"[Soviet orchestras] can only be compared with the very best in the USA. The marvelleous thing about the Russian music business is the complete elimination of the profit principle. That's the key to everything. When I was asked in 1933 by the manager of the Leningrad Philharmonic to compile a program I answered jokingly: The best thing would be to bring out five or six living composers: "Hindemith, Krenek, Roussel and so on". Every other manager would have kicked me out. Who would pay for it? But this one answered cooly: "allright"! And the program was carried through."
Diese Feststellung stammt von dem Dirigenten Jascha Horenstein, getroffen in einem der Interviews, die er in späteren Lebensjahren gegeben hatte. Horenstein gehört zu den wenig bekannten Größen des 20. Jahrhunderts, daher dieser ihm gewidmete Thread.
Jascha Horenstein kam 1898 in Kiew zur Welt, studierte zunächst in Königsberg, später in Wien bei Frank Schreker und Adolf Busch. Schreker folgte er nach Berlin. An der Berliner Hochschule für Musik studierte Horenstein zusammen mit Ernst Krenek und Alois Haba.
1922 Debut als Dirigent: Horenstein spielte mit den Wiener Symphoniker Mahlers 1. Sinfonie. Später Assistent von Siegfried Ochs und Wilhelm Furtwängler. 1928 wurde Horenstein GMD der Düsseldorfer Oper. In seiner Düsseldorfer Zeit führte Horenstein bevorzugt moderne Opern auf; Berg’s "Wozzek", UA von Kreneks "Schwergewicht", Janaceks "Totenhaus" oder Strawinskys „Geschichte des Soldaten“.
1933 wurde Horenstein von den Nazis vertrieben und arbeitete zunächst mit dem Orchestre Symphonique de Paris zusammen, um sich dann seinen geographischen Wurzeln zuzuwenden. Von 1934-1937 arbeitete er mit den Orchestern von Leningrad und Moskau, tourte danach bis zum Ausbruch des WK II durch Australien und Neu Seeland (mit dem Ballet Russe de Monte Carlo). Mit Beginn des WK II übersiedelte Horenstein in die USA, kehrte nach Kriegsende nach Europa zurück, ohne sich fest an ein Orchester zu binden.
Einige wenige Konzerte gab Horenstein auch in Deutschland, fühlte sich in diesem Land aber merklich unwohl: "…it is clear, that UNDER NO CIRCUMSTANCES can I live in Germany except in a luxury hotel and working as a 'guest' for a week, a month or longer, but only as a guest and not otherwise. Even then my life would be 'monastic' confined to a retreat. The orchestra would be almost a laboratory in which one did one's work and then back to the safety of the hotel."
1959 begann Horensteins langwährende Zusammenarbeit mit der BBC mit einer spektakulären Aufführung von Mahlers 8. Sinfonie. Als Operndirigent trat Horenstein kaum noch auf, leitete 1950 allerdings die französische Uraufführung des Wozzek, 1964 die amerikanische Uraufführung von Busonis „Dr. Faustus“, dirigierte in Covent Garden 1961 Fidelio und 1973 Parsifal. 11 Tage nach dem Parsifal-Dirigat verstarb Jascha Horenstein.
Im Gedächtnis dürfte er als Mahler- und Bruckner-Interpret verankert sein. 1927 spielte er erstmals für die Schallplatte Mahlers Kindertotenlieder und Bruckners 7. Sinfonie ein (ein paar Schellacks mehr von ihm gibt es wohl noch). 1952 begann Horensteins Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Label VOX. Dvoraks 9. Sinfonie, Mahlers 9. Sinfonie und Schostakowitschs 5. Sinfonie waren seine ersten Einspielungen. Sie endete 1959 im Zerwürfnis. Später arbeitete Horenstein mit Readers Digest/RCA, zuletzt mit Unicorn.
Horenstein war ein ausgesprochen integrer Deuter der Werke, die er aufführte. Bevor sich die HIP-Bewegung etablierte, spielte er für VOX Bach’s Brandenburgische Konzerte ein, in original Besetzungsstärke und auf historischen Instrumenten. Und absolut zügigen Tempi. Ein gewisser Nicolaus Harnocourt saß in diesem kleinen Orchester ebenso wie Wolfgang Schneiderhahn.
Wie Klemperer gehört Horenstein zu den Dirgenten, die Janacek noch persönlich gekannt hatten und ihre Interpretationen im Gespräch mit ihm entwickelten. Die Mono-Einspielungen von Taras Bulba und der Sinfonietta sind mehr als hörenswert, letztere schon der extrem langsamen Tempi wegen. Einen ähnlichen Referenzwert dürfte die Einspielung von Schostakowitschs 5. Sinfonie haben. Horenstein beherrschte ein ungemein breites Spektrum an Werken, widmte sich neben dem traditionellen Repertoire sehr stark zeitgenössischen Komponisten wie Walton, Simpson oder Panufnik.
Seine discographische Hinterlassenschaft ist allerdings eher schmal und zu einem Gutteil mono. Das mag einige Hörer abschrecken. Sein letzter Konzertmeister und Assistent Joel Lazar ist emsig bemüht, soviel als möglich an Horenstein-Dirigaten zugänglich zu machen. So lassen sich immerhin die meisten Mahler-Sinfonien zusammentragen (es fehlen die Nr. 2, 5 und 10). Die Box mit den Pariser Rundfunkaufnahmen zeigt einen guten Überblick über Horensteins Repertoire, ist klanglich aber nicht eben das Optimum. Bruckner ließe sich mit den Sinfonien 1-9 zusammentragen, wenn die Rundfunkarchive sie herausrücken würden, ein Beethoven-Zyklus wäre fast zusammenzubringen (offensichtlich fehlen die Nr. 2 und 4).
Klanglich und interpretatorisch bemerkenswert sind die Einspielungen, die Horenstein mit dem Produzenten Charles Gerhard für Readers Digest/RCA gemacht hatte. Das Label Chesky hat sie als CD teilweise wiederveröffentlicht, etwa die Klavierkonzerte Rachmaninows mit Earl Wild, das Violinkonzert Beethovens mit Erich Gruenberg und das Klavierkonzert Schumanns mit Malcolm Frager. Eine umfassende, wenngleich nicht vollständige Discographie Horensteins ist hier im Web hinterlegt.
Zum Schluß noch einmal Horenstein selbst: "One of the saddest things about leaving this world is not to hear Das Lied von der Erde any more."
Liebe Grüße vom Thomas