Hilfe! Ich mag Verdi nicht...

  • Ich war am vergangenen Samstag in einer konzertanten Aufführung von Verdis Otello in der Kölner Philharmonie. Ich hatte endlich auf eine Initialzündung gehofft, aber stattdessen hat sich nur wieder bestätigt, daß ich mit Verdis Musik irgendwie wenig anfangen kann. :untertauch: Meine Freundin hat Rotz und Wasser geheult und ich saß irgendwie ganz unbeteiligt daneben - und das bei Otello... Es ist nicht so, daß ich die Größe und Qualität von Verdis Musik nicht anerkennen würde, aber irgendwie passiert einfach nix... Ist das noch normal?? :( Bei Wagner z. B. hat es irgendwann mal gefunkt und seitdem entwickelt sich da immer mehr. Da liegt zwar noch ein ordentliches Stück Weg vor mir, aber es macht mir Freude... Warum aber bei Verdi nicht?? ?( Ich möchte das gerne ändern, aber meine Krankenkasse lehnt die Kostenübernahme ab... :P Vielleicht können die Taminos helfen...

  • Lieber Clemens,


    vor einem Hilfsversuch brauche ich noch ein paar genauere Infos von Dir.


    Was bzw. welche Werke schätzt Du von Wagner besonders?


    Was kennst Du bereits von Verdi? Hast Du Dich z.B. schon mal mit Don Carlos (bietet sich im Forum aktuell an) oder der Macht des Schicksals beschäftigt?


    Und ist der Anspruch, dass etwas "passieren" müsse, nicht etwas hoch? Denn das hängt doch - unabhängig vom Komponisten - auch von der eigenen Tagesform ab.


    LG, Elisabeth


  • Von Wagner mag ich in erster Linie den Ring (mit der Götterdämmerung ist es noch was schwierig, ich weiss nicht genau warum, die fällt für mein empfinden in ihrer Art einfach etwas aus dem Gesamteindruck raus). Meinen ersten Live-Tristan habe ich gerade vor ein paar Monaten erlebt (in Essen), da habe ich im ersten Akt gedacht: o je - und das jetzt noch drei Stunden. Aber ab dem zweiten Akt war ich wie in Trance... Parsifal zieht mich auch immer mehr an (Allein schon der ganze Schluss des 1. Aktes), die Meistersinger bedeuten für mich eher wieder "arbeit", ich höre die gerne nebenbei, aber ich verstehe glaub ich das Thema nicht so ganz. Nur bei Wagner macht mir die Arbeit auch Spaß, bei Verdi irgendwie nicht, weil da eben noch der gewisse Funke, die Zündung fehlt. Don Carlos und die Macht des Schicksals kenne ich z. B. noch gar nicht. Ich kenne Rigoletto und La traviata recht gut, höre das in Auszügen auch ganz gerne (zum Spülen oder so :untertauch: ), aber für mich klingt das so oft nach Blaskapelle, so mit richtig viel Tram-Tram und Becken und so... Es gibt schon immer wieder Stellen, die ich sehr schön finde (beim Otello z.B. das Ave Maria oder die großartige Chorszene im 2. Akt mit Gitarrenbegleitung), aber das sind halt immer nur Momente... Ich weiss nicht, ob mein Anspruch zu hoch ist, ich hab´s ja oft versucht und eben nicht immer in gleicher Verfassung.

  • Liebe Elisabeth,


    Ich kam zu Verdi durch die unglaublich rührende Aufnahme unter Kleibers Dirigat. Mit Cotrubas und Domingo.
    Vielleicht könnte das....


    Aber ein Wagnerliebhaber braucht eher viel Lärm und Krach. Such also mal welche Verdioper viel Lärm produziert. Aida???


    LG, Paul

  • Lieber Clemens, lieber Paul,



    Von "Krach" und "Quatsch" möchte ich nicht reden, das ist alles eine Sache des individuellen Geschmacks... :D



    Ich glaube, hier geht es tatsächlich um den musikalischen wie szenischen Gehalt, und dann würde ich noch vor der AIDA noch zur Macht des Schicksals raten.


