Die "erste Walpurgisnacht"

  • Hallo,


    ich hätte eine Frage an die Mendelssohn-Experten. Goethes szenisch angelegtes Gedicht "Die erste Walpurgisnacht" beschreibt einen Ritus der verfolgten heidnischen Priester ("Druiden" genannt, obwohl die Handlung nach Goethes eigener Einordnung im heutigen Deutschland spielt) samt der verbliebenen Gläubigen und die entsetzte Reaktion christlicher Soldaten. Ich kenne aus der damaligen Zeit kein Gedicht, das in vergleichbarem Ausmaß das Heidentum gegenüber der christlichen Germanenmission positiv herausstellt: es wird sogar erwähnt, dass die Christen die Väter und Kinder der Heiden töten.
    Das Heidentum ist allerdings nicht in seiner germanischen Ausprägung dargestellt, sondern als Glaube an den "gestaltlosen Gott des Himmels und der Erde" (Goethe), der als "Allvater" angerufen wird. Die Heiden verkleiden sich als Schreckgespenster, um die christlichen Verfolger zu erschrecken, worauf diese erschrocken abziehen und das Ritual vollendet wird. Damit wird der Brauch des Hexentanzes zur Walpurgisnacht erklärt.


    Wie stand Mendelssohn als protestantischer Kirchenkomponist eigentlich zu dieser Aussage des Textes? Hat er den angerufenen "Allvater" mit dem Christengott gleichgesetzt oder war Goethe eine derart hohe Instanz für ihn, dass er den Text unabhängig von seiner alles andere als christlichen Tendenz vertonte?

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Draugur
    Wie stand Mendelssohn als protestantischer Kirchenkomponist eigentlich zu dieser Aussage des Textes? Hat er den angerufenen "Allvater" mit dem Christengott gleichgesetzt oder war Goethe eine derart hohe Instanz für ihn, dass er den Text unabhängig von seiner alles andere als christlichen Tendenz vertonte?


    Lieber Draugur,


    die Aussage des Texte wird ihm nicht so gefallen haben, in seinen Äußerungen ignoriert er sie. Er war wohl eher vordergründig von den Stimmungen inspiriert. Sein Problem hat er mit Humor gelöst: "Wenn die Wächter mit ihren Gabeln und Zacken und Eulen Lärm machen, kommt der Hexenspuk dazu, und Du weißt, dass ich für den ein besonderes faible habe", schrieb er der Schwester Fanny aus Rom und bekannte sich damit zur handfesten Dramatik. Er ironisiert den Gespensterglauben an die Walpurgisnacht.


    Das Stück, das sein Lehrer Zelter 13 Jahre lang in der Schublade ließ, weil ihm die Inspiration dafür fehlte, trifft bei Mendelssohn auf einen kongenialen Komponisten. Goethe war begeistert von dem Wunderkind, als das ihm Mendelssohn vorgestellt wurde, die vollendete Komposition hat er aber nicht mehr erleben können.


    LG Peter

  • War Mendelssohn nicht Jude?
    Wenn dem so war, wird er wohl mit Germanischem wenig am Hut gehabt haben. Ein Schöngeist, in der Walpurgistnacht? Kann ich mir nicht vorstellen?
    Absit malitia.

  • Zitat

    Original von Michael
    War Mendelssohn nicht Jude?
    Wenn dem so war, wird er wohl mit Germanischem wenig am Hut gehabt haben. Ein Schöngeist, in der Walpurgistnacht? Kann ich mir nicht vorstellen?
    Absit malitia.


    Lieber Michael,


    es gab eine Reihe von Juden (wobei mir hier die Bedeutung des Wortes nicht ganz klar ist, es geht doch um die Religionszugehörigkeit?), die sich für Germanen begeisterten, das hat wenig zu sagen. Den Text hat er nun auch nicht geschrieben - und seine Komposition spricht wieder eine eigene Sprache.


    (Da sollte übrigens noch eine nicht abgerufene PN von mir an dich in Deinem Postfach zu finden sein!)


    LG Peter

  • Hallo Peter,


    ironisiert er denn deiner Meinung nach auch den bekenntnishaften Schluss-Chor?

