand nos jours.. beide Massenets Herodiade
    Figli mei-Samson et Dalila
    O muto asil pianto- Guglielmo Tell
    Corriam, volliam-Guglielmo Tell
    Esultate!
    Niun mi tema!
    Ora e per sempre addio!! alles Otello
    Un di all azzuro spazio- Andrea Chenier
    Re del cielo-Il Profeta
    Sopra berta- Il Profeta
    Deserto sulla terra-Trovatore


    1904
    Esultate!
    Niun mi tema!
    Ora e per sempre addio!! alles Otello


    1905
    Un di all azzuro spazio- Andrea Chenier
    O muto asil pianto- Guglielmo Tell


    Es gibt eine Komplettaufnahme, die ich leider noch nicht besitze:

    angeblich sogar mit Ausschnitten aus Poliuto!


    Uraufführungsrollen:
    Gomes: Maria Tudor (Fabiano) (27. März 1879 Teatro alla Scala, Mailand)
    Ponchielli: Il figliuol prodigo (Azaele) (Dez. 1880 Teatro alla Scala, Mailand)
    Verdi: Simon Boccanegra [Neufassung] (Gabriele Adorno) (24. März 1881)
    Ponchielli: Marion Delorme (Didier) (März 1885 Teatro alla Scala, Mailand)
    Verdi: Otello (Titelrolle) (5. Feb. 1887 Teatro alla Scala, Mailand)
    Leoncavallo: I Medici (?) (1893 Teatro Dal Verme, Mailand)
    De Lara: Messaline (Helion) (Monte-Carlo 1899)



    Ich hoffe ich konnte euch diesen großen Sänger näherbringen!


    LG joschi

  • Tamagno ist natürlich nicht unbekannt. Wer sich für Verdi


    interessiert, kennt sicher auch Tamagno.Man kann zu seiner


    Stimme sagen, sie klingt anders, als man sich heute einen


    Otello-Interpreten vorstellt.Eine trompetenhafte helle,aber


    kräftige Stimme, wie sie vielleicht später Slezak noch besaß.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Um ehrlich zu sein, die wirkliche Begeisterung kann sich bei mir beim Hören von Tamagnos Aufnahmen nicht einstellen. Joschi hat ja bereits fairerweise geschrieben, dass Tamagno als alle seine Aufnahmen gemacht wurden, bereits über seine große Zeit hinaus war. Man hört immer noch eine interessante, aber doch ziemlich angestrengte Stimme. Gelegentlich muss Tamagno ins Falsett wechseln, da ihm die Höhe fehlt. Trotzdem bin ich dankbar, dass er immerhin diese Aufnahmen hinterlassen hat. Man kann auch hier ahnen, dass er mal ein ganz Großer war.


    Tamagno war ein „echter“ Tenor ohne baritonales Fundament, was für einen Otello heute ziemlich ungewohnt ist. Vergleichbar finde ich neben Slezak auch die Stimme von Mario Filippeschi, der seine große Zeit in den 40er und frühen 50er Jahren hatte.

  • Ich kannte den Namen Tamagno natürlich namentlich - und das schon seit vielen Jahren, konnte aber, als es mich interessierte (und das muss etwa 3ß Jahre her sein) keine verfügbare Aufnahme auftreiben, was ich sehr bedauerte - der Mann ist schließlich Schllplattengeschichte.


    So habe ich diese Stimme heute erstmals gehört.
    Und es sind vor allem zwei Dinge die mir auffielen: Zum einen die für eine Aufnahme von 1903 relativ unverfärbte Tonaufzeichnung (sie wurde mit Trichter gemacht, nicht mit Mikrophon - und eigentlich ist es mit dieser Technik relativ schwierig das Timbre zu erkennen - so glaubte ich zumindest. Aber es wird immer offenbarer, daß dies nicht der Fall ist - es sind ledigilich die Filterungen späterer Nachbearbeitungen, die durch die angestrebte Minimierung an Grundrauschen vor allem die Höhenwiedergabe und auchdie eigenart des Timbres von Stimmen zerstören - und den extrem schlechten Ruf von Schellackplatten begründeten, bzw verstärkten.


    Zum anderen, daß diese Stimme nicht "klingt" - relativ trocken - kräftig, ja sogar aufdringlich kommt es aus dem Trichter - abe selten musikalisch - ich verstehe sehr gut, daß Verdi hier Einwände hatte. Gut - wir haben hier Einschränkungen durch die Technik, dann wird von einem Verfall der Stimme berichtet - der aber schon zehr zeitig eingesetzt haben muss, der Sänger war zur Zeit der Aufnahm immerhin erst 53. Auch wenn die Stimme mir persönlich (nach erstem Hören) nicht gefällt, die Aufnahme wird letzlich doch in meiner Sammlung landen - Immerhin hat man die Möglichkeit eine Star der Uraufführung von Verdis Othello zu hören - wer weiß wie lange diese Aufnahmen noch angeboten werden ???


