Russische Dirigenten - Mehr Kreativität durch Unterdrückung

  • Hier soll ganz besonders das kreative Schaffen der Dirigenten Russlands gegenüber dem, anderer Nationalitäten zugehörigen, hervorgehoben werden.


    Ich stelle die Frage: „Mehr Kreativität durch Unterdrückung ?“


    In erster Linie entstand die folgende Vorstellung rein subjektiv, durch das Erleben von Aufnahmen russischer Interpretationen, die ich in den Vergleich zu solchen von hiesigen, sowie von Dirigenten aus anderen Nationen, setzte.
    Rein emotional betrachtet scheinen mir die Russischen von einer ganz besonderen „Wendigkeit“ zu sein. (Manch einer mag diese Aufnahmen als „typisch russisch interpretiert“ bezeichnen)


    In jedem Falle besitzen die Aufnahmen aber einen gewissen Eigensinn, der sie deutlich von den Interpretationen der restlichen Welt abhebt.


    Man ziehe nun die vorherrschenden Umstände, mit denen es russische Dirigenten und Orchester zu tun hatten und haben


    (


    Bsp.:


    Seit der Perestroika verdienen die Musiker gerade mal rund 50 Euro den Monat.


    Wenig Kulturverständnis der Regierung bis dato (Ausgenommen vielleicht Putin, der 2 Töchter hat, die im Orchester spielen)


    Streichung von Aufnahmen namhafter russischer Dirigenten bei Emigration, auch aus den
    westlichen Katalogen


    Unterdrückung auch, was die Aufführung von Werken von bsp. Schönberg, Beethovens
    „Missa solemnis“, Mahler's 9. etc...anbelangt)


    Schwierigkeiten für angehende russische Dirigenten „groß raus zu kommen“.


    Orchester konnten nur durch Einladungen des Westens „überleben“


    )


    hinzu, und man meine, dass den Interpretationen die vorherrschende Unterdrückung zu gute komme, wenn es um originelle Interpretationskunst geht.
    Ähnlich vielleicht den Aufnahmen, die in Deutschland während des Krieges gemacht wurden (Furtwängler), und dort die Gewissheit über die Situation mit in die Interpretation einflossen.


    Dieser Thread soll also dazu anregen, sich über russische Interpretationen von Nicht-Russischen (Man denke hier bsp. An Mravinsky's Bruckner-Deutung) Werken im Gegensatz zu russischen Werken, die von Dirigenten anderer Nationen interpretiert wurden, auszulassen. (Bsp. Schostakowitsch mit Kurt Sanderling....)


    Und weiter:
    Schaffen sie es, die Seele der Kompositionen des jeweils anderen Landes zu erfassen ? (Und wenn ja, wie?!)


    Also...
    welche Aufnahmen schätzt ihr oder missfallen euch? Und wie
    hören sich diese Interpretationen für euch an?
    Bitte immer mit Hinzuziehung des emotionalen Ausdrucks, der sich euch beim Anhören offenbart hat.



    :beatnik:

  • Hallo Jan,
    eine interessante Fragestellung - im Moment fehlt mir leider die Zeit, eine differenzierte Antwort zu formulieren. Ich möchte daher nur ein paar Unschärfen korrigieren: Mahlers Neunte durfte gespielt werden (siehe Kondraschin), unterdrückt waren Mahlers "Zweite" und "Achte" wegen der religiösen Texte. Auch die "Solemnis" wurde aus diesem Grund nicht gespielt.


    Schönberg wurde nach dem Stalinismus (während dessen er völlig unterdrückt war) sporadisch gespielt, aber nahezu nur die Kammermusik, und sie nur in kleinen Insider-Zirkeln. Soll heißen: Musikern war Schönberg bekannt, dem breiten Publikum nicht. Eines der ganz wenigen Orchesterwerke Schönbergs, das vereinzelt auftauchte, war "Pelleas und Melisande".


    Außerdem bitte ich Dich um eine kleine Präzisierung, über welche Zeit wir reden: Stalinismus, Tauwetter, Neo-Stalinismus, Perestroika, Jelzin-Demokratieversuch, Putin-Oligarchie.
    Wir werden in der Diskussion zweifellos alle Perioden berühren, aber damit es nicht von Anfang an drunter und drüber geht: Auf welche Periode beziehst Du Deine Beobachtungen konkret?


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    8o


    Erstmal danke für Deine Scharfmachung.


    Um es für Deinen, womöglich größeren, Wissensschatz etwas übersichtlicher
    zu gestalten...


