Dirigenten - Konservativität als eine Bereicherung der Musik

  • Frage:


    Gibt es Dirigenten, die sich in ihrer gesamten kreativen Schaffensphase auf einen einzigen epochalen Bereich spezialisiert haben und darüber hinaus
    noch nie in einem Anderen dirigierten???


    Also: Ausschließlich Barock, Wiener Klassik...etc....


    Da es ja sehr viele Dirigenten gibt, die sich teilweise spezialisiert haben,
    aber trotzdem nicht vor anderen Epochen zurückschrecken,
    wird es wohl doch auch einige geben die in einer Epoche "hängen geblieben" sind und dann ausschließlich Diese zu ihrem Metier gemacht haben.


    Wie ist deren Qualität in ihrem Spezialbereich einzuordnen, ergo:
    Inwieweit ist konservatives Schaffen der Musik zuträglich?


    Da mir leider kaum ein Dirigent einfällt...


    ?(


  • Wie ich eben sehe, gibt JR nachfolgend eine gute Begründung, warum das, selbst unter Barockspezialisten, eher selten ist. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ein derart stockkonservativer Dirigent, der sich nicht auch aktiv mit anderem Repertoire auseinandersetzen möchte, ein besonders guter Anwalt für seine Spezialität sein kann. Für Leute, die ihren Marktwert ausnutzen und in atemberaubender Geschwindigkeit fast alles dirigieren, dürfte das allerdings nicht weniger gelten.


    Eine extreme Ausnahmel ist da der (bezeichnenderweise) Autodidakt Gilbert Kaplan, der sein aktives Musikleben sogar nur einem einzigen Werk gewidmet hat, nämlich Mahlers Zweiter Symphonie. Darin hat er sich aber die Achtung der Fachwelt und der besten Orchester erworben, die ihn - inzwischen nicht nur bei diesem Werk - gerne ans Pult lassen.


    Mit Recht, wie ich finde, denn seine Aufnahmen gehören für mich zu den besten Einspielungen dieser nicht einfachen Partitur. Diese ältere Aufnahme enthält zudem noch höchst lesenswerte Texte und Dokumente:


  • Da bis vor wenigen Jahrzehnten die Ausbildung eines Dirigenten fast immer etliche Jahre zunächst als Korrepetitor, dann als Kapellmeister an eher provinziellen Opernhäusern bedeutete, war die Einschränkung oder Spezialisierung auf ein bestimmtes Repertoire etwas, was sie sich erst in fortgeschrittenen Karrierestadien erlauben konnten. Natürlich ändert sich, was als gängiges Repertoire gilt (bspw. Mahler, Debussy, Strawinskij in den 50ern noch nicht im dem Maße Standard wie heute) , aber bis in die Sechziger dürfte eine extreme Spezialisierung eher selten gewesen sein. Bzw. verraten die erhaltenen Plattenaufnahmen zwar vielleicht, wo besondere Interessen lagen, aber man muß dennoch davon ausgehen, dass das eigentliche Repertoire, einfach aufgrund von Ausbildung und frühen Karrierestadien wesentlich größer war. (Selbst Carlos Kleiber war eine Zeitlang GMD in Stuttgart(?), wo er sich gewiß nicht auf je eine Handvoll Opern und Sinfonien beschränken konnte).
    Dirigenten, die man als "konservativ" einordnen mag wie Mengelberg und Furtwängler dirigierten in den 20er Jahren Welturaufführungen von Werken Bartoks. Wand wurde durch Bruckner- und Schubertplatten überregional berühmt, aber er hat natürlich in Köln alles Mögliche dirigiert, besonders auch klassische Moderne.


    Seit einiger Zeit, mit der Spezialisierung durch HIP (und teils auch durch zeitgenössische Musik) sowie "Quereinsteiger", die zuerst als Chorleiter, Instrumentalisten, Sänger tätig waren, hat sich das wohl geändert, und man kann sich recht früh spezialisieren. (Das sieht man ja an jemandem wie Thielemann viel stärker als an HIPisten). (Konservativ würde ich dieses Phänomen aber nicht nennen...)


    Ich sehe nichts grundsätzlich Falsches an dieser Spezialisierung, wobei zu beobachten ist, dass viele Dirigenten, die als Barockspezialisten oder Chorleiter angefangen haben, sich zunehmend auch normalen Orchestern und Repertoire des 19. Jhds. zuwenden. Will nicht beurteilen, ob das hauptsächlich finanzielle oder karrieretechnische Gründe hat oder musikalische...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Über Herreweghe habe ich jedenfalls aus dem Kreise seiner Musiker gehört, dass ihn die Bruckner-Begeisterung wirklich vollständig gepackt hat - in seinem Falle spricht also alles (einschließlich der bisher vorliegenden Ergebnisse - *schwärm*) für die Authentizität dieser Repertoireerweiterung.


