Hänsel & Gretel: Sozialdrama oder "nur" romantisches Märchen?

  • "Hänsel und Gretel" hat mich - als Oper wie auch als Märchen - schon im Alter von vier Jahren mehr wegen seiner Horror-Elemente, denn seiner romantischen Waldseeligkeit fasziniert. Und auch heute empfinde ich dieses Stück eher als skurrilen Alptraum - wenn ich Intendant wäre, dann würde ich z. B. versuchen, Tim Burton als Regisseur zu gewinnen. ;)
    Heute noch werden bei mir Urängste geweckt - und ich glaube, als Kind hat mir diese Oper geholfen, so einige Sachen psychisch gesund zu überstehen. Schon die ganze Waldszene ruft in mir ein starkes Gefühl von wirklichem "Verlassensein" hervor - für mich der Horror pur (ähnliche Empfindungen der Einsamkeit habe ich z. B. auch bei "Salome" und "Elektra"). In Gian-Carlo del Monacos Erfurter Inszenierung prangte über dem gesamten 1. Akt das Graffiti "Gott hat uns verlassen". IMO ein sehr richtiger Kommentar zu "Wenn die Not auf´s Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht!" Auch der Philosoph und Musikwissenschaftler Norbert Abels bemerkte hierzu: "So lautet der Beschluss vom Märchen. Im Leben sieht es anders aus..."


    Ich bin so frei und stelle hier mal ein paar Bild-Assoziationen rein, die meine Empfindungen bei dieser Oper recht gut treffen.



    HÄNSEL
    Ach, käm' doch die Mutter nun endlich nach Haus!


    GRETEL
    Ach ja, auch ich halt's kaum noch vor Hunger aus!


    HÄNSEL
    Seit Wochen nichts als trocken Brot;
    ist das ein Elend! Potz schwere Not!


    GRETEL
    Still, Hänsel, denk daran, was Vater sagt,
    wenn Mutter manchmal so verzagt:
    "Wenn die Not aufs höchste steigt,
    Gott der Herr die Hand euch reicht!"


    HÄNSEL
    Jawohl, das klingt recht schön und glatt.
    aber leider wird man davon nicht satt!
    Ach, Gretel, wie lang ist's doch schon her,
    dass wir nichts Gut's geschmauset mehr
    Eierfladen und Butterwecken,
    kaum weiss ich noch, wie die tun schmecken.
    Ach, Gretel, ich wollt'. . .


    ***



    DIE MUTTER
    Wartet, ihr ungezogenen Wichte!
    Nennt ihr das Arbeit, johlen und singen?
    wie auf der Kirmes tanzen und springen?
    Indess die Eltern vom frühen Morgen
    bis in die Nacht sich mühen und sorgen,
    Dass dich!
    Lasst sehn, was habt ihr beschickt?
    Wie, Gretel? den Strumpf nicht fertig gestrickt?
    Und du, du Schlingel, in all' den Stunden
    nicht mal die wenigen Besen gebunden?
    Ihr unnützes Volk, den Stock will ich holen
    und euch den Faulpelz weidlich versohlen!


    (In ihrem Eifer hinter den Kindern her, stösst sie den Milchtopf vom Tisch, so dass
    er klirrend zu Boden fällt.)


    Jesses! nun auch den Topf noch zerbrochen!
    (weinend)
    Was nun zum Abend kochen?


    (Sie besieht sich ihren mit Milch begossenen Rock, Hänsel kichert verstohlen.)


    Was! Bengel, lachst mich noch aus?
    (Mit dem Stock hinter Hänsel her, der zur offenen Türe hinausrennt.)
    Wart, kommt nur der Vater nach Haus!


    Marsch! Fort in den Wald
    Dort sucht mir Erdbeeren! Wird es bald?
    Und bringt ihr den Korb nicht voll bis zum Rand,
    so hau' ich euch, dass ihr fliegt an die Wand!


    ***



    GRETEL, HÄNSEL
    Abends will ich schlafen gehn,
    vierzehn Engel um mich stehn:
    zwei zu meinen Häupten,
    zwei zu meinen Füssen,
    zwei zu meiner Rechten,
    zwei zu meiner Linken,
    zweie, die mich decken,
    zweie, die mich wecken...


    GRETEL
    ...zweie, die mich weisen
    zu Himmels Paradeisen!


    HÄNSEL
    ...zweie, die zum Himmel weisen!


    ***



    HEXE
    Na, Herzchen, zier' dich nicht erst gross!
    Wisst denn, dass euch vor mir nicht graul'.
    Ich bin Rosine Leckermaul,
    höchst menschenfreundlich stets gesinnt,
    unschuldig, wie ein kleines Kind!
    Drum hab' ich die kleinen Kinder so lieb!
    so lieb, so lieb, ach! zum Aufessen lieb!


    ***



    KINDER
    (regungslos, mit geschlossenen Augen, wie zuvor die Kuchenfiguren)
    Erlöst, befreit,
    für alle Zeit!


    ***



    GRETEL
    Geschlossen sind ihre Äugelein;
    sie schlafen und singen doch so fein!


    KINDER
    O rühr mich an, dass ich erwachen kann!


    HÄNSEL
    Rühr du sie doch an, ich trau' mir's nicht!


    GRETEL
    Ja, streicheln wir dies hübsche Gesicht!


    (Sie streichelt das nächste Kind, dieses öffnet die Augen und lächelt.)


    KUCHENKINDER
    O rühr auch mich, auch mich rühr an,
    dass ich die Äuglein öffnen kann!


  • Fleamus, würde ich sagen.


    Du hast Käthe Kollwitz da oben, stimmt's? Genial auf den Punkt gebracht, die Zeichnung.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Der wonnige Laller hat hier eine hochinteressante visuelle Assoziationskette eingestellt, die darauf verweist, dass man die Oper durchaus mit einigem Gewinn in die Großstadt verlegen könnte.


    Gab oder gibt es dergleichen schon, wenn man mal von diversen grässlichen Experimenten absieht, aus dem Stück eine Splatteroper zu machen und die versehentlich mitgebrachten Kinder zu traumatisieren?


    Neugierig auf Euer Feedback


    Rideamus

  • Lieber Rideamus,


    beim Theater Erfurt liefen zwei H & G - Inszenierungen parallel: eine als klassische Kinderoper, und - in der Inszenierung von Giancarlo del Monaco - Hänsel und Gretel "nur für Erwachsene".


    Ich habe die Inszenierung nicht selbst gesehen, mir aber berichten lassen, dass sie ziemlich unter die Haut gegangen sein muss. Meines Wissens hat das Theater aber für diese Inszenierung das "versehentliche Mitbringen" von Kindern ausgeschlossen.


    :hello:
    Elisabeth

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  • Muß man denn auch Hänsel und Gretel unbedingt dem heutigen Regiewahn anpassen?
    Ich habe eine DVD die sicher auch Kinder für die Oper begeistern könnte.Aber auch ich,die sich schon um Jahrzehnte von der Kindheit entfernt hat,liebe diese Aufnahme.
    Dirigent ist Georg Solti - Wr.Philharmoniker
    Hänsel: Brigitte Fassbaender
    Vater :Hermann Prey (großartig)
    Mutter :Helga Dernesch
    Knusperhexe: eine herrliche Sena Jurinac
    Gretel: Edita Gruberova
    Der Regisseur dieses bezaubernden Märchens war August Everding


    Lotosblume

  • Muss man nicht, aber sollte man schon dürfen, wenn man es intelligent und WERKGERECHT macht, was eine Inszenierung als Horrorerlebnis sicher nicht wäre.


    Das entwertet ja nicht traditionelle Inszenierungen, wenn sie gute Einfälle in ein überzeugendes, heutiges Konzept einbringt.


