Das Barockoratorium am Habsburger-Hof in Wien-Eine Einführung

  • Hallo!


    Ich möchte euch heute etwas über das musikalische Leben am Habsburger Hofe erzählen, aber nicht über das ganze Musikleben, sondern nur über die Oratorien“szene“, die in Wien florierte!


    Dass das Oratorium eine italienische Erfindung (Carissimi, Monteverdi) war, ist ja bekannt. Lange Zeit konnte es nur dort Fuß fassen und wurde sonst nirgends auf der Welt aufgeführt, außer in Wien am Hofe der Habsburger Kaiser.


    Das lag unter anderem daran, dass die damaligen Kaiser Leopold I, Joseph I; Karl VI., sehr begabte Komponisten waren und von italienischen Meistern unterrichtet wurden. Ebenso waren sie tief gläubig und hatten deshalb eine prächtige und große Hofkapelle, die sich perfekt für diese Art Musik eignete. Also beschloss Leopold I, der selbst ein Oratorium komponiert hatte „Il transito di San Giuseppe“, Oratorien aufführen zu lassen. Leopolds San Giuseppe wurde über zwanzig Jahre lang, es entstand 1680/81 in der Wiener Hofkapelle aufgeführt.


    Der Erfolg gab ihm Recht und der Wiener Hof wurde zur Anlaufstelle für italienische Oratorienkomponisten und Wien wurde zur außeritalienischen Hochburg des Barockoratoriums bis ins Jahr 1740. Ab da regierte Kaiserin Maria Theresia und die gab der Hofmusik im Allgemeinen nicht den hohen Stellenwert wie ihre Vorgänger!


    Leopold I suchte deshalb fähige Komponisten, die er an den Hof binden wollte, die diese Art von Musik, und nicht nur die, komponieren konnten.
    Er engagierte 1698 Johann Joseph Fux als ersten Hofkomponisten und stellte ihm Giuseppe Torelli und Giuseppe Bononcini zur Seite (1699).


    Aber die Oratorientradition wurde schon in den 1660er, 1670ern und 1680ern hoch gehalten. In der Karwoche wurden sogenannte „Sepoleri“ aufgeführt. Sepoleri sind Werke, die speziell für die Karwoche komponiert wurden, aber nur wenig mit der eigentlichen Kreuzigung zu tun haben. Eher treten allegorische Gestalten darin auf!
    Bis ins Jahr 1686 wurden diese Sepoleri am Gründonnerstag in der Kapelle der Eleonora von Gonzaga aufgeführt, danach in der Hofkapelle. Vor 1686 fanden die Sepoleri in der Hofkapelle am Karfreitag statt.
    Ab 1686 wurde an beiden Tagen in der Hofkapelle ein solches Werk aufgeführt.


    Als erstes Sepoleri, dass speziell für Wien komponiert war, darf das „Le lacrime di San Pietro“ (Die Tränen des Petrus) gelten, dass 1666 von Giovanni Felice Sances komponiert wurde. Leopold förderte die Sepoleri-Komposition und so kam es, dass ab da jedes Jahr mindestens ein oder zwei solcher Werke komponiert werden.


    Eigentlich kann man das frühe Sepoleri nicht als Oratorium bezeichnen, sondern eher als Passionsähnlich. Je später allerdings solche Werke komponiert wurden, desto näher kamen sie dem Oratorium und verschmelzen allmählich mit ihm.


    Fux komponierte zwischen 1716 und 1726 sechs solcher Sepoleri.
    Il fonte della Salute aperto dalla Grazia nel Calvario (hier gibt es zwei Fassungen, die zweite entstand 1721, die erste 1716)
    Gesu Cristo negato di Pietro
    La deposizione dalla croce di Gesu Cristo Salvator Nostro



    An diesen drei Werke erkennt man sehr deutlich, wie sich das Sepolero zum Oratorium wandelt:
    Im Fonte della Salute treten nur allegorische Gestalten auf, die da wären:
    La Grazia Sopran
    La Misericordia Sopran
    La Giustizia Sopran
    Demonio Bass
    2 Peccatores Kastraten


    In La deposizione dalla croce di Gesu Cristo Salvator Nostro von 1726 treten auf:
    Maria Vergine Sopran
    Maria Maddalena Sopran
    Giovanni Apostolo Bass
    Giuseppe di Arimatea Kastrat


    Also alles Personen, die DIREKT mit der Leidensgeschichte zu tun haben und nicht das Heil, das von der Kreuzigung für die Menschheit ausgeht, allegorisch darstellt.


    Textdichter war bei allen Sepoleri des Herrn Fux der kaiserliche Hofpoet Pietro Pariati, ein Vorgänger des großen Metastasio. Ebenso schrieb Apostolo Zeno eine Menge Oratorientexte, die ua von Caldara vertont wurden.


    Es gibt zumindest von der Fonte della Salute eine Aufnahme:

    Koike, Perillo, Fiedler, Voss, Chum, Bankl,
    Wiener Akademie, Martin Haselböck


    Eine traumhafte Aufnahme dieses sehr leisen, intimen Werkes, dem jeglicher Prunk fern liegt. Eine wunderschöne Musik ziert eine sehr allegorisch verworrene Handlung. Eine absolute Empfehlung, für alle die Fux´Musik kennenlernen wollen.


    Ab 1730 übernahm dann Metastasio das Zepter in Sachen Libretti in Wien. Lange Zeit durften nur seine Libretti vertont werden, doch am Ende der Blütezeit des Oratoriums am Kaiserhof wurden auch andere Dichter vertont (Antonio Perucci ua)


    Insgesamt sind aus der Zeit zwischen 1660 und 1740 cirka 350 Oratorien (Sepoleri ua) für den Kaiserhof entstanden. Die meisten komponierten jene Komponisten, die ständig für den Hof arbeiteten. Fux, Caldara, Bononcini. Aber wann immer ein bekannter italienischer Komponist in Wien weilte, konnte er sicher sein einen Auftrag für ein Oratorium zu erhalten. Cirka 250 Oratorien stammten von Komponisten, die nur gerade in Wien weilten.


    So auch Niccolo Porpora im Jahre 1737. Porpora hatte in Neapel mit seinen Opern schwere Niederlagen erlitten und war nach Wien gekommen, um zu sehen, wie er dort ankam.
    Er erhielt als erstes einen Auftrag, ein Oratorium für den Kaiserhof zu komponieren: „Il Gedeone“. Librettist war Antonio Perucci. Das Werk wurde in der Karwoche des gleichen Jahres aufgeführt und kam gut an.
    Die Personen:
    Gedeon, Prinz der Israeliten Kastrat
    Ioas, sein Vater Bass
    Sichemi, seine Frau Sopran
    Fara Kastrat
    Oreb, Prinz der Midianiter Kastrat
    Silva, ein Midianiter Tenor


    Das Werke wurde von Librettisten als „Geistliches Drama“ bezeichnet, folgt aber dem Oratorienschema. Arien und Rezitative wechseln sich ab, der Chor kommt kaum zum Einsatz. Im Gegensatz zu den Fux´schen Oratorien sind die Arien sehr schwierig und mit Koloraturen gespikt. Die Musik ist pompöser und kraftvoller.
    Auch hiervon gibt es eine Aufnahme:

    Wessel, Bästlein, Perillo, Voss, Waschinski, Chum,
    Vokalensemble Nova, Wiener Akademie,
    Martin Haselböck


    Eine wunderschöne Aufnahme, noch viel besser als die Fux-Aufnahme. Ganz große Musik. Eine absolute Oratorien-Referenzaufnahme.


    Die Wiener waren sogar so gierig auf neue Oratorien, dass sogar drei Frauen die Gelegenheit bekamen Oratorien zu schreiben:
    Caterina Grazianini (2 aufgeführte Oratorien)
    Maria Margharita Grimani (2 aufgeführte Oratorien)
    Camilla de Rossi (4 aufgeführte Oratorien zwischen 1707 und 1710)


    Von de Rossis Il sacrifizio di Abramo und auch von Il Alessandro gibt es sogar eine Aufnahme:

    Manfred Cordes, Weser-Renaissance. Angiolo / Sara: Susanne Rydén; Isacco: Ralf Popken; Abramo: Jan Strömberg.
    Cpo-Aufnahme, die leider gestrichen scheint!


    Die Hochblüte des Oratoriums nahm leider ein Ende, als Maria Theresia den Thron bestieg.
    Die Oratorientradition in Wien sollte Vorbild für viele andere Adelshöfe wie Prag, Dresden, Innsbruck, Warschau sein, die auch begannen sich für das italienische Oratorium zu begeistern.