    Beginnen wir mit der Tauwetterperiode;
    Also mit der Chruschtschow-Ära (Zeit der "geistigen Liberalisierung")
    und wohl auch der Zeit in der das Melodya Label seine Etablierung erfuhr (ich glaub das war 1964, geht also noch in die Breschnew-Ära ("Zeit der Stagnation") hinein.).


    Ich hoffe, diese beiden politischen Antipoden haben vorerst genügend "Präzisierungspotential".


    Achja...


    es sei vielleicht noch zusätzlich erwähnt, dass es mir in diesem
    Thread hauptsächlich um die Dirigentenleistung geht. Damit sich der "russische Bereich" nicht bloß auf Melodya-Aufzeichnungen beschränkt. (Also auch ein Rozhdestvensky, der Schnittke mit dem
    London Symphony Orchestra eingespielt hat, sei erlaubt)


    Einfacher: In wie weit drückt der Dirigent dem Orchester seine eigens erlebte "Unterdrückung" auf ? (Möglich, dass ein russisches Orchester unter russischem Dirigenten "unterdrückt kreativer" spielt, als ein britisches unter Selbigem.


    Hoffe, das war jetzt nicht wieder zu viel des geschriebenen Wortes und
    zu wenig der Verständlichkeit


    Gruß Jan


    :faint:

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  • Dann spiel' ich doch gleich nochmals - auf andere Weise - den Scharfmacher: Norman Lebrecht behauptet in seinem Buch "Der Mythos des Maestro", die Sowjetunion habe individuelle Äußerungen dermaßen unterdrückt, daß es dort keinen einzigen bedeutenden Dirigenten außer Mrawinskij gegeben habe.


    Ich halte diese Aussage für falsch am Rande der Verrücktheit. (Aber es ist nicht die einzige Verrücktheit in Lebrechts Buch.)


    Nun hat es sicherlich einen "russischen" Interpretationsstil gegeben: Zuspitzung der Tempi, größtmögliche Breite der Dynamik, "Hochdruckmusizieren". Ich frage mich nur, ob das nicht eben doch eher die russische Tradition ist und nicht ein sowjetischer Stil (unabhängig davon, daß sich einige der sowjetischen Stardirigenten an die Partei angebiedert haben).


    Für mich eine der interessantesten Erscheinungen in diesem Zusammenhang ist (trotz meines Faibles für Swetlanow) Gennadij Roschdestwenskij. Roschdestwenskij hat sich von der Partei nämlich relativ wenig dreinreden lassen. Er wollte Schnittkes wüste, für sowjetische Verhältnisse völlig untragbare Erste Symphonie aufführen. Gut - und wenn es eben nicht in Moskau oder Leningrad ist, dann ist es eben in Gorkij...


    Roschdestwenskij setzte sich auch für Sofija Gubaidulina ein, die wegen ihrer religiösen Inhalte und ihrer avantgardistischen Haltung scheel beäugt wurde. Er setzte eine Melodija-Aufnahme durch - die Partei setzte durch, daß kein Begleittext beigelegt wurde (um es den Hörern so schwer als möglich zu machen) - Roschdestwenskij setzte durch, daß dafür seine einführenden Worte mitaufgenommen wurden.


    Es war wie ein Spiel mit extrem hohem Einsatz: Tricks und Finten erfinden, um genau das machen zu können, wovon man überzeugt war.


    :hello:

    ...

  • Hmmm...
    Vielleicht sollte ich noch präziser nach der Begründung des von Dir
    umschriebenen "russischen Stils" fragen und nach der des Sowjetischen;
    besser: wodurch und zu welcher Zeit (glaubst oder weisst Du) entstand dieser Stil?


    Zum Hochdruckmusizieren:


    (Breschnew-Ära)
    Zu Schnittke:
    Ich würde das Concerto Grosso No. 1, das Rozhdestvensky mit dem LSO 1977 (Gidon Kremer und Tatjana Gridenko) aufgezeichnet hat nie als Hochdruckmusik bezeichnen können.


    (Chruschtschow-Ära)
    Auch Mravinsky's Bruckner 8 (1959?) als Beispiel ist gefühlsmäßig für mich keine Hochgeschwindigkeitsfahrt. (auch bei geringer Spieldauer)
    (Hier vielleicht der Finalsatz, wo zwar verdammt Intensiv,
    aber eben nicht auf Hochdruck musiziert wird. Diese Sinfonie blüht geradezu von ungewohnten Details und hört sich nicht unbedingt "russisch" an.)


    Kennst Du die Erwähnten?


    Über Mahler's 6 und Kondrashin hab ich so etwas gelesen, aber leider fehlt noch das Taschengeld für die nächste CD Bestellung, in der diese CD nicht
    fehlen wird und dann bin ich mal gespannt...


