Nikolai Kapustin und seine Jazz-Kompositionen


  • Nikolai Kapustin wurde 1937 in der Ukraine geboren, studierte am Moskauer Konservatorium bei Alexander Goldenweiser Klavier und war in seiner Studentenzeit in einer Combo als Pianist tätig. Später machte er unter anderem Erfahrungen in einer Bigband, bevor er sich bevorzugt der Komposition widmete.


    Er begann bereits in den sechziger Jahren zu schreiben; neben Solowerken und Konzerten für andere Instrumente sind es vor allem rund sechs Klavierkonzerte, zehn Klaviersonaten und etliche Suiten und Einzelstücke für dieses Instrument, die bis heute vorliegen - über hundert Opuszahlen.


    Im Wesentlichen zwei CDs sind zur Zeit greifbar, daneben ist zumindest eine Platte mit Einspielungen des Komponisten selbst zu einem nicht mehr günstig zu nennenden Preis auf dem Amazon-Marktplatz erhältlich.


    Zwei erfolgreiche jüngere Pianisten der Gegenwart haben - ohne Überschneidungen - repräsentative Werke bei Hyperion eingespielt, Marc André Hamelin im Jahre 2003, Steven Osborne bereits 1999.



    Betrachtet man die Titel der durchwegs in den Achtigern und Neunzigern des vorigen Jahrhunderts entstandenen Kompositionen, so verweisen diese auf die altmeisterliche Tradition, in der sich Kapustin bewusst ansiedelt: neben vier der zehn Sonaten eine Sonatine, Variationen, Etüden, eine Bagatelle, Präludien, eine Suite im alten Stil. Gelegentlich wird explizit "im Jazzstil" hinzugefügt. In der Tat besteht die Pointe dieser einfallsreichen und höchst virtuosen Musik darin, dass es reiner Klavierjazz ist - meines Erachtens origineller als etwa die Eigenkompositionen eines Friedrich Gulda -, der dennoch unverkennbar und kunstvoll in alte Formen gegossen wird. So mag ein Sonatensatz strukturell an Haydn erinnern oder man erkennt in der Suite im alten Stil Tanzformen wie die Allemande oder die Gigue auch tatsächlich wieder, und auf der anderen Seite meint man, die Improvisationen eines Chick Corea oder Art Tatum, Keith Jarrett oder Oscar Peterson - auf den Kapustin sich auch explizit am stärksten beruft - zu hören.


    Kapustins Klaviernummern sind auskomponierte Musik, die wie improvisiert klingen soll - und klingt. Hamelin und Osborne sind kongeniale Interpreten dieser originellen Kreationen, auf die ich schon vor wenigen Jahren durch die Empfehlungen des Kritikers Attila Csampai im Programm Bavern 4 aufmerksam geworden bin. Angeschafft habe ich mir die CDs aber erst kürzlich; die Platte, auf der Kapustin selbst spielt, ist mir zu teuer. Beide Einspielungen sprechen mich sehr an; noch bin ich mir nicht wirklich schlüssig, ob man das Jazzfeeling des jungen Engländers von dem des unwesentlich älteren und berühmteren Kanadiers unterscheiden kann. Da beide Veröffentlichungen vom selben Label stammen, erscheint auch die weiche, eher dezente als besonders kraftvolle Klangqualität recht ähnlich.


    Aber vielleicht habe ich mit diesen einführenden Bemerkungen auch das Diskussionsinteresse derer geweckt, die bereits Hörerfahrungen mit den beiden CDs haben - oder sogar mit anderer Musik Kapustins.


    :)


    Beste Grüße, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo Wolfgang,
    diese Musik liebe ich :jubel:
    Als Jarrett Fan musste ich früher oder später zu Kapustin kommen.


    Die genannten Aufnahmen besitze ich desweiteren auch 4 Cds
    mit Kapustin am Flügel


    24 Preludien op82
    ohne Bild


    Mich begeistert die Musik ein ums andere mal,
    das klingt manchmal echt wie improvisiert.
    Aber wirklich gekonnt gemacht.
    Beim ersten Hören im Radio dachte ich an einen Amerikaner, McCoy Tyner oder so.
    Um so überraschter war ich als der Name Kapustin viel, noch mehr Überraschung nachdem ich erfuhr woher der Mann kam.


    Gruß
    embe

  • Hallo, embe!


    Kommt man Deines Wissens noch an Einspielungen des Komponisten heran - also in vertretbarem organisatorischen und finanziellen Rahmen? Schließlich möchte ich noch ein paar hundert andere Sachen kaufen :D ... (auch manche, für die Du in unseren Foren schon Reklame gemacht hast ... ;)) ...


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo Wolfgang,
    die CDs hab ich schon ein paar Jährchen....
    keine Ahnung wo man die jetzt günstig her bekommt
    außer man hat heiße bzw. brennbare Beziehungen :D


    Schätze aber früher oder später tauchen die Scheiben wieder zu normalen Preisen
    auf dem Markt auf (Melodya, Brilliant).


    Gruß
    embe

  • Hallo zusammen,


    auch ich bin als Jarrett-Fan zu Kapustin gelangt - allerdings bei 17 Jahren Verzögerung eher später! ;)
    Die oben genannte Hamelin-Aufnahme höre ich sehr gerne. Die Sonatine aus dem Jahr 2000 ist übrigens dass aktuellste Stück "Klassik", welches ich auf CD besitze.
    Auch die Osborne-CD steht schon länger auf meiner Wunschliste.


    Bei meiner Suche nach weiteren Kapustin-Aufnahmen bin ich noch über folgende CD "gestolpert":
    Nikolai Petrov, Klavier
    Schulhoff:Klaviersonate Nr. 3 + Prokofieff:Klaviersonate Nr. 6 + Strawinsky:Klaviersonate + Kapustin:Klaviersonate Nr. 2


    Darauf von Kapustin enthalten also "nur" die Klaviersonate Nr. 2. Aber die sonstige Programmauswahl klingt für mich auch sehr reizvoll (einzig mit Prokofieffs 6. bin ich reichlich versorgt).
    Kennt vielleicht jemand diese CD und kann was dazu sagen, wie die Kapustin-Sonate dort gespielt ist?


    Viele Grüße
    Frank

    From harmony, from heavenly harmony
    this universal frame began.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo, Frank!


    Diese CD würde ich mir dann wegen Prokofieffs Sechster zulegen, denn da bini ich keineswegs überversorgt, sondern besitze nur die etwas lahme Einspielung mit Murray McLachlan bei Brilliant. (OK, natürlich könnte Petrow auch lahm sein ...)


    Schönen Gruß :)


    Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo,


    Mir gefällt kapustins Musik! Eine herrlich verspielte, pianistisch ergiebige, rhytmische Musik! Als ich 1999 Ostborn mit Kapustins 2. Sonate hörte hat er mich mit seinem feurigen Spiel umgehauen. Im Konzert riskierte Ostborn noch mehr als als auf seiner schön zusammengestellten CD mit Musik von Kapustin!


    Sehr zu empfehlen Kapustin selber am Flügel:http://www.youtube.com/watch?v=2Xht5tUg3K8 :jubel:


    Gruß
    Niko

  • Tamino ist immer für eine Überraschung gut.
    Durcheinen Zufall stieß ich bei meiner Recherche im Internet auf eine Neuerscheinung von Nikolai Kapustin, einen Namen den ich zugegebenermaßen noch nie gehört hatte. Nach kurzem hineinhören entschloß ich mich, dem Komponisten einen Thread mit dem Titel : "Kapustin - Kunst, Kitsch, Kommerz ? - Klassik oder Jazz ?" zu widmen.


    Jetz sehe ich zu meinem Erstaunen, daß es zu diesem Thema schon einen Thread gibt.l


    So bleibt mit denn nicht mehr zu tun , als Kapustin-Liebhaber auf diese neue Naxos-CD hinzuweisen, welche Interessenten einen preisgünstigen Einstieg ermöglich, und Sammlern zu einer kostengünstigen Erweiterung verhelfen mag.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo, Alfred, hallo, miteinander!


    Danke für den neuen Plattentipp; mal schauen, ob es Überschneidungen gibt.


    Für "Kitsch" und "Kommerz" fehlt Kapustin wohl doch ein größerer Bekanntheitsgrad und sind seine Kompositionen zu originell und eigenständig gearbeitet.


    Ein (verglichen mit mir ausgeprägterer) Jazz-Kenner unter meinen Bekannten war allerdings der Meinung, stilistisch käme Kapustin dennoch ein paar Jahrzehnte zu spät. Das mag sein.


    Dieser Kenner nannte das Jazz-Feeling Kapustins, verglichen mit Osborne, authentischer, seltsamerweise fand ich in irgendeiner Besprechung aber die gegenteilige Ansicht. Selbst scheint mir Kapustin härter, Osborne verspielter zu artikulieren; dies mag auch an den jeweiligen Stücken liegen. Einen wesentlichen Unterschied würde ich nicht feststellen wollen, schon gar nicht in wertender Hinsicht.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo zusammen,


    gerade habe ich gesehen, dass folgende Aufnahme mit Kapustin selbst am Flügel wieder regulär im Handel erhältlich ist.


    Nikolai Kapustin (geb. 1937)
    Klaviersonaten Nr. 4-6 + Andante; 10 Bagatellen
    Künstler: Nikolai Kapustin, Klavier
    Label: Olympia , DDD, 1991


    Viele Grüße
    Frank

    From harmony, from heavenly harmony
    this universal frame began.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Alfred, lieber Frank,


    danke für Eure Tips. Diese beiden Cds waren mit auch noch nicht bekannt.



    Lieber Wolfgang,


    Auch ich finde Kasputin von "Kitsch" und "Kommerz" erfreulich frei. Bei der Situation des Jazz in der SU, der allenfalls geduldet wurde, bestand wohl auch keine Verführung zu "Kommerz".


    Stilistisch finde ich Kapustin so originell, dass sich mir die Frage des "Zu-Spät-Kommens" nicht stellt. Diese Frage finde ich allenfalls bei reinen Epigonen angemessen. Aber ein Art Tatum oder Oscar Peterson bleiben einfach in ihrer Art unübertroffen. Diese beiden Einflüsse aus dem Jazz höre ich bei Kapustin besonders deutlich heraus, aber eben auf sehr eigene Art verarbeitet. Ferner höre ich auch Einflüsse von Erroll Garner, Chick Corea, Keith Jarrett und Paul Bley. Die drei letzteren sind ja dann wirklich auch schon moderner. Dies nur zu den Einflüssen vom Jazz her. Einen Einfluß Prokofievs u.a. gibt es natürlich auch.


    Kapustins eigenes Spiel ist m.E. schon etwas "jazziger". Er hat eben jahrelang auch in Jazz-Bands gespielt. Dennoch werden m.E. auch Osborne und Hamelin sehr gut Kapustins Stücken gerecht.


    :hello: Matthias

  • Ich konnte mich bis jetzt einfach nicht dazu bringen, die Kapustin Aufnahme mit Hamelin zuzulegen. Ich hatte diese Scheibe einmal in einem Musikladen für ca. 20 Minuten probe gehört und es hat bei mir einfach nicht zugesagt. Ich kann mit Kapustin im Moment einfach (noch) nichts anfangen, sorry :no:


    Viele Grüsse
    Pianomania


    PS: und eigentlich höre ich ja hie und da auch gerne Piano Jazz und geniesse auch dessen Improvisationen...

    "Die Welt ward ihm Klavier. In Terzen, Quinten, Oktaven sprang sein Denken, Dur und Moll spannte sein Herz."
    Carl Sternheim

  • Eigentlich habe ich nach einem Thread zu Messiaens Vogelkatalog gesucht und nicht gefunden :huh:. Zu den Vingt Regards gibt es einen (nochmal Überraschung!) Da stieß ich auf den hier, der auch länger wohl nicht mehr besucht wurde.


    Einige Hinweise sind nicht mher lesbar, die mit Kapustin selbst am Klavier nicht mehr bestellbar oder nicht verlinkt. Da mir seine Musik aber ausgesprochen gut gefällt, möchte ich das Ganze ein wenig auffrischen. BTW Der hier zweimal angesprochene Verweis auf Keith Jarrett kann ich nur in Rudimenten nachvollziehen. Jarrett nimmt sich bei seinen Improvisationen unendlich Zeit und entwickelt aus kleinen Keimzellen, das höre ich bei Kapustin nicht, aber wie dem auch sei ...


    Zuerst der Standard. Der britische Pianist Steven Osborne scheint im Westen überhaupt auf diesen eigentümlichen Komponisten aufmerksam gemacht zu haben.



    und Hamelin ist auf den Wagen aufgesprungen (meistens ist es umgekehrt gewesen ;))



    und



    wobei die zweite Scheibe noch einen Vergleich mit den Kompositionen von Weissenberg und Gulda ermöglicht....


    In meinem Besitz befinden sich noch drei weitere Scheiben, die oben noch nicht erwähnt wurden. (Letzter Eintrag 2010)


    Einmal die englische Pianistin Clare Hammond. Sie hat ein schönes Album zu Études herausgegeben, wo von Kapustin die Etüden in verschiedenen Intervallen aus dem Jahr 1992 eingespielt sind.



    Ihr Programm ist sowieso exquisit. Sie spielt Etüden von Ljapunow, Szymanowski und Chin ein!


    Die deutsch-georgische Pianistin Catherine Gordeladze hat schon 2011 ein Album mit den acht Jazz-Etüden und Preludes von Kapustin eingespielt.




    Nikolai Kapustin ist leider im vorletzten Jahr gestorben. Er hat aber noch die koreanische Pianistin Yeol-Eum Son bei ihrem recht neuen Album zu seiner Klaviermusik unterstützen können. Ich mag dieses Album ganz besonders. Son hat den Swing .... :)



  • Diese CD ist von D. Hurwitz zu einer seiner CDs des Jahres (2020) ernannt worden (Keep on listening Award KOLA).

    Habe sie gekauft aber noch nicht konzentriert gehört. Muss ich noch keepen.


    Er hat Jehova gesagt!

  • Diese CD ist von D. Hurwitz zu einer seiner CDs des Jahres (2020) ernannt worden (Keep on listening Award KOLA).

    Habe sie gekauft aber noch nicht konzentriert gehört. Muss ich noch keepen.


    Die ist super-gut (sorry für die pseudo-jugendliche Vokalbel) und auch in meinem Besitz. Ich hatte sie halt nicht erwähnt, weil das hier doch für Soloklaviermusik gedacht ist, oder?


    Hier hatte ich auf das Konzert hingewiesen und die die Einspielung von Dupree "schmissig" genannt. Ob das jetzt weiterhilft :/


    Klavierkonzerte des 20. und 21. Jahrhunderts

  • Banner Trailer Gelbe Rose