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo Draugur,


    gute Frage :) Er äußert sich ja nur über den von ihm bevorzugten Teil. Ohne in die Partitur gesehen zu haben, kann ich nur vorläufig antworten. Ich nehme an, er hat den Text einfach stimmungsmäßig umgesetzt, so wie er ihm vorlag und hat sich über die philosophisch-theologischen Implikationen hinweg gesetzt, wahrscheinlich schon, weil der Name Goethe darauf stand und es für ihn eine Art persönlicher Auftrag von Goethe war.


    Die Lichtmetapher ist ja dem christlichen religiösen Denken nicht fremd, in seinem "Lobgesang" spielt sie eine wichtige Rolle. Aber wenn ich mehr versuche zu sagen, komme ich einfach ins Spekulieren. Ich muss sowieso noch dieser Tage bei der Musikbibliothek vorbei, vielleicht haben sie die Noten da stehen, da gucke mal genauer hin und melde mich wieder ...


    LG Peter

  • Hallo,



    es ist ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Stück und spricht mich musikalisch zudem sehr an. Ich habe es vor ziemlich langer Zeit beim Münchner PhilChor mitgesungen und kann mich noch gut erinnern, dass es dem ganzen Chor wirklich Laune gemacht hat; sei es aufgrund der Verteilung der "wackeren Maänner hier in diesem ganzen Waldrevier" zwecks der Erfüllung ihrer Pflicht in aller Stille ;) und/oder dem anschließenden Rabatz mit Gabeln, Zacken und dem "Rundgeheule der Eule" (ich zitiere gerade aus meiner Partitur).


    Es ist m. E. unbestreitbar der Fall, dass sich Goethe als "Librettist" und Mendelsohn als Komponist einem sehr ernsten historischen Thema, das weitreichende Folgen aud die gesamte deutsche und europäische Kulturgeschichte hatte, u.a. mit Humor genähert haben. Ich habe gerade gelesen, dass sich die beiden Herrn sogar kennengelernt haben.


    Über diese überraschende Parteinahme deutscher Klassiker - im weiteren Sinn - aus christlich - europäischer Prägung für die in der Christianisierungszeit unterlegenen Anhänger der germanischen und keltischen Religionen habe ich während der Erarbeitung des Stückes immer wieder nachgedacht. Überraschend deshalb, weil die damals entstandene totlitäre Macht des Katholizismus - tut mir Leid, ich komme nicht umhin, dem institutionalisiertem Christentum dies zu unterstellen - es ja geschafft hat, Geschichte umzudeuten und es zu verhindern, dass diese alten Kulturen ideologiefrei und differenziert als Entwicklungsbestandteil europäischer Kultur gewürdigt werden. Es ist nun mal erwiesen, dass in den Epochen Spätantike/Frühmittelalter das Christentum bereits Staatsreligion mit aggressivem Expansionsanspruch war den selbigen auch rücksichtslos betrieb.


    Diese Bemühungen, die Perspektive der "Verliererseite" einzunehmen und die Sachverhalte aus deren Blickwinkel darzulegen, ja, sogar eine phantasievolle Form des Widerstandes (Erschrecken und nicht das übliche Totschlagen) zur Wahrung einer letzten Kernintegrität für die Durchführung eines Rituals darzustellen und letztendlich die bedrängte Seite die Quintessenz allen Glaubens,"das Licht, das keiner mehr rauben kann" finden zu lassen, ist psychologisch stimmig und erweckt in mir größte Sympathie. Es ist eigentlich ein sehr "ur"christlicher Gedankengang, der sich hier entwickelt.


    Wohl wissend, dass meine inhaltliche Interpretation wahrscheinlich keiner historisch - wissenschaftlichen Analyse stanhält, kam die Aussage des Strückes so bei mir an und all dies musikalisch so attraktiv transportiert wie hier bringt mich dazu, die Walpurgisnacht für ein echtes Kleinod zu halten.