    Hoffe die Einführung hat euch neugierig gemacht und hoffe auf eine rege Beteiligung!


    LG joschi

  • Hallo Joschi, hallo Taminos,


    die von Dir erwähnte Oratorien-Einspielung Camilla de Rossis auf cpo habe ich mir vor einiger Zeit zulegen können (inzwischen leider gestrichen):



    Camilla de Rossi • Il Sacrifizio di Abramo
    Weser Renaissance
    Manfred Cordes


    Angiolo, Sara • Susanne Rydén, Sopran
    Isacco • Ralf Popken, Altus
    Abramo • Jan Strömberg, Tenor


    Über Camilla de Rossi weiß man leider so gut wie nichts, außer daß sie aus Rom stammte und ihre vier überlieferten Oratorien ab 1707 in Wien zur Aufführung kamen. In einigen Quellen finden sich vereinzelt Hinweise, sie sei eine Ordensdame gewesen.


    Das Libretto des 1708 erstmals aufgeführten Oratoriums über die Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham, eine Auftragskomposition, wie alle überlieferten Oratorien de Rossis, stammt von einem gewissen Francesco Maria Dario. Dem Beiheft zufolge, vermutlich ein Amateur. Aufgrund der liturgischen Zugehörigkeit, belegt durch eine der Vorhersagen zum Karsamstag, geht man vom 7. April 1708 als Aufführungsdatum aus.


    Das Oratorium mit der üblichen Abfolge von Rezitativ und Arie ist zweigeteilt. Beiden Teilen ist eine kurze Sinfonia vorangestellt. Musikalisch und sängerisch ist das ganze etwas kleiner besetzt und wirkt dadurch eher kammermusikalisch und intim. De Rossi scheint ihr Handwerk verstanden zu haben und baute einige sehr schöne Ideen ein. Hervorzuheben wären wohl der Einsatz von Laute, sowohl solistisch als auch in Continuo-Funktion, sowie zweier Chalumeaux, die damals noch recht neu waren, in Abrahams Traumszene.


    Susanne Rydén, die hier die Rolle des Engels und der Sarah übernimmt, kannte ich bisher nicht. Aber nach dieser Aufnahme werde ich mir den Namen wohl merken müssen. Eine wunderschöne Stimme! :jubel:
    Der Stimme Ralf Popkens ist wohl nicht jedermanns Sache. Bei einigen Stellen wünschte man sich wohl etwas mehr Volumen. Lästerzungen würden vielleicht fordern den Engel aufzuhalten, damit Abraham sein Opfer vollbrächte. Das wäre jedoch garstig und würde den Hörer außerdem um das schöne Schlußduett zwischen Abraham und Isaak bringen, in dem Popken durchaus anhörbar ist. ;)


    Neben einigen wirklich schönen Arien (z.B. Abramos "Morirai, figlio adorato") verbirgt sich für mich eine ganz besondere Perle in diesem Oratorium. Ich spreche von der Sinfonia, die den zweiten Teil einleitet. Dieses kurze viersätzige Stück stellt beinahe schon ein eigenständiges Concerto für Laute dar. Wenn die Solostimme der Laute, im Falle dieser Einspielung eine Erzlaute, im vierten Satz (presto) durch die Pizzicato-Einsätze der Streicher akzentuiert wird, gibt das einen besonders schönen Effekt. Weser Renaissance spielen zwar alles andere als presto, aber das tut dem Hörvergnügen keinen Abbruch.


    Eine Einspielung mit moderner Gitarre findet man auf der folgenden CD. Auch wenn die Pizzicati hier leider im Klang des Cembalos untergehen, kann man sich zumindest einen groben Eindruck verschaffen (Titel 11-14):
    [AMX=B0007OQCG0]50[/AMX]


    Mir scheint dieses Musikstück im Stück als Einspielungskandidat für Barocke Zusammenstellungen geradezu prädestiniert. Daß es nicht häufiger aufgenommen wurde, kann nur auf die Unbekanntheit de Rossis oder eine möglicherweise erst späte Entdeckung in jüngster Vergangenheit zurückzuführen sein. Hoffentlich ändert sich das in Zukunft.

    :jubel:
    :jubel::jubel:
    :jubel:


    Für mich ist diese CD eine echte kleine Entdeckung. Eine tolle Ausgrabung durch Weser Renaissance. Nach der zweiten Oratorieneinspielung ("S. Alessio") mit Musica Fiorita werde ich nun definitiv Ausschau halten. :)



    :hello:

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Zitat

    Nach der zweiten Oratorieneinspielung ("S. Alessio") mit Musica Fiorita werde ich nun definitiv Ausschau halten.


    Hallo Gentilhombre!


    Schön, dass du diesen Thread ausgegraben hast!


    Die Alessio-Aufnahme gibts bei Amazon-Marketplace ab 12,95€.


    LG joschi



  • Im Großen und Ganzen gebe ich dir mit deiner Einschätzung Recht.


    Allerdings sollte der große Schwachpunkt der Aufnahme nicht unterschlagen werden und der heißt Jörg Waschinski. Zwar ist es zweifellos beeindrucken, mit welcher Mühelosigkeit er seine Stimme in höchste Höhen treibt, aber der Rest ist unterirdisch. Er hat zwei Arien in diesem Werk und beide sind virtuoses Koloraturengegurgel. Und dem ist Waschinski nichtmal ansatzweise gewachsen. Er mogelt sich nur mit Ach und Krach durch die schnellen Sechszehntelketten, verschmiert die einzelnen Noten, längere Passagen in eine Richtung ähneln eher einem Glissando. Das kann man eigentlich nur noch als Karikatur von virtuosem Gesang bezeichnen. :no:



    Im Werk selbst höre ich etliche Anleihen bei Händel, was kein Wunder ist, denn Porpora war einige Jahre in London an der Gegeninstitution zu Händels Opernkompanie beteiligt.


    Überraschend ich auch gleich die Ouvertüre, die doch recht deutlich französisches Kolorit trägt.


    Unkonventionell für ein Karwochenstück ist die Solotrompete in einer der Arie des zweiten Teiles; normalerweise hatte das Blech während dieser Tage zu schweigen. Generell ist Porpora etwas über das Ziel hinausgeschossen und hat das Werk für ein Karwochenoratorium zu pompös und ausufernd werden lassen, wozu auch die - allerdings sehr eindrücklichen - monumentalen Chöre beitragen, vor allem jene, die die beiden Teile beschließen.


    Fazit: eine gute Aufnahme eines interessanten Werkes, allerdings mit der bitteren Pille Jörg Waschinski, der als Midianiter-Feldherr Oreb einfach nur lächerliche wirkt.


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Lieber DonBasilio,


    vielen Dank für diesen schönen Thread. Bisher habe ich - vielleicht zu patriotisch - fast nur meine Heimatstadt Hamburg, als Wiege des (evangelischen) Oratoriums, (mit Vorgängern aus Lübeck mit Buxtehude), im Auge gehabt und die Bedeutung Wiens nicht recht gesehen. Mich interessiert aber eine spezielle Frage. In Hamburg wurde sehr bald klar, dass der traditionelle Knabengesang der Lateinschüler den "modernen" Anforderungen der Oratorienmusik nicht mehr genügten, und der Domkantor Mattheson konnte bereits um 1720 auch den Frauengesang in der Kirchenmusik durchsetzen. Gab es in Wien eine ähnliche Entwicklung oder war man weiterhin (wie z.B. auch J.S. Bach in Leipzig) auf Knaben, Falsettisten, oder wie in Italien auf Kastraten als Solisten angewiesen?


    Beste Grüße


    M. García

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Manuel García
    Lieber DonBasilio,


    In Hamburg wurde sehr bald klar, dass der traditionelle Knabengesang der Lateinschüler den "modernen" Anforderungen der Oratorienmusik nicht mehr genügten, und der Domkantor Mattheson konnte bereits um 1720 auch den Frauengesang in der Kirchenmusik durchsetzen.
    Beste Grüße


    M. García


    Telemann hatte Anfangs seiner Hamburger Zeit bei der Gestaltung seiner Passionsaufführungen einige Auflagen zu beachten; sparsames Instrumentarium ( acht Ratsmusiker, zwei Expectanten, einige "Rollbrüder" ), den Chor und die Sopran- und Altsolisten stellten Schüler des "Johanneum". Sangen späterin den Passionen Mitglieder der Oper mit, sie war ja während der Fastenzeit geschlossen ?


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard