Schnittkes erste Cellosonate (die zweite stammt aus 1994) führte bei mir bislang ein Schattendasein. Auf der unten abgebildeten CD mit enthalten und schon jahrelang in meinem Besitz war die Sonate mir nie besonders aufgefallen – bis gestern. Nun hat sie mich derart gepackt, dass ich sie heute Morgen bereits zwei Mal gehört habe und gerade zum dritten Mal höre.
Im Internet habe ich folgendes Zitat von Schnittke zur Sonate gefunden:
«Die «Sonate Nr. 1 für Cello und Klavier» (1978 ) habe ich Natalja Gutman gewidmet. Von ihr und Vassily Lobanov wurde es im Januar 1979 in Moskau uraufgeführt. Die Cellosonate hat drei Sätze: Largo, Presto, Largo, die ohne Pause gespielt werden. Der kurze Satz ist (wie auch in der 2. Violinsonate) eine Vorwegnahme des letzten; es ist die aphoristische Formel des Geschehens, das im folgenden Formablauf erlebt wird.
Der zweite Satz hat einen Perpetuum-mobile-Charakter (obwohl es eigentlich eine Sonatenform ist). Es ist ein rasender Lauf, der sich schließlich totrennt. Nach ihm tritt das langsame Besinnungsfinale ein (mit einem leisen Schatten des Presto-Wirbels am Ende). Die Tonsprache ist doppeldeutig, tonal-atonal: Zwölftonreihen (im 2. Satz) haben eine «tonal»-metrische Gliederung, während Dreiklänge dank der «gespaltenen» Doppeltöne (z. B. cis-g-e-c oder e-es-g-c) zur Atonalität tendieren.»
Diese Ausführungen möchte ich ergänzen durch meine eigenen Eindrücke:
Die drei Sätze dauern rund dreieinhalb, sechs und elf Minuten. Das Cello eröffnet die Sonate mit einer einfachen Melodie, traurig, leidvoll, Über eine Minute lang intensiviert sich dieser Gesang. Dann wird er gestoppt durch langsame Pizzicati, die beruhigend wirken. Jetzt erst, nach eineinhalb Minuten, setzt das Klavier ein. In einfachsten Tönen greift es die ruhige Stimmung der Pizzicati auf, spendet es in teils auch zarten Tönen Trost, grundiert vom Cello, und bringt die Musik nach gut zwei Minuten vollkommen zur Ruhe (Generalpause). In diese Stille hinein spielt das Klavier ruhig saubere, schöne Akkorde. Das Cello aber lässt sich nicht beruhigen (ruhig stellen?). Drängender meldet es sich zu Wort. Intensiver wird sein Weh. Das Klavier antwortet darauf erneut mit Akkorden aus der heilen Welt. Und erstaunlicherweise zupft das Cello diese schönen Töne mit. Alles gut also?
Nein, das Presto (2. Satz) belehrt uns eines Besseren. Mit vehementer Unrast spielt das Cello durchgängig eine schnelle Achtelbewegung nach Art eines Pepetuum-mobile (so das Booklet). Das Klavier hämmert dazu kräftig einfache Akkorde. Immer weiter wird das Cello getrieben, immer weiter geht der rasende Lauf. Die Akkorde werden gebrochen. Es kommt zu zwischenzeitlichen Beruhigungen, zu einem Dialog der Instrumente. Die Spannung erhöht sich. Die Musik wird lauter, abgehackter, kaputter, bis der Satz schließlich im Fortissimo endet, weg bricht.
Der dritte Satz ist erneut langsam, wird wie der erste vom Cello eröffnet. Nur ist die Musik jetzt ein intensiver Klagegesang, ein Klagegesang eines Einsamen. Mir schien zunächst, das Cello würde sich im Folgenden nicht mehr so leicht wie im ersten Satz von seinem Leid abbringen lassen. Zunehmend aber finde ich, auch nach Lektüre des oben wiedergegebenen Zitats, dass vieles wie eine Wiederholung, Vertiefung des ersten Satzes klingt. Siege hören sich anders an. Bezeichnenderweise endet das Werk mit Klängen des Klaviers im Nichts, leise, schattenhaft.
Was sich im Vergleich zum ersten Satz geändert hat, ist für mich eine weiterhin offene Frage. Hat sich nichts geändert? Ist alles beim alten geblieben? Ist Auflehnung zwecklos? Vieles spricht dafür. Die Anstrengung des Prestos, die Raserei, hat ja nichts gebracht, hat sich totgelaufen. Der Entkommensversuch des Hamsters im Rad durch Erhöhung der Geschwindigkeit ist zwecklos. Klagen gegen zugefügtes Leid in der Sowjetunion: zwecklos.
„Besinnungsfinale“, ja, die Bezeichnung ist treffend.
Dieses ist, das sei ausdrücklich gesagt, großartige Musik! Ein Blick in die Diskographie zeigt, dass andere das ebenso sehen, handelt es sich doch – für mich sehr überraschend – um das am häufigsten aufgenommene Werk Schnittkes.
Das Niedergeschriebene ist mein erster Eindruck nach dreimaligem Hören. Über weitere Informationen zu Hintergrund, Interpretation und Aufnahmen würde ich mich sehr freuen,
Ich besitze nur die Naxos-Aufnahme mit Kliegel. Mit dieser bin ich sehr zufrieden. Wie viel meiner Begeisterung der Komposition, wie viel der Interpretation geschuldet ist, kann ich bei nur einer Aufnahme nicht beurteilen. Gutman und Rostropowitsch haben die Sonate leider nicht eingespielt.
Viele Grüße
Thomas