    LG,
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Hallo Johannes,


    Zitat

    Dirigenten, die man als "konservativ" einordnen mag wie Mengelberg und Furtwängler dirigierten in den 20er Jahren Welturaufführungen von Werken Bartoks.


    Ich meinte nicht diese Art "Konservativität".
    Es geht mir hier eher um Ausnahmedirigenten, die sich, wie der von
    Rideamus genannte, Gilbert Kaplan, auf eine Epoche oder Stil im Laufe ihres
    Lebens spezialisiert haben und seitdem keinen anderen Werken mehr eine
    Chance gaben, ins Aufführungs-Repertoire aufgenommen zu werden.


    Bsp.:


    Die Mauersberger-Brüder (Rudolf und Erhard) haben, außer dass sie selbst komponierten, lediglich Aufnahmen von geistigen Werken gemacht.
    Und was sie gemacht haben, haben sie gut gemacht, da sie eben
    Spezialisten auf diesem Gebiet waren. (Bach-Aufnahmen)


    Oder irre ich mich da?

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  • Die Mauersbergers waren genaugenommen Kantoren, das bringt einen Schwerpunkt auf geistlicher Musik mit sich; ich weiß nicht, ob sie vorher oder nebenher Konzert und Oper dirigiert haben.
    Kaplan war ein Laie.
    Beide Fälle also Ausnahmen gegenüber dem "normalen" Ausbildungs- und Karriereweg eines Dirigenten. Chorleiter und Kantoren dirigieren natürlich häufig auch orchestral groß besetzte Werke (Robert Shaw z.B:, auch Gardiner hat ja so begonnen).
    Ich meine mich aber an ein Interview mit Herreweghe zu erinnern, wo dieser (das war einige Jahre bevor er dann auch Bruckner aufgenommen hat) einräumte, dass er sich rein (probe?, schlag? was auch immer)-technisch eine Brucknersinfonie noch nicht zutrauen würde. Da scheint es also gewisse Unterschiede, persönliche vielleicht auch in der Ausbildung zu geben.
    Man kann anhand von Lebensläufen und Biographien leicht sehen, dass praktisch alle vor ca. 1920 geborenen Dirigenten (besonders in Deutschland und Österreich) den Weg über Korepetition und Provinztheater genommen haben, wobei sie sich zwangsläufig ein sehr breites Repertoire aneignen mußten. Für Italien gilt Ähnliches, nur blieben hier viele Dirigenten, aufgrund der dortigen Dominanz der Oper ihr Leben lang bei der italienischen Oper (wie Serafin, Votto, Molinari-Pradelli, Erede usw.)
    Klar gibt es außer denen und den Kantoren auch solche, die zunächst als Orchestermusiker starteten und dann zum Dirigieren kamen. Oder andere Ausnahmen wie den finanziell unabhängigen Beecham, Komponisten, die zunächst hauptsächlich eigene Werke dirigierten (z.B. Boulez).
    Bei der jüngeren Generation (bzw. in den USA, wo es die vielen Opernhäuser auf dem "flachen Land" nicht in dieser Weise gibt) war es häufig auch schon möglich gleich als Assistent bei einen Star-Maestro eines großen Sinfonieorchester zu beginnen (Bernstein, Tilson Thomas).
    Aber auch bei denen war früher die Spezialisierung weniger ausgeprägt. Es wurde natürlich nur relativ wenig Barockmusik gespielt. Aber eben bis weit in die 60er eben auch von großen Sinfonieorchestern.
    M.E. ist die stärkere Spezialisierung auch eine Folge der Schallplatte. Selbst in einer realtiv großen Städten wie München oder Hamburg mußte der Dirigent des Sinfonieorchesters ein möglichst breites Repertoire abdecken, auch wenn es noch ein weiteres Orchester gab.


    viele Grüße


    JR

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  • Naja, wenn Du die Mauersberger-Brüder nennst, in der Richtung gibt es ja mehr Interpreten, zum Beispiel Helmut Rilling, Karl Richter oder Enoch zu Guttenberg. Die hatten bzw. haben einen deutlichen Schwerpunkt bei der sakralen Chormusik. Guttenberg bspw. dirigiert mittlerweile aber auch Mahler. Aber das Repertoire von Karl Richter hat sich (vermutlich) zwischen Händels Messias, Bachs Passionen, Haydns Schöpfung und Beethovens Missa Solemnis abgespielt. Okay, vielleicht hat es bis zum Verdi-Requiem gereicht...


