Die Bachkantate (098): BWV76: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes

  • BWV 76: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes
    Kantate zum 2. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 6. Juni 1723)




    Lesungen:
    Epistel: 1. Joh. 3,13-18 (Wer nicht liebt, der bleibt im Tod)
    Evangelium: Luk. 14,16-24 (Gleichnis vom großen Festmahl)



    Vierzehn Sätze, Aufführungsdauer: ca. 35 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choral (Nr. 7 und 14): Martin Luther (1523/24)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Oboe d’amore, Trompete, Solo-Violine, Viola da gamba, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Chor SATB, Oboe I + II, Trompete, Streicher, Continuo
    Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündiget seiner Hände Werk.
    Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre.


    2. Recitativo Tenor, Streicher, Continuo
    So lässt sich Gott nicht unbezeuget!
    Natur und Gnade red’t alle Menschen an:
    Dies alles hat ja Gott getan,
    Dass sich die Himmel regen
    Und Geist und Körper sich bewegen.
    Gott selbst hat sich zu euch geneiget
    Und ruft durch Boten ohne Zahl:
    Auf! kommt zu meinem Liebesmahl!


    3. Aria Sopran, Solo-Violine, Continuo
    Hört, ihr Völker, Gottes Stimme,
    Eilt zu seinem Gnadenthron!
    Aller Dinge Grund und Ende
    Ist sein eingebor’ner Sohn,
    Dass sich alles zu ihm wende.


    4. Recitativo Bass, Continuo
    Wer aber hört,
    Da sich der größte Haufen
    Zu ander’n Göttern kehrt?
    Der ält’ste Götze eig’ner Lust
    Beherrscht der Menschen Brust.
    Die Weisen brüten Torheit aus,
    Und Belial sitzt wohl in Gottes Haus,
    Weil auch die Christen selbst von Christo laufen.


    5. Aria Bass, Trompete, Streicher (evtl. zusätzlich Oboe I + II), Continuo
    Fahr hin, abgöttische Zunft!
    Sollt’ sich die Welt gleich verkehren,
    Will ich doch Christum verehren,
    Er ist das Licht der Vernunft.


    6. Recitativo Alt, Continuo
    Du hast uns, Herr, von allen Straßen
    Zu dir geruft,
    Als wir im Finsternis der Heiden saßen,
    Und, wie das Licht die Luft
    Belebet und erquickt,
    Uns auch erleuchtet und belebet,
    Ja mit dir selbst gespeiset und getränket
    Und deinen Geist geschenket,
    Der stets in unser’m Geiste schwebet.
    Drum sei dir dies Gebet demütigst zugeschickt:


    7. Choral SATB, Oboe I + II, Trompete, Streicher, Continuo
    Es woll’ uns Gott genädig sein
    Und seinen Segen geben;
    Sein Antlitz uns mit hellem Schein
    Erleucht’ zum ew’gen Leben,
    Dass wir erkennen seine Werk’
    Und was ihm lieb auf Erden,
    Und Jesus Christus Heil und Stärk’
    Bekannt den Heiden werden
    Und sie zu Gott bekehren.


    Seconda parte


    8. Sinfonia (e-moll) Oboe d’amore, Viola da gamba, Continuo


    9. Recitativo Bass, Streicher, Continuo
    Gott segne noch die treue Schar,
    Damit sie seine Ehre
    Durch Glauben, Liebe, Heiligkeit
    Erweise und vermehre.
    Sie ist der Himmel auf der Erden
    Und muss durch steten Streit
    Mit Hass und mit Gefahr
    In dieser Welt gereinigt werden.


    10. Aria Tenor, Continuo
    Hasse nur, hasse mich recht,
    Feindlich’s Geschlecht!
    Christum gläubig zu umfassen,
    Will ich alle Freude lassen.


    11. Recitativo Alt, Continuo
    Ich fühle schon im Geist,
    Wie Christus mir
    Der Liebe Süßigkeit erweist
    Und mich mit Manna speist,
    Damit sich unter uns allhier
    Die brüderliche Treue
    Stets stärke und verneue.


    12. Aria Alt, Oboe d’amore, Viola da gamba, Continuo
    Liebt, ihr Christen, in der Tat!
    Jesus stirbet für die Brüder,
    Und sie sterben für sich wieder,
    Weil er sich verbunden hat.


    13. Recitativo Tenor, Continuo
    So soll die Christenheit
    Die Liebe Gottes preisen
    Und sie an sich erweisen:
    Bis in die Ewigkeit
    Die Himmel frommer Seelen
    Gott und sein Lob erzählen.


    14. Choral SATB, Oboe I + II, Trompete, Streicher, Continuo
    Es danke, Gott, und lobe dich
    Das Volk in guten Taten;
    Das Land bringt Frucht und bessert sich,
    Dein Wort ist wohlgeraten.
    Uns segne Vater und der Sohn,
    Uns segne Gott, der Heil’ge Geist,
    Dem alle Welt die Ehre tu’,
    Für ihm sich fürchte allermeist
    Und sprech’ von Herzen: Amen!





    Als diese Kantate in Leipzig zum ersten Mal erklang, war Bach gerade seit einer Woche offiziell in sein Amt als neuer Thomaskantor eingeführt worden.


