Rossinifestival in Pesaro

  • Zum zweiten Mal in meinem Leben zog es mich ins Mekka aller Rossinifans, nämlich nach Pesaro, wo man die Gelegenheit hat, auch die ausgefalleneren Werke Rossinis kennen zu lernen, die auf den Spielplänen der renommierten Opernhäuser so gut wie nie oder nur selten auftauchen.
    Mein erster Opernbesuch galt "Otello". Juan Diego Florez sang den Rodrigo, und da Florez natürlich ein ausverkauftes Haus garantiert, auch wenn es sich um ein seeeehr großes Haus handelt, durfte diese Produktion nicht im hübschen, intimen Teatro Rossini über die Bühne gehen, sondern in der Adriatic Arena, einem Sportstadion außerhalb von Pesaro, das mich architektonisch an ein gestrandetes und in der Mitte geborstenes UFO erinnerte. (Vielleicht beschwor aber auch nur die öde Umgebung diese Assoziation herauf...) Rossini jedenfalls stellt man sich in einem anderen Ambiente vor, aber genug dieser Vorurteile!
    Mich befiel ja zunächst die Panik, dass womöglich wirklich das gesamte Stadion bespielt wird, was sich gottlob als Irrtum herausstellte. Bühne und Zuschauerraum nahmen nur einen kleinen Teil ein und waren auch nach oben hin zumindest im vorderen Bereich abgeschirmt, sodass die Akustik eigentlich sehr gut war.
    Für die Inszenierung zeichnete Giancarlo del Monaco verantwortlich, der mir ja erst vor wenigen Wochen in Zürich die opulente "Francesca da Rimini" beschert hatte, wo das alte, schon überholt geglaubte Ausstattungstheater besonders im 1. Akt eine fröhlich-kitschige Auferstehung feierte. Hatte ich also für den Otello ein ebenso kitschiges Postkartenvenedig erwartet/befürchtet, so sah ich mich zunächst angenehm enttäuscht: Ein trapezförmiger Raum bildet die Bühne, die Wände bedeckt im unteren Drittel ein Meeresprospekt, darüber spannt sich im gleichen Blauton der Himmel mit dahinziehenden Wolken. Eine liebliche Szenerie, für dieses Stück ein wenig zu lieblich. Meine Freunde und ich waren uns jedenfalls hinterher einig, dass man sowohl Wolken als auch das Meer der jeweiligen Stimmung hätte anpassen müssen, damit dieses Bild Sinn macht. Die Idee an sich fand ich nicht schlecht, denn ihr wisst schon: Ich liebe leere Bühnen! :] Sowohl in der Rückwand als auch auf den Seiten befinden sich je drei Türen, die schon während der Ouvertüre ein munteres Eigenleben entwickeln. Zunächst öffnen sie sich abwechselnd, aus jeder tritt ein Jago-Klon heraus und verharrt in einer bestimmten Pose, bevor er wieder verschwindet. Merke: Die Intrige lauert überall! (Wo ist Austrias Holzhammersmiley?? :wacky: ) Dann treten die Türen im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Rahmen, oder eigentlich doch nicht, denn sie treten mit den Rahmen aus den Türöffnungen, wandern über die Bühne, formieren sich zu Reihen, wenden sich einander zu und scheinen beinahe miteinander zu kommunizieren. Sinn macht das ganze nur hin und wieder, so z.B. im letzten Akt, wenn die Türen einen Halbkreis bilden und somit einen intimeren Rahmen für Desdemonas Schlafzimmer schaffen. Bis auf diese Türen ist die Bühne nämlich absolut leer, und so ist es nur folgerichtig, dass eine von ihnen umgestürzt wird und eine Art Sarkophag bildet, in welchem Otello - mangels Bett und Bettvorhang, wie es das Libretto verlangt - die Leiche Desdemonas verbirgt. Eine plausible Lösung, in den übrigen Bildern allerdings erschließt sich mir die Sinnhaftigkeit dieser wandernden Türen nur teilweise, wirkt manchmal sogar albern und sorgt für unfreiwilige Heiterkeit, wenn z.B. Jago Rodrigo begrüßt, dieser aber noch allen Blicken verborgen hinter seiner Türe steht. Manchmal schienen sich die Sänger auch nicht ganz sicher zu sein, durch welche Türe sie jetzt eigentlich auf- bzw. abtreten müssen, sodass Florez einmal zwischen zwei Türen hindurch entschwand.