    Zu Gubaidulina: Welche Aufnahme ist das? Und: ist die noch käuflich zu erwerben?

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  • Lieber Jaan,


    in diesem Zusammenhang darf ich noch einmal eine Feststellung von Jascha Horenstein zitieren, die ich an anderer Stelle bereits erwähnt habe. Sie gilt dem Jahr 1936.


    "[Soviet orchestras] can only be compared with the very best in the USA. The marvelleous thing about the Russian music business is the complete elimination of the profit principle. That's the key to everything. When I was asked in 1933 by the manager of the Leningrad Philharmonic to compile a program I answered jokingly: The best thing would be to bring out five or six living composers: "Hindemith, Krenek, Roussel and so on". Every other manager would have kicked me out. Who would pay for it? But this one answered cooly: "allright"! And the program was carried through."


    Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß im ach so liberalen und demokratischen Westen auch Unterdrückung herrscht, nämlich durch das Kapital. Produziert wird nicht vorrangig nach Qualitätsaspekten, sondern nach Verkaufbarkeit.


    Ich habe schon den Eindruck, daß sich die Sowjet-Regierungen Kulturpflege auf die Fahnen geschrieben und auf hohem bis höchstem Niveau betrieben haben. Mit dem Wort Unterdrückung habe ich in diesem Zusammenhang so meine Schwierigkeiten. Zumal es gewiss Musiker und andere Künstler gegeben haben wird, die mit dem System weitgehend einverstanden waren. Swetlanow gehörte wohl dazu, auf Seiten der DDR Herbert Kegel, und war es nicht Sanderling, der von West nach Ost gegangen ist?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo Jan,
    Das (sehr interessante) Schnittke-Concerto ist einerseits mit einem West-Orchester aufgenommen, andererseits wohl keine Verlockung zu diesem Aufführungsstil.


    Die Bruckner-Aufnahmen Mrawinskijs finde ich hingegen schon zu diesem Stil gehörig. Achte nur einmal auf den Anfang der "Neunten": Schon das Tremolo suggeriert, daß jederzeit ein Ausbruch erfolgen kann, der Bläsereinsatz wird dann zu einem Beispiel für das, was ich mühsam zurückgehaltene Energie nenne; der ganze Abschnitt baut sich in einem einzigen Spannungsbogen auf und vibriert vor Energie. (Natürlich gehen die Details nicht verloren - im Gegenteil: Sie bewirken erst diese extreme Spannung.)


    Mahler unter Kondraschin ist ein noch extremerer Fall: Die VI. wird bis zur Hysterie gesteigert, der erste Satz auf eine Weise vorwärtsgepeitscht, wie ich es von keinem anderen Dirigenten kenne. Dabei geht es nicht nur um Fragen des Tempos, sondern auch um solche der Dynamik, etwa von crescendo/decrescendo, und auch um Akzentuierung.


    Wenn ich sage "Hochdruckmusizieren", meine ich nämlich nicht schnelle Tempi, sondern ein Musizieren unter extremer Spannung - und das ist sicherlich eines der Markenzeichen eines russischen Stils.


    :hello:

    ...

  • Das ist mir aufgefallen, als ich vor ein paar Tagen das erste mal in die Brahms-Symphonien unter Mravinskij reinhören konnte. Wahnsinn! :jubel:

  • Hallo Santoliquido


    Ich sehe das etwas anders:


    Möglich, dass es Dirigenten und Orchester gab, die sich dermaßen für den Kommunismus begeistert gaben, dass ihnen der finanzielle Aspekt
    nicht so wichtig war. (also auch dem Manager der Lenigrader damals)
    Und wenn man von Horenstein spricht, sollte man bedenken, dass dieser
    lediglich in Kiew geboren wurde, jedoch bereits mit etwa 7 Jahren nach
    Königsberg übersiedelte, er also die gesamte Stalinzeit von "aussen"
    beobachtete und nicht ständig vor Ort war und dirigierte.


    Aber mit meiner "Unterdrückung" meine ich das Nicht-Durchsetzen können
    des künstlerischen Beitrags zur Kultur (also das Verbot von Aufführungen
    von Werken Andersdenkender)
    Man bedenke, dass Künstler wie Lokschin z.Bsp. nicht zu den Prüfungen zugelassen wurde, als er versuchte
    Beaudelaire's "Blumen des Bösen" zu vertonen, in seiner Examensarbeit.
    Nur durch die Hilfe von Mijaskovsky war es ihm möglich, die Prüfung zu
    wiederholen.