    LG


    Ulrica

  • Liebe Ulrica,


    da es hier ja vorrangig um Mendelssohn und Faust geht, nur eine kurze Anmerkung zu Deiner Bemerkung:



    Zitat

    Original von Ulrica
    Überraschend deshalb, weil die damals entstandene totlitäre Macht des Katholizismus - tut mir Leid, ich komme nicht umhin, dem institutionalisiertem Christentum dies zu unterstellen - es ja geschafft hat, Geschichte umzudeuten und es zu verhindern, dass diese alten Kulturen ideologiefrei und differenziert als Entwicklungsbestandteil europäischer Kultur gewürdigt werden. Es ist nun mal erwiesen, dass in den Epochen Spätantike/Frühmittelalter das Christentum bereits Staatsreligion mit aggressivem Expansionsanspruch war den selbigen auch rücksichtslos betrieb.


    Mit dem Begriff "totalitäre Macht des Katholizismus" tue ich mich ein wenig schwer. Die Differenzierung in Katholiken und andere erfolgte eigentlich im größeren Maßstab erst während der Reformation. Vorher gab es, wie gesagt mit Abstrichen, nur die eine Kirche. Von einem aggressiven Expansionsanspruch des Christentums in der Spätantike kann nur sehr eingeschränkt die Rede sein. Selbst als das Christentum unter Konstantin Staatsreligion wurde, war das Christentum zunächst einmal nur eine Religion unter vielen. Von einer intoleranten Haltung gegenüber anderen Religionen kann man frühestens seit Theodosius sprechen, aber auch da wäre ich mit Pauschlisierungen vorsichtig. Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten ein sehr differenziertes Bild der Spätantike erarbeitet. Sehr informativ zu diesem Komplex ist das Buch von Ward-Perkins, im Theiss Verlag.


    So, aber dies nur am Rande. Wir sind hier ja in einem Klassik-Forum.:D


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Ulrica
    Wohl wissend, dass meine inhaltliche Interpretation wahrscheinlich keiner historisch - wissenschaftlichen Analyse stanhält


    Das würde ich aber nicht so sagen. Ist doch alles schlüssig, was du aufführst. Nur dass der Gedanke einer Lichtreligion urchristlich sein soll, bestreite ich. Klingt für mich eher nach Aufklärung.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Liebe Ulrica,


    inzwischen habe ich mir "Die erste Walpurgisnacht" genauer angesehen. Der Eindruck ist ehrlich gesagt ein sehr zwiespältiger. Eric Werners Urteil (übrigens in der Studienpartitur zitiert), es handele sich um das bedeutendste weltliche Oratorium des 19. Jahrhunderts, steht das Urteil Richard Hauser in den Musik-Konzepte 14/15 diametral entgegen. Dort steht zusammendfassend: "Für die übrige Partitur [d.i.. außer "kommt. Mit Zacken und mit Gabeln"] aber bedürfte es der Überredungskraft des Unmöglichen, aus dem Schatten Goethes herauszutreten, der Überredungskraft des Unmöglichen allerdings ex negativo. Was Mendelssohn in dieser Art gelingt, der große Chor, hat diese Überredungskraft, negiert Goethe. Der Rest ist das, was Günter Kunert, übertreibend, als Kitsch definiert hat, 'die Abwesenheit von Widerspruch', die 'Harmonie ohne Rest', 'die Rechnung, die vollkommen und allzu glatt aufgegangen ist'." (S. 91)


    Zitat

    Original von Ulrica
    Über diese überraschende Parteinahme deutscher Klassiker - im weiteren Sinn - aus christlich - europäischer Prägung für die in der Christianisierungszeit unterlegenen Anhänger der germanischen und keltischen Religionen habe ich während der Erarbeitung des Stückes immer wieder nachgedacht.


    Bei Goethe ist das ja keine Überraschung, auch bei Moses Mendelssohn wäre es keine gewesen, es ist eben (k)eine bei Felix Mendelssohn-Bartholdy - und mir leuchtet die Argumentation Hausers (die übrigens mit einer Anzahl Analysen untermauert ist) ein, dass der innere Widerstand bei der Komposition eine Rolle gespielt hat.