    Del Monaco scheint mit der Choreographie seines Türen-Balletts derart beschäftigt gewesen zu sein, dass er für die Personenregie offensichtlich keine Energie mehr erübrigen konnte, denn die Sänger wirkten sehr auf sich alleine gestellt und retteten sich nur allzu oft in typische Opernposen. Von einer psychologischen Durchdringung der Figuren, einem sorgfältig herausgearbeiteten Beziehungsgeflecht merkte man jedenfalls nichts. Man trat auf, sang ein wenig miteinander und trat wieder ab - und ergab sich daraus trotzdem der eine oder andere spannende Moment, so verdankte man das einzig und alleine den Sängern und ganz bestimmt nicht der Regie.
    Noch weniger als mit den Sängern vermochte del Monaco offensichtlich mit dem Chor anzufangen, denn er "verstaute" ihn mehr oder weniger in zwei riesigen "Schachteln", die je nach Bedarf links und rechts über den ominösen Türen aus der Wand gefahren kamen. Die Damen und Herren des Chores standen darin in Reih und Glied, angetan mit roten Plüschkostümen, die auch den Kopf und Teile des Gesichts maskenhaft umschlossen, was ihnen ein krampusartiges Aussehen verlieh. Irgendwie ins Geschehen eingebunden waren in sie in keiner Phase der Aufführung. Die Bühne gehörte also ganz alleine den Hauptakteuren.
    Womit wir bei dem wären, was für mich bekanntlich der wichtigste Aspekt einer Opernaufführung ist, nämlich den Sängern!! :] Im Unterschied zu del Monacos Regie waren sie allesamt festspielwürdig. Die Krone gebührt natürlich Juan Diego Florez, der mit seiner Arie "Che ascolto!" das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss und seine Partie mit einer technischen Brillianz und Sicherheit meisterte, die schon beinahe unheimlich ist. Für ihn scheint es wirklich keine Probleme zu geben, alles wirkt so selbstverständlich, so ohne jede Anstrengung, als wäre Singen die einfachste Sache der Welt. Mit der langen Lockenperücke, die man ihm verpasst hatte, und seinem im Moment sehr schmalen Gesicht wirkte er irgendwie androgyn. Florez einziger Schwachpunkt war wieder einmal sein Spiel, und da vom Regisseur offensichtlich nicht viel kam, beschränkte er sich über weite Strecken darauf, zum Niederknien schön zu singen und "dramatisch zu blicken", was ja nicht gerade wenig ist, aber trotzdem..... So richtig aus sich heraus ging er eigentlich nur in seiner großen Szene mit Desdemona, da ließ er sich offensichtlich von Olga Peretyatko mitreißen.
    Diese Sängerin begegnete mir in Pesaro zum ersten Mal, aber ihren Namen werde ich mir sicher merken, denn neben Florez begeisterte sie mich am meisten. Eine wunderschöne, warme, sicher geführte Stimme, und ihre Canzone del Salice im 3. Akt zählte zu den musikalischen Höhepunkten dieser Aufführung. Dazu spielte Peretyatko auch mit Abstand am besten von allen und vermochte wirklich zu rühren und zu berühren.
    Eigentlich kann einem jeder Tenor Leid tun, der neben Florez auf der Bühne stehen muss, denn dass er ihn nicht toppen kann, spürt wohl jeder. Im konkreten Fall hießen die Bedauernswerten Ferdinand von Bothmer (Otello) und Jose Manuel Zapata (Jago), der von Chris Merritt übernommen hatte, der bei der PR wohl ziemlich eingegangen sein muss. Bothmers Stimme gefiel mir eigentlich sehr gut, er zeigte aber deutlich Nerven, ließ etliche Spitzentöne sausen (so schon im 1. Bild) und baute gegen Ende doch etwas ab. Aber er stellte zumindest optisch einen überzeugenden Otello dar, wirkte sehr männliche und bildete damit einen interessanten Gegenpol zu der "fragilen Engelsgestalt" von Florez. (Ich setze das in Gänsefüßchen, weil's irgendwie albern klingt, aber für mich hatte er an diesem Abend optisch etwas von einem Erzengel an sich.) Als "Entschuldigung" für Bothmers kann man vielleicht anführen, dass er nur diese einzige Vorstellung singt und sich vielleicht nicht so sicher fühlte.
    Zapata als Jago fand ich OK, aber meine Freunde, die wesentlich mehr von Stimmen verstehen als ich, bescheinigten ihm eine tolle Leistung, sodass ich also hier meine "Bauchstimme" neben der Expertenmeinung stehen lassen will.
    Mirco Palazzi sang den Elmiro, solide und unauffällig.


    Der Schwachpunkt dieser Auführung war leider das Orchester des Teatro Comunale di Bologna, das den nötigen Schwung für Rossini vermissen ließ, sich technische Fehler leistete und von Maestro Renato Palumbo offensichtlich nicht wirklich inspiriert wurde.
    Von meinem 2. Rossini, "Il Turco in Italia" im Teatro Rossini, berichte ich demnächst! :)
    lg Severina :hello:
    PS: Inhaltsangabe vom Rossini-Otello habe ich schon vor längerer Zeit in den Opernführer gestellt, fals es jemanden interessiert!

  • Hallo Michael,


    um das "Mekka" eines Fans - gleich welcher Musikrichtung - zu sein, muss ein Festival nicht das Budget von Salzburg oder Bayreuth haben. Zu Pesaro kann ich nur sagen: "klein aber fein". Ich lese seit Jahren Berichte über dieses Festaval und bedauere nur, noch niemals dort gewesen zu sein.


    Grüße


    Emotione

  • Lieber Michael,
    vielleicht verstehen wir ja unter Mekka etwas Verschiedenes, aber zeige mir bitte einen Ort, wo du Rossini-Raritäten in derartiger Qualität (vom Orchester rede ich jetzt einmal nicht..... :( ) geboten bekommst. Oder kennst du ein Opernhaus, das "La Scala die Seta", "La gazza ladra", "Il Turco in Italia" (OK, München :] ), "Matilde di Shabran", "Le Comte Ory", "Otello",, "La Donna del Lago" und, und, und auf dem Spielplan hat??? Wenn ja, dann sag es mir bitte, denn dann nehme ich mir dort ein Abo!
    Wenn Pesaro wirklich so niedrig dotiert ist, finde ich es umso bemerkenswerter, was dort geleistet wird. (Und besser, man spart am Orchester als an den Sängern! ;) )
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina, bist du noch in Italien??? Danke für diesen Bericht aus Pesaro. Wir haben hier einen anderen rossiniliebenden User, Gioachino, der auch jahrelang schon dahin pilgert und mir bereits begeistert Bericht erstattete- eines Tages fahre ich auch dahin oder wir machen ein Tamino-Meeting in Pesaro :yes:
    Aus dem Othelo kenne ich bisher nur die wunderschöne Arie von der Salice. Da Rossini weltbeste Tenöre braucht, bekommt man seine unbekannteren Opern kaum zu sehen, was sehr schade ist.
    Mich hat letztes Jahr in Paris "La pietra del Paragone" begeistert und in der kommenden Saison haben wir dieItalienerin in Algier hier in Lille. In Wien konnte ich den Barbiere mit Elina Garanca und Leo Nucci erleben, ein Hochgenuss, obschon der arme Tenor ausgebuht wurde. Hast Du diese Produktion zufällig gesehen? Es spielte in einem Haus mit Etagen, eigentlich recht konventionell gemacht, aber nett. Vor 1 1/2 Jahren, leider war ich noch nicht bei Tamino, sonst hätte ich Deine Gesellschaft und anschliessende Diskussionsrunde aufs Hôchste angestrebt. :hello:


    Also berichte hier unbedingt weiter live aus Pesaro-wo bekommt man das schon geboten :jubel:


    Fairy Queen :angel:


  • Freut mich sehr dies zu hören Emotione, ich denke genauso.
    Micha


    PS: Pesaro liegt verkehrsmäßig recht günstig an der s.g. "Adriatica" also der Schnellbahn und Autobahn Bologna - Bari, ist also relativ gut zu erreichen.

  • Vor zwei Jahren stand diese Oper auf dem Programm der Festspiele in Pesaro. Der Regisseur Guido de Monticelli hat das Werk mit leichter Hand im Stil einer Boulevard-Komödie inszeniert, mit ausschließlich italienischen Sängern, die diesen Musikstil perfekt beherrschen - auf tieferen Sinn und Bedeutungsschwere wurde bewußt verzichtet. Der Dirigent Antonello Allemandi hat das richtige Händchen für Rossinis Musik. Die Kritik war besonders angetan von der Sängerin der Fiorilla:


    Zitat

    Herausragend ist an dieser Aufnahme allerdings die Primadonna: Mit der "Turco"-Produktion katapultierte sich die erst 22-jährige Alessandra Maragianni auf Anhieb in die Rossini-Spitzenklasse. Maragianni produziert nicht nur makellose Koloraturen, sondern erfüllt sie auch mit jenem Sex-Appeal, um den sich das ganze Stück letztlich dreht – die Launenhaftigkeit Fiorillas rutscht bei ihr nie ins Zickenhafte ab, sondern besitzt Witz, Charme und eine hinreißende Unbekümmertheit, der man einfach alles verzeiht.


    Jörg Königsdorf, 03.07.2009 in "Rondo"


    Die ital. Plattenfirma Dynamic SRL hat das ganze auf DVD herausgebracht. Bei uns wird sie von Naxos vertrieben, leider zu völlig überhöhtem Preis:



    Gioacchino Rossini (1792-1868 )
    Il Turco In Italia

    Marco Vinco, Alessandra Marianelli, Andrea Concetti, Filippo Adami,
    Haydn Orchestra Bolzano & Trento,
    Antonello Allemandi
    Laufzeit: 165 Min.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)