    Nach dem 2. Weltkrieg und der Shdanow Kampagne saß dann
    ein gewisser Tichon Chrennikow als Vorsitzender des Komponistenverbandes da, und von dem wird gesagt, er halte die Musiker
    "an der kurzen Leine". Also auch hier wieder in gewisser Weise Unterdrückung.


    Dann weiter, wer als Dirgient vom Kaliber Kondrashin auswanderte, wurde aus den Plattenkatalogen gestrichen...(auch im Westen)


    Und da soll man erzählen, die Sovjets hätten sich Kulturpflege auf die Fahnen geschrieben. Vielleicht besser : Nationalkult-pflege.
    Wer nicht das Dirigiert, was verlangt ist oder Neuerungen, die möglicherweise Anti-Sovjetische Gefühle wecken, miteinbringt...ab in den Gulag!


    Und definitiv ist dies Unterdrückung der Kreativität und somit einer kulturellen Entwicklung und vielleicht mit ein Schlüssel zur
    Herangehensweise eines russischen Dirigenten, der das alles Miterlebt hat,
    und dem man dieses an seinem Interpretationsstil eines bsp. westlichen
    Werkes anzuhören meint. (Um wieder aufs Thema zurückzuführen!!!)


    Zur USA und Anderen Ländern:


    Klar, gilt dies auch in gewisser Weise für den Westen.


    Globalisierung macht auch vor der Plattenindustrie nicht halt.
    Aber von der Zeit, von der Du ausgehst, also von wo das Zitat
    Jascha Horenstein's entstammt, war das dort auch schon so??
    Aber um auch dieses Thema mit einzubeziehen, bedarf es wohl eines
    weiteren Threads.


    Gruß Jan

    Einmal editiert, zuletzt von jaaan ()

  • Hallo Edwin,


    Jetzt isses klarer und ich stimme überein, wenn du mit Hochdruckmusizieren
    nicht alleine das Tempo meinst. Die Spannung ist auf jeden Fall da.


    Aber gibts auch Aufnahmen, wo sie fehlt?
    Oder würdest Du behaupten, dass alle Aufnahmen irgendwo "russisch"
    klingen, die unter Leitung eines Russen gespielt wurden?

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Jan,
    relativ sicher kann man sein, wenn russische Dirigenten russische Orchester dirigieren, und zwar bis zur Jelzin-Ära. Kaum waren die Ausreisebeschränkungen liberalisiert, gingen die guten Orchestermusiker ins Ausland, wo sie ein Vielfaches verdienen konnten. Die meisten russischen Orchester litten unter diesem Aderlaß und haben sich bis heute nicht mehr ganz erholt. Außerdem ist heute die Probendisziplin, wie ich höre, sehr schlecht.
    Einige Orchester, etwa Ural/Jekaterinenburg, haben hingegen gewaltig aufgeholt.


    Die Schule des Hochdruck-Musizierens brachten vor allem Mrawinskij, Swetlanow und Kondraschin zur Perfektion, wobei Swetlanow vielleicht der exzessivste ist. Unter den anderen (auch älteren) Dirigenten, die in diese Richtung gehen, sind Gauk, Arwid Jansons und Golowanow.


    Roschdestwenskij ist für mich ein ganz eigener Fall, als er meiner Meinung nach in Rußland einen anderen Stil dirigiert als im Westen. Einige seiner Bruckner-Einspielungen scheinen nahezu zu zerbersten unter der Spannung, die er entwickelt, und auch seine Schostakowitsch-Einspielungen gehören zu den besten. Wenn er jedoch mit den Londonern Tschaikowskij aufführt, ist das sicherlich sehr gut und insgesamt wunderbar musiziert, aber weit entfernt von dem, was er aus russischen Orchestern herausholt.


    :hello:

    ...

  • Hallo Jan,
    jetzt antworte ich getrennt, damit nicht zu viel Unterschiedliches zusammenkommt.


    Zitat

    Wer nicht das Dirigiert, was verlangt ist oder Neuerungen, die möglicherweise Anti-Sovjetische Gefühle wecken, miteinbringt...ab in den Gulag!


    Diese Drohung hing in der Stalin-Zeit über den Künstlern, danach aber nicht mehr wirklich. Es gab auch andere Methoden, die Leute bei der Stange zu halten: Berufliche Kaltstellung etwa.
    Daß ausgewanderte Künstler nicht mehr auf Schallplatten zu bekommen waren, stimmt. Umgekehrt verfuhren auch westliche Labels nicht zimperlich mit Künstlern, die sich zum Kommunismus bekannten. Hier spielt der Kalte Krieg eine unrühmliche Rolle: Man will "der anderen Seite" nichts überlassen, auch keinen Kulturträger.