    Die von Dir genannte DVD, die auch mir gut gefällt, wäre ein solches Beispiel, ist aber nur EINE Möglichkeit.

  • Hallo Rideamus


    Ich glaube, Du hast mich missverstanden.

    Zitat

    Der wonnige Laller hat ja in dem Thread hier Horror in der Oper eine hochinteressante visuelle Assoziationskette eingestellt, die darauf verweist, dass man die Oper durchaus mit einigem Gewinn in die Großstadt verlegen könnte.


    Meine Assoziationen im Horror-Thread waren nicht in diesem Sinne gemeint. Ich schrieb ja auch per PN an Dich: "Man muss ja den "Hänsel" szenisch nicht gleich in eine urbane Gegend verlegen, aber ich finde z.B. die Darstellung von tatsächlicher sozialer Armut (die ja im 1.Akt sehr deutlich beschrieben wird), in vielen Darstellungen der Kunst wieder, so z.B. in den Zeichnungen von Kollwitz. Und darin ist es IMO auch eben viel "werkgerechter", als zwei pummelige Sängerinnen in Mieder und Lederhose... ;)"


    ***


    Die Erfurter Inszenierung habe ich gesehen und muss sagen, daß sie mich persönlich sehr tief bewegt hat. Man muss aber auch Erklären, daß es dem Theater Erfurt in erster Linie um ein Projekt gegen sexuellen Missbrauch an Kindern ging. Es wurde zur gleichen Zeit eine ganz traditionelle Aufführung nach den Szenenbildern der Uraufführung gezeigt. Die Inszenierung von del Monaco war erst ab 16 Jahren (mit Ausweiskontrolle) freigegeben. Im Foyer gab es dazu begleitende Ausstellungen und Stände vom Weissen Ring, Kinderschutzbund, Pro Familia, UNICEF etc.
    Der 1. Akt zeigte Kinder, die im Müll leben, sich davon ernähren, eine Mutter, die sich prostituiert, um sich ihren nächsten Schuss zu finanzieren etc.
    Im 2. Akt betteln die Kinder vergeblich in einer Bahnhofshalle, während nebendran das Sex-Kino gut besucht wird. Im 3. Akt dann entpuppt sich ein gewöhnliches Reihenhaus mit Gartenzwergen und Weihnachtsdeko im Vorgarten als eine Art Dutroux-Keller, in dem Kinder gefangen gehalten und missbraucht werden, während im Fernseher die Tagesschau läuft. Hierbei nahm die "Hexe" verschiedene Gestalten an, u.a. auch als Priester.
    Zum Finale "Erlöst! Befreit!" legten alle Sänger ihre Rollen ab, während auf einem Prospekt die tatsächlichen Zahlen von weltweitem Kindesmissbrauch, Kinderarmut, Kinderarbeit etc. gezeigt wurden.
    Auch wurde darum gebeten, nach der Vorstellung nicht zu applaudieren, da es hier nicht um eine normale Aufführung handeln würde.


    Szenisch gab es m. E. nach schon auch viele schwächen, daß Projekt an sich fand ich aber herausragend. Endlich mal wieder Theater, daß wirklich versucht, etwas zu bewegen, auf Missverhältnisse in unserer Gesellschaft hinzuweisen - auch und gerade da, wo es besonders schmerzt und das ganze, indem es sein Publikum aufklärt, Alternativen anbietet und nicht in dem Glauben lässt, hier eine Repertoirevorstellung zu besuchen, um ihnen dann auf die Füße zu treten...

  • Hallo wonniger Laller !
    Muß man um so ein Thema aufzuarbeiten unbedingt die Märchenoper von Humperdinck verwenden ?
    Man könnte doch ein neues Theaterstück schreiben,das sich dieses (leider) aktuellen Themas annimmt.
    Vielleicht sogar eine neue Oper?
    Lotosblume

  • Hallo Lotusblume (ein toller Nick :lips:)


    Nein, man muss dafür natürlich nicht Humperdincks Oper verwenden. Aber es ist eine Möglichkeit. Ich persönlich fand gerade die Tatsache, daß man ein so populäres Repertoirestück nimmt, welches noch dazu klassischerweise als "Weihnachtsoper", "Familienstück" oder "Kinderoper"gilt, besonders spannend und - ja, auch besonders schmerzhaft. Denn gerade dann wird einem natürlich die Diskrepanz bewusst, daß die Welt nicht immer so zuckersüß ist, wie wir Privelegierten das normalerweise im Advent in der Oper genießen. Wobei das natürlich vollkommen berechtigt ist, nicht das man mich da falsch versteht.
    Ausserdem ist diese Inszenierung erstaunlich nah an Musik und Libretto gebelieben. Und gerade hier wurde einem ja durch eben diese zwei grundverschiedenen Inszenierungen zur selben Zeit deutlich, wie groß diese Diskrepanz zwischen Märchen und Realität ist - bzw. auch: wie gering...
    Wichtig finde ich aber wirklich dabei, daß das Theater Erfurt sein Publikum hier eben nicht hat blind in einen Publikums-Schocker laufen lassen.

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  • Hallo Clemens,


    im Thread "Deutsche Oper am Rhein" hast Du Dein Missfallen über die dortigen Engel bekundet. Wie würdest Du das denn machen?


    LG,


    Christoph

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    Hallo Rideamus


    Ich glaube, Du hast mich missverstanden.


    Meine Assoziationen im Horror-Thread waren nicht in diesem Sinne gemeint. Ich schrieb ja auch per PN an Dich: "Man muss ja den "Hänsel" szenisch nicht gleich in eine urbane Gegend verlegen, aber ich finde z.B. die Darstellung von tatsächlicher sozialer Armut (die ja im 1.Akt sehr deutlich beschrieben wird), in vielen Darstellungen der Kunst wieder, so z.B. in den Zeichnungen von Kollwitz. Und darin ist es IMO auch eben viel "werkgerechter", als zwei pummelige Sängerinnen in Mieder und Lederhose... ;)"


    Hallo Clemens,


    diesmal hatte ich Dich nicht missverstanden, mich aber wohl missverständlich ausgedrückt. Ich wollte nicht suggerieren, dass Du für eine Verlegung der Oper in die Großstadt plädierst, sondern ausdrücken, dass Deine Bilderkette bei mir das Interesse an der Möglichkeit für eine Verlegung der Geschichte in die urbane Gegenwart geweckt hat, die ja wahrlich nicht frei ist von Armut, Verlassenheit und gefährlichen Verlockungen. Mit der Erläuterung der Erfurter Inszenierung hast Du das ja auch aufgegriffen.


    @ Lotosblume


    Mir widerstrebt die willkürliche Malträtierung präzise georteter Opern durch profilsüchtige Regisseure nicht weniger als Dir, aber ich halte es für legitim, an ein Werk die Frage zu stellen, ob, und wenn, wie die "Aussage" des Dramas für unsere Gegenwart relevant(er) gemacht werden kann. Da sehe ich HÄNSEL UND GRETEL nicht als sakrosankter an als andere Werke wie etwa den RING oder, am jüngsten Beispiel, Berlioz' BENVENUTO CELLINI. Das aber ist kein Freibrief, sondern ganz im Gegenteil eine zusätzliche Verpflichtung dem Libretto und vor allem der Partitur gegenüber.


    Während des überzogen lärmenden Streites um Neuenfels' Berliner IDOMENEO hat Barenboim in einem Interview sich geweigert, die Schlussszene mit den berüchtigten Köpfen zu kommentieren, weil er sie nicht kennt, aber (ersichtlich skeptisch) eingeräumt, damit gut leben zu können, wenn er eine Möglichkeit sähe, das in der Partitur wieder zu finden.


