Hallo zusammen,
ich denke, eine Frage, die im Umfrage-Thread "Eigenes Forum für die Moderne" aufgekommen ist, verdient durchaus der näheren Betrachtung eines eigenen Threads - nämlich die Frage, was Musik sei.
Gerne wurde und wird in Geschichte und Gegenwart ja schlichtweg alles das, was einem selbst nicht gefällt, zusagt, oder erschliesst aberkannt, dass es sich um Musik (oder wahlweise, in anderen Bereichen: Kunst) handelt. Aber ist das so einfach? Was setzt etwas voraus, um "Musik" zu sein?
Ein Versuch, zu erklären, was Musik sen, von dem man vielleicht ausgehen kann, gibt Michael Heinemann in seinem hier auch schon von mir erwähnten Buch "Kleine Geschichte der Musik" gleich zu Beginn (Seite 11):
"Alles Hören von Musik andererseits ist nur denkbar als Bewusstwerden von Raum und Zeit: Dass Laute als Musik wahrgenommen werden können, setzt Verstand voraus, der Klänge innerhalb eines (auch unwillkürlich) bestimmten zeitlichen Abschnitts strukturiert und in ihrer Ordnung ein sinnvolles Prinzip erkennt. Losgelöst vom ursprünglichen Zweck der Lautäußerung - als Signal, als Mittel nonverbaler Kommunikation -, entwickelt sich in spielerischer Erweiterung und intellektueller Reflektion Musik zur Tonkunst."
Was mir persönlich daran gefällt, ist, dass Heinemann deutlich macht, dass etwas, um "Musik" zu sein, einen Hörer voraussetzt, der sich auf die Spielregeln einlässt und sich nicht nur seiner Gefühle, sondern auch seines Verstandes bedient, um zu hören. Zweifel hätte ich, ob man voraussetzen kann, dass der Hörer ein "in ihrer Ordnung sinnvolles Prinzip" erkennt, damit man von Musik sprechen kann. Man wird das wohl so lesen müssen: Wenn es jemanden gibt, der ein sinnvolles Prinzip erkennen kann, ist es zumindest sehr wahrscheinlich, dass es sich um Musik handeln könnte.
Wenn Wolfgang/teleton im oben genannten Thread schreibt:
ZitatZur Musik gehört auch Gefühl !
will ich ihm gar nicht unbedingt widersprechen, aber einschränkend sagen: Ja, aber doch nicht unbedingt und nicht nur. Die Gewichtung der rationellen Erfassung und der emotionalen Erfassung eines Musikstückes variiert doch von Stück zu Stück, und dieses setzt die Regeln, nach denen man es beurteilen muss, was vorrangig ist. "Kopfmusik" gibt es ja nicht erst im 20.Jahrhundert, sondern öfter auch bei Bach (ich persönlich kann die "Kunst der Fuge" nicht sonderlich "emotional" hören, bin aber jedesmal zutiefst befriedigt davon, wie "verständig" diese Musik ist, will sagen: Auch das intellektuelle Vergnügen beim Musikhören kann Befriedigung bringen) und sicher bei vielen anderen. Umgekehrt stelle ich immer wieder fest, dass es Stücke gibt, deren emotionale Seite sich mir erst nach und nach erschliesst, während ich sie bei der ersten Begegnung für "kalt" oder "unemotional" hielt (ohne dass das eine Wertung gewesen wäre hinsichtlich ihrer Qualität). Zum Beispiel kann ich mich Weberns oft auf ganz wenige, kleine Gesten verknappte, aber umso intensivere Emotionalität nicht verweigern.
Kurzum: Ich glaube nicht, dass es für eine Erklärung, was Musik sei, fordert, sie müsse emotional sein ("Gefühl gehört dazu"), ich meine aber auch nicht, dass das umgekehrte - vorrangig eine rationelle, intellektuelle Sache - zutrifft. Man wird das von Stück zu Stück neu entdecken müssen, und das macht es ja letztlich auch spannend.
Yarpel schrieb im benachbarten Thread:
ZitatDas ist ein ebenso interessantes wie gefährliches Terrain. Einerseits ist es interessant, sich und andere zu fragen, was macht Musik aus, wo hört Musik auf. Kann man sich vorstellen, daß etwas zu Musik, d.h. zu Kunst, wird, wenn man es seines gewohnten Rahmens enthebt und in einen neuen hineinstellt. Das kann ich mir auch umgekehrt denken: Hört etwas auf, Musik, d.h. Kunst zu sein, wenn man es seines Rahmens enthebt und es in einen neuen stellt?
Damit ist für mich etwas ganz entscheidendes in der Begenung mit Musik (und in weiterem Rahmen wieder Kunst) gesagt: Letztlich kann uns die Auseinandersetzung mit Musik eben auch etwas über uns selbst sagen, mehr sogar, als es auf den ersten Blick aussieht. Das setzt allerdings wohl vorraus, dass man mit eigenen Einstellungen, Erwartungen und Urteilen von Zeit zu Zeit selbst kritisch ins Gericht geht und sie, auch unter Berücksichtigung anderer Standpunkte neu überprüft. Das geht über die Frage "gefällt mir oder nicht" raus, führt aber vielleicht auch zu einer besseren Begründbarkeit mancher Urteile über Musik und Interpretationen. Im übrigen ist es das, was für mich die Diskussion in diesem und anderen Foren immer wieder interessant macht.
Yarpel weiter:
ZitatDas Ergebnis der musikalischen Bemühungen der Komponisten bzw. der Interpreten muß uns noch nicht einmal gefallen. Wir brauchen nur zuzugeben, daß uns hier eine andere, vielleicht ungewohnte, Sichtweise auf altbekanntes angeboten wurde. Das Werurteil "Das ist keine Musik" macht es unmöglich, etwas Neues zu lernen, neue Erfahrungen, ja letztlich überhaupt Erfahrungen zu machen.
Da kann ich nur zustimmen. Das vorschnell ausgesprochene Werturteil "Das ist keine Musik!" ist nur insofern "praktisch", als dass es ermöglicht, eine Schublade ein für alle mal zuzumachen. Diese Praktikabilität ist aber doch eine eher zweifelhafte. Ich persönlich halte mir den Weg lieber offen.
Beste Grüsse,
C.