BWV 183: Sie werden euch in den Bann tun
Kantate zum Sonntag Exaudi (Leipzig, 13. Mai 1725)
Lesungen:
Epistel: 1. Petr. 4,8-11 (Dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat)
Evangelium: Joh. 15,26-16,4 (Abschiedsreden Jesu: Der Geist der Wahrheit wird kommen; die Jünger werden verfolgt werden)
Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 15 Minuten
Textdichter: Christiane Mariane von Ziegler (1695-1760)
Choral: Paul Gerhardt (1653)
Besetzung:
Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia I + II, Violoncello piccolo, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Recitativo Bass, Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia I + II, Continuo
Sie werden euch in den Bann tun.
Es kömmt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst daran.
2. Aria Tenor, Violoncello piccolo, Continuo
Ich fürchte nicht des Todes Schrecken,
Ich scheue ganz kein Ungemach.
Denn Jesus’ Schutzarm wird mich decken,
Ich folge gern und willig nach.
Wollt ihr nicht meines Lebens schonen
Und glaubt, Gott einen Dienst zu tun,
Er soll euch selben noch belohnen,
Wohlan! es mag dabei beruh’n.
3. Recitativo Alt, Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia I + II, Streicher, Continuo
Ich bin bereit, mein Blut und armes Leben
Vor dich, mein Heiland, hinzugeben,
Mein ganzer Mensch soll dir gewidmet sein;
Ich tröste mich, dein Geist wird bei mir stehen,
Gesetzt, es sollte mir vielleicht zuviel geschehen.
4. Aria Sopran, Oboe da caccia I + II, Streicher, Continuo
Höchster Tröster, Heil’ger Geist,
Der du mir die Wege weist,
Darauf ich wandeln soll,
Hilf meine Schwachheit mit vertreten,
Denn von mir selber kann ich nicht beten,
Ich weiß, du sorgest vor mein Wohl!
5. Choral SATB, Oboe I + II, Streicher, Continuo
Du bist ein Geist, der lehret,
Wie man recht beten soll;
Dein Beten wird erhöret,
Dein Singen klinget wohl.
Es steigt zum Himmel an,
Es steigt und lässt nicht abe,
Bis der geholfen habe,
Der allein helfen kann.
Achtung - Verwechslungsgefahr:
Wenn Bach geahnt hätte, das seine Kantaten eines Tages in Konzertführern (und Internetforen ) gelistet und besprochen würden, hätte er sich sicherlich für einen anderen Kantatentitel entschieden :]
Aber es ist nun einmal so: Beide uns überlieferten Bach-Kantaten für den Sonntag Exaudi beginnen mit demselben Bibelzitat (aus dem Sonntagsevangelium: Johannes Kapitel 16 Vers 2) und tragen demnach, einer üblichen Praxis folgend, auch denselben Titel, da immer die erste Textzeile einer Kantate hierfür verwendet wird.
Also diese Kantate hier nicht mit der Kantate BWV 44 verwechseln - die ist nämlich ein ganzes Jahr älter als diese hier!
Außer dem identischen Textbeginn gibt es ansonsten allerdings (glücklicherweise) keine weiteren Verwechslungsmöglichkeiten zwischen beiden Kantaten.
Diese hier gehört wiederum in die im Frühjahr 1725 vorgefallene Kooperation zwischen Bach und der Dichterin Mariane von Ziegler - von ihr stammen unter anderem auch die Dichtungen zur Himmelfahrtskantate BWV 128, die drei Tage vor dieser hier erstmalig erklungen war, sowie die der Kantaten der vorangegangenen Sonntage (u. a. BWV 87 und BWV 108).
Hatte ich die originelle musikalische "Lösung" des einleitenden Christuswortes in der Kantate des Vorjahres (also BWV 44) noch hervorgehoben, so greift Bach in der hier besprochenen Kantate erneut auf das bewährte Bass-Arioso-Rezitativ zurück, das er dem Bass als althergebrachter "Vox Christi" auch in den anderen Kantaten der Nach-Osterzeit zumeist zugewiesen hatte (siehe z. B. auch BWV 86 oder BWV 166).
Überhaupt weisen viele Kantaten der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten interessante Parallelen auf, die wohl vor allem darin begründet sind, dass sich (fast) alle Kantaten auf Sonntagsevangelien beziehen, die auf den sogenannten "Abschiedsreden Jesu" beruhen, die im Johannes-Evangelium in den Kapiteln 15 und 16 stehen.
Jedenfalls wird das kurze Rezitativ Nr. 1 durch die Hinzugabe von gleich 4 Oboen klanglich deutlich aufgewertet: Es ist ja schließlich nicht irgendwer, der hier zitiert wird!
In der Arie Nr. 2 kommt wieder einmal ein sogenanntes Violoncello piccolo zum Einsatz, das sowohl klanglich wie größentechnisch irgendwo zwischen Viola und Cello rangiert.
Die Arie Nr. 4 wird wiederum mit 2 Oboi da caccia bereichert, was ebenfalls eine bei Bach nicht alltägliche Besetzung ist.
Ich vermute mal, dass es anlässlich dieser Kantatenaufführung im Mai 1725 die Gelegenheit gab, auf gleich 4 Oboisten zurückgreifen zu können - Bach wäre kein echter Vollblut-Musiker gewesen, wenn er sich diese Gelegenheit hätte entgehen lassen...
Der Schlusschoral stammt aus der Feder von Paul Gerhardt - es ist die 5. Strophe seines Pfingstliedes "Zeuch ein zu deinen Toren,/ Sei meines Herzens Gast" und wohl kein Zufall, dass es am Ende der Kantate steht, die dem Pfingstsonntag unmittelbar vorausgeht und somit schon auf das anstehende nächste große Kirchenfest verweist.