Tosca, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 14.09.2007

  • Tosca, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 14.09.2007
    Inszenierung: Sandra Leupold
    Dirigent: Marc Piollet
    Floria Tosca: Janice Dixon a.G.
    Mario Cavaradossi: Alfred Kim
    Scarpia: Krister St. Hill a.G.


    Gestern besuchte ich die im Vorfeld von der Regionalpresse viel besprochene und nach der Premiere von mehreren Rezenzenten gescholtene Neuinszenierung der Tosca. Für mich war zunächst einmal erfreulich, dass die Regisseurin die Handlung weder zeitlich noch örtlich versetzte, sondern versuchte, die politische Stimmung in Rom kurz nach der Schlacht bei Marengo, also im Juni des Jahres 1800, einzufangen. Sant’Andrea della Valle, Palazzo Farnese und Engelsburg sind in allen