    Die Beschränkung auf ein schmales zeitliches Repertoirefenster findet man wohl häufiger bei Instrumentalisten. Ich denke an Siegfried Palm oder Steffen Schleiermacher. Vermutlich hat das mit Spieltechniken zu tun, in die man sich einarbeiten muss, vermutlich aber auch mit einem Markt, in dem man irgendwann einen Namen und einen Platz hat. Palm wäre vermutlich nicht für Schumanns Cellokonzert engagiert worden und Schleiermacher wird (vermutlich) nicht für Schumanns Klavierkonzert engagiert.


    Freundliche Grüße


    Heinz

  • Ciao Heinz !


    Gut, daß Du Dein Statement durch ein "vermutlich" eingeschränkt und in Frage gestellt hast. In Wahrheit hat sich nämlich Richter selbst immer als Universalmusiker verstanden, der im öffentlichen Konzert von Kuhnau über Schütz, natürlich Bach und Händel, aber auch Gluck, Mozart (die Teldec-Aufnahme des "Requiem" ist unerreicht) bis hin zu Brahms, Reger, Bruckner und Poulenc auch das "klassische" Feld beackert hat; leider hat die DGG ihn seinerzeit aus "politischen" Gründen mit wenigen Ausnahmen auf seine Barockdomäne beschränkt, in der er sich freilich auskannte wie kein zweiter nach ihm.


    Sogar Dvoraks "Stabat mater" sowie ebenfalls das "Requiem" Verdis liegen in - leider nur Richter-Freaks zugänglichen - Livemitschnitten vor.


    Mit (hoffentlich nicht oberlehrerhaft wirkendem) Gruß,


    Gerd


  • Ah, das wusste ich nicht und zeigt einmal mehr, dass man sein Bild von Interpreten nicht allein auf die Aufnahmen und ein paar Kritiken, die man kennt, stützen sollte. Danke für den Hinweis!

  • Ihm Rahmen meiner foreninternen Recherche bin ich auf diesen Thread gestoßen. Wie schon am Beispiel Karl Richter gezeigt wurde, beherrschten auch "Spezialisten" zumeist das "allgemeine " Repertoire.


    Zitat

    Ich bin mir auch nicht sicher, ob ein derart stockkonservativer Dirigent, der sich nicht auch aktiv mit anderem Repertoire auseinandersetzen möchte, ein besonders guter Anwalt für seine Spezialität sein kann.


    Zum einen hat das mit "stockkonservativ" nicht wirklich was zu tun, es könnte ja auch ein "Spezialist" für Stockhausen oder Ligeti sein. Hier sind wir schon beim Knackpunkt angelangt. Kaom jemand kan von "eingeschränktem Repertoire" wirklich leben. Wer wird schon "nein" sagen wenn ein Angebot von der DDG winkt, alle Beethoven einzuspielen ?
    Nischenrepertoire ist zwar möglich - aber auch nur dann, wenn es möglichst breitgefächert ist - oder man einen Nebenjob hat, eine Professur oder dergleichen. Auch Millionär zu sein ist a priori kein schlechter Starpunkt. Wir sehen das bei Gilbert Kaplan. Aber er ist eben nicht nur Milliönär und somit vom finanziellen Erfolg seiner Aufnahmen unabhängig, er ist auch ein Könner auf seinem Gebiet, ein Amateur (in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes -ein "Liebhaber" - nicht aber in der landläufig abwertenden), ein Autodidakt (?) - aber meiner Meinung nach kein Laie sondern er muß als Semiprofessionell eingestuft werden - Ein Amateur, der eine Leistung erbringt, die jener eines Profis gleichzusetzen ist - und auch das muß gesagt werden - diese gelegentlich sogar übertrifft.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Für Italien gilt Ähnliches, nur blieben hier viele Dirigenten, aufgrund der dortigen Dominanz der Oper ihr Leben lang bei der italienischen Oper (wie Serafin, Votto, Molinari-Pradelli, Erede usw.)


    viele Grüße


    JR


    Lieber Johannes,


    ganz exakt ist das nicht, denn Erede hat mit Menuhin die Paganini-Konzerte 1 + 2 eingespielt.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • ganz exakt ist das nicht, denn Erede hat mit Menuhin die Paganini-Konzerte 1 + 2 eingespielt.