    Die inkriminierte brutale Unterdrückung des heidnischen Glaubens durch die "katholische" Kirche (es ist noch die Altkirche!) ist eine ziemlich große Simplifizierung des tatsächlichen Geschehens. Diese Missionierung ging eben nicht von der Kirche aus (die sie im Gegenteil sogar z.T. heftig kritisierte), sondern von den fränkischen Herrschern, die sich entschlossen hatten, die christliche Religion als entscheidendes Band ihres Reiches zu benutzen - so dass die Expansion des Frankenreiches eine Art bewaffnete Missionierung mit sich brachte - gegen das damals geltende Kirchengesetz, das den Beitritt zur Kirche nur als freiwillige Entscheidung nach einer mindestens einwöchigen Katechese erlaubte.


    Dass sich später die Haltung der Kirchen (es gilt ja auch für die protestantische Missionierung) änderte, ist eine andere Sache. Aber im beschriebenen Raum der Dichtung Goethes rettet den Dichter nur die poetische Lizenz, nicht die Geschichte.


    LG Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Die inkriminierte brutale Unterdrückung des heidnischen Glaubens durch die "katholische" Kirche (es ist noch die Altkirche!) ist eine ziemlich große Simplifizierung des tatsächlichen Geschehens. Diese Missionierung ging eben nicht von der Kirche aus (die sie im Gegenteil sogar z.T. heftig kritisierte), sondern von den fränkischen Herrschern, die sich entschlossen hatten, die christliche Religion als entscheidendes Band ihres Reiches zu benutzen - so dass die Expansion des Frankenreiches eine Art bewaffnete Missionierung mit sich brachte - gegen das damals geltende Kirchengesetz, das den Beitritt zur Kirche nur als freiwillige Entscheidung nach einer mindestens einwöchigen Katechese erlaubte.


    Auf freiwilliger Basis hätte die Christianisierung der Sachsen, Friesen und anderer Stämme allerdings nie funktioniert, obwohl es richtig ist, dass man die christliche Mission von der fränkischen Expansion in dieser Zeit nur schwer trennen kann.


    Vielen Dank für deine Recherche! Dieses Zitat: "Für die übrige Partitur [d.i.. außer "kommt. Mit Zacken und mit Gabeln"] aber bedürfte es der Überredungskraft des Unmöglichen, aus dem Schatten Goethes herauszutreten, der Überredungskraft des Unmöglichen allerdings ex negativo. Was Mendelssohn in dieser Art gelingt, der große Chor, hat diese Überredungskraft, negiert Goethe." habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden. Was meint der Autor mit der "Überredungskraft des Unmöglichen ex negativo"?


    Viele Grüße

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Lieber Draugur,


    ich benutze Deine Frage, um einmal die beiden Interpretationsansätze zu vergleichen. Werner geht davon aus, dass Goethes eine milde Satire auf mittelalterlich-kirchliche Bigotterie und Aberglaube sei. Es ist bei Werner quasi die Umkehrung von den hier schon geäußerten Gedanken: der Gegensatz zwischen einem reinen, aus der Erkenntnis der Natur entsprungenen Monotheismus gegen die abergläubischen Sitten der frühen europäischen Kirche. Am Ende steht eine humanistische Hymne, die Mendelssohn nach Werner "in begeisternden Tönen gedeutet" hat. Der Konflikt zwischen reinem Monotheismus und traditioneller Kirchengläubigkeit wird mit dem Mittel des Humors aufgelöst.


    Huber vertritt einen der Skepsis der hier geäußerten Meinung näheren Standpunkt. Für ihn steht am Ende eine sterile Anbetung des Allvaters - das einzig wirklich überzeugende Stück ist das Kernstück "Kommt mit Gabel, kommt mit Zacken."


    Daneben ist noch das einleitende Vorspiel "Das schlechte Wetter" gelungen. Nur - dieses "Schlechte Wetter" hat mit Goethes Versen nichts zu tun. Es kontrastiert nur den Beginn von Goethes Ballade "Es lacht der Mai. Der Wald ist frei."


    Während Werner nun einen "zauberhaften Frühlingsgesang von hoher Eigenart" (231) hört, spricht Huber von einer Statik, die das anfängliche A-dur bis zum Ende des Chores affirmiert - melodisch und harmonisch bleibt das Stück stehen. Man darf nicht an Schumanns Darstellung des Frühlings denken. Huber stellt fest, dass Mendelssohn durch Goethes Vorlage unterhalb seiner eigenen Möglichkeiten blieb, weil er auf außermusikalisches Engagement bedacht war (77).


    Über die zum Kernstück führenden Musikstücke geht selbst Werner flüchtig hinweg - "die Musik schwingt sich auf zu freudiger Feierstimmung". (231) Huber konstatiert, dass Goethes provokantester Vers nur im Rezitativ von einem der Druiden vorgetragen wird :


    Die dumpfen Pfaffenchristen,
    laßt uns keck sie überlisten.
    Mit em Teufel, den sie fabeln,
    wollen wir sie selbst erschrecken.


    Nun setzt ein außergewöhnliches, ein geniales Stück ein, theatralisch und kompositorisch aufs glänzendste gemacht. "Ohne die Fessel, hier das Lob Allvaters in Musik setzen zu müssen, ohne jeden Kniefall, vor welchem Gott immer, läßt Mendelssohn hier spukhaft einen ganzen Chorus der gefabelten Teufel los." (83) Geschickt nutzt er die Möglichkeiten und Wirkungen von Tritonus (dem teuflischen Intervall in der Musikgeschichte) und vermindertem Septimakkord - mit genialer Satztechnik.


    Für Werner ist dies ein "grober Scherz" (232) dem nun die eigentliche Feier folgt, in der der Chor in einfach-frommen Tönen singt. Wenn aber die eigentliche Feier deutlich abfällt von dem groben Scherz, sollte das einem zu denken geben.


    Bei Huber liest sich das so: "Und in rauschender Affirmation [...] reinigt sich das [...] des zum strahlenden C-dur, so oft wiederholt wie nur in den Finalschlüssen bei Beethoven, doch ohne dessen Überzeugungskraft, vielmehr naiv, eingetrichtert, so, als müsse um jeden Preis affirmiert werden, daß wirklich niemand Allvaters Licht rauben könne." (87)


    Was Huber also in dem zitierten Satz meinte: Da, wo Mendelssohn am weitesten vom Goethe-Text abweicht, ist er am meisten er selbst, schreibt er eine geniale Musik - aber ex negativo, im Verneinen der Goetheschen Intention. Wo Mendelssohn aber Goethe folgt, wird er frömmelnd, einfallslos, gerät an den Rand des Kitsches.


    LG Peter

  • Eben erst habe ich wegen einer ganz anderen Mendelssohn-Recherche diesen Thread entdeckt. Ein willkommener Anlass, meinen Beitrag in diesem Rätsel Hier wird es licht - Der Lösungsthread zum umnachteten Rätsel hier einzustellen, was vielleicht auch zu einer Wiederbelebung dieses Threads führt. Manche Fragen, die in dem Text schon beantwortet wurden werden auch hier angeschnitten, auf manche geht er gar nicht ein. Ich bitte aber um Verständnis dafür, dass ich den Text jetzt nicht mehr auf den bisherigen Thread zuschneide.


    Die Frage galt dem Sommernachtstraum und der ersten Walpurgisnacht:


    Zwei Nachtstücke, ein Komponist. Das erste Stück ist eine Kantate um eine verhexte Nacht, das zweite hat drei wichtige Frauen, deren erster Buchstabe gesucht wird.


    Ich habe nur die relevanten Texte zu Mendelssohns Kantate kopiert:


    ... Hier aber schon mal der Hinweis auf diese Kopplung beider Werke, die es erstaunlicherweise nur einmal gegeben zu haben scheint und dennoch schon wieder vom Markt verschwindet. Noch aber ist sie bei jpc zu haben:



    Harnoncourt ist sicher nicht der ideale Interpret für die luftige Qualität des Sommernachtstraums, aber allein die Kopplung lohnt schon die Anschaffung.