    Folgende Aufnahmen kann ich empfehlen:


    Tebaldi, Monaco, Bastianini, Corena, Siepi,
    Accademia di St. Cecilia, Molinari-Pradelli
    Label: Decca , ADD, 1955




    und


    Domingo, Freni, Zancanaro, Plishka, Bruscantini,
    Orchester der Scala, Muti
    Label: EMI , DDD, 86





    Zum DON CARLOS ist im entsprechenden thread schon vieles aufgeführt .....


    LG, Elisabeth

  • Hallo,


    Nunja...wo du grad die Blaskapelle erwähnst...
    Verdi hat ja meißtens - besonders in den früheren Werken immer ganz gerne stramme Rhytmen und eine art Nummen-Opern-Form...
    Das bekommt er nie ganz raus, aber bei den späteren Werken ist es doch ziemlich "erträglich" (das klingt negativ aber ich schätze Verdi). Simon Boccanegra, Macbeth oder Don Carlo bieten sich an...obschon ja der Otello auch eher in die Ecke gehört...


    Ich denke mit Verdis Musik darf man sich nicht zu sehr beschäftigen und sie allzu ernst nehmen - gerade die Frühwerken...ergötz dich an den herrliche Melodien und nimm ein Bad in "echtem italienischen Opernkitsch" :D. An Wagner arbeitet man (ich zumindest) immer...(wenns nicht grad Tannenhäuser oder der Holländer sind...)


    Ich nehme an, dass dir des typische Belcanto-Repertoire (Donizetti, Bellini, Rossini...) auch nicht bzw noch weniger zusagen?!


    Meine erste Begegnung mit Verdi war übrigens Macbeth (immer noch mein Favorit), und seitdem wurde ich nur von seiner Luisa Miller wirklich enttäuscht...


    LG
    Raphael

  • Zitat

    Original von raphaell


    Ich nehme an, dass dir des typische Belcanto-Repertoire (Donizetti, Bellini, Rossini...) auch nicht bzw noch weniger zusagen?!


    Eigentlich im Gegenteil. Ich bin da zwar nicht sonderlich bewandert, aber bei Donizetti, Rossini und Co fällt es mir im Vergleich zu Verdi wirklich leicht in der Musik zu schwelgen. Nun tu ich mich mit "Opernkitsch" eh schwer, ich suche (abgesehen vom hören eines Opernsamplers o. ä.) schon auch immer nach einer echten, dramatischen Aussage, zumindest wenn es eben um das gesamte Werk und nicht nur das genießen einzelner Nummern geht... Und es ist ja nicht so, daß es das bei Verdi nicht geben würde...

  • Vielen Dank Elisabeth :lips:


    Ich denke, ich werde es mit Forza und Carlos bei Gelegenheit auch Live versuchen. Meistens funkt es da bei mir eher als wenn ich mit der CD anfange... Ich erinnere mich da an meine erste Elektra... :wacky:

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von raphaell
    Na, dann bin ich sprach- und ratlos... :faint::D


    LG
    Raphael


    Ich verstehs ja auch nicht...?( Aber trotzdem: ich bleibe am Ball. Irgendwas muss da sein, was mich mal packt!

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    ich suche (abgesehen vom hören eines Opernsamplers o. ä.) schon auch immer nach einer echten, dramatischen Aussage, zumindest wenn es eben um das gesamte Werk und nicht nur das genießen einzelner Nummern geht... Und es ist ja nicht so, daß es das bei Verdi nicht geben würde...


    Lieber Clemens,


    dann wirst du wirklich neben der MACHT DES SCHICKSALS und dem DON CARLOS (fünfaktig!)


    beim SIMON BOCCANEGRA und dem MACBETH fündig.


    Folgende Aufnahmen seien empfohlen:


    Simon Boccanegra


    Cappuccilli, Ghiaurov, van Dam, Freni, Carreras,
    La Scala Orchestra, Abbado
    Label: DGG , ADD, 76



    Macbeth


    Cappuccilli, Verrett, Ghiaurov, Malagu, Domingo,
    Orchester der Scala, Abbado Label: DGG , ADD, 76




    Und Opernbesuche lohnen natürlich bei allen genannten!