    Es war auch nur als Tendenz gemeint. Das Verdi-Requiem hat mindestens Serafin auch aufgenommen. Vermutlich haben viele von denen, die 50 Jahre später nur als Operndirigenten bekannt sind, auch viele andere Sachen dirigiert.
    Der zentrale Punkt war, dass ein hochspezialisierter Dirigent m.E. eine "Luxuserscheinung" ist, die es bis in die 1960er/70er noch seltener gab als heute, außer bei Kantoren/Chordirigenten vielleicht.
    Beecham (finanziell unabhängiger Pharma-Baronet) ist auch so ein spezieller Fall. Der hat zwar ziemlich viel und querbeet dirigiert, sehr vieles aber eben auch nicht.

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  • Gibt es spezialisierte Dirigenten?


    Gibt es. Aber selten.


    Der 1. Kapellmeister an irgendeinem Hause wird sich kaum spezialisieren können. Der wird dirigieren müssen, was ihm vom GMD zugeteilt wird (und dafür dankbar sein müssen).


    Wer irgendwo Chef ist und keinen breiten Bildungsauftrag hat (Radiosinfonieorchester?), kann anders agieren.


    Die Sonderfälle "Gilbert Kaplan" und "italienische Operndirigenten" haben Alfred und Johannes ja schon benannt.


    Mir fiele noch Antony Beaumont ein, der sich auf Zemlinsky spezialisiert hat. Ich weiß nicht, ob und wie viel anderes der noch dirigiert.


    Vor seinen Mozart- und Beethoven-Einspielungen hätte man Gardiner noch spezialisiert nennen können e tutti quanti.


    Helmut Rilling wäre eventuell als Bach- und Oratorienspezialist anzusprechen.


    Celi, Knappertsbusch, Bruno Walter, Wand haben nicht alles dirigiert, ohne dass man sie spezialisiert nennen könnte. Bei Celi fehlt Mahler, bei Kna Verdi, bei Bruno Walter weiß ich's nicht, bei Wand fehlen Wagner und Mahler.


    :hello:

  • Celi, Knappertsbusch, Bruno Walter, Wand haben nicht alles dirigiert, ohne dass man sie spezialisiert nennen könnte. Bei Celi fehlt Mahler, bei Kna Verdi, bei Bruno Walter weiß ich's nicht, bei Wand fehlen Wagner und Mahler.


    Sagen wir: weitgehend. Er dirigierte Aida (1921, 1940), Macbeth (1934), Otello (1939) und das Requiem (1940, 1941, 1943, 1949). Eine Aufnahme des Triumphmarsches aus der Aida von 1940 ist überliefert. Übrigens dirigierte Kna auch Mahler (!): die 4. Symphonie (bereits 1924!), die Lieder eines fahrenden Gesellen (1926) sowie (die auch als Aufnahme erhältlichen) Kindertotenlieder (1956). Natürlich würde dennoch kaum jemand bestreiten, dass der Schwerpunkt seines Repertoires in der Oper auf Wagner und Strauss, in der Symphonik auf Bruckner, Beethoven, Schubert und Brahms lag, wenngleich er auch die späten Mozart-Symphonien, Haydns 88., 92., 94. und 100., Schumanns 4., Dvořáks 9. und sogar Tschaikowskijs 5. und 6. spielte.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Vor seinen Mozart- und Beethoven-Einspielungen hätte man Gardiner noch spezialisiert nennen können e tutti quanti.


    Ich weiß nicht, wann er begonnen hat, Mozart und Beethoven einzuspielen. Ich habe eine Massenet-Aufnahme unter ihm aus den 70ern. Ich nehme an, dass Gardiner nie spezialisiert war.


    Das legt nun natürlich im Kontext der Beiträge dieses Threads nahe, dass alle "Spezialisten" nur solche durch die Brille der Klassikliebhaber und Schallplattenkonsumenten sind. Wenn jemand als Operndirigent in Italien Erfolg hat, heißt das ja auch nicht, dass er nicht in seinem sonstigen Leben alles mögliche andere aufgeführt hat, nur ist er dafür nicht berühmt. Solange die Aussagen hier nur auf Kenntnisse von CD-Katalogen basieren, nehme ich das auch nur wahr als Anzeige dafür, wo ein Künstler besonders großen (kommerziellen) Erfolg hatte. Das würde ich nicht Spezialisierung nennen.
    :hello:

  • Mir stellt es sich im Gegenteil so dar, dass Gardiner bei Beginn seiner Karriere in den 1970er ganz klar spezialisiert war, nämlich als Chorleiter auf Barockmusik. Dann hat er sich zunehmend verbreitert, u.a. durch die Verbindung mit der Oper in Lyon?, dem NDR usw.
    Dito für Harnoncourt (zuerst Cellist), Herreweghe (Chorleiter), der noch vor 10 oder 12 Jahren meinte, eine Brucknersinfonie könne er (dirigiertechnisch oder was auch immer?) nicht, obwohl er es gerne machen würde, Brüggen (Flötist) usw.


    Viele Quer- und Späteinsteiger oder in Einzelfällen dirigierende Pianisten kann man, was ihr Repertoire betrifft, kaum mit dem traditionellen Dirigenten aus der ersten Hälfte des 20. Jhds. vergleichen, der in seiner "Lehrzeit" alles dirigieren musste, was eben am provinziellen Opernhaus gegeben wurde.
    Dass nicht zuletzt durch superprofessionelle Orchester solche unkonventionellen Karrieren möglich sind und solche Musiker ihr Repertoire weit ausdehnen können (wie Gardiner bis Holst und Harnoncourt bis Gershwin) ist, denke ich, schon eine relativ neue Entwicklung.
    Eine andere Sache ist die auch schon erwähnte, dass ein Dirigent als "Spezialist" für ein bestimmtes Repertoire wahrgenommen wird, weil er hauptsächlich damit weltweit per Schallplatte u.ä. bekannt geworden ist.

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    (Bob Dylan)

  • Mir stellt es sich im Gegenteil so dar, dass Gardiner bei Beginn seiner Karriere in den 1970er ganz klar spezialisiert war, nämlich als Chorleiter auf Barockmusik. Dann hat er sich zunehmend verbreitert, u.a. durch die Verbindung mit der Oper in Lyon?, dem NDR usw.


    Wer weiß jetzt gut Bescheid über das, was Gardiner (*1943) zwischen 1958 (da "nahm er erstmals den Dirigentenstab in die Hand") und 1978 (da waren die Massenet-Suiten schon auf Schallplatte gebannt, wenn ich mich recht entsinne) gemacht hat? 1964 Gründung Monteverdi Choir und 1968 Monteverdi Orchestra sind natürlich wichtige Sachen, vorher studierte er Geschichtswissenschaften und Arabistik und dann an der Cambridge University sowie bei Nadia Boulanger (was eigentlich?). Ich würde mich jetzt schon wundern, wenn er damals keine Werke der Moderne einstudiert hätte. Dass ihn womöglich die Barockmusik viel mehr interessiert hat und er das viel intensiver betrieben hat, kann ja schon sein, aber das hat mit Selbstbeschränkung im Sinne des Eröffnungsbeitrags gar nichts zu tun. Als wichtiges Datum finde ich im Internet wiederholt sein Operndebut in London mit der Zauberflöte 1968. Da war er gerade 25. Will jetzt jemand behaupten, er war im Alter von 15-25 auf Barockmusik spezialisiert?
    :D

  • Kann es sein, dass es diese Beschränkung, von der im Eröffnungsbeitrag die Rede ist, schlicht nicht gibt? Es ist wohl eine Chimäre, der man da nachjagt, wenn man versucht tragfähige Beispiele zu finden. Nahezu alles, was hier bisher angeführt wurde, lief letztlich ins Leere, weil dann doch wieder jemand auftauchte, der die sicher geglaubte Bank mit neuem Wissen wieder ins Wanken bringt. Eine Beschränkung der hier in Rede stehenden Art und Weise scheint es wohl immer bestenfalls für eine bestimmte Phase in der Karriere eines Dirigenten zu geben. Bereits bemühtes Beispiel: Jahrelang identifizierte man Jacobs oder Gardiner oder Harnoncourt in der Öffentlichkeit mit dem Label "Barock", bis die dann allesamt anfingen auch noch ganz anderes zu machen.
    Ich glaube, die hier in Rede stehende Beschränkung würde eine echte Künstlerseele ihr ganzes Leben lang auch nicht ertragen: Man kann doch nicht ein Leben lang Händel- oder Vivaldi-Opern rauf und runter dirigieren, ohne irgendwann neue Wege gehen zu wollen.
    Grüße,
    Garaguly

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