    Zitat

    Und da soll man erzählen, die Sovjets hätten sich Kulturpflege auf die Fahnen geschrieben. Vielleicht besser : Nationalkult-pflege.


    Das ist eine Spur zu undifferenziert.
    Nahezu alle europäischen Diktaturen haben sich speziell um die Kultur bemüht. Allerdings haben sie eben auch definiert, was darunter zu verstehen ist. Das Prinzip ist dabei relativ einfach: Wess' Brot du ißt, dess' Lied du singst.
    Also: Wenn Dir "Vater Staat" die Ausbildung und die Karriere ermöglicht, dann hast Du Dich auch in den Dienst von "Vater Staat" zu stellen. Und wenn "Vater Staat" meint, die "Fleurs du mal" wären westliche Dekadenz-Literatur, dann hast Du das, bitteschön, zu beachten. Andernfalls entzieht dir "Vater Staat" seine Gunst und schließt dich aus den von ihm geförderten Einrichtungen aus. Kurz: Wer zahlt, schafft an. Und in der Sowjetunion zahlte nun einmal der Staat.
    Wenn man diese Mechanismen versteht (verstehen heißt nicht gut finden!), die ein begeisterungsloses Mitläufertum fördern, begreift man auch die Handlungsweise bestimmter Personen.


    Damit sind aber nicht üble Subjekte wie Chrennikow gemeint, die einfach ihre Machtposition auskosteten letzten Endes aber nicht einmal in der Sowjetunion in die Top-Ränge aufstiegen. Denn eines muß uns klar sein: Chrennikow schaffte es zwar in hohe Ränge, nicht aber in hohe Wertschätzung seiner Musik. Auch innerhalb der Sowjetunion wurden radikalere Komponisten mehr gespielt und mehr geschätzt als er. (Was wahrscheinlich zu seinen miesen Aktionen führte - ich orte da weniger begeisterten Kommunismus als geifernden Neid, der in Machtpositionen meistens zu Üblem führt.)


    Außerdem darf man nicht glauben, daß nur die konservativsten Komponisten eine Chance hatten. Gespielt wurden auch radikalere, wenn ihre Werke nicht der Ideologie zuwiderliefen - nur wurden sie nicht oder kaum aufgenommen. (In der DDR war das übrigens anders.)


    Aber jetzt einmal anders gefragt: Welche Avantgarde-Komponisten waren etwa 1975 auf dem europäischen Tonträger-Markt zu bekommen? Die DG bemühte sich um Henze und Stockhausen, und es gab ein paar WERGO-Platten, die einige verwegene Schallplattengeschäfte tatsächlich führten. Aber sonst?


    Übrigens merke ich, daß ich mich von den Dirigenten weg- zu den Komponisten hinbewege. Aber wer glaubt, das eine vom anderen strikt trennen zu können, möge diesen Eintrag bitte als OT werten.


    :hello:

    ...

  • Als blutjunger, beinahe unerfahrener, Forumsneuling erbitte ich mir eine
    Erklärung des Kürzels OT?
    ?(
    Schmeckt das lecker?
    Und Vor allem: Ist es einfach zuzubereiten ? ;-)



    Zitat

    Übrigens merke ich, daß ich mich von den Dirigenten weg- zu den Komponisten hinbewege. Aber wer glaubt, das eine vom anderen strikt trennen zu können, möge diesen Eintrag bitte als OT werten.


    Wie ich sehe, ergeben sich manche Erklärungen dessen, was
    unter Unterdrückung verstanden wird, erst daraus,
    dass auch Komponisten miteinbezogen werden. Ohne Diese
    hätten die Dirigenten und Orchester ja nicht solch große Gründe gehabt
    unterdrückt zu werden. Das, was die Dirigenten unterstützen
    (also auch die Ideologie des Werkes und die des Komponisten) fließt ja mitunter auch in die Interpretation ein und trägt wohl unbewusst
    dazu bei, die Sicht des Dirigenten zu erweitern bzw. kreativ zu werden
    und dann das Stück aus der eigenen Sicht zu spielen. Es wird Teil des Dirigierstils. Oder?


    Also sei es in sofern erlaubt, als dass es der Erklärung des Überthemas
    dieses Threads beizutragen verstehe.

  • Halle Jan,


    OT ist ein sehr beliebtes und auch bekömmliches Gericht. Zuimindets für den, der es zubereitet. Alfred ausgenommen, der mag OT nicht so. Und der threadgründer manchmal auch nicht.... ;)


    Meiner Erfahrung nach sollte


    OT = off-topic


    sein. Also etwas, was vom eigentlichen Thema abweicht.


    :hello:


    P.S. Beim erstenmal Lesen dachte ich: Was hat das mti Originalton zu tun?? :wacky:

  • Diesen Therad habe ich in den letzten Tagen verfolgt unf interessiert gelesen.


    Die Frage ob der russische Dirigiertstiel tatsächlich durch Unterdrückung ausgelöst wurde konnte noch nicht eindeutug beantwortet werden.
    Ich glaube auch nicht, das diese Hochdruckqualität der russischen Dirigenten sich durch Unterdrückung entwickelt hat - nein, es ist einfach das russische Temprament und Wesen der russischen Musiker (Dirigenten und Orchester) insgesamt.


    :] Schon in den 70er-Jahren habe ich sehr gerne den Eurodisc-Katalog gewältzt und mir zahlreiche Platten mit Swetlanow, Kondraschin, Mrawinsky, Roshdestwensky mit den Moskauer Orchestern und der Leningrader PH gekauft.
    Mir ist damals schon gleich aufgefallen, dass mir diese Interprerationen mit Hochdruck mehr liegen und wesentlich besser gefallen, als viele "Softies" aus dem Westen und dem Rest der Welt. Dabei sind es hauptsächlich die russischen Komponisten (Tschaikowsky, Glinka, Liadow, Miaskowsky, Schostakowitsch, Rimsky-Korsakow, Strawinsky), die von den o.g. russischen Dirigentengrößen abgedeckt werden.
    Komponisten aus unseren Breiten sind bei den Russen weniger vertreten, wenn es auch einige umwerfende Beispiele gibt, wenn ich an Hindemith, Honegger mit Mrawinsky und einige Bruckner-Sinfonien denke; Schumann, Sibelius und Nielsen mit Roshdestwensky.


    :yes: Eine meiner ersten russischen Platten (Eurodisc) war die Stereo-Aufnahme der Berlioz: Sinfonie Harold in Italien mit David Oistrach, Dirigent, Moskauer PH, Rudolf Barshai, Viola --- eine Wahnsinnsaufnahme mit dem genannten Hochdruck, die von einer ganz anderen Welt ist, als alle anderen bekannten Aufnahmen - leider habe ich diese Aufnahme nie auf CD gesehen.
    Diese LP hat im Prinzip zu erst meine Aufmerksamkeit und Vorliebe für russische Orchester und Aufnahmen geweckt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang


  • Ganz offensichtlich, lieber Jaan, sonst hätte Horenstein das wohl nicht gesagt. Und der Emigrant Horenstein kannte die Situation Deutschland, sodann aber auch die anderer Staaten, bedingt durch seine Reisetätigkeit. So auch der UdssR, wo er für einige Jahre Sommerkonzerte leitetet. Hierauf bezog sich das genannte Zitat.


    Wir sollten zwar jetzt nicht den Begriff der Unterdrückung als solchen diskutieren, daß er mir in dem Zusammenhang mit der Sowjetunuion zu pauschal erscheint, will ich nicht verhehlen (auch wenn ich jetzt Gefahr laufe, daß mir jetzt irgendjemand die Bulldozer-Ausstellung aufs Butterbrot schmiert). Mit "Gefahr physischer Repression" kann ich bedeutend besser leben.


    Mit unseren Höreindrücken liegen wir allerdings sehr ähnlich. Und wir müssen uns da gar nicht ausschließlich im Bereich der Orchestermusik bewegen: das WTK von Bach habe ich noch nicht schöner gehört als in der Melodija-Einspielung mit Svjatoslav Richter. Das Streichquintett von Schubert mit dem Tanijev-Quartett und Slava Rhostropowitsch: Eine Offenbarung. Oder Bashkirovs Schumann-Platte.Das lässt sich fortführen. Ich nenne noch die hochgerühmte Pianistenschule in Moskau. Die Pianisten Brigitte Engerer hat lange bei Neuhaus in Moskau studiert.



    Persönlich bin ich eher geneigt, von einer "nationalen" Schule oder EIgenart (zugegebenermaßen ein sehr diffuser Begriff für dieses Riesenreich, der gerne von weiteren Diskutanten geschärft werden darf) zu sprechen, die sich seit einigen Jahren auflöst. Bestätig hat dies in einem Schostakowitsch-Seminar in Köln ein nicht ganz unbekannter Referent: der Dirigent Dimitrij Kitaenko.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo Santoliquido,


    jetzt ist mir auch klar warum Du in den letzten Tagen in einem anderen Thread Dimitri Kitaekos Kölner Schostakowitsch-Sinfonien-Zyklus so verteidigt hast.