    Ich bin nicht nur musikalisch interessiert - sondern auch kunsthistorisch und historisch.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • George Bernard Shaw berichtete, dass Tamagno in der Oper durch seine trompetenhaften Spitzentöne einmal einen Kronleuchter zum Klirren gebracht haben soll. Auch wenn das wohl eher ins Reich der hübsch erfundenen Anekdoten gehört, so kann man anhand der Platten doch erahnen, welche Strahlkraft das Organ Tamagnos gehabt haben muss. Dabei verfügte er, zeitgenössischen Berichten zufolge, auch über eine mehr als passable mezza voce, sang aber mit Vorliebe im forte, um seine Spitzentöne besonders effektvoll (und laut) plazieren zu können. Er erhielt nur eine ungenügende musikalische Ausbildung und besaß wohl eher rudimentäres schauspielerisches Talent, so dass Verdis Urteil über ihn verständlicher wird. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen hatte sich Tamagno bereits von der Bühne wegen einer Herzkrankheit zurückgezogen, an der er zwei Jahre später starb.


    Natürlich ist es großartig, den Uraufführungssänger des "Otello" heute noch hören zu können. Was aber an seinen "Otello"-Platten noch wichtiger ist: sie belegen, dass der venezianische Feldherr durchaus nicht nur wie heute meist baritonal timbrierten Tenören vorbehalten bleiben muss, sondern auch von genuin tenoralen Sängern dargestellt werden kann (wie etwa auch von Martinelli und Lauri-Volpi).


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von DonBasilio


    Die Zeitungen loben seine Kraft, sein Mezzovoce und seine unglaublich einprägsame hohen Cs!!


    Interessant bezüglich der Zeitungskritiken ist, dass Verdi im Vorfeld der Otello-Urauffführung überzeugt war, das Tamagno gerade die wichtigen Mezza voce - Passagen nicht würde bewältigen können. Zumindest ist diese Fähigkeit also bei ihm kontrovers zu diskutieren, andererseits seitens Verdi auch ein wichtiger Fingerzeig für die Wichtigkeit der halben Stimme für eine werkgerechte Interpretation der Partie ( Del Monaco hatte ja noch nichtmal eine 3/4-Stimme zur Verfügung, mit etwas Wohlwollen lasse ich mich auf 8/9 runterhandeln :D)


    Zitat

    "GiselherHH schrieb:


    Was aber an seinen "Otello"-Platten noch wichtiger ist: sie belegen, dass der venezianische Feldherr durchaus nicht nur wie heute meist baritonal timbrierten Tenören vorbehalten bleiben muss, sondern auch von genuin tenoralen Sängern dargestellt werden kann (wie etwa auch von Martinelli und Lauri-Volpi).


    Das Thema hatten wir ja schon einmal im Otello-Thread (der leider daniederliegt, weil die Hum-ta-ta Opern doch so viel beliebter sind. :D)


    Ich stimme Dir prinzipiell zu, dass das baritonale Timbre keine notwendige Voraussetzung ist. Jedoch ist es so, dass für mich persönlich einige Eigenarten, die oft mit dem baritonalen Timbre einhergehen - ein etwas rauher Stimmklang und das fehlende "Squillo" in der Höhe gut zum Charakter des schon etwas älteren, aufbrausenden Outsiders Otello passen. Nicht umsonst ist ja die helle Stimme prädestiniert für die jugendlich-naiven Helden der Opern aus dem Hause Triller & Söhne.
    Dazu sind aber sicher auch Tamagno und Lauri-Volpi nicht prädestiniert gewesen, obwohl ja gerade letzterer ungemein vielseitig war.


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von heldenbariton
    Ich habe seine "complete recordings" seit Jahren in meiner Sammlung. :jubel:


    :hello:Heldenbariton


    Hallo!!


    Ist etwas aus Poliuto drauf??


    LG joschi

  • Ich freue mich, dass das Thema "Tamagno" jetzt etwas genauer behandelt wird. Ich habe die Symposium CD 1186/1187X seit Jahren in meiner Sammlung. Früher schon habe ich mir die Pearl-LP-Edition GEMM 208/9 ("Complete Recordings of Fr. Tamagno) und die Rubini LP GV 569 (The Unpublished Records of Fr. Tamagno) zugelegt. Daneben besitze ich einige Original-Schellacks (G&Ts und Victors). Ich finde, dass manche Aufnahme aud den LPs wesentlich besser klingen als auf der CD. Eine Eigenheit bei den Tamagno-Schellacks ist das Label mit der angehängten Serien-Nr.:
    Tamagno hat nämlich nicht nur eine unerhört hohe Gage (2000 Pfund für die erste Aufnahmesitzung) verlangt sondern auch 25% des Preises von jeder verkauften Platte. Die Plattte wurde für 1 Pfund das Stück gehandelt (wiederum eine unglaublich hoher Preis für damals). Um den Verkauf durch Tamagno kontrollieren zu können, erhielt jede Tamagno-Platte eine eigene Seriennummer. So war sich er sich sicher, dass ihn die G&T-Company nicht übers Ohr hauen Konnte.



    Meines Wissens gibt es keine Tamagno-Aufname von Poliuto wohl aber neben den bekannten eine aus Messalina (von de Lara) und ein Ave Maria von Mapelliauf der Symposium CD.
    Liebe Grüße
    Anton