    LG, Elisabeth

  • Zitat

    Na, dann bin ich sprach- und ratlos...


    Kommt ZEIT kommt RAT


    Was ich allerdings nicht ganz verstehe, ist, warum man sich um einen Komponisten bemüht, wenn man ihn a priori nicht hören mag.


    Es wird viele Menschen geben, die Verdi nicht mögen - und der Otello - auch wenn viele jetzt entsetzt aufrschreien werden, zählt indes auch nicht zu meinen Lieblingsopern....


    Mein Rat: Versuche es erst gar nicht.


    Es ist wie mit dem Versuch des Schlaflosen, einschalfen zu wollen : Es wird nicht funktionieren.


    Wenn es denn sein soll, so wirst Du den Zugang einst erhalten - völlig unvorbereitet und überraschend. Wenn nicht - auch kein Beinbruch. Man kann schließlich nicht alles mögen.


    Jdeoch die Aussage, daß Du Bellini und Donizetti magst, stimmt mich in letzter Konsequenz zuversichtlich.


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Lieber Paul,
    als bekennender Wagner-Liebhaber muß ich da widersprechen. Weder im "Ring", noch im "Tristan" oder im "Parsifal" finden sich Rabazz- und Lärm-Stellen. Opernschlüse wie "Wotans Abschied" oder "Starke Scheit schichte mir dort" dürften ebenso wie "Mild und leise wie er lächelt" zum Größten, wirklich allergrößten gehören, was in der Oper denkbar ist und geschrieben wurde.


    Den Verdi, den Clemens gehört hat, habe ich zwei Tage später in der Kölner Philharmonie erlebt. Merkwürdigerweise erlebe ich die Musik Verdis eher als Lärmmusik als die von Wagner. Und beim Otello war ich auch ganz glücklich, ganz hinten in der Philharmonie zu sitzen. Dennoch: die konzertante Aufführung des Otello war hinreissend. Nicht, daß ich mich jetzt zum Verdi-Fan entwickeln werde -der Zugang ist sher, sehr mühselig- aber die Kölner Aufführung war absolut überzeugend und kurzweilig. Wer sie nachhören möchte, möge am Sonntag, 16..09. WDR 3 einschalten. Um 20:00 Uhr wird diese Aufführung ausgestrahlt.


    Und was den Verdi betrifft. S.Kirch hat mit der Traviata aus Aix eine tolle Empfehlung abgegeben. Da hat Verdi auch mir gefallen.


    Ansonsten, lieber Clemens, mußt Du ja nicht unbedingt erwarten, daß Dich Verdi so ergreift wie Wagner. Es gibt ja auch noch andere Gegensatzpaare: Bruckner vs Mahler, Zemlinsky vs. Schreker (um einmal einen Blick in verschworenene Fan-Gemeinden zu werfen). Also Kopf hoch: Verdi wird Dir kein Wagner werden. Vielleicht veruchst Du es mal mit dem Requiem?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.


  • Hallo Thomas,


    mir geht´s da ebenso. Ich empfinde Wagner auch nie als einfach lärmend. Das was für einige scheinbar Lärm ist, ist IMO immer dramaturgisch ganz erfassbar. Wobei ich Krach in der Musik schon auch mag. Ich hätte mich in der Philharmonie zu Beginn des 1. Aktes gleich neben das Blech legen und die Augen schließen können... :]


    Wie hast Du denn Guelfi empfunden. Ich war recht enttäuscht...


    Es ist auch nicht so, daß ich Verdi nun auf Biegen und Brechen zu meinem Innigsten machen will, aber irgendwie reizt es mich schon, einen Anknüpfungspunkt zu suchen/finden...

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller


    Wie hast Du denn Guelfi empfunden. Ich war recht enttäuscht...


    Tja, eigentlich ganz positiv. Nun war dieser Otello auch mein erster Live-Kontakt mit Verdi und seinem Otello, ich gehöre eher zur Wagner-Riege . Wenn man also keine besonder Vorstellung von der Figur de Jago hat, dann kann man sich wohl darauf einlassen, das dessen boshafte Intrige eben nicht mit einer dämonischen Atacke gesungen wird (in Pausengesprächn hörte ich dies als Kritik an Guelfi), sondern mit einem scheinheiligen Parlando, das es dem Zuhörer leicht macht, in einer konzertanten Otello-Aufführung sich an bundesdeutsche Politiker erinnert zu fühlen. Die Intrige wechselt halt ihr Gewand. Auch in der Oper. Und auch im Gesang.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Versuch es vielleicht mal damit:



    Der DON CARLO war mein erstes Opern-Erlebnis mit Verdi - auch live, letztes Jahr in der Wiener Staatsoper (ital. Fassung). Für mich ist es nach wie vor meine Lieblings-Oper von ihm.
    Die Aufnahme wurde im Don Carlo-Thread hochangepriesen und ich kann es nur bestätigen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Clemens,
    mir geht's wie Dir - und alle Hilfe hat nichts gebracht. Außer, daß die meisten Helfer nachher zumindest relative Wagnerianer waren. Und ich mag Verdi noch immer nicht. Obwohl eigentlich gerade der "Otello" die eine Ausnahme ist - die andere ist "Falstaff"; "Simon Boccanegra" ist quasi die Beinahe-Ausnahme.
    Nur - so von Geschmacksverirrten zu Geschmacksverirrten: Wenn Du Verdi nicht magst, warum willst Du ihn mögen? Der eine steht auf durchgearbeiteten symphonischen Orchestersatz, der andere auf die delikaten Unterschiede zwischen m-ta-ta und m-ta-ra-ta-ta-ta... :untertauch:
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,



    schließen sich Verdi und Wagner für Dich wirklich gegenseitig aus? Oder ist das nicht eher ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen? Für mich gibt´s beides - je nach Tagesform...


    :hello:


    Elisabeth

  • Hallo Clemens, hallo Edwin!
    Ich gehöre auch zu jenen, die mit Verdi nicht viel anfangen können. Ausnahmen sind Don Carlos und Simon Boccanegra, aus dem ebenfalls Spätwerk Otello kenne ich bisher nur das Lied von der Weide samt Ave Maria, das mir auch gefällt. Der Rest ist einfach zu wenig schön für mich (wobei "schön" natürlich subjektiv ist).
    Und eines muss ich noch dazusagen: Selbst bei Don Carlos und Simon Boccanegra gibt es Szenen, die musikalisch m. E. ziemlich durchhängen, wo Verdi offensichtlich (wieder einmal) nicht viel eingefallen ist. Aber z. B. Il Trovatore besteht nur aus solchen Szenen... :stumm:
    Deshalb wäre mein Rat: Wenn dir schon Otello nicht gefällt, lohnt es sich gar nicht mehr, sich mit Verdi zu beschäftigen. Es gibt genug, die Verdi ohne vorherige Anstrengung mögen - die Fangemeinde ist auf dich nicht angewiesen. ;)
    Liebe Grüße,
    Martin

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Das verstehe ich nun ganz und garnicht. Ich bin über Verdi zu Wagner gekommen.


    Für den Otello muss ich sagen ,mannsollte sich mal die Dvd mit Dominge ,Te Kanava und
    Leiferkus aus London ansehen und hören.



    Der Guelfi ist meiner Meinung nach zu hoch bewertet.


    Rita

  • Eine Grundsatzdebatte zu Verdi gab es übrigens auch schon in diesem Thread:


    Ist Verdi Out?



    Grundsätzlich finde ich es bei einem Opernkomponisten wichtig, die Werke auf der Bühne und nicht nur aus der Konserve oder konzertant zu erleben - gerade wenn man den Zugang noch nicht gefunden hat. An der Kölner Oper gab es mal eine hervorragende Otello-Inszenierung von Robert Carsen. Ich befürchte allerdings, dass die schon lange nicht mehr im Repertoire ist.


    Da "Otello" in mancherlei Hinsicht wirklich das "wagnerischste" Werk Verdis ist (nicht umsonst bleibt Edwin da relativ gnädig :D), bin ich etwas ratlos, zu welcher anderen Oper man Clemens raten sollte. Am nächstliegenden sind sicherlich die bereits genannten "Don Carlos" und "Simone Boccanegra". Vielleicht ist es in einem solchen Fall tatsächlich am sinnvollsten, Verdi erstmal ruhen zu lassen. Geschmäcker ändern sich ja auch, davon können viele hier ein Lied singen. ;)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo zusammen,


    zu denen, die Verdi nicht mögen, gehörte ich früher auch - aber irgendwann hat sich da ein Schalter umgelegt: vor einem Besuch des "Rigoletto" hatte ich die Antwort von Brahms auf einen Verriss des Requiems Verdis aus der Feder seines Freundes, des Dirigenten Bülow, gelesen, in welcher Brahms Verdi höchst massiv verteidigt - Verdis Musik sei genial, Bülow habe sich mit seinen Äußerungen unsterblich blamiert. Brahms' Worte hatten mir die Ohren geöffnet für Verdis simple Art, menschliche Gefühle bühnenwirksam auszudrücken - obwohl dann die Aufführung des Rigoletto vom sängerischen Gesichtspunkt miserabel war (aus irgendwelchen Gründen halten Verdis Opern mittelmäßige Aufführungen aber besser aus als die der meisten anderen Komponisten, was allerdings weder für Otello noch für Falstaff gilt).


    Jedem, der an Verdis Tonsprache nicht recht herankommt, es aber für einen Versuch wert hält, dem empfehle ich den Einstieg über das Requiem oder die "Quattro pezzi sacri" - wenn nicht gar über das Streichquartett.


    Und das Problem "Wagner oder Verdi?" - besteht das wirklich? - Ein großartiger Sänger, Jon Vickers, hat beide Komponisten geliebt und gesungen, und er hat in einem Interview zu eben der Frage "Wagner oder Verdi?" Stellung genommen - zu finden unter


    http://www.bruceduffie.com/vickers.html


    Auch sonst sehr interessant!!



    Gruß
    Pylades

  • Lieber Clemens, liebe Taminos


    manches an dieser Diskussion mutet mich sehr seltsam an. Dabei scheint mir, dass Alfred den berühmten Nagel auf den Kopf getriffen hat. Zuneigung zu einem bestimmten Komponisten oder Werk zu erzwingen, ist etwa so erfolgversprechend, wie partout Schlaf, Liebe oder Glück herbei beschwören zu wollen. Je bewusster und intensiver man es versucht, um so unwahrscheinlicher wird der Erfolg. Da wird keine noch so gut gemeinte Einstiegshilfe etwas bringen. Wer sich nicht einmal von dem im Wortsinne hinreißenden Finale eines RIGOLETTO mit seiner durchaus komplexen musikalischen Arbeit überwältigen lässt, wird mit der von Höhepunkt zu Höhepunkt mäandernden MACHT DES SCHICKSALS erst recht seine Probleme haben. Ich denke, das Problem liegt eher bei der Auffassung von der Aufgabe und Qualität der Musiksprache bei völlig unterschiedlichen Anforderungen an das Libretto.


    Platt gesagt: mir geht es mit Wagner und Verdi genau umgekehrt. Während ich von Anbeginn an spontan dem dramatischen Instinkt Verdis und der überwältigenden Wirkung seiner Melodien verfallen war, und zwar ganz besonders den Stellen, in denen er diese zu immer komplexeren Ensembles entwickelte, stützt sich meine Zuneigung zu Wagner dort, wo sie vorhanden ist, auf bestimmte Szenen und Höhepunkte, die für mich durch zuweilen schier endlos monologisierende "Gespräche" unterbrochen werden, die man leider durchschwimmen muss, bevor man zur nächsten musikalischen "Insel" gelangt. Ich habe es wirklich immer wieder versucht, und werde das auch künftig tun, aber irgend etwas klickt da einfach nicht. Die größte Leistung der Musik besteht für mich nun einmal nicht darin, Gedankenwelten zu illustrieren, und geschähe das noch so raffiniert und subtil, sondern Emotionen zu erzeugen. Wo Wagner das tut, bin ich ganz bei ihm.


    Kein Wunder, dass ich von allen Opern Wagners diejenige am meisten mag, die den meisten Wagnerianern die am ehesten verzichtbare zu sein scheint: DIE MEISTERSINGER. Und selbst die würde ich wegen ihrer "Geschwätzigkeit" jederzeit für den FALSTAFF hergeben, zumal der nur so lange braucht wie der dritte Akt der MEISTERSINGER um seine kostbare Welt voll grandios ziselierter Komik aufzubauen und mit allen denkbaren kompositorischen Feinheiten auszugestalten. Kurz: Wagner ist mir einfach zu redselig, während ich bei Verdi so gut wie nie vermisse, dass zwischen seinen Höhepunkten vieles unerklärt, vielleicht, wenn man etwa den TROUBADOUR nimmt, sogar mit Instrumenten der Logik unerklärlich bleibt. (Mir ist übrigens sehr wohl bewusst, dass der Vorwurf, den ich hier Wagner mache, auf mein Geschreibsel erst recht zutrifft, aber ich kann wohl auch nicht anders, und da verstehe ich Wagner wiederum sehr gut ohne mich deshalb mit ihm gleichsetzen zu wollen. Manche können wohl nicht anders, als jede Eventualität mit bedenken zu müssen).


    Bemerkenswerterweise treffen wir uns bei der Zuneigung zu HÄNSEL UND GRETEL, einem Werk, das man als konzisen und besonders melodischen Wagner mit einem ganz anderen Bilck auf die Fantasiewelt bezeichnen kann. Ich glaube deshalb, dass es weniger die Musik als die Thematik und Erzählweise der Opern Verdis ist, mit der Du Deine Probleme hast. Die Fantasie ist ja das Rückzugsgebiet derjenigen, denen die blanke Leidenschaft, die im Zentrum von Verdis Werk steht, unheimlich ist. Ich sehe dafür eine gewisse Bestätigung in dem Umstand, dass Du Belcanto-Opern durchaus goutieren, mit der Dominanz der Melodie und der Abstraktion der dort geschilderten Gefühlswelten also durchaus umgehen kannst. Bevor ich mich jedoch in abstruse Theorien verirre, frage ich erst einmal an, ob meine Vermutung stimmt, dass Du mit der veristischen Oper auch nicht so viel anfangen kannst.


    Zurück zum ersten Satz: seltsam mutet mich an, dass gerade diejenigen, die nicht müde werden, einem die geduldige Annäherung an die "schwierigsten" Komponisten der letzten hundert Jahre nahe zu legen, kein Problem damit haben, das angebliche Gitarrenorchester Verdis mit seinen hm-ta-ta - Rhythmen abzutun und jede Beschäftigung mit der Frage zu verwerfen, ob dieser Vorwurf überhaupt gerechtfertigt ist. Gerade die größten Melodienbögen Verdis (z. B. das Boito-Finale des ersten Aktes von SIMON BOCCANEGRA) haben nicht das Geringste mit den Verballhornungen zu tun, welche Kurkapellen etwa mit dem Chor der Zigeunerinnen aus LA TRAVIATA veranstalten. Während dergleichen aber bei Wagner für eine Kulturschande gehalten wird, gibt es anscheinend viele ernsthafte Musikliebhaber, die allen Ernstes meinen, Verdi sei damit im Kern richtig wiedergegeben.


    Aber es gibt Lagerkämpfe zwischen Anhängern von Komponisten, seit es Letztere gibt, und sie haben alle nichts gebracht außer hämischen Bemerkungen der Nachwelt. Es macht einfach keinen Sinn, bestimmte Stilrichtungen gegeneinander auszuspielen. Da ist mir das Missverständnis eines Richard Strauss viel lieber, der vor lauter Bewunderung für Verdis FALSTAFF diesem eine gewidmete Partitur ausgerechnet seines GUNTRAM zusandte. Leider ist nicht überliefert, was Verdi wohl davon hielt.


    :hello: Rideamus

  • Nunja, lieber Clemens, wenn Dir Verdi nun so gar nicht zusagen will - dann ist das eben so. Andere Leute mögen Wagner nicht, und vermeiden den Besuch von Wagner-Aufführungen.


    Und wenn Du schon beim "Otello" abwinkst - einem Werk, das sich gemeinsam mit dem "Falstaff" von dem meisten abhebt, was Verdi komponiert hat, kompositorisch auch für Verdi ein "Schwergewicht" ist - dann würde ich doch die Prognose wagen, dass die Empfehlung anderer Werke (zumal Du "Rigoletto" und "Traviata" nicht als sonderlich prickelnd empfunden hat) kaum hilfreich ist.


    Da Du aber - unterstelle ich mal - gerne in die Oper gehst: vielleicht gibts eine interessante Verdi-Aufführung, die Du Dir anschauen kannst und wo Du vielleicht auch an der einen oder anderen musikalischen Nummer gefallen finden wirst.


    Ganz nebenbei: wie war denn Botha in der Titelrolle? Ich bin morgen abend bei einem Konzert im Elsass, könnte aber die Übertragung mitschneiden. Und mein Interesse gilt neben Byshkov ganz klar dem Tenor.

  • Hallo Clemens,
    ich finde auch, du sollst es nicht erzwingen wollen, das funktioniert bei einer so "bauchgesteuerten" Sache wie Musik sowieso nicht.
    Ich bemühe mich z.B. seit Jahren redlich um einen Zugang zu Wagner, mit sehr bescheidenem Erfolg. Das Szenario ist immer das gleiche: Ich sitze in einer Wagner-Oper, höre die Ouvertüre und denke mir "Großartig!", auch der erste Akt gefällt mir noch, aber dann kommt jedesmal der Punkt, wo es mir schlicht und einfach reicht, ich diese Musik nicht mehr hören will. Frag mich nicht warum, ich kann das rational nicht erklären, es ist einfach so. Inzwischen betrachte ich es nicht mehr als persönliches Manko, Wagner nicht zu lieben - man kann nicht alles lieben. Und ich schließe ja auch gar nicht aus, dass es irgendwann doch eine Initialzündung gibt.
    Bis dahin liebe ich Verdi, heiß und innig sogar, und ich schäme mich kein bisschen dafür, dass ich diese "Humtata-Musik" höher schätze als Wagner! ;)
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Alviano
    Nunja, lieber Clemens, wenn Dir Verdi nun so gar nicht zusagen will - dann ist das eben so. Andere Leute mögen Wagner nicht...


    So ist es nun eben. :yes:

  • Wer schöne Stimmen mag, der mag auch Verdi.


    Wem schöne Stimmen nichts sagen, dem sagt auch Verdi nichts.


    Verdi hat mein Leben unendlich bereichert, das gilt auch für


    Wagner und Puccini, um bei (fast) reinen Opern-(Musikdramen)


    Komponisten zu bleiben.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.


  • Wagner und Puccini in einem Atemzug - sei froh, dass EDwin momentan nicht an Bord ist ;) :D
    Deine Theorie kann ich nicht ganz nachvollziehen, denn "schöne Stimmen" braucht's wohl für jede Oper, oder?
    lg Severina :hello: (bekennender Verdifan!)

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Wer schöne Stimmen mag, der mag auch Verdi.


    Wem schöne Stimmen nichts sagen, dem sagt auch Verdi nichts.


    Mensch, Herbert! Tausend Dank!!! Du hast vollkommen recht! Das ich da nicht selbst drauf gekommen bin... Ich mag ja generell nur abartig hässliche Stimmen, kein Wunder, daß es da bei Verdi nicht funkt. Bei Mozart, Strauss, Puccini, und Rossini ist das ja egal, da stören schlechte Stimmen nicht, aber bei Verdi...

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner