"Francesca da Rimini" in Zürich

  • Nach Schumanns "Szenen aus Goethes Faust" gab es für mich in Zürich gleich noch eine Erstbegegnung mit einer Oper, nämlich mit Riccardo Zandonais "Francesca da Rimini". Das Libretto basiert auf einer Tragödie d'Annunzios, der sich wiederum auf Dante (5. Gesang des Inferno) und Wagners "Tristan und Isolde" stützt. (Auch hier verliebt sich die Heldin in den Brautwerber und der Liebestrank spielt zumindest in Francescas überhitzer Phantasie ein Rolle) Die detailierte Handlung habe ich bereits in den Opernführer gestellt, daher hier nur die Minimalversion:
    Nicht zwei, sondern gleich drei Männer (im speziellen Fall sogar Brüder) lieben in dieser Oper dieselbe Frau: Der lahme Gianciotto, den Francesca gegen ihren Willen heiraten muss, der auf einem Auge blinde, heimtückische Malatestino und Paolo il Bello, dem Francescas Herz gehört und mit dem zusammen sie von ihrem Gemahl getötet wird, nachdem er sie zuvor in Flagranti ertappt hat.
    Eigentlich spielt die Geschichte im 13. Jhdt., wie so manche italienische Oper vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Guelfen und Ghibellinen, aber Regisseur Mario del Monaco und seine Ausstatter (Carlo Centolavignia und Maria Filippi) verlegen die Handlung in die Entstehungszeit der Oper um 1914. (Ach, wie originell.... :wacky: ) Nur im 2. Akt, in dem es zur Sache geht und die verfeindeten Parteien einander von ihren Geschlechtertürmen aus beschießen, feiert das Mittelalter fröhliche Auferstehung, denn da werden Armbrüste gespannt, Schwerter geschwungen und die "Mannen", die mit heroisch emporgereckten Lanzen hereinstürmen, wirken wie eine Parodie auf die "gute, alte Ritterzeit". Wahrscheinlich war es auch genau die Absicht des Regisseurs, die "Kriegsspiele" der Männer der Lächerlichkeit preiszugeben, doch warum er dies offensichtlich für einen Anachronismus hält und diese Szene deshalb ins ferne Mittelalter versetzt, kann ich angesichts der weltpolitischen Lage nicht ganz nachvollziehen.
    Ansonsten befinden wir uns wie schon gesagt in Italien um 1914, genau gesagt in d'Annunzios Villa Cargnacco am Gardasee, deren Jugendstilambiente den Ausstattern als Vorbild gedient hat. Wenn sich der Vorhang zum 1. Akt öffnet, hört man im Zuschauerraum so manches "Ah!" und "Oh!", denn ein derart opulentes Bühnenbild ist man in Zeiten des Regietheaters wahrlich nicht gewöhnt. Man blickt in einen romantischen Rosengarten, der alle Accessoires enthält, die man damit in Verbindung bringt, von neckischen Putti unter Rosenbögen bis zu einem sanft plätschernden Brunnen und exotischen Palmen im Hintergrund. Unseren Staubis hätte es wahrscheinlich trotzdem nicht gefallen, denn die sehr ausführlichen szenischen Beschreibungen des Librettisten wurden nicht umgesetzt. (Da ist von Arkaden, Höfen und Treppen die Rede) Ich war ein wenig fassungslos und wusste nicht, ob ich auch "Oh!" sagen oder lachen sollte. Allerdings muss ich gestehen, dass ich im Laufe des Abends immer mehr der Sogwirkung dieses märchenhaften Ambientes erlag und auch das Prinzip erkannte (oder zu erkennen glaubte), das dahinter steckt. Ebenso wie die Musik deutliche Unterschiede zwischen den "Männerakten" und den "Frauenakten" erkennen lässt, spiegeln die Bühnenbilder das Innenleben der Protagonisten wieder. Vergleichsweise kalt und streng sind die Räume, in denen Gianciotto und sein Clan das Sagen haben, während Garten und Zimmer Ausdruck von Francescas "schwärmerischer Überspanntheit" sind, visualisierte Tagträume von "ihrem" Ritter Lanzelot, der sie aus der tristen Realität mit einem groben, ungeliebten Ehemann in eine romantische Traumwelt entführt und den sie schließlich im schönen Paolo zu finden glaubt. Insofern macht der Kitsch also durchaus Sinn!
    Mir fällt es immer ein bisschen schwer, eine Oper, die ich noch nie zuvor gehört habe (auch nicht via CD o.ä.), musikalisch zu bewerten, weil es mir mit meinen ungeübten Ohren nicht auf Anhieb gelingt, Strukturen, Kompositionsprinzipien etc. zu durchschauen und es z.B. noch einiger Aufführungen bedurft hätte, um die vielen Leitmotive der Francesca herauszufiltern. Daher ist meine Bewertung eine reine "Bauchentscheidung". Mir hat die Musik insgesamt gut gefallen, sie ist sehr abwechslungsreich, was vor allem daran liegt, dass Zandonai für die "Männerakte" (2+4) eine ganz andere musikalische Sprache gefunden hat als für die "Frauenakte" (1+3). Während erstere ganz im Zeichen des Verismo stehen, aufgepeitschte Emotionen dominieren, harte und beinahe brutale Klänge die beiden Widerlinge Gianciotto und Malatestino charaktersieren, nimmt Zandonai in den übrigen Passagen den Drive immer wieder völlig heraus, setzt auf zarte, innige und auch sehr schwermütige Melodien, die den Seelenzustand Francescas treffend illustrieren. Die beiden Welten, in denen Francesca sich bewegt - die reale Welt mit dem verabscheuten Gianciotto und die Traumwelt mit Lanzelot/Paolo - findet muskalisch einen überzeugenden Ausdruck.
    Diesen "Tempowechsel" in der Musik übernimmt del Monaco auch als Grundprinzip seiner Inszenierung. So wie er eine ganz eigene Bildsprache für die beiden Sphären findet, verordnet er seinen Protagonisten auch eine ganz unterschiedliche Art sich zu bewegen.
    Herrscht in den Männerakten (Ich nenne es jetzt einfach so, ich weiß, es klingt etwas blöd! :O ) quasi das pralle Leben, wirken die Frauenakte im Vergleich dazu stilisiert. In Francescas Gemach ticken die Uhren anders, in ihrer Traumwelt scheint die Zeit förmlich still zu stehen, und dementsprechend bewegen sich die Personen in ihr wie in Zeitlupe. Besonders Francesca erinnert motorisch an eine Schlafwandlerin, die Angst hat, aus ihren Träumen zu erwachen. Der magische Moment im 1. Akt, als Francesca und Paolo einander zum ersten Mal erblicken, lässt überhaupt jede Bewegung erstarren - die Außenwelt verliert jede Bedeutung angesichts der Intensität ihrer Gefühle. Auf mich wirkte manche Szene (Besonders im 3. Bild, als die beiden sich ihren Gefühlen nicht länger widersetzen) wie ein visualisiertes Liebesgedicht.
    Und natürlich stand del Monaco ein Sängerteam zur Verfügung, das sein Konzept kongenial umsetzen konnte.
    Allen voran Emily Magee, die ihrer Francesca weder stimmlich noch darstellerisch etwas schuldig blieb. Großartig, konnte man da nur sagen!
    Der starken Frau standen drei ebenso starke Männer gegenüber: Juan Pons als Gianciotto, stimmlich wesentlich besser, als ich ihn in Erinnerung hatte, Marcello Giordani, der mir als Paolo zum ersten Mal wirklich gefallen hat, und Boiko Zvetanov, der den heimtückischen, grausamen Malatestino mit einer Intensität spielte, die beinahe unheimlich war. Die Szene, als er Gianciotto das Verhältnis zwischen Francesca und Paolo enthüllt und er daraufhin von diesem quasi in den Schwitzkasten genommen wird, zählt zu den schauspielerisch größten Momenten, die ich je auf einer Opernbühne erleben durfte. Aber natürlich hat meine Freundin Recht, die meinte, eigentlich müsste einem Zvetanov Leid tun, weil er just mit dem Malatestino die Rolle seines Lebens gefunden hat, denn aufgrund seines unglücklichen Äußeren - selbst für einen Tenor ist er ausgesprochen klein, dazu auch noch dick - nimmt man ihm die üblichen Liebhaberrollen natürlich nicht ab, mag er sich auch die Seele aus dem Leib singen. Für den verunstalteten, vom Schicksal benachteiligten Malatestino, der seine ganze ohnmächtige Wut darüber in Heimtücke und Intrigen kanalisiert, ist er hingegen die Idealbesetzung.
    Dazu kommt, dass mir Zvetanovs Timbre nicht sonderlich gefällt, auch das prädestiniert ihn in meinen Augen zum Bösewicht ;)
    Mein Fazit: Es war ein in jeder Hinsicht anregender und interessanter Opernabend, ob die "Francesca da Rimini" allerdings zwingend ins Repertoire gehört, wage ich nach diesem ersten Eindruck nicht zu beurteilen.
    lg Severina :hello: :hello:

  • Danke, liebe Severina! :hello:
    Das klingt sehr spannend und es muss schon ein guter Regisseur und guter Komponit daherkommen, damit D' Annunzio nciht in purem Schwulst verkommt.
    Das das offenscihtlich nciht der Fall war-tant mieux!
    Hätte mir sicher auch gefallen! :yes:
    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Danke, liebe Severina! :hello:
    Das klingt sehr spannend und es muss schon ein guter Regisseur und guter Komponit daherkommen, damit D' Annunzio nciht in purem Schwulst verkommt.
    Das das offenscihtlich nciht der Fall war-tant mieux!
    Hätte mir sicher auch gefallen! :yes:
    F.Q.


    Hallo Fairy,
    also ich würde sagen, es schrammt haarscharf am Schwulst vorbei! ;) :D (Wobei die Berufskritiker die Aufführung insgesamt ziemlich verrissen haben, wie mir meine Freunde erzählten - also nix mit "harscher, bösartiger Kritik" im Tamino-Forum :angel: :angel: :angel: )
    lg Severina :hello:

  • Hallali, da geht ja die Post ab in Zürich. Sevi, Du hattest es mir ja schon gesteckt, dass da die Opulenz die Bühne zum Biegen bringt. Habe mir jetzt alles an Fotos reingezogen, was ich finden konnte. Hossa, Hossa - das schrammt den Kitschkübel aber massiv. Was für ein Aufwand. Allein diese ganzen Skulpturen. Auf der Homepage der Oper sieht man die einzelnen Produktionsschritte und die Skulpteure werden genannt. Da frage ich mich doch zwangsläufig, warum so was nicht mehr nur gemalt wird. Wäre preiswerter gewesen und hätte in diesem Falle die Traumweltatmosphäre unterstützt. Ganz grundsätzlich verstehe ich auch nicht, warum ein Regisseur einen deratigen Aufwand an Realismus betreibt, wenn er's dann doch in einer anderen Zeit spielen lässt. Hattest Du dadurch einen Mehrgewinn? Du schreibst ja selbst, wie "originell" die Verlegung in die Zeit um 1914 wäre. Weißt Du, ich habe bei dieser Produktion ein ähnliches Gefühl wie bei der Zürcher Aida. Die gefällt mir auch nicht, bietet zwar wallende und bunte Stoffe, aber ist für mich sinnentleerter Kitsch. Wuff, volle Breitseite.

  • Hallo Knuspi,
    ich wusste ja erst auch nicht "Wach ich, oder träum ich?" als der Vorhang hoch ging. Aber der Schwulst ist d'Annunzio-Schwulst, denn wie schon gesagt, wollte man das Interieur seiner Villa kopieren, und der Gute hatte offensichtlich die Sammelwut. Es war aber immerhin eine Denksportaufgabe, die Originale all der Statuen, Bilder etc. zu erraten (Venus von Milo, Michelangelos Julius-Grabmal etc.)
    Einen "Mehrwert" hatte für mich die Verlegung vom MA ins 20.Jhdt. sicher nicht, sieht man einmal davon ab, dass ich Jugendstilfenster schöner finde als Butzenscheiben, die ja wohl in der Burg der Malatesta vorgeherrscht hätten ;) Was natürlich grundlegend falsch ist - und das werfe ich del Monaco vor - wenn man ein Stück zwar zeitlich transferiert, es aber dabei bewenden lässt, ohne auch den Inhalt radikal neu zu deuten. (Ich weiß, jetzt beißt du wahrscheinlich in die Tischplatte, aber auf halbem Weg stehen bleiben führt zu keinem Ziel, weder zum "richtigen" noch zum "falschen"! :] ) Was ich damit sagen will, ist, dass das Verhaltensmuster von Menschen des 13.Jhdts. nicht ins 20. passt, und daran kranken eben alle Inszenierungen, die glauben, mit ein bisschen Kosmetik "modern" wirken zu können. Um es flapsig zu formulieren: Eine Francesca anno 1914 wäre mit ihrem Paolo durchgebrannt, wenn sie schon so blöd war, sich gegen ihren Willen mit einem Gianciotto verkuppeln zu lassen. Ganz bestimmt hätte sie nicht von Lanzelot geträumt und still vor sich hingelitten.
    Und jetzt halt dich bitte fest: Wenn schon Aktualisieren (Ich sage "wenn" - eine zwingende Notwendigkeit ist es für mich nicht! :angel: ), dann aber bitte richtig im Stile von Konwitschny, Kusej, Loy und meinetwegen sogar Bieito, alles andere ist wirklich Murks!
    Aber vielleicht projeziere ich ja jetzt zu viel von mir selbst in die arme Francesca hinein und die adeligen Fräuleins waren 1914 doch noch nicht so emanzipiert - dann würde die Rechnung für del Monaco aufgehen, denn seine Parallelwelten haben mich schon überzeugt.
    Was die Züricher "Aida" betrifft, so bin ich völlig deiner Meinung, denn da passt die Handlung überhaupt nicht mehr zusammen, wenn man sie in die Entstehungszeit der Oper verlegt. Davon konnte ich mich in Zürich jetzt zum 2. Mal überzeugen. Wenn Radames in französischer Generalsuniform um den Beistand von Isis & Co bittet, kommen mir jedesmal die Lachtränen. All die anderen Unsinnigkeiten dieser Multikulti-Aida habe ich ja schon in einem anderen Thread ausführlichst breit getreten.
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Ich weiß, jetzt beißt du wahrscheinlich in die Tischplatte, aber auf halbem Weg stehen bleiben führt zu keinem Ziel, weder zum "richtigen" noch zum "falschen"! :


    Nein, nein, gar nicht, Sevi: Ich bin ein sehr konsequenter Mensch. :D


    Zitat

    Original von severinaAll die anderen Unsinnigkeiten dieser Multikulti-Aida habe ich ja schon in einem anderen Thread ausführlichst breit getreten.


    Weißt Du noch in welchem?


    OT: Du knackst gar nicht mit bei den Rätseln... 8o