Renaissancemusik - nur für eine Minderheit?

  • Liebe Forianer,


    Die Zeiten wandeln sich - und mit ihnen (angeblich) die Geschmäcker.
    Ehrlich gesagt diesen Satz glaube ich selbst nicht.
    Eine Sachertrorte schmeckt heute noch genauso gut wie vor 150 Jahren, ein Brathuhn ebenso gut wie vor 250.....


    Die Liste ließe sich fortsetzen - aber es handelt sich ja um Musik - und keine kulinarischen Genüsse..


    Renaissancewerke können etliche Emotionen ausdrücken, welche durch spätere Musik kauim mehr dargestellt werden können - und wenn - dann nicht in dieser Form.


    Melancholische, oder verträumte Lautenlieder, derbe, rhytmisch pointierte und höfiische Tänze - eigentlich "Gebrauchsmusik", Trauer- und Festmusik, ein ganzes Arsenal von sehr ausdrucksstarken Instrumenten - Herz was wills Du mehr ?


    Und dennoch - es gibt gewisse Vorbehalte unter den Musikliebhabern.


    Kurz die Frage: Warum ist Renaissancemusik im eigentlichen sin des Wortes nicht "populär" ??



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Also ich selber bin gewiß kein Experte, was Renaissance-Musik angeht, aber ich vermute mal, daß das Desinteresse u.a. daran liegt, daß viele Namen der Renaissance-Komponisten schlichtweg unbekannt sind.
    Ich müßte jetzt auch überlegen, um ein paar zu nennen ... :untertauch:
    Vielleicht sollten wir mal die wichtigsten und bekanntesten aufzählen.


    Mir fällt spontan lediglich CRISTÓBAL DE MORALES (1500-1553) ein - da gibt es eine sehr schöne Aufnahme des Requiems für Felipe II. von Spanien.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • P.S.: Ich vergaß natürlich GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA ... :O

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Meine Vermutung geht dahin, dass eben hier musikalische Gattungen im Vordergrund stehen die ohnehin nicht polulär sind: z.B geistliche Musik - die man meiner Meinung nach auch nur mit einem gewissen Maß an Religiösität wirklich schätzen kann.
    Denn die geistliche Musik ist ja nicht nur Musik, sondern vermittelt ja auch "das Wort Gottes"


    Und die höfische "Gebrauchsmusik" die ja bekanntlich keinen guten Ruf besitzt - warum auch immer - ist ja auch nicht gerade beliebt.
    (Und da ist es egal in welcher Epoche man sich bewegt).
    Ich habe bisher keine schlecht gemachte "Gebrauchsmusik" gehört, sondern ganz im Gegenteil, die Erfahrung gemacht, dass hier die wirklichen musikalischen Schätze zu finden sind.



    Die Musik der Renaissance wird so gut wie nie im Radio oder im TV gesendet, es ist ähnlich wie mit der barocken Musik - es fehlt die Bereitschaft etwas zu entdecken.


    Und wie Felipe II schon andeutete es gibt nur ein paar wenige Namen die überhaupt bekannt sind.
    Meist erschöpft sich das in Palestrina - Lassus - de Victoria



    Vielleicht ist diese Epoche auch einfach mit ihren Idealen viel zu fremd für heutige Menschen.


    Die modernen Orchester spielen diese Musik nicht weil es schlichtweg nicht geht - es werden ganz andere Instrumente benötigt (wenn es denn um die wenigen Instrumental Werke geht).
    Es gibt keine wirkliche selbstständige Instrumentalmusik - das war erst im Barock aufgekommen. Alles richtet sich am Gesang aus. Und Vokalmusik scheint ja ebenfalls nicht gerade beliebt zu sein.


    Wenn ich mir z.B. zwei Threads ansehe, so werden wegen den paar Cembalostücken von Rameau endlose Debatten geführt - für die Bühnenmusik die den größten und besten Teil seines Schaffens ausmacht interessieren sich aber kaum jemand - für mich unbegreiflich.




    Mir geht bei der geistlichen Renaissance Musik diese Schönheit im Übermaß und Gleichmäßigkeit irgendwann auf den Nerv, egal wie genial die Werke auch sein mögen.
    10 Minuten genügen mir pro Woche :untertauch:
    Ich tendiere hier auch eher zur höfischen Musik, an der ich viel Freude habe, die Madrigale, die Tänze und die Chansons sind da eher meine Welt.


    :hello:

  • Hallo,
    ich glaube auch, dass es in erster Linie an den Gattungen, die die Renaissancemusik bedient, liegt. Polyphone geistliche a-cappella-Musik, und sei sie noch so schön (ich liebe gerade diese Schönheit im Übermaß!), ist eben kaum mehrheitsfähig. (Allenfalls noch, um verlorengegangener Spiritualität nachzuspüren, aber nicht um der Musik selbst willen, was allerdings auch nicht der Zweck dieser Musik war.) Und generell ist das Ideal dieser Zeit weit von dem entfernt, was einem heutigen Menschen vertraut ist - wohl in jeder Hinsicht.
    Liebe Grüße,
    Martin

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  • Zitat

    Original von der Lullist
    Meine Vermutung geht dahin, dass eben hier musikalische Gattungen im Vordergrund stehen die ohnehin nicht polulär sind: z.B geistliche Musik - die man meiner Meinung nach auch nur mit einem gewissen Maß an Religiösität wirklich schätzen kann.


    Das halte ich für Unsinn (dass man Religiosität dazu braucht).
    Sonst könnte man auch argumentieren, dass die Kunst und Musik des 17. Jahrhunderts wegen radikal anderen Weltbildes für uns ungenießbar ist.
    :no:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Das halte ich für Unsinn (dass man Religiosität dazu braucht).
    Sonst könnte man auch argumentieren, dass die Kunst und Musik des 17. Jahrhunderts wegen radikal anderen Weltbildes für uns auch ungenießbar ist.
    :no:


    Eben. So könnte man eigentlich für praktisch jede Epoche, außer der eigenen argumentieren. Sicher können wir heute auch das Lebensgefühl des "Jazz Age" der 20er, nach dem Schock des (damals noch keiner Nummer bedürfenden) Weltkrieges nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen.
    Es stellt sich dann immer auch die Frage, wie "radikal" anders das Weltbild sein muß, damit solche Einwände ziehen. Nach Lehrbuch war die Renaissance die Epoche, die, jedenfalls verglichen mit dem vorhergehenden Mittelalter, eben nicht die aufs Jenseits orientierte Spiritualität und Kontemplation, sondern den aktiven Menschen in dieser Welt in den Mittelpunkt stellte, natürlich im Rahmen eines nach wie vor christlichen Humanismus.
    Überdies ist es fast schon ein Allgemeinplatz, dass alle die angeblich so spirituellen Epochen auch ganz andere Seiten hatten: Deftige, humorige oder gar zotige Lieder in den Carmina Burana, Rabelais in der Renaissance, madrigali erotici usw. und im Barock setzt sich das ja so ähnlich fort.

    Die hochdifferenzierte, raffinierte und intellektuelle weltliche Musik, die es schon im hohen Mittelalter (Troubadours usw.) seit der Ars Nova aber auf einem Niveau, das der geistlichen häufig ebenbürtig war, gab, als "höfische Gebrauchkunst" zu charakterisieren, ist ebensowenig angemessen wie Messen von Josquin als "liturgische Gebrauchskunst" einzustufen. Aber Schluß mit dem Gerede.
    Ich empfehle eine wunderschöne, sehr kurzweilige (kein Stücke länger als 5 min), aufgrund von Empfehlungen durch BBB, Christian/Cäsar und Salisburgensis (sowie evtl. einiger anderer) erworbene CD: Amarcord: The Book of Madrigals (weiß der Geier, warum der englische Titel, liber madrigalium... ;))



    Und wie schonmal in einem anderen thread, höfische Gebrauchsmusik des 14. und. frühen 15. Jhds. (üblicherweise noch nicht zur Musik der Renaissance gerechnet):



    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Man könnte auch die Frage stellen:
    Warum mögen alle Leute Raffael, niemand aber Josquin ...
    :untertauch:
    (Ich tu es aber nicht, sonst melden sich wieder zahlreiche User und beschweren sich, da sie Raffael auch nicht mögen :P )
    (Oder sie bemerken, dass der Italiener Raffael nicht mit dem Frankoflamen Josquin ...)
    :hahahaha::stumm:

  • Ich hatte dazu geschrieben das es MEINE Meinung ist - und ICH bin der Meinung dass man ein gewisses Maß an Religiösität haben muss um religiöse Kunst und Musik wirklich zu verstehen.
    Ich denke dass das kein Unsinn ist, erst einmal ist es mein persönliches Empfinden und zweitens ist die Reliösität nunmal eine der Quellen für die künstlerische Arbeit.
    Das als Unsinn abzuqualifizieren halte ich für Unsinn.


    :hello:

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    moment - wirklich schätzen (wie du schriebst) und wirklich verstehen (wie du jetzt schreibst) ist ein großer unterschied!
    :hello:


    Zu diesem Thema gibt es ja auch einen langen, ausführlichen und kontroversen Thread: Das religiöse Bonuselement:D


    Um auf die Bemerkung des Lullisten zurückzukommen. Sicher ist auch die geistliche Renaissancemusik zunächst einmal absolute Musik. Allerdings kann eine Vertrautheit mit den religiösen Bezugspunkten dieser Kunst das Verständnis derselben sicher erleichtert- ohne das man selbst ein religiöser Mensch sein muss.


    Grundsätzlich ist die Renaissance für unser heutiges (musikalisches) Empfinden sicher sehr sehr weit entfernt, auch wenn sie geistesgeschichtlich in vielerlei Hinsicht das Fundament für unser Weltverständnis bildet.


    Man kann sich der Musik aber auch ohne fundiertes Hintergrundwissen nähern- auch wenn diese Kenntnisse hilfreich wären um einen Zugang zu gewinnen. Aber in der Regel läuft es ja umgekehrt: Man hört etwas, möchte es wiederhören und entdeckt dann das historische Umfeld der betreffenden Epoche.


    (Zumindest ist das bei mir so :D)



    Vom Standpunkt des Historikers ist die Renaissance (insbesondere die Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit) eine meiner Lieblingsepochen, auch wenn es musikalisch da noch vieles zu entdecken gibt.


    Es gibt wenige spannendere Epochen als diese Zeit zwischen 1400 und 1550. Und bei vielen bedeutenden Künstlern dieser Zeit lässt sich eine gewisse Janusköpfigkeit beobachten: Mit einem Bein (geistig nur natürlich) schon in der Neuzeit, mit dem anderen noch im Mittelalter, Sebastian Brant beispielsweise.


    Herzliche Grüße,:hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Ich hatte dazu geschrieben das es MEINE Meinung ist - und ICH bin der Meinung dass man ein gewisses Maß an Religiösität haben muss um religiöse Kunst und Musik wirklich zu verstehen.
    Ich denke dass das kein Unsinn ist, erst einmal ist es mein persönliches Empfinden und zweitens ist die Reliösität nunmal eine der Quellen für die künstlerische Arbeit.
    Das als Unsinn abzuqualifizieren halte ich für Unsinn.


    Sei mal dahingestellt, ob es Unsinn ist. Der Schluß ist unzulässig. Denn mit demselben Argument müßten nicht nur Bildende Kunst aus MA, Renaissance und Barock, sondern auch große Teile der Barockmusik und die geistliche Musik anderer Epochen unpopulär sein. Und letztere ist zwar nicht als Gattung populär, aber einige Einzelwerke (Matthäuspassion, Messiah, Mozarts Requiem, Beethovens Missa solemnis, Verdis und Brahms' Requiem) sogar außerordentlich bekannt und beliebt.
    Es ist eine schwer zu bestreitende Tatsache, dass diese und andere Werke religiöser Musik auch bei Skeptikern, Andersgläubigen, Heiden, was weiß ich, sehr beliebt sind.
    Also kann das religiöse Element nicht der zentrale Punkt für die vergleichsweise kleine Zahl der Freunde der Alten Musik sein.


    Andererseits ist nicht schwer zu sehen, warum abgesehen von der zeitlichen und kulturellen Distanz, diese Musik nicht besonders populär ist: meistens keine moderne Dur-Moll-Harmonik, häufig "schwebende" Periodik, die "Melodien" nur schwer greifbar werden läßt. Keine der den Konzertbetrieb dominierenden Formen wie Sinfonie, Konzert (oder zumindest was Ähnliches), sondern hauptsächlich Vokalmusik, egal ob geistlich oder weltlich. "Intellektuelle" Musik, nämlich entweder komplexe, im Hören schwer erfaßbare polyphone Konstruktionen oder beziehungsreiche Wort- und Tonmalerei.


    Sachertorte ist halt Sachertorte und (nicht nur) musikalische Kunstwerke sind was anderes. Keine allzu neue Erkenntnis. ;)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Es ist eine schwer zu bestreitende Tatsache, dass diese und andere Werke religiöser Musik auch bei Skeptikern, Andersgläubigen, Heiden, was weiß ich, sehr beliebt sind.
    Also kann das religiöse Element nicht der zentrale Punkt für die vergleichsweise kleine Zahl der Freunde der Alten Musik sein.


    Lieber Johannes,


    dies stimmt sicherlich, aber wie gerade gesagt: Die Kenntnis der religiösen Bezüge erleichtert das Verständnis meines Erachtens erheblich, das fängt ja schon bei den- häufig lateinischen- Texten an. Und ohne die Kenntnis dieser Bezüge findet man eine Messe von Paleastria, Byrd wahrscheinlich einfach "nur" schön.


    Das religiöse Element nicht der zentrale Punkt? Wenn ich Matthias richtig verstanden habe, hat er das auch gar nicht geschrieben :D


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von Caesar73

    dies stimmt sicherlich, aber wie gerade gesagt: Die Kenntnis der religiösen Bezüge erleichtert das Verständnis meines Erachtens erheblich, das fängt ja schon bei den- häufig lateinischen- Texten an. Und ohne die Kenntnis dieser Bezüge findet man eine Messe von Paleastria, Byrd wahrscheinlich einfach "nur" schön.


    Das Textproblem ist sicherlich das kleinste bei der Vokalmusik der Renaissance. Über die jeweiligen Bibelstellen etwa kann man sich vergleichsweise schnell informieren, wenn es das Booklet nicht schon tut.


    Johannes hat oben aufgezählt, was sich an Problemen für den heutigen Hörer auftut. Vielleicht kann man noch anfügen, dass es – auch als Konsequenz daraus – keine Entwicklung oder Dramaturgie im späteren Sinn gibt. Aber das macht ja gerade die Eigenart und damit auch einen Gutteil des Reizes aus. Allerdings muss man den Zugang schon suchen. Dann allerdings bekommt man auch mehr zu hören als "nur" Schönes.

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    Das Textproblem ist sicherlich das kleinste bei der Vokalmusik der Renaissance. Über die jeweiligen Bibelstellen etwa kann man sich vergleichsweise schnell informieren, wenn es das Booklet nicht schon tut.


    Weiß ich :D:D


    Nur fiel mir gerade kein anderes Beispiel ein.



    Zitat

    Aber das macht ja gerade die Eigenart und damit auch einen Gutteil des Reizes aus. Allerdings muss man den Zugang schon suchen. Dann allerdings bekommt man auch mehr zu hören als "nur" Schönes.


    Ganz meine Meinung :D


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Guten Abend allerseits!


    Neben der geistlichen Choralmusik der Renaissance (Palestrina-Messen o.ä.) gibt es aus dieser Epoche ja mannigfaltiges zu hören und darunter kaum etwas, welches mir nicht gefällt!
    Für geistliches muß ich auch in der Stimmung sein, das gebe ich zu und ein Sinn für die religiösen Bezüge ist sicherlich nicht von Nachteil.
    man kanns aber auch so genießen!
    Ich hör so etwas gerne an dunklen Abenden in der Vorweihnachtszeit!


    Es gibt aber auch noch so unendlich vieles anderes.
    Die wunderbaren melancholischen Lautenlieder aus der angelsächsischen Tradition. Oder aber christliche und jüdische (sephardische) Musik aus Hispanien - hier hat sich die Savall-familie besonders verdient gemacht. (welche ich sehr schätze!)
    Mit dieser Epoche sind wir noch lange nicht durch!
    Wir stehen im Gegenteil noch ganz am Anfang.
    Man fragt sich, warum sie so wenig gespielt wird!! :no:


    LG
    Juli

    Audio ergo sum

  • Ich habe vor allem die gregorianischen Gesänge auch schon als Atheistin geliebt, nur das "Religiöse" kann es also nicht sein. Sicher, heute kenne ich den lateinischen Messetext und viele der vertonten Psalmen, mir ist klar, dass ein "Kyrie" etwas anderes ist als ein "Gloria" und deshalb auch anders klingt usw. Aber ob das den Abstand wesentlich verringert? Auch das Christentum des 21. Jahrhunderts ist schließlich ein anderes als das des 11. Jahrhunderts - das will ich jedenfalls schwer hoffen.


    Die herbe Fremdheit ist doch aber gerade auch der Reiz dieser Musik. Dieses Gleiten und Schweben, das ohne ein bisschen Übung vielleicht erst mal langweilig und monoton klingt - keinerlei "action" eben...


    Für mich ist das die Musik, die der Stille am nächsten kommt und hauptsächlich deshalb liebe ich sie. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie weder für eine gemütliche Couch noch für einen CD-Spieler noch überhaupt für mich und meine Zeit komponiert wurde. Das stört mich zwar nicht, ich will es aber auch nicht vergessen.


    Mit Gruß von Carola


  • :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:



    Treffender kann man es nicht ausdrücken, danke Carola!!!!

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo,
    heute habe ich anhand dieser CD gelernt, dass Renaissancemusik nicht unbedingt gleich Renaissancemusik ist. Zwischen einem Monteverdi-Madrigal und der hier dargebotenen Musik liegen Welten:



    The Elfin Knight, Joel Frederiksen und das Phoenix Ensemble München


    Joel Frederiksen und das Münchner Phoenix Ensemlbe singen und spielen englische Balladen und Tänze aus der Renaissance (und auch ein bißchen später). Die CD beweist, dass Musik aus dieser Zeit sich auch völlig anders als gewohnt darstellen lässt. Beispielsweise widerlegt Frederiksen das Vorurteil, dass John Dowlands Musik immer nach Trauerfeier oder Beerdigung klingt. Das von Frederiksen zusammengestellte und arrangierte Programm enthält überwiegend vitale und kraftvolle Stücke. Die Texte der Balladen sind manchmal recht derb und nicht immer jugendfrei.


    Wer Scarborough Fair nur von Simon & Garfunkel kennt muss seine Hörgewohnheiten völlig umkrempeln. Greensleeves interpretiert Frederiksen nicht wie gewohnt als Schnulze, sondern sehr energievoll und rhythmisch betont (im Booklet erklärt er auch warum).


    Mich persönlich haben manche der schier endlos wirkenden Strophenlieder ein wenig "genervt", aber Frederiksen und sein Ensemble kriegen jedoch immer wieder die Kurve, um keine Langeweile entstehen zu lassen.


    Diese CD lässt sich als Einstieg in die Renaissancemusik empfehlen, vorausgesetzt man begnügt sich nicht damit und landet irgendwann doch bei den Herren Monteverdi, Palestrina und Konsorten.


    Viele Grüße
    Frank

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  • Zitat

    Diese CD lässt sich als Einstieg in die Renaissancemusik empfehlen, vorausgesetzt man begnügt sich nicht damit und landet irgendwann doch bei den Herren Monteverdi, Palestrina und Konsorten.


    Ein wenig erinnert mich diese Empfehlung schon daran, über Sting zu Dowland
    und über Lloyd Webber zu Pfitzners "Palestrina" zu gelangen und ich habe in DER Hinsicht bislang eher gegenteilige Erfahrungen gemacht und halte deshalb diesen Weg eher für nicht begehbar. Ausserdem bin ich allen Versuchen gegenüber Musik zur gefälligeren Rezeption in ein wie auch immer geartetes "zeitgemäßes" Gewand zu stecken, sehr misstrauisch.


    Bei der Fülle dessen, was an Musik überhaupt verfügbar ist, muss nicht jeder alles lieben, von mir kann ich jedenfalls getrost behaupten, daß ich über den "Song of Joy" mit Sicherheit nie dem Sinfoniker Beethoven begegnet wäre.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • [zitat]Ein wenig erinnert mich diese Empfehlung schon daran, über Sting zu Dowland
    und über Lloyd Webber zu Pfitzners "Palestrina" zu gelangen und ich habe in DER Hinsicht bislang eher gegenteilige Erfahrungen gemacht und halte deshalb diesen Weg eher für nicht begehbar. Ausserdem bin ich allen Versuchen gegenüber Musik zur gefälligeren Rezeption in ein wie auch immer geartetes "zeitgemäßes" Gewand zu stecken, sehr misstrauisch.[/Zitat]


    Danke,BBB!
    Dem kann ich mich nur voll und ganz anschließen!
    Darüberhinaus bin ich keineswegs der Ansicht, daß John Dowland nach Trauermusik oder Beerdigung klingt!
    Und wer ist eigentlich Herr Konsorten? ;)


    LG
    Juli

    Audio ergo sum

  • Eine Frage konnte Hildebrand bereits beantworten ! :D


    Natürlich ist es schon so, daß viele der von Dowland vertonten Texte eher grüblerischer und verhaltener Natur sind. Dowland war mir Sicherheit GEGEN einen oberflächlichen "Fallallala-Madrigalismus", dem etliche seiner Zeitgenossen, teils aus Berechnung, teils, weil sie es nicht besser vermochten,
    frönten. ich hab wirklich nichts gegen gute Laune in der Musik, aber bitte wirklich nur da, wo sie hingehört....

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Ich schätze gerade diese Melancholie, all die Lieder über unerfüllte Liebe,Sehsüchte, Einsamkeit...
    Dann kommt es natürlich noch sehr stark auf den Künstler an.
    Nicht jede Stimme ist dazu geschaffen, Lautenlieder zu singen!
    (Vor allem Sting nicht!)
    Allen Ernstes: Die Musik dieser Epoche ist so phantastisch, anrührend, mannigfaltig, warum sollte man sie weichspülen, aufpeppen oder sonstwie trendy verpacken???
    Damit nimmt man ihr gerade das, was sie ausmacht und dann kann man auch gleich Pop-songs hören!
    Das ist jedenfalls meine Ansicht, aber...
    der geschmäcker sind viele. Wem´s gefällt...


    LG
    Juli

    Audio ergo sum

  • Auch wenn Dowland sich ja selbst als "semper dolens" apostrophierte und die Melancholie charakteristisch für dieses gesamte Zeitalter war, gibt es natürlich auch heitere Stücke, "Fine knacks for ladies" fällt mir z.B. auf Anhieb ein, auch "Come again, sweet love..." usw. Auch zwischen der gepflegten Melancholie einiger Stücke und der tiefen Depression von "In darkness let me dwell" besteht eine Ausdrucksspanne.


    Wie auch immer. Ich selbst befürchte, dass, wenn man z.B. Musik der Renaissance nur als "Schweben nahe der Stille" usw. wahrnimmt, die Musiksprache noch sehr unvollkommen erfaßt hat. Man hört dann nur eine gewisse Fremdheit und eine Eigenart gegenüber späterer Musik. Klar, mit manch geistlicher Musik geht es mir selbst so. Aber ich sage mir dann, dass wenn ich den Unterschied zwischen einem Requiem aeternam oder einer Lamentatio und einem Gloria nicht höre, ich offenbar noch ziemlich oberflächlich zuhöre. Denn ich gehe einfach mal davon aus, dass die Komponisten differenziert genug vorgingen, um solche inhaltlichen und emotionalen Unterschiede deutlich zu machen. Natürlich mit weniger drastischen Mitteln als manchmal später.


    Abgesehen davon wurde ja schon auf die teils sehr irdische (auch ohne Verpoppung) weltliche Musik hingewiesen. Außer der Madrigalscheibe von Amarcord, die ich oben genannt habe, möchte ich noch auf folgende, erfreulicherweise über Drittanbieter erhältliche CD aufmerksam machen:



    Die ist zwar ein wenig von Folk-Improvisation neuerer Zeiten beeinflußt, scheint mir aber dennoch recht authentisch die etwas "leichtere" Unterhaltungsmusik um 1600 zu repräsentieren. Jedenfalls eine sehr unterhaltsame Scheibe (und Greensleeves kommt nur instrumental und eher tänzerisch als melancholisch)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Für alle, die etwas `leichtere´.fröhliche Renaissancemusik schätzen, sei diese CD empfohlen: Musik aus der Tudor-Zeit; höfische Lieder und Tänze, einige der Lieder sind von Henry VIII höchstselbst komponiert.
    (gar nicht einmal schlecht,Sire!)
    das Ganze sehr schön vorgetragen vom Ensemble `Circa 1500´
    Mir gefällt sie sehr gut und es ist eindeutig `Gute Laune-Renaissance´ :yes:

    Audio ergo sum

  • Ich möchte zu dieser Frage etwas aus persönlicher Erfahrung beitragen. Bis zu meinem 30. Lebensjahr habe ich mehr die klassische und romantische Musik gehört, allerdings auch Barockmusik, vor allem Bach und Händel. Dann wurde ich Mitglied in einer Schola in einer evangelischen Kirche (wir waren zu 6 Männern), und neben der Gegorianik fingen wir an, mittelalterliche Musik zu singen. Dann wurde ich Mitglied in einem Vocalensemble und ich lernte die Polyphonie etwa eines Palestrina und Tallis kennen. Jede Stimme in der Polyphonie ist gleichberechtigt, man ist vor allem in den Mittelstimmen nicht nur Füllwerk, was mir die Chöre von Mozart so verleidet (nur toll für den Sopran). Polyphonie ist die subtilste Musik der Musikgeschichte und nicht die Klassik, daher wird sie auch nie so beliebt sein. Das ist ja mit Büchern auch nicht anders, man muss nur eine Buchhandlung heute aufsuchen, um zu sehen wie schwierig es ist, von Büchern zur richtigen Lietratur zu gelangen. Schopenhauer antwortete auf die Frage, was das Schlechte an schlechten Büchern sei: "Sie bilden den Heuhaufen, in dem man die Nadel der Literatur vergeblich sucht!" Das gilt sicher auch für die Musik.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Meine persönlichen Erfahrungen mit Musik der Renaissance sind ähnlich wie die von Dr. Pingel. Es hat bis weit in meine dreißiger Jahre gebraucht, bis ich mit Renaissancemusik in Berührung kam und diese mich wirklich angesprochen hat, wozu auch das eigene Singen einiger Sätze aus der Epoche beigetragen hat.


    Ich denke, auf die Musik dieser Epoche trifft vieles zu, was wir in den Treads zur Rolle der Kammermusik und dem heute insgesamt bedauernswert geringen Stellenwert der klassischen Musik gesagt haben. Ohne Berührungspunkte kein Zugang. Ohne attraktive Interpretationen keine Begeisterung. Ohne Konzerte und Live-Erlebnisse bleibt die Musik ein Stück im Irrealen, verglichen mit den vielgespielten Epochen der klassischen Musik. Welcher durchschnittlich sortierte CD-Laden (wenn er denn überhaupt "Klassik" in nennenswertem Umfang führt) hat Musik der Renaissance vorrätig, oder gar so plaziert, daß man leicht darauf stoßen würde? Und welcher Verkäufer wäre in der Lage, dem interessierten Kunden einige Aufnahmen zu empfehlen? Ja, wir können jetzt das "Henne-Ei-Problem" zitieren, aber so ist es ...

    “Music is enough for a lifetime, but a lifetime is not enough for music”
    Sergei Rachmaninov

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