    Ich denke, es gibt in der Partitur von HÄNSEL UND GRETEL Hinweise zuhauf, dass es Humperdinck bzw. den Erfindern des ursprünglichen Märchens tatsächlich um die Schilderung bitterster Armut und ihrer Konsequenzen ging. Dass diese über die Jahrhunderte in zeitkonformer Weise romantisiert und überzuckert wurde, ist aus Sicht der damaligen Zeiten nachvollziehbar. Ebenso legitim wäre es aber heute, wenn jemand diesen Kern der Geschichte wieder ernst nehmen und, z. B. durch eine Verlegung in eine auch für Kinder erkennbare Umwelt zur Geltung bringen würde. Natürlich ist es dann eine schwere Aufgabe, viele Details vom Abendsegen mit seinen Engeln bis zum Hexenhaus ebenfalls überzeugend zu aktualisieren. Katharina Thalbach hat das in Leipzuig versucht und leider nur in Ansätzen, die durch einige verunglückte Ausrutscher nivelliert wurden, erreicht.


    Notabene: es geht mir hier nicht um eine Fortführung der Diskussion um das sogenannte Regietheater in einem anderen Thread, sondern um genau die Frage, die Du aufwirfst, wobei ich nur ein Wort auswechseln möchte:


    Nicht "muss" oder darf, sondern: Kann man ... die Märchenoper von Humperdinck verwenden ?


    Damit wir Opernliebhaber uns nicht eines Tages nur noch in ein paar tönenden, also tönernen Museen wiederfinden, halte ich es nicht nur für legitim, sondern für unabdingbar, alle Werke der Vergangenheit darauf abzuklopfen, was sie uns heute noch außer Schönklang und prachtvoller Optik zu bieten haben, und je populärer ein älteres Werk ist, um so wichtiger finde ich das. HÄNSEL UND GRETEL ist zum Glück und verdientermaßen ein ungebrochen populäres Stück. Deshalb drängt es sich nachgerade auf, in der mit Süßigkeiten lockenden Hexe mindestens den Nukleus eines Kinderschänders zu entdecken, der für unsere Zeit erheblich relevanter ist als es die verrufenen Hexen jemals waren. Das heißt natürlich nicht, dass daraus zwangsläufig Splattereffekte resultieren müssen. Im Gegenteil: Partitur und Text überlassen nicht von ungefähr die Ausmalung der Details der Fantasie des Publikums.


    Leider gelten Qualitäten wie Geschmack, Anstand und angemessene (!) Texttreue nur zu häufig als vermeintlicher Bestandteil überholter Traditionen und werden gleich mit dem tatsächlichen Plunder entsorgt, wenn ein Werk auf den Prüfstand aktueller Relevanz gestellt wird. Das aber ist ein ganz anderes Thema.


    :hello: Rideamus


  • Wie ich das machen würde? Du meinst, wenn ich Konwitschny oder so heißen würde? :D


    Wie ich "nur" die Traumpantomime, so aus dem Kontext genommen, gestalten würde, finde ich schwer zu sagen, denn sie sollte ja Teil einer möglichst kohärenten Inszenierung sein.


    Aber ich versuche es mal:
    Die Traumpantomime ist IMO das Zentrum der Oper. Sie steht vom zeitlichen Ablauf ziemlich genau in der Mitte und bildet auch musikalisch den Höhepunkt eines Bogens, der sich von den ersten Klängen der Ouvertüre (Abendsegen), über den Schluss des 2.Bildes bis zum Finale ("Wenn die Not aufs Höchste steigt") spannt. Auch dramaturgisch ist die Traum-Szene ein wichtiger (Wende-) Punkt, (es ist ja auch eigentlich der einzige Moment in der Oper, an dem der dramatische Ablauf, die Handlung wirklich innehält) denn die Kinder haben sich beim Erwachen am nächsten Tag verändert, sind ein Stückchen reifer geworden; sie können a) ihre Situation reflektieren und b) in den Angstsituationen reagieren, d .h. sie stehen ihren Ängsten nicht mehr so hilflos gegenüber wie zuvor - sie sind also selbständiger geworden. Im 1. und 2. Bild wird in Situationen der Not, bzw. der Angst und Hilflosigkeit als Problemlösung noch nach den Eltern verlangt ("Ach, käm doch die Mutter nun endlich nach Haus" / "Ich fürcht' mich, ich fürcht' ich, o wär ich zu Haus!" / "Vater! Mutter!"), im 3. Bild, nach der Traumpantomime also, ist - obwohl den Kindern hier mit der Hexe die weitaus größte Gefahr in der Oper begegnet - von den Eltern keine Rede mehr, man stellt sich seinen Ängsten selber und überwindet sie also aus eigener Kraft. Für mich beschreibt H&G also auch einen Vorgang von Adoleszenz bzw. eine Initiation.
    Szenisch würde ich versuchen, in der Traumpantomime diesen Prozess auch zu zeigen, etwa durch die Erweiterung des Bühnenraumes (der "Wald" wäre bei mir wahrscheinlich auch eher eng), oder das Verlassen desselben. Toll fände ich etwa einen Traum vom Fliegen zu zeigen, ich glaube, den kennt doch fast jeder Mensch. Genauso gut könnte ich mir etwas auch evtl. groteskes, surreales vorstellen (Magritte oder Max Ernst lassen grüßen) - was für mich auch nicht unbedingt den Verzicht auf Poesie bedeutet. Oder auch einen bildhaften Abschied von der Kindheit. Engel im herkömmlichen Sinne gäbe es da wahrscheinlich nicht. Das wären bei mir wenn eher die selben Kinder, die dann auch im Finale erlöst werden. Da sprechen mich immer die Bilder von Gottfried Helnwein an. Da bietet die Musik ja viele Möglichkeiten... Beim schreiben merke ich allerdings: Wie das jetzt im Detail aussehen würde, kann ich Dir wirklich nicht geanu sagen.
    In Düsseldorf sahen die Engel aus, wie eine Mischung aus Sekte und arischen Idealmenschen, in Köln zuletzt wie eine Skatergruppe auf der CSD-Parade, in Nürnberg kamen 14 Teddys aus einem riesigen Kühlschrank :kotz: , in Bonn waren es Plastiksträucher mit Lichterketten geführt von einem Fliegenpilz :hahahaha: und Thalbach hat es in Dresden mit den 7 Zwergen und dem bösen Wolf auf ner Rutschbahn auch verhunzt. = So auf alle Fälle nicht! Alles grober Ungfug, um nicht zu sagen: Durchfall. Dann ist mir die Lesart eines del Monaco in Erfurt noch wesentlich lieber.
    Was mich aber am meisten stört: die (Titel-) Figuren werden so gut wie nie ersnt genommen. Das fängt schon bei diesem vielgelobten Everding-Unwerk an: da werden zwei Sängerinnen mit Sommersprossen versehen und müssen auf einer Wippe (!) und in in einem künstlichen Apfelbaum im Studiogarten allerhand "Trallala"-Albernheiten veranstalten. Das wird IMO 1.) dem Werk überhaupt nicht gerecht, noch das es 2.) auch nur ansatzweise einer angemessenen Darstellung von Kindern gerecht werden würde. Warum fällt es den meisten Regisseuren bei diesem Stück denn immer so schwer zwischen "kindisch" und "kindlich" zu unterscheiden. Und - zack! - hat man zwei Erwachsene auf der Bühne, die auf schrulligste Weise Kinder imitieren. Und das in einer Art und Weise, als hätten sich alle Kinder mit UHU das Gehirn wegeschnüffelt. Sowas macht mich wütend! :motz:


    Worum es mir in der Traumpantomime geht, finde ich in folgendem Text von Urs Jaeggi treffend formuliert:


    "Durchquerungen:
    `Sei Vernünftig! Pass auf!´
    jedes kind kennt diese gutgemeinten zurechtweisungsparolen, diese anleitung zum klugen verhalten, zum zweckmäßigen, damit erreichbar wird, was erreicht werden soll. (...)
    sei vernünftig! in diesem ersten sinn, mit dem wir alle indoktriniert wurden, ist das vernünftige naturgemäß auch immer, wenngleich nicht ausschließlich, reglementierung, domestizierung. vernünftig ist, wer´s recht macht. wer recht bekommt. und das bedeutet: nicht anecken. nicht zu weit weglaufen. nicht zu wagemutig sein. sich innerhalb der grenzen bewegen. die einzäunung zu akzeptieren. (...)
    `gute jugend glaubt, daß sie flügel habe... bereits ein junger mensch, der etwas in sich stecken fühlt, weiß, was das bedeutet, das dämmernde erwartete, die stimme von morgen. er fühlt sich zu etwas berufen, daß in ihm umgeht, in seiner eigenen frische sich bewegt und das bisher gewordene, die welt des erwachsenen überholt´(Bloch).
    das heraussehnen aus dem gefängnis des äußeren, muffig gewordenen oder muffig erscheinenden zwangs, aber auch der eigenen unreife: das ausbrechen und hineinwachsen. das unfertige und herumsuchende subjekt wittert morgenluft, noch wenn die äußeren bedingungen miserabel sind.
    gute jugend glaubt, daß sie flügel habe... wäre so der vernünftige ideal-erwachsene, der abgeklärte, der mit dem herumirren und herumschwirren aufgehört hat, der sich zwar nicht zur ruhe setzt, aber seine möglichkeiten kennt, seine grenzen - und der kontrolliert seine kreise zieht. der vernünftige erwachsene als gegenbild. er hat sich angepaßt, paßt andere an, routiniert, ergeben oder zufrieden, wenn auch nicht gefeit."


  • Zitat

    Original von Rideamus
    Ich denke, es gibt in der Partitur von HÄNSEL UND GRETEL Hinweise zuhauf, dass es Humperdinck bzw. den Erfindern des ursprünglichen Märchens tatsächlich um die Schilderung bitterster Armut und ihrer Konsequenzen ging.


    Lieber Rideamus,


    da muss ich mich mal einklinken: In keinem, wirklich keinem von Humperdincks Briefen wird diese Thema in den Vordergrund gestellt. Im Gegenteil, den Komponisten sprach gerade die Romantik des Sujets an, die er, nein eher: Herrmann Wette mit einigen zeitkritischen Anhängseln à la Hauptmann's "Weber" versah. Letztendlich ist es aber so und da gibt's nichts zu deuteln, dass Humperdinck mit Hänsel endlich einen Stoff gefunden hatte, wo er seine romantischen Naturempfindungen adäquat umsetzen und sich aus seiner persönlichen Schaffenskrise herauskatapultieren konnte. Ich kann ihm dazu nur applaudieren: Meines Erachtens übertrumpft er selbst Wagners Waldweben.


    Aber ich frage mich, was läuft heute schief, dass man meint, diese Tonwelt nicht mehr mit der entsprechenden Bilderwelt verknüpfen zu können?


    Wenn's darauf hinausläuft, dass Regisseure, wie die Thalbach sogar das Textbuch modernisieren und z.B. die Lebkuchen zu Marshmellows umdichten, da sind wir doch nun wirklich weit über die Willkürgrenze hinaus. Und bei aller Liebe und dem guten Vorsatz eines Herrn del Monaco: Seine Erfurter Inszenierung hat mich sowas von unangenehm berührt! Den Hänsel - wie oben beschrieben - umzudeuten, dass wird diesem Thema in keinster Weise gerecht.


    Zitat

    Original von Rideamus
    Dass diese über die Jahrhunderte in zeitkonformer Weise romantisiert und überzuckert wurde, ist aus Sicht der damaligen Zeiten nachvollziehbar.


    Auf welche Aufführungen beziehst Du Dich? Ist bitte nicht als Angriff sondern wirklich als Frage zu verstehen.


    LG,


    Christoph




    Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    Szenisch würde ich versuchen, in der Traumpantomime diesen Prozess auch zu zeigen, etwa durch die Erweiterung des Bühnenraumes (der "Wald" wäre bei mir wahrscheinlich auch eher eng), oder das Verlassen desselben. Toll fände ich etwa einen Traum vom Fliegen zu zeigen, ich glaube, den kennt doch fast jeder Mensch. Genauso gut könnte ich mir etwas auch evtl. groteskes, surreales vorstellen (Magritte oder Max Ernst lassen grüßen) - was für mich auch nicht unbedingt den Verzicht auf Poesie bedeutet. Oder auch einen bildhaften Abschied von der Kindheit. Engel im herkömmlichen Sinne gäbe es da wahrscheinlich nicht. Das wären bei mir wenn eher die selben Kinder, die dann auch im Finale erlöst werden.


    Lieber Clemens,


    hmmm, mir käme da das Schutzelement zu kurz. Das Geborgen sein von höheren Mächten ist für Humperdinck stets ein sehr zentrales Thema gewesen.


    P.S.: Ich erinnere mich gut, wie ich das erste Mal die Everding-verfilmung sah. War extra in die frühere Christmette gegangen und bekam Erlaubnis schon früher in das versperrte Weihnachtszimmer zu gehen um TV zu sehen. Habe mir allerdings selbst versprochen, nicht zum Tannenbaum, zur Krippe oder zu den Geschenken zu linsen. :] Ich war damals arg enttäuscht von diesem Film. Das war mir alles viel zu viel Studio und viel zu wenig Wald! Der absolute Tiefpunkt war für mich allerdings der Tautropfen mit dem reinprojizierten Mund als Taumännchen. Auch erinnere ich mich an eine ZDF-Verfilmung mit Kindern, ganz bunt im 70er Jahre Look, auch wenig ansprechend. Aber bei beiden Filmen muss ich wie schon im Düsseldorf-Thread sagen - dass mir sowas immer noch lieber ist als z.B. die Thalbach'sche Verunglimpfung oder die Gussmannsche Homoki-Optik. EIn Rezensent hat es anlässlich der Berliner-Inszenierung mal mutig auf den Punkt gebracht: "Wozu diese Neuinszenierung, wo wir doch eine so schöne von Sanjust hatten?" Und man solle ihm jetzt bloß nicht mit geänderten Sichtweisen kommen...


    LG,


    Christoph

  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    Lieber Rideamus,


    da muss ich mich mal einklinken: In keinem, wirklich keinem von Humperdincks Briefen wird diese Thema in den Vordergrund gestellt. Im Gegenteil, den Komponisten sprach gerade die Romantik des Sujets an, die er, nein eher: Herrmann Wette mit einigen zeitkritischen Anhängseln à la Hauptmann's "Weber" versah. Letztendlich ist es aber so und da gibt's nichts zu deuteln, dass Humperdinck mit Hänsel endlich einen Stoff gefunden hatte, wo er seine romantischen Naturempfindungen adäquat umsetzen und sich aus seiner persönlichen Schaffenskrise herauskatapultieren konnte. Ich kann ihm dazu nur applaudieren: Meines Erachtens übertrumpft er selbst Wagners Waldweben.


    Lieber Christoph,


    während ich vorhin meine Antwort schrieb, hörte ich mir die Solti-Aufnahme der Oper an. Dann fing plötzlich mein PC an zu spinnen, und die fast fertige Antwort war verschwunden. Deshalb habe ich inzwischen die ganze Oper gehört. Infolgedessen nehme ich das falsch erinnerte "zuhauf" meines obigen Textes in aller Form zurück, bleibe allerdings bei meiner Frage (und etwas anderes sollte mein Text nicht sein) nach der Legitimität einer Verlegung der Oper in eine zeitnähere, urbane Welt. Nun die Wiederaufnahme meines ursprünglichen Textes, der sich ins Nirvana begab:


    Ich bin weitgehend mit Dir einverstanden. Nur sehe ich da keinen Widerspruch. Es braucht keine beweisende Korrespondenz um zu hören, dass es Humperdinck vor allem um das "romantische" Naturbild und die entsprechende Illustration der Märchenwelt ging. Dennoch behaupte ich, dass
    sowohl das ursprüngliche Märchen als auch Humperdincks Oper ohne das Fundament der krassen Armut, auf dem alles aufbaut, sinnlos wären. Diese sollte, nein muss heute anders dargestellt werden als durch Sängerinnen in ärmlichen Kleidern und malerische Düftigkeit der Kulisse. Entsprechend erschienen mir die "fröhlichen" Lieder der beiden Kinder immer ein wenig wie das Pfeifen im Dunkeln (besonders deutlich bei "Griesgram hinaus". Auch würde die Rolle der Mutter der Hexe an Grausamkeit kaum nachstehen, wenn nicht in Musik und Text deutlich würde, wie sehr die Armut sie verbittert hat (manche Inszenierungen sehen das wohl sogar so). Ich kann und will aber hier keine detaillierte Partiturexegese betreiben, zumal meine Schulung dafür kaum ausreicht. Deshalb gestehe ich Dir blanko zu, dass eine realistische Abbildung der Armut im Sinne von Gerhard Hauptmann oder Kähe Kollwitz von Humperdinck so wenig angestrebt wurde wie in seinen Quellen. Dennoch erscheint es mir legitim, sie für heutige Zuchauer jeden Alters nachvollziehbar zu machen.


    Zitat

    Aber ich frage mich, was läuft heute schief, dass man meint, diese Tonwelt nicht mehr mit der entsprechenden Bilderwelt verknüpfen zu können?


    Wenn's darauf hinausläuft, dass Regisseure, wie die Thalbach sogar das Textbuch modernisieren und z.B. die Lebkuchen zu Marshmellows umdichten, da sind wir doch nun wirklich weit über die Willkürgrenze hinaus. Und bei aller Liebe und dem guten Vorsatz eines Herrn del Monaco: Seine Erfurter Inszenierung hat mich sowas von unangenehm berührt! Den Hänsel - wie oben beschrieben - umzudeuten, dass wird diesem Thema in keinster Weise gerecht.


    Habe ich nicht deutlich genug gemacht, dass ich die - achtbaren und legitimen - Inszenierungskonzepte von Herrn Del Monaco und Frau Thalbach für gescheitert halte? Ersteres kenne ich, wie gesagt, nur vom Hörensagen, weshalb ich das nur ganz pauschal kommentieren kann. Die Inszenierung von Letzterer gefiel mir mit ihren hübschen Schattenrissen ganz gut bis zu dem Augenblick, als die im beliebten DDR-Rot erscheinende Pinup-Hexe das Kommando übernahm. Auch mir deucht es als wenig intelligenter Versuch, partout originell zu sein, wenn man Lebkuchen durch Marshmallows ersetzt, solange Lebkuchen nicht ausgestorben sind, und die Demaskierung der Hexe scheint mir eher eine der Regisseurin zu sein.


    Mein Ansatz aber war ein ganz anderer, den ich auch bewusst nicht in einen Vorschlag, sondern in die (etwas erweiterte) Frage verpackt habe, ob eine Verlegung mindestens des Anfangs der Oper in unsere urbane Welt von Buch und Partitur getragen werden könnte. Auch ich bin keineswegs davon überzeugt, ob sich der Wald so mir nichts, dir nichts, durch einen Häuserwald und die Hese durch einen Kinderschänder ersetzen ließe, aber fragen sollte man schon noch dürfen. Märchen gelten ja, ob zu Recht oder Unrecht, als zeitlos, und das darf man schon mal überprüfen.


    Aufgabe einer guten Inszenierung kann es ja nicht nur sein, ein Werk hübch und angemessen zu bebldern, sondern auch zwischen dessen Zeilen zu lesen und die/eine besondere Relevanz des Werkes für unsere Zeit zutage zu fördern. Dass das kein Freibrief für profilsüchtige Regisseure ist, habe ich bereits ausdrücklich gesagt.


    Zitat

    Original von Knusperhexe


    Auf welche Aufführungen beziehst Du Dich? Ist bitte nicht als Angriff sondern wirklich als Frage zu verstehen.
    Christoph


    Keine Angst. Ich fühle ich mich selten persönlich angegriffen, wenn das nicht aus dem Text eindeutig hervor geht, denn dabei lese ich höchst ungern zwischen den Zeilen.


    Zu der Frage: ich habe da weniger an bestimmte Inszenierungen gedacht, obwohl mir die bereits angesprochene, verfilmte Inszenierung Everdings oder die von mir häufiger gesehene Frankfurter Inszenierung (ich glaube, von Filippo Sanjust) wahrscheinlich vor Augen standen. Zu diesen sei ausdrücklich gesagt, dass sie m. E. eine fast ideale Lesart sind um Kinder an die(se) Oper heran zu führen, und auch als Erwachsener haben sie mir sehr gefallen. Sie sinbd aber nur eine Lesart, und zwar in dieser Art auf höchstem Niveau. Mein Interesse geht aber dahin, wie man das Werk aus seinem Ghetto der Weihnachtsoper für Kindervorstellungen heraus holen kann.


    Eigentliich gemeint war aber die notorische Verklärung der Armut - über Jahrhunderte und nicht nur die letzten Jahrzehnte hinweg - zu einem fast bizarr malerischen Sonderfall, die ja schon in den Märchen einsetzt. Denen konnte man immerhin noch zugute halten, dass deren ursprüngliches Zielpublikum automatisch wusste, was sie bedeutete und ein ureigenes Bedürfnis empfand, sie in ihem Unterhaltungsangebot zu beschönigen.


    Humperdincks Oper schreibt diese Tradition nicht nur fort, sondern extremisiert diese euphemistische Betrachtungsweise noch. Mehr als hundert Jahre nach Voltaire war aber (beispielsweise) die naive "Frömmigkeit" des Werkes wohl schon für wache Zeitgenossen Humperdincks nur in ihrem märchenhaften Kontext zu ertragen. Heute aber grenzt deren ironiefreie, präraffaelitische Darstellung in nicht wenigen traditionellen Inszenierungen wie den angesprochenen nicht nur an Kitsch, sondern ist es nicht weniger, nur versierter vorgetragen, als das inbrünstige Geträllere des Abendsegens beispielsweise durch meine Schwiegermutter.


    Womit absolut nichts gegen die melodische Kraft Humperdincks und die hervorragende Qualität seiner musikalischen Entwicklungsarbeit gesagt sein soll, die ich mindestens in Teilen sehr bewundere und nicht einfach als Wagnerismus abtue.


    Aber das führt jetzt wohl etwas vom Thema weg, das ich vor allem in der Frage sehe, wie legitim eine Aktualisierung der Oper ist, und wie eine solche überzeugend durchgeführt werden könnte.


    :hello: Rideamus

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  • Ich glaube auch nicht, daß es Humperdinck / Wette in erster Linie um die Darstellung von sozialen Problemen oder bitterster Armut ging (die Briefe und Schriften kenne ich auch). Aber was die Autoren wollten und was im Text steht sind da auch zwei Paar Schuhe. Und letzteres interessiert mich bei einer Inszenierung weitaus mehr. Denn die Intentionen der Autoren und was sie dann (manchmal auch unbewusst) letzlich erschaffen ist ja nicht automatisch dasselbe. Und Fakt ist - "und da gibt's nichts zu deuteln" ;) - das im 1. Akt das Motiv der Armut ständig wörtlich erwähnt wird. Fakt ist auch, daß sich aus eben dieser Armut weitere soziale Probleme ergeben: die Kinder sind auch ein wirtschaftlicher Faktor, sie sind als Arbeitskräfte für das Überleben der Familie notwendig. Das sie sich Raum zum Spielen nehmen wird dann auch bitter bestraft. Und ich glaube, die Mutter tut das nicht zum ersten Mal. Es heisst ja immer, die Figur der Mutter sei in der Oper im Vergleich zum Märchen entschärft, mich berührt aber diese Mutter, die einfach aus Verzweiflung und Not nicht anders handeln kann, weitaus mehr, als der Stereotyp der "bösen Stiefmutter" (die ja auch nicht aus purer Bosheit so handelt - sondern aus Eigennutz, aus dem verständlichen Wunsch heraus, überleben zu wollen, welche im Märchen ja auch aus der Armut entsteht). Die Opern-Mutter ist IMO einfach mehr "wirklicher Mensch".
    Und der Vater kommt ja auch nicht zum ersten Mal betrunken nach Hause und Muttern scheint hier auch schon öfters die "Konsequenzen" gespürt zu haben. Die Frage "essen oder nicht essen?" oder besser: "fressen oder gefressen werden?" ist so elementar, daß hierauf die Kinder physisch und psychisch verdrängt werden. Und das sind für mich Fakten die das Libretto liefert. Und diese sind mehr als

    Zitat

    einige zeitkritische Anhängsel à la Hauptmann's "Weber"


    sei das von den Autoren nun beabsichtigt oder nicht.


    Auch musikalisch geht es ja in diesem 1. Bild nicht sonderlich märchenhaft zu. Nach der Ouvertüre (in der ja nicht ein Motiv des 1. Bildes aufgegriffen wird - abgesehen vom "Abendsegen" der lediglich von Gretel in der 1. Szene zitiert wird) ist das Orchester erstmal merklich reduziert. Dann dieser krasse Umbruch beim Auftritt der Mutter - da ist hörbar Schluss mit Lustig! Das ist harte Realität die hier das Kinderspiel zerschlägt und kein Märchenton, ebenso "nackt" wird dann die Verzweiflung der Mutter geschildert. Die Elternszene ist humoristisch-derb, aber auch nicht märchenhaft oder idyllisch.


    Überhaupt ist die musikalisch-charakteristische Unterschiedlichkeit der drei Akte ein Merkmal von Humperdincks kompositorischer Qualität. Bei den "Königskindern" verhält es sich ganz ähnlich - nur eben vom Ablauf fast umgekehrt.

    Nochmal zu dem Zitat von Gretel auf die Melodie des Abendsegen:


    GRETEL
    Still, Hänsel, denk daran, was Vater sagt,
    wenn Mutter manchmal so verzagt:
    "Wenn die Not aufs höchste steigt,
    Gott der Herr die Hand euch reicht!"


    Klingt, wie Hänsel bemerkt, "recht schön und glatt", wird aber sofort als wertlose, hohle Phrase entlarvt. Dramaturgisch großartig ist, daß dann exakt dieses Motiv von den Kindern zum Abendsegen gesungen wird, damit also überhaupt erst einen inhaltlich greifbaren Erfahrungswert bekommt. Symbolisch stehen Engel ja häufig für "innere Kräfte".
    Diesen Erfahrungswert - und damit eine Entwicklung - scheinen die Eltern eben nicht zu erleben. So tritt der Vater am Ende wieder mit seinem altbekannten unveränderten Motiv (wie eine Figur aus "Peter und der Wolf") auf und macht einen auf "Und-die-Moral-von-der-Geschicht":


    Merkt des Himmels Strafgericht:
    Böse Werke dauern nicht.
    Wenn die Not aufs höchste steigt,
    Gott der Herr sich gnädig zu uns neigt!


    Als hätten wir es hier mit einer Fabel zu tun, die eine, noch dazu recht platte, Nutzanwendung erfordert... :no: Und da regt sich in mir dann doch manchmal das Bedürfnis, sich bei einer Inszenierung einem solchen Ende schlicht und einfach zu verweigern... :baeh01:

  • P.S.


    Vielleicht könnte ein Moderator ja doch diese Diskussion in einen eigenen Thread verlegen. Ich finde das Thema doch immer reizvoller und wert, es weiterzuführen - nur hat das mit dem eigentlichen Titel nicht mehr viel zu tun. Ausserdem verdient ein solches Werk eigentlich auch einen namentlich eigenen Thread, wo man dann z. B. auch die reichlich vorhandenen Aufnahmen (und auch Aufführungen) besprechen könnte.



    Wunschgemäß, mit Rideamus' Unterstützung, erledigt.


    Gruß, Thomas

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    Als hätten wir es hier mit einer Fabel zu tun, die eine, noch dazu recht platte, Nutzanwendung erfordert... :no: Und da regt sich in mir dann doch manchmal das Bedürfnis, sich bei einer Inszenierung einem solchen Ende schlicht und einfach zu verweigern... :baeh01:



    Also, das empfinde ich dann aber schon als frech, wenn Du Dich verweigerst ;)


    @Rideamus: Hoffe, Dein PC tut's wieder. Mir haben Deine Ausführungen sehr gefallen. Ich möchte nur noch mal betonen, dass ich mit meiner Frage, was da heute schief laufen würde hinsichtlich der Kluft zwischen Musik und Regie, gar nicht Dich gemeint habe. Aber Deine Antwort hat mich dann doch sehr nachdenklich gestimmt. Ich habe die Engelszene nie als Kitsch empfunden. Liegt's jetzt daran, dass ich religiös empfinde - für mich stand es nie zur Diskussion, ob Engel existieren. Aber selbst, wenn ich Atheist wäre, würde ich wohl eine Isnzenierung mit Engelstreppe vorziehen, weil sie der Intention von Librettistin und Komponist entspricht. Und noch was zum Kitsch: Letztes Jahr gab's irgendwo eine Inszenierung - weiß schon gar nicht mehr wo das war - da spielte alles unterm überdimensionalen Weihnachtsbaum und die Versatzsstücke segelten von den Tannenzweigen herunter. Das war Kitsch pur und an der Musik so was von vorbei inszeniert: Uah! Und ich habe mich echt gefragt, wenn für manche Besucher die Traumpantomime bereits als Kitsch angesehen wird, was werden die dann zu so was sagen.


    Und zum Thema Armut. Ich denke auch, dass man das keinesfalls unter den Tisch kehren darf. Aber ich möchte auch nicht überinterpretieren und alles zu drastisch sehen. Das märchenhafte überwiegt bei dieser Oper. Für mich wird die Gretel einfach immer ein rotes Dirndl und der Hänsel Lederhosen anhaben - so wie ich's das erste Mal in der kölner Oper gesehenhabe. Das ist ganz fest drin bei mir.


    LG,


    Christoph

  • Mir fällt gerade noch was ein: In Freiburg gab es mal eine stimmige Inszenierung. 1. Akt spielte in einem Hinterhof. Malerisch in keinster Weise. Das einsetzende Märchen war dann der Traum des besoffenen Besenbinders. So wurde aus der Müllkippe eine heimelige Waldlichtung und die Engel war der Tross an Schulkindern, der den Besenbinder nach hause geleitet hat. Und dass die Kinder den Weg nach hAuse nicht gefunden haben lag an der Gretel, weil die in dusseliger Weise dem Wegweiser ihr Capulet umgehangen und ihn verstellt hat beim Singen von "Ein Männlein steht im Walde" . Alles sehr witzig und wie gesagt stimmig, ABER:
    Die Märchenstimmung ging bei dieser Inszenierung den Bach runter. Deshalb ist mir jede noch so abgetakelte traditionelle Form einfach lieber.


    Ach so, noch was: @Clemens. Im Salzburger Marionettentheater waren die Engel - genau wie Du es vorgeschlagen hast - die Seelen der Lebkuchenkinder. Hat mir nicht so gefallen. Sie wirkten zu irdisch.


    LG,
    Christoph

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  • Zitat

    Für mich wird die Gretel einfach immer ein rotes Dirndl und der Hänsel Lederhosen anhaben - so wie ich's das erste Mal in der kölner Oper gesehenhabe. Das ist ganz fest drin bei mir.


    Sorry, aber wo Du immer so großen Wert drauf legst, daß es so gemacht wird, wie es von den Autoren vorgegeben ist - da muß ich jetzt einfach den Korinthenkacker spielen... :P
    Denn Deine Vorstellung der Kostüme von H&G weicht da von denen der Autoren ziemlich ab. Da war del Monaco in diesem Punkt ja "werktreuer" als Du... :baeh01:

  • Habe ich mal gerade aus'm Internet gezogen:


    Märchen (mittelhochdeutsch Maere = „Kunde, Bericht“) gehören zur Literaturgattung der Epik. Es handelt sich um kürzere Erzählungen, die von fabelhaften und wunderbaren Begebenheiten berichten, die allesamt frei erfunden sind und keinerlei wirkliche Begebenheiten als Grundlage haben. Sie finden sich zu allen Zeiten und bei allen Völkern dieser Welt. In Deutschland prägten insbesondere die Brüder Grimm den Begriff.


    Bei Humperdinck kommt noch mehr als eine Prise Romantik hinzu. Und in der Mischung, da kommt für mich die Stimmung rüber, die ich als märchenhaft verstehe.



    Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller


    Sorry, aber wo Du immer so großen Wert drauf legst, daß es so gemacht wird, wie es von den Autoren vorgegeben ist - da muß ich jetzt einfach den Korinthenkacker spielen... :P
    Denn Deine Vorstellung der Kostüme von H&G weicht da von denen der Autoren ziemlich ab. Da war del Monaco in diesem Punkt ja "werktreuer" als Du... :baeh01:



    ??? Im Libretto gibt es keinerlei Hinweis auf die Kostüme. Da steht lediglich: Kleine, dürftige Stube.
    Natürlich hätten Dirndl und Lederhose Flicken und Löcher. Übrigens muss ich mich korrigieren: Die Gretel trägt kein Dirndl sondern die typisch rheinische Kleidung von 1800. So steht's zwar nicht im Libretto, aber in einem Brief Adelheids, die H &G im Rheinland ansiedelt, s. auch musikalische Zitate des Fähnleinschwingens, der Kirmes und anderes.


    Mal grundsätzlich: Am Wochenende habe ich mir mal ein paar alte Hollywoodschinken reingezogen. Teilweise veraltet und in ihrem Pathos heute nicht immer direkt nachvollziehbar, aber wenn man sich drauf einlässt, sehr reizvoll und beglückend. Jetzt frage ich, müssen die jetzt auch modernisiert werden, weil's nicht mehr zeitgemäß ist? Denk nicht, dass da snicht ginge: Disney synchronisiert seine Klassiker im europäischen Raum immer mal wieder um - merkwürdigerweise nicht im Ursprungsland - und passt sie der modernen Sprache an. :kotz: Und bei der Oper? Macht man es sich nicht einfach zu leicht, wenn man mit Brachialgewalt Opern zwangsmodernisiert? Sollte man dem Publikum nicht genau wie bei alten Filmen, Gelegenheit bieten, sich auf die alte Zeit einzulassen?

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    @Rideamus: Hoffe, Dein PC tut's wieder.


    Ich fürchte, er ist gerade bei diesem Thema verhext, denn die ganze Zeit ging es, aber jetzt muss ich schon wieder neu ansetzen, weil meine Antwort auf Grund irgend eines falschen Tastendrucks verschwunden ist und statt dessen meine Tastatur reagiert, als waere sie eine englische. Ich bitte also Druckfehler etc. zu entschuldigen.


    (hat jemand eine Ahnung, wie das kommen kann?(?(?(?(


    Zitat


    Ich habe die Engelszene nie als Kitsch empfunden. Liegt's jetzt daran, dass ich religiös empfinde - für mich stand es nie zur Diskussion, ob Engel existieren. Aber selbst, wenn ich Atheist wäre, würde ich wohl eine Inszenierung mit Engelstreppe vorziehen, weil sie der Intention von Librettistin und Komponist entspricht. Und noch was zum Kitsch: Letztes Jahr gab's irgendwo eine Inszenierung - weiß schon gar nicht mehr wo das war - da spielte alles unterm überdimensionalen Weihnachtsbaum und die Versatzsstücke segelten von den Tannenzweigen herunter. Das war Kitsch pur und an der Musik so was von vorbei inszeniert: Uah! Und ich habe mich echt gefragt, wenn für manche Besucher die Traumpantomime bereits als Kitsch angesehen wird, was werden die dann zu so was sagen.


    Wir sind, glaube ich, näher beieinander als Du denkst. Die Diskussion um Kitsch in der Kunst (und Kunst im Kitsch) ist so alt wie der Begriff des Kitsches und viel zu komplex um hier abgehandelt zu werden (gibt es eigentlich einen Thread um Kitsch in der Musik?). Getreu einer mir einleuchtenden Definition aus meiner Schulzeit ist Kitsch (in meinen Worten) die Versetzung eines idealisierten Objekts in einen Zusammenhang, in den es nicht gehört. Etwa das Porzellanreh als Lampenständer oder der berüchtigte röhrende Hirsch über der Wohnzimmercouch. Man kann das ironisch überziehen und so goutierbar machen, aber Kitsch bleibt es dennoch.


    Da ich Glaubensüberzeugungen welcher Art auch immer hoch achte, solange ich sie nicht teilen muss, habe ich notorisch Probleme mit ihrer Darstellung in UNSERER Zeit. Natürlich wären wir um viel Großes ärmer, hätten bildende Künstler nicht über Jahrtausende versucht, ihren Glaubensüberzeugungen bildhaft Ausdruck zu geben. Unsere Zeit ist ärmer geworden, weil ihr die Fähigkeit zum Schlichten (was nicht mit Naivität und Dummheit gleichzusetzen ist) so weitgehend verloren gegangen ist. Dessen ungeachtet müssen wir uns aber in unserer Zeit ausdrücken, und die Projektion von Bildern aus einer anderen Zeit in die heutige ist als meist idealisierende besonders kitschgefährdet.


    Das heißt nicht, dass man das nicht machen kann. Mir würde die Inszenierung des Abendsegens von Filippo Sanjust mit seinen präraffaelitischen Engeln sicher auch heute noch Spaß machen, denn seine Darstellungen waren so ersichtlich durch den Kopf geleitet und durch wohlwollende Ironie gefiltert, dass man verstand, wo er sich zwischen Interpretation und Restauration positionierte. Dagegen scheint mir die von Dir geschilderte Tannenbauminszenierung von dem leider zu oft zu erkennenden Zwang zur Originalität dominiert, der fast immer in einen Kitsch eigener Art ausartet. Das von Dir nachgereichte Beispiel überzeugt mich da schon eher. Die besondere Schwierigkeit bei der Inszenierung dieser Oper ist es ja, die Erwartungen nicht zu enttäuschen, die mit ihrer schlicht-kindlichen (deswegen aber nicht kindischen) Froemmigkeit verbunden werden ohne sich ihr selbst unkritisch anheim zu geben.


    Zitat


    Und zum Thema Armut. Ich denke auch, dass man das keinesfalls unter den Tisch kehren darf. Aber ich möchte auch nicht überinterpretieren und alles zu drastisch sehen.


    Bekanntlich gibt es inzwischen auch eine große Tradition des Arbeiter- und Armutskitsches, der im sozialistischen Realismus (aber nicht nur da) besonders beliebt war. Der all zu häufige Missbrauch der tief empfundenen Bilder einer Käthe Kollwitz hat es sogar geschafft, mir das Original zu verleiden. Natürlich besteht die erhebliche Gefahr, ins andere Extrem zu kippen und die Oper erst recht kaputt zu machen. Die gar nicht so leichte Kunst der Inszenierung ist eben die Gestaltung des Spagats zwischen Original und Interpretation im heutigen Licht. Gerade weil ich nicht sicher bin, ob die Versetzung der Oper ins urbane Milieu moeglich sein KANN, habe ich den (für mich spannenden) Gedanken als Frage formuliert, ob das schon mal versucht und glücklich gelöst wurde.


    Zitat


    Das märchenhafte überwiegt bei dieser Oper. Für mich wird die Gretel einfach immer ein rotes Dirndl und der Hänsel Lederhosen anhaben - so wie ich's das erste Mal in der kölner Oper gesehen habe. Das ist ganz fest drin bei mir.


    Festgefügten Erwartungen kann man vollkommen nur durch Restauration der ERINNERUNG entsprechen. Dagegen ist jeder Regisseur machtlos, denn selbst die komplette Kopie des Alten wird der Erinnerung nicht entsprechen, wie jeder weiss, der nach langer Zeit einen Film oder eine verfilmte Insyenierung wieder sieht, von dem byw.der er einmal restlos begeistert war. Ich halte es deshalb nicht nur für legitim, sondern für unabdingbar, dass jede/r Regisseur/in seine eigenen Fragen an das Werk stellt und sie für sich so beantwortet, dass sie dem Publikum einleuchtet und womöglich auch gefällt. Was dabei heraus kommt, kann jeder nur im Einzelfall und für sich beantworten. Der Rest sind Glaubensfragen.


    :hello: Ridamus

  • Hallo rideamus,


    das waren sehr präzise und bereichernde Auführungen. Herzlichen Dank! Ich schicke Deinem PC viele positive vibes, damit er sich wieder enthext. ;) Zum Kitsch haben wir mal in einem Puccini-Thread einiges zusammengetragen. Das war sehr interessant.


    Ich glaube, mein Problem mit den heutigen Inszenierungen ist, dass ich einfach noch von ganz anderen Werten ausgehe und an meinen kleinen Inseln, die mal ein Riesenreich waren und jetzt infaltionär landunter melden :(, verbissen festhalte.


    LG,


    Christoph

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  • So! Nun ist diese Diskussion vom "Knusperhexen"-Thread abgetrennt. Danke an Norbert :hello:


    Da ich für diesen Thread nun auch als Autor gelte, möchte ich nur darauf hinweisen, daß der Titel nicht von mir ist. Nur nicht, daß es später wieder heißt: der Laller behauptet, "Hänsel & Gretel" wäre ein Sozialdrama... :P

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    So! Nun ist diese Diskussion vom "Knusperhexen"-Thread abgetrennt. Danke an Norbert :hello:


    Da ich für diesen Thread nun auch als Autor gelte, möchte ich nur darauf hinweisen, daß der Titel nicht von mir ist. Nur nicht, daß es später wieder heißt: der Laller behauptet, "Hänsel & Gretel" wäre ein Sozialdrama... :P


    Der Dank für die Abtrennung gebührt Thomas :jubel: und die "Beschimpfung" für den Titel :motz: mir, denn die Idee dazu habe ich ein paar Mails weiter oben in die Welt gesetzt.


    Aber ich habe keinerlei Probleme damit, dass Du dem in der Tat von Dir angeregten Thread auch einen autorisierten Titel gibst. Ich bin sicher, dass eine PN an Salisburgensis genügt. :D


    :hello: Rideamus

  • Na dann: Sorry, Thomas - und danke! =) Ich hatte bezüglich der Abtrennung nur PN-Kontakt mit Norbert und dachte daher, der Dank gebührt ihm.


    Und den Titel habe ich doch gar nicht beschimpft :no: Ich habe nur darauf hingewiesen, daß er nicht von mir ist... :angel:

  • Also, für mich ist es keine Frage von "entweder" und "oder". Es kommt auf die Gewichtung an. Das ist ja gerade das Schöne an den ganz großen Opermeisterwerken, dass sie so facettenreich sind. Clemens, es gibt eine sehr, sehr gelungene deutsche Verfilmung des Märchens aus dem letzten Jahr. Hast Du die gesehen?

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Die Diskussion um Kitsch in der Kunst (und Kunst im Kitsch) ist so alt wie der Begriff des Kitsches und viel zu komplex um hier abgehandelt zu werden (gibt es eigentlich einen Thread um Kitsch in der Musik?).


    Lieber Rideamus,


    unter den Stein haben wir versuchsweise mal bei Puccini geschaut.


    Zitat

    Getreu einer mir einleuchtenden Definition aus meiner Schulzeit ist Kitsch (in meinen Worten) die Versetzung eines idealisierten Objekts in einen Zusammenhang, in den es nicht gehört. Etwa das Porzellanreh als Lampenständer oder der berüchtigte röhrende Hirsch über der Wohnzimmercouch. Man kann das ironisch überziehen und so goutierbar machen, aber Kitsch bleibt es dennoch.



    Folgt man Adorno/Dahlhaus wäre ein günstiger Ansatzpunkt Tschaikowsky. In der ästhetischen Diskussion wird als entscheidendes Kriterium der Begriff der Wahrheit bzw. der Unwahrheit gebraucht. Ludwig Giesz (Phänomenologie des Kitsches, München 1971) folgt Broch, der den Kitsch beim kunsterlebenden Menschen ansiedelt:


    "Ich spreche eigentlich nicht über Kunst, sondern über eine bestimmte Lebenshaltung. Denn Kitsch könnte weder entstehen noch bestehen, wenn es nicht den Kitsch-Menschen gäbe, der den Kitsch liebt, ihn als Kunstproduzent erzeugen will und als Kunstkonsument bereit ist, ihn zu kaufen und sogar gut zu bezahlen: Kunst ist [...] immer Abbild des jeweiligen Menschen, und wenn der Mensch Lüge ist [...] so fällt der Vorwurf auf den Menschen zurück, der solch Lügen- und Verschönerungsspiegel braucht, um sich darin zu erkennen und mit gewissermaßen ehrlichem Vergnügen sich zu seinen Lügen zu bekennen." (Broch: Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches. Vortrag gehalten in Yale Winter 1950/51).


    Giesz geht noch einen Schritt weiter, wenn er darauf hinweist: "Denn auch Kunst ist nicht davor gefeit, kitschig genossen zu werden, genauso wie umgekehrt Kitsch (besonders der edle und 'saure') als Kunst angeeignet werden kann." (aaO 22) Kitsch ist also eine latente Möglichkeit auch der Kunst. In dem Zusammenhang zitiert Giesz auch Hanslicks Bemerkung, dass der Dilettant mehr fühle als der Kenner.


    Kurz einmal angewendet auf die "Engelszene". Ähnlich wie bei Gounods Cäcilienmesse hängt für mich sehr viel vom Interpreten ab, wo ich das Ergebnis der Aufführung ansiedele, ein Gran Gefühl zuviel - und es ist bei mir bei der Unwahrhaftigkeit des Kitsches gelandet. Wenn man es aber mit der richtigen künstlerischen Distanz verwirklicht, so ist es ein sehr schönes Kunststück.


    LG Peter

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