OFFENBACH Jacques: LES DEUX AVEUGLES oder DIE BEIDEN BLINDEN

  • Jacques OFFENBACH
    LES DEUX AVEUGLES
    Die beiden Blinden
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    Bouffonerie musicale (Operette) in einem Akt


    Libretto von Jules Moinaux


    Uraufführung am 5. Juli 1855 im Théatre des Bouffes-Parisiens in Paris


    Die Handlung spielt in Paris, unter der Brücke Pont St. Michel Originalsprache: Französisch Spielauer: ca. 30 - 45 Minuten
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    Die Personen


    Patachon (Bettler)
    Giraffier (Bettler)
    Passanten (stumme Rollen)


    Orchester
    2 Flöten, 1 Oboe, 2 Klarinetten, 1 Fagott, 2 Hörner, 2 Kornette, 1 Posaune, Streicher
    (spätere Fassungen variieren)


    Entstehung
    Zu Beginn des Jahres 1855, als sich Paris auf die bevorstehende Weltausstellung vorbereitete, nutzte Offenbach eine Lücke in der strikten Reglementierung der Pariser Theaterszene und bewarb sich um eine Lizenz für ein Theater, auf dem maximal zwei oder drei Personen plus Statisten und kleinem Orchester auftreten durften. Diese Lizenz erhielt er und gründete damit das sehr rasch populäre werdende und heute legendäre „Théatre des Bouffes Parisiennes“. Das Eröffnungsprogramm bestand aus einem Prolog, einer zweiten Operette von Edouard Plouvier („Une nuit blanche“), einer Pantomime und Offenbachs erster eigener musikalischer "Bouffonnerie" (Posse), eben „Les Deux Aveugles“. Bei der Generalprobe fiel die musikalische Posse durch, und Offenbach musste sein ganzes Gewicht als Theaterdirektor geltend machen um sich gegen Plouvier durchzusetzen, der Offenbachs Werk streichen lassen wollte. Offenbach sollte Recht behalten, denn seine satirische Novität hatte schon bei der Premiere einen derartigen Erfolg, dass sie sich ein Jahr auf dem Spielplan der Bouffes hielt und sogar Kaiser Napoleon III es sich nicht nehmen ließ, das kleine Theater aufzusuchen. Damit stieg der Komponist Jacques Offenbach wie ein Komet in den Sternenhimmel des Pariser Theaters auf, wo er trotz zahlreicher späterer Finanzschwierigkeiten zeitlebens nicht mehr wegzudenken war. Nebenbei wurde auch die eigene Gattung der Operette, d. h. der „kleinen Oper“ erfunden, auch wenn es noch einige Monate dauern sollte, bis Adolphe Adam ihr diesen Namen gab um seine in Offenbachs Auftrag komponierte Operette „Les pantins de Violette“ von seinen früheren regulären Opern abzusetzen.


    NB: wie haltbar und international wirksam der Humor dieses Stückes war, lässt sich auch daraus ablesen, dass eine Hauptfigur zum Namenspatron der dickeren Hälfte des späteren Filmkomikerduos Pat und Patachon avancierte.


    Die Handlung


    Vorspiel des Miniorchesters.


    An einem herbstlich kalten Abend steht der blinde Bettler Patachon mit seiner Posaune frierend an der Pariser Brücke St. Michel und versucht, die wenigen Passanten auf sich aufmerksam zu machen und eine milde Gabe zu erhalten. Sein mitleiderregendes Solo „Haveugle de nessance“ (Blint aus Nötigung) vermag jedoch niemandem einen Sou zu entlocken. (Die beiden Blinden sprechen einen fürchterlichen Dialekt und beherrschen natürlich auch die Rechtschreibung nicht, was schwer in adäquates Deutsch zu übertragen ist) Statt dessen gesellt sich Patachon ein zweiter Blinder namens Giraffier hinzu, der ihm, mit einer Mandoline bewaffnet, Konkurrenz zu machen sucht. Auch dessen Schild „Aveugle par axidans“ (Blind durch Umfall) rührt jedoch niemanden. So geraten die beiden Blinden aneinander, weil keiner sehen kann, dass der andere auch blind ist.


    Da sich niemand um sie kümmert, erzählen sie einander ihre groteske Lebensgeschichte, die sie ihr Augenlicht kostete. Da sie jedoch beide denselben Boléro kennen („La lune brille“/ Der Mond leuchtet), bringen sie ihn in einem urkomischen Duo zur Geltung, in dem sie einander zu übertreffen trachten. Das Ergebnis ist ein einziger Sou, der ihnen hingeworfen wird, und um den sich beide sofort wieder streiten.


    Keine Frage, einer von ihnen ist zuviel hier. Sie beschließen, den Streit durch ein Kartenspiel entscheiden zu lassen, bei dem sie einander nach Strich und Faden betrügen und entdecken, dass sie natürlich nicht wirklich blind sind. Ihr heftiger Streit kommt erst zum Erliegen, als wiederum ein Passant vorbei kommt, den sie sofort mit vereinter Kraft anbetteln. (Duett: „Justinien, ce monstre“ / Justinian, das Ungeheuer). Der Vorhang fällt und lässt die Frage offen, wie es mit den beiden „blinden“ Streithähnen weiter geht.



    Musikalische Charakterisierung:


    Durch die beengten Verhältnisse und die Auflagen der Zensur war Offenbach gezwungen, in Besetzung und Instrumentierung mit geringsten Mitteln zu arbeiten. Dies hielt er auch in seinen fünf musikalischen Nummern durch, die im wesentlichen mit drei melodischen Einfällen auskommen, die es allerdings in sich haben und trotz minimaler Mittel schon bester Offenbach sind. Dominiert wird das kleine Werk von dem Boléro „La lune brille“, der auch das kurze Vorspiel und das abschließende Duett beherrscht.


    Natürlich kommt es für einen Erfolg des Stückes vor allem auf die Qualität der beiden Darsteller und ihrer komischen Interaktion an, von der eine Plattenaufnahme naturgemäß kaum einen Eindruck vermitteln kann. Im Gegensatz zu späteren Operetten Offenbachs ist der Humor des Stückes zeitlos und kann problemlos mit nur minimalen Anpassungen bis heute überall und auch von talentierten Amateuren mit guten Erfolgsaussichten aufgeführt werden.