    Beginnen wir mit dem, zum Glück gemeinfreien, Text der Ballade, die Johann Wolfgang von Goethe 1799, also knapp zehn Jahre vor dem FAUST schrieb, in dem er die Frühlingsfeier der ersten Zeilen im Osterspaziergang variierte:


    Die erste Walpurgisnacht


    Ein Druide
    Es lacht der Mai!
    Der Wald ist frei
    Von Eis und Reifgehänge.
    Der Schnee ist fort;
    Am grünen Ort
    Erschallen Lustgesänge.
    Ein reiner Schnee
    Liegt auf der Höh;
    Doch eilen wir nach oben,
    Begehn den alten heil'gen Brauch,
    Allvater dort zu loben.
    Die Flamme lodre durch den Rauch!
    So wird das Herz erhoben.


    Die Druiden
    Die Flamme lodre durch den Rauch!
    Begeht den alten heil'gen Brauch,
    Allvater dort zu loben!
    Hinauf! hinauf nach oben!


    Einer aus dem Volke
    Könnt ihr so verwegen handeln?
    Wollt ihr denn zum Tode wandeln?
    Kennet ihr nicht die Gesetze
    Unsrer harten Überwinder?
    Rings gestellt sind ihre Netze
    Auf die Heiden, auf die Sünder.
    Ach, sie schlachten auf dem Walle
    Unsre Weiber, unsre Kinder.
    Und wir alle
    Nahen uns gewissem Falle.


    Chor der Weiber
    Auf des Lagers hohem Walle
    Schlachten sie schon unsre Kinder.
    Ach, die strengen Überwinder!
    Und wir alle
    Nahen uns gewissem Falle.


    Ein Druide
    Wer Opfer heut
    Zu bringen scheut,
    Verdient erst seine Bande.
    Der Wald ist frei!
    Das Holz herbei,
    Und schichtet es zum Bande!
    Doch bleiben wir
    Im Buschrevier
    Am Tage noch im stillen,
    Und Männer stellen wir zur Hut
    Um eurer Sorge willen.
    Dann aber laßt mit frischem Mut
    Uns unsre Pflicht erfüllen.


    Chor der Wächter
    Verteilt euch, wackre Männer, hier
    Durch dieses ganze Waldrevier,
    Und wachet hier im stillen,
    Wenn sie die Pflicht erfüllen.


    Ein Wächter
    Diese dumpfen Pfaffenchristen,
    Laßt uns keck sie überlisten!
    Mit dem Teufel, den sie fabeln,
    Wollen wir sie selbst erschrecken.
    Kommt! Mit Zacken und mit Gabeln
    Und mit Glut und Klapperstöcken
    Lärmen wir bei nächt'ger Weile
    Durch die engen Felsenstrecken.
    Kauz und Eule
    Heul in unser Rundgeheule!


    Chor der Wächter
    Kommt mit Zacken und mit Gabeln
    Wie der Teufel, den sie fabeln,
    Und mit wilden Klapperstöcken
    Durch die leeren Felsenstrecken!
    Kauz und Eule
    Heul in unser Rundgeheule!


    Ein Druide
    So weit gebracht,
    Daß wir bei Nacht
    Allvater heimlich singen!
    Doch ist es Tag,
    Sobald man mag
    Ein reines Herz dir bringen.
    Du kannst zwar heut
    Und manche Zeit
    Dem Feinde viel erlauben.
    Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
    So reinig unsern Glauben!
    Und raubt man uns den alten Brauch:
    Dein Licht, wer will es rauben!


    Ein christlicher Wächter
    Hilf, ach hilf mir, Kriegsgeselle!
    Ach, es kommt die ganze Hölle!
    Sieh, wie die verhexten Leiber
    Durch und durch von Flamme glühen!
    Menschenwölf und Drachenweiber,
    Die im Flug vorüberziehen!
    Welch entsetzliches Getöse!
    Laßt uns, laßt uns alle fliehen!
    Oben flammt und saust der Böse;
    Aus dem Boden
    Dampfet rings ein Höllenbroden.


    Chor der christlichen Wächter
    Schreckliche, verhexte Leiber,
    Menschenwölf und Drachenweiber!
    Welch entsetzliches Getöse!
    Sieh, da flammt, da zieht der Böse!
    Aus dem Boden
    Dampfet rings ein Höllenbroden.


