Die Bachkantate (084): BWV59: Wer mich liebet, der wird mein Wort halten

  • BWV 59: Wer mich liebet, der wird mein Wort halten
    Kantate zum Pfingstsonntag (vermutl. Leipzig, 16. Mai 1723 oder 28. Mai 1724)




    Lesungen:
    Epistel: Apg. 2,1-13 (Ausgießung des Heiligen Geistes)
    Evangelium: Joh. 14,23-31 (Abschiedsreden Jesu: Der Heilige Geist wird euch alles lehren)



    Vier Sätze, Aufführungsdauer: ca. 14 Minuten


    Textdichter: Erdmann Neumeister (1671-1756), aus dessen 4. Kantatenjahrgang (1714)
    Choral: Martin Luther (1524)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Bass; Coro: SATB; Trompete I + II, Pauken, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Duetto Sopran, Bass, Trompete I + II, Pauken, Streicher, Continuo
    Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben,
    und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.


    2. Recitativo Sopran, Streicher, Continuo
    O, was sind das vor Ehren,
    Worzu uns Jesus setzt?
    Der uns so würdig schätzt,
    Dass er verheißt,
    Samt Vater und dem heil’gen Geist
    In unser’n Herzen einzukehren.
    O! was sind das vor Ehren?
    Der Mensch ist Staub,
    Der Eitelkeit ihr Raub,
    Der Müh’ und Arbeit Trauerspiel
    Und alles Elends Zweck und Ziel.
    Wie nun? Der Allerhöchste spricht:
    Er will in unser’n Seelen
    Die Wohnung sich erwählen?
    Ach, was tut Gottes Liebe nicht?
    Ach, dass doch, wie er wollte,
    Ihn auch ein jeder lieben sollte!


    3. Choral SATB, Streicher, Continuo
    Komm, Heiliger Geist, Herre Gott,
    Erfüll’ mit deiner Gnaden Gut
    Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn.
    Dein’ brünstig’ Lieb’ entzünd’ in ihn’.
    O Herr, durch deines Lichtes Glanz
    Zu dem Glauben versammlet hast
    Das Volk aus aller Welt Zungen;
    Das sei dir, Herr zu Lob gesungen.
    Alleluja, alleluja!


    4. Aria Bass, Solo-Violine, Continuo
    Die Welt mit allen Königreichen,
    Die Welt mit aller Herrlichkeit
    Kann dieser Herrlichkeit nicht gleichen,
    Womit uns unser Gott erfreut:
    Dass er in unser’n Herzen thronet
    Und wie in einem Himmel wohnet.
    Ach! Gott, wie selig sind wir doch!
    Wie selig werden wir erst noch,
    Wenn wir nach dieser Zeit der Erden
    Bei dir im Himmel wohnen werden?





    Diese Kantate hat eine etwas ungewöhnliche Form ("nur" 4-teilig und ohne den eigentlich obligatorischen Schlusschoral) und überdies eine nicht ganz eindeutig geklärte Entstehungsgeschichte:
    Zu Pfingsten 1723 hat Bach anscheinend die Partitur dieser Kantate vollendet, die einzelnen Stimmen datieren allerdings erst aus dem folgenden Jahr. So kommt es, dass man vermuten muss, dass diese Kantate zwar schon zu Pfingsten 1723 erstmals aufgeführt worden sein dürfte (denn warum sollte Bach die Komposition sonst angefertigt haben?), die erforderlichen Einzelstimmen für diese Aufführung aber anscheinend verloren gegangen sind.
    Vielleicht sind sie ins Feuer gefallen oder entwendet worden? Es können ja oft die banalsten Gründe Ursache und Erklärung für solche Rätsel sein, die die heutige Bachforschung zu knacken versucht.
    Und weil die Stimmen eben verloren waren, hat Bach sie halt ein Jahr später erneut angefertigt/ anfertigen lassen - die Aufführung zu Pfingsten 1724 ist jedenfalls die erste "offiziell" nachweisbare!
    Immerhin war Bach im Jahre 1723 zu Pfingsten noch nicht "offiziell" in sein neues Amt als Thomaskantor eingeführt (das sollte erst 2 Wochen später geschehen) - allerdings war seine Wahl zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt.


    Möglicherweise sind auch aus diesem Grund die Umstände der Erstaufführung unter anderen Bedingungen als sonst in Leipzig üblich erfolgt: Bachforscher Friedrich Smend vermutet z. B., dass die Kantate nicht in St. Thomas oder St. Nicolai, sondern in der Leipziger Universitätskirche, der Paulinerkirche, uraufgeführt worden sein könnte. Hier stand ihm auch nicht der Thomanerchor zur Verfügung, sondern etwas weniger fähige Kräfte.
    Dies könnte dann auch erklären, warum z. B. entgegen der üblichen Praxis nur 2 und nicht wie sonst 3 Trompeten vorgesehen sind. Auch die übrige Orchesterbesetzung ist für eine Pfingstkantate eher "unspektakulär" (keine Holzbläser) und die Virtuosität aller Beteiligten wird nicht in dem Maße beansprucht, wie es in zahlreichen anderen Bach-Kantaten der Fall ist.


    Ebenfalls auf diese Umstände dürfte wohl die Tatsache zurückzuführen sein, dass Bach die verwendete Textvorlage von Erdmann Neumeister nicht vollständig vertont hat - es fehlen 3 Sätze, darunter auch der Choral "Gott, Heiliger Geist, du Tröster wert", was schon erstaunt - eine Bach-Kantate ohne Schlusschoral?
    Das ist fast eine Ausnahme - umso geheimnisvoller der handschriftliche Zusatz Bachs am Ende der Partitur "Chorale segue" (Choral folgt) - fehlt eine Seite der Partitur und hat Bach den Choral aus der Textvorlage doch vertont? Wurde ein anderer Choral als Abschluss gegeben?
    Eventuell könnte man hier analog zur Praxis verfahren, die sich bei der Adventskantate BWV 132 bewährt hat - man sucht einen zur eigentlichen Textvorlage passenden Bach-Choral aus dessen umfassenden Werkbestand und schließt mit diesem die Kantate "wie üblich" mit einem Choral ab.


    Hier kommt sicherlich jeder Interpret zu einer eigenen Entscheidung.


    Zu Beginn der Kantate vertont Bach ein Bibelwort aus dem Evangelium des heutigen Tages (Johannes, Kapitel 14 Vers 23) orginellerweise als Duett zwischen Sopran und Bass. Dieses Jesuswort hatte Bach bereits in seiner Weimarer Pfingstkantate BWV 172 in Musik gesetzt - hier allerdings in der "klassischen" Arioso-Form für den Solo-Bass, wie dies für derartige Bibelzitate in zahlreichen anderen Kantaten ebenfalls geschehen ist.


    Im Choral Nr. 3 erklingt, begleitet vom ganzen Streichorchester, die erste Strophe des bekannten Luther-Pfingstlieds "Komm, Heiliger Geist, Herre Gott".


    Die (abschließende?) Bass-Arie mit konzertierender Solo-Violine lässt darauf schließen, dass Bach bei der Erstaufführung immerhin einen recht begabten 1. Geiger zur Verfügung hatte...
    Typisch für die Barockdichtung ist in dieser Arie der Hinweis auf die viel größeren Freuden im Jenseits - die barocke Todessehnsucht ist auch zu Pfingsten allgegenwärtig :yes:


    Eventuell könnte man das "Problem" mit dem fehlenden Schlusschoral auch umgehen, indem man die Reihenfolge der Sätze 3 und 4 einfach vertauscht.


    Egal - die Kantate ist, in welcher Form auch immer, trotzdem ein schönes Stück Musik :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)