    Ich kann mir gut vorstellen, dass es in diesen ersten Tagen für Bach und seine Familie eine Menge zu regeln und organisieren gab.
    Vermutlich war da unter der Woche nur wenig Zeit für die Komposition einer neuen Kantate für den kommenden Sonntag - immerhin musste diese Kantate vor Ort ja auch noch einstudiert werden!
    Daher kann man wohl vermuten, dass sich Bach auf diese ersten Wochen als neuer Thomaskantor sicher im Vorfeld (also noch in Köthen) ein bisschen vorbereitet hat.
    Immerhin wollte er ja auch gerade zu Beginn seiner Amtszeit, wo das allgemeine Interesse an seiner Arbeit und die Erwartungshaltung gegenüber den von ihm komponierten Werken ganz besonders hoch sein würde, einen besonders guten Eindruck hinterlassen.


    Und die hier besprochene Kantate ist - genau wie die "Premieren"-Kantate der Vorwoche (BWV 75) - ein besonders ausführliches und sehr abwechslungsreich gestaltetes Exemplar der Gattung Kirchenkantate!
    Bach scheint wirklich demonstrieren zu wollen: "Seht her, liebe Leipziger, was ich alles kann! Beachtet die Stilvielfalt, die abwechslungsreiche Instrumentation, die kunstvolle Polyphonie und die raffinierten Harmonien - Ihr habt mit mir eine gute Wahl getroffen!"


    Die Tatsache, dass beide erwähnten Kantaten in ihrer 14-Sätzigkeit und der darin liegenden Abfolge von Chören, Rezitativen und Arien (inklusive der instrumentalen Sinfonia zu Beginn des 2. Kantatenteils!) identisch sind, legt die Vermutung nahe, dass sie vermutlich in einem Zug entstanden sein könnten.
    Auch der in beiden Fällen unbekannte Dichter könnte derselbe sein - vielleicht ein Köthener Poet, den Bach vor seinem Weggang noch um die Fertigstellung dieser beiden Kantaten gebeten hatte, damit er zunächst mit ausreichend Textmaterial versorgt war und sich im Rahmen der ganzen Umzugsarbeiten nicht auch noch um dieses Thema kümmern musste...


    Die instrumentale Besetzung beider Kantaten ist auch identisch - außer dass in der hier besprochenen Kantate die Viola da gamba, die wahrscheinlich sowieso meist zur Continuo-Gruppe des Ensembles dazu gehörte (?) und eine Solo-Violine zusätzlich konzertant eingesetzt werden.


    Die Kantate beginnt wie in der Vorwoche mit einem typisch bachschen Bibelwort-Chor (aus Psalm 19, Verse 2 und 4):
    In einem durch den Einsatz einer Trompete festlich überstrahlten, zweiteiligen Chorsatz wird zunächst in motettischer Form der Text vertont, bevor Bach ab der Textstelle "Es ist keine Sprache noch Rede" eine Fuge beginnen lässt.
    Ein großartiger und wirkungsvoller Satz! :jubel:


    In der Arie Nr. 3 erklingt gleich zu Beginn ein in der Folge dann nahezu ständig wiederholtes, sehr charakteristisches Motiv, das mich spontan immer an ein recht bekanntes Haydn-Stück erinnert (Serenade oder so ähnlich??)...


    Die Arie Nr. 5 ist dann wieder einmal eine von mir so geliebte Bass-Trompeten-Arie - eine Klangkombination, die Bach anscheinend ebenfalls sehr gern verwendet hat!


    Das Rezitativ Nr. 6 entwickelt sich gegen Ende durch eine mehrfach wiederholte Phrase zum Arioso, das quasi mit einem "musikalischen Doppelpunkt" endet und auf den nun folgenden Choral abzielt.


    Dieser Choral (Satz Nr. 7) beendet den ersten Teil der Kantate (der vom Umfang her durchaus bereits eine eigenständige Kantate darstellen könnte) und ist von der instrumentalen Begleitung und Ausschmückung her weitaus aufwendiger gestaltet, als die eigentlich übliche schlichte Vierstimmigkeit bei solchen in Kantaten verwendeten Choralstrophen (die Instrumente werden nämlich meist "nur" colla parte mit den Gesangsstimmen geführt).
    Doch auch in der hier besprochenen Kantate (wie auch in BWV 75) gibt sich Bach selbst bei den "einfachen" Chorälen viel Mühe, um alles anspruchsvoll und abwechslungsreich erklingen zu lassen.
    Und genau wie in der Kantate der Vorwoche wird auch dieser Choralsatz am Ende des zweiten Teils (als Satz Nr. 14) mit dem Text einer weiteren Strophe desselben Chorals wiederholt werden.


    Mit der Sinfonia, die den zweiten Teil der Kantate einleitet, zeigt Bach sich als der Meister der Instrumentalkompositon, der er während seiner Dienstjahre in Köthen ja vor allem war und fügt damit der hier präsentierten Palette seines Könnens eine weitere Facette hinzu.
    Ein ausdrucksvoller Triosatz zwischen Oboe d'amore, Viola da gamba und Basso continuo, der nach kurzem Adagio zu Beginn recht schnell in ein bewegtes Vivace übergeht. Bach hat ihn später als 1. Satz seiner Orgel-Triosonate BWV 528 fast unverändert übernommen.


    Dieselbe instrumentale Besetzung verwendet Bach nun noch in der Arie Nr. 12 - ein sehr ausdrucksvoller Satz in e-moll, im recht seltenen 9/8tel-Takt.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)