    Chor der Druiden
    Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
    So reinig unsern Glauben!
    Und raubt man uns den alten Brauch:
    Dein Licht, wer kann es rauben!


    Goethe hatte von Anfang an die Absicht, diesen Text zur Grundlage einer Kantate zu machen, die er seinem Leib- und Magenkomponisten Carl Zelter anbot. Da dieser aber nach eigenem Bekenntnis "die Luft nicht finden (konnte), die durch das Ganze weht", gab er den Text an seinen Schüler Felix Mendelssohn weiter, der sich schon mit seiner Jugendouvertüre zum SOMMERNACHTSTRAUM von 1826 als ein Meister gerade dieser geisterhaften "Lüfte" erwiesen hatte. Der machte sich, angeregt von der damals besonders in Italien unübersehrbaren Dominanz der Kirche, während seines Italienreise 1930/31 an die Arbeit, dieses durchaus antiklerikale Stückk zu vertonen. Dieses wurde nach einer gründlichen Überarbeitung 1843 in Leipzig uraufgeführt. Zu den begeisterten Zuhörern zählten damals Robert Schumann und Hector Berlioz, der sich bald darauf in seiner DAMNATION DE FAUST mit einem sehr ähnlichen Themenkreis auseinandersetzte und dabei zu ähnlichen Instrumentationseffekten fand.


    Als er bei Goethe nachfragte, welche Intentionen er mit dem Stück verband, erhielt er u. a. diese Antwort: "Es ist im eigentlichen Sinne hochsymbolisch intoniert; denn es muss sich in der Weltgeschichte immerfort wiederholen, dass ein Altes, Gegründetes, Geprüftes, Beruhigendes durch auftauchende Neuerungen gedrängt, geschoben, verrückt und wo nicht vertilgt, so doch in den engsten Raum eingepfercht werde" Hört sich das nicht an wie ein verfrühter Kommentar zu unserer andauernden Inszenierungsdebatte? Giovanni di Lampedusa hat das in seinem Meisterroman IL GATTOPARDO / DER LEOPARD kürzer gefasst: Die Dinge müssen sich verändern, damit sie die gleichen bleiben. Aber das wird hier OT.


    Während Mendelssohn den Beginn der Kantate noch ganz in der Tradition der weltlichen Kantaten Haydns und seiner Nachfolger anlegt, beherzigt er im weiteren Verlauf die Erkenntnis Zelters: "Wer das vertonen will, muss erst die alte abgetragene Kantatenuniform ablegen!" Gerade der musikalische Höhepunkt, wenn die Wächter sich zur Austreibung des Hexensabbats sammeln, aber auch schon in der (nachkomponierten), zweiteiligen Ouvertüre findet der reife und nun auch sehr individuell instrumentierende Mendelssohn zu Klängen, die denen seines ihm in Hassliebe verbundenen Freundes Berlioz gar nicht so weit entfernt sind. Nicht zu überhören ist der satirische Grundton in der Schilderung der Selbstgerechten, die weitaus schrecklicher erscheinen als die von ihnen gejagten, vermeintlichen Hexenmeister.


    Neben der schon im Vorigen genannten Aufnahme des Werkes mit Birgit Remmert, Uwe Heilmann, Thomas Hampson und René Pape unter Nikolaus Harnoncourt, die mir gerade bei diesem Werk wegen Harnoncourts typisch schroffem Zugriff sehr gefällt, habe ich noch eine schöner gesungene, aber im Vergleich zu konventionelle Rundfunkaufnahme mit (u.a.) Jonas Kaufmann und Roman Trekel unter der Stabführung Helmut Rillings. Leider kenne ich die Aufnahme unter der Leitung von Kurt Masur nicht. Kann und will jemand etwas zu dieser sagen?



    Die Originalzitate entnahm ich übrigens dem Begleittext von Wolfgang Stapelfeld in dem sehr guten Begleitheft der Harnoncourt-Aufnahme.


    :hello: Jacques Riddleamus