    :) Klar, wenn man den Menschen persönlich kennt, hat man eine ganz andere Beziehung, auch zu seinen Aufnahmen.



    Mit Dimitri Kitaenko fällt mir sogleich ein weiteres Beispiiel für die unterschiedlichen Spielkulturen in Russland und hier im Westen ein:


    Die Prokofieff-Klavierkonzerte hat Kitaenko zwei mal mit dem gleichen Pianisten Vladimir Krainev eingespielt.
    Aufgrund der guten Kritik kaufte ich mir die Aufnahme mit dem RSO Frankfürt auf APEX zum Interpretationsvergleich zu meinen bisherigen Aufnahmen.
    Ich war sehr zufrieden (besonders vom Pianisten her), wenngleich ich Prokofieffs Konzerte auch schon stürmischer, bewegter und flotter gehört hatte (Graffmann/Szell zum Beispiel).




    Klavierkonzerte Nr. 1-5
    Krainev, RSO Frankfurt, Kitaenko
    APEX, Teldec-Aufnahme 1992 DDD (2 CD)


    Rein zufällig wurde bei EBAY die Aufnahme mit der Moskauer PH auf 2 EURODISC-CD´s angeboten - da habe ich gleich zugeschlagen.


    -leider kein Bild mehr möglich-
    Klavierkonzerte Nr.1-5
    Vladimir Krainew/ Moskauer PH / Dmitri Kitaenko
    Eurodisc 1976 -1983 ADD


    :yes: Welch eine Spielkultur bei den Russen - hier kann man den genannten HOCHDRUCK wieder voll verspüren. Die neue Teldec-Aufnahme aus Frankfurt mit den gleichen beiden Akteuren verblasst hier total im Vergleich.


    Der gleiche umwerfende Hochdruck läßt sich auch bei den russischen Aufnahmen der Prokofieff-Klavierkonzerte mit Postnikowa, Klavier / USSR Ministry of Culture Orchestra, Roshdestvensky auf Melodyia feststellen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von teleton
    Hallo Santoliquido,


    jetzt ist mir auch klar warum Du in den letzten Tagen in einem anderen Thread Dimitri Kitaekos Kölner Schostakowitsch-Sinfonien-Zyklus so verteidigt hast.


    :) Klar, wenn man den Menschen persönlich kennt, hat man eine ganz andere Beziehung, auch zu seinen Aufnahmen.


    Hallo Wolfgang,


    der guten Ordnung halber gebe ich zu, daß mir bislang ein reinrussischer Zyklus zum Vergleich fehlt. Ich liebäugele mit der alten Eurodisc-Box, in der verschiedene Einzelaufnahmen von Swetlanow, Kondraschin und Mrawinsky gebündelt sind. Alternativ steht der jüngst neuveröffentlichte Kondraschin-Zyklus auf dem Speiseplan.


    Die Nr. 15 habe ich letztens als Eterna-/Melodija Pressung unter Maxim Schostakowitsch erstanden. Eine Wahnsinnsplatte.


    Passend zum Thread übrigens folgende Beobachtung: Es ist gerade der dritte russisch-deutsche Schosta-Zyklus im Entstehen begriffen. Bychkov spielt die Sinfonien abwechselnd mit den Berlinern und seinem WDR-Orchester. Somit also nach Barschai und Kitaenko der dritte Russe, der aus der Moskauer /Leningrader Dirigententradition kommt und der Schostakowitsch mit einem deutschen Orchester aufnimmt.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo teleton


    Achtung Achtung!


    Zitat

    Dieser Thread soll also dazu anregen, sich über russische Interpretationen von Nicht-Russischen (Man denke hier bsp. An Mravinsky's Bruckner-Deutung) Werken im Gegensatz zu russischen Werken, die von Dirigenten anderer Nationen interpretiert wurden, auszulassen. (Bsp. Schostakowitsch mit Kurt Sanderling....)


    Will hier ja nicht als ungebetener Spielverderber erscheinen, jedoch
    lag es mir am Herzen, Nicht-russische Künstler von russischen Dirigenten
    interpretiert zu wissen. Über das "Russland-Russland Verhältniss" wurden
    bereits einige Worte gewechselt.


    Kurz: Prokofiev unter Kitaenko stehen leider in diesem Verhältnis zueinander.


    und auch die Beiden hier:


    Zitat

    Der gleiche umwerfende Hochdruck läßt sich auch bei den russischen Aufnahmen der Prokofieff-Klavierkonzerte mit Postnikowa, Klavier / USSR Ministry of Culture Orchestra, Roshdestvensky auf Melodyia feststellen.


    Es war eher so gemeint: Prokofiev unter Fritz Reiner (Beispielsweise) -
    Russischer Künstler mit in Budapest geborenem fast-Ami ;-)


    Der Einbezug des Künstlers, um zu erläutern, wie es zum jeweiligen "Sound" der Aufnahme kam, geht ebenfalls klar...


    Zitat

    Übrigens merke ich, daß ich mich von den Dirigenten weg- zu den Komponisten hinbewege. Aber wer glaubt, das eine vom anderen strikt trennen zu können, möge diesen Eintrag bitte als OT werten.


    Also sowas wird bsp. nicht als "OT" gewertet


    Gruß Jan

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Ja3n,


    mit der Oistrach-Aufnahme der Berlioz: Symphonie Harold in Italen sind wir ja dann voll beim Thema Nichtrussischer Komponist und russischer Dirigent.
    ;):D Das hatte ich gar nicht so eng gesehen.


    Aber,die Aufnahme, die Du bei amazon für 52,-EURO gefunden hast (so viel würde ich dafür nicht ausgeben), mag auch sehr interessant sein.
    Es ist aber nicht die Aufnahme meiner Eurodisc-LP, denn bei mir spielt Rudolf Barshai die Solo-Bratsche, der bekannte (Schostakowitsch-)Dirigent, der auch Bratscher ist.


    Jedenfalls ist die Aufnahme eine wunderbare, "hochdruckbehaftete" Kombination zweier großer Künstler: Oistrach und Barshai.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Gestern abend lief ja, wie bekannt, die Doku über Russische Musik und
    Unterdrückung.


    Passend dazu interviewte man G. Roschdestvenskij und R. Barshai.


    Eine ganz interessante Stelle:


    Roschdestvenskij erzählte von einer Probe der 4. Sinfonie Schostakowitsch',
    wo sich Musiker beim einem Fugato, in dem ein konstantes Begleitgeräusch von den Schlagwerken erzeugt wird, darüber amüsierten, dass sie dieses
    Geräusch als das Getrampel von Pferdehufen deuteten.


    G.R. gab dem Orchester daraufhin seine Version der Geräusche:
    -Gefängnisinsassen, die an die Gitterstäbe schlügen*, um mit
    anderen Insassen zu kommunizieren.-


    Also eine wohl viel beklemmendere Atmosphäre als die Pferdehufen seiner
    Musiker, in welcher G.R. seine Sinfoniedeutung gestaltete.
    Hätte er die Pferdehufen genommen, hätt' sichs wohl weniger
    russisch angehört ;-) Oder?


    Und dann gleich nochmal ne Frage:


    Gegen Anfang sah man, wie G.R. eine "Ode an Stalin" dirigierte,
    wo dieser in höchsten Tönen gerühmt wurde.
    Wie hieß dieses Werk denn genau (anscheinend von Prokofieff)


    * (Konjunktiv von schlagen = schlügen????)


    :hello:

  • Hallo zusammen,


    einen eigenen Thread zu eröffnen, erscheint mir vermessen, deshalb klinke ich mich mal hier ein:
    Kann jemand etwas Erhellendes zum Dirigenten Alexander Orlov beitragen ?
    Meine Recherchen verliefen entweder im Sande (div. Interpreten-Lexika) oder wurden massivst dadurch erschwert, dass man sich offenbar für Diamanten und Prinzen mehr interessiert, als für Dirigenten. Obwohl, immerhin das habe ich herausbekommen, Orlov wohl wirklich ein Prinz war.


    Ich stieß zufällig auf Ihn, als ich mich mit dem Tenor Ivan Kozlovsky beschäftigte. Interessieren tut er mich deshalb, weil er einen erstaunlichen Verdi dirigiert. Nämlich sozusagen einen "vor-toscaninischen", der stellenweise sogar über ein ekzessives Tempo Rubato hinausgeht und in praktisch freie Zeitmaße mündet. Dazu kommen starke Portamenti ect. Jedenfalls habe ich das so sonst in den (wenigen!) anderen Bolshoi-Aufnahmen, die ich kenne, nicht so extrem gehört - kenne aber die russische Interpretationsgeschichte auch nicht wirklich gut.


    Jedenfalls schließt Orlov stilistisch aus meinen Augen eher direkt an die italienische Oper der Jahrhundertwende an. Und mich würde interessieren, warum, und wie er in die russische Opern-Interpretationsgeschichte einzuordnen ist. Falls jemand Infos und Interesse hat, vorab Danke.


    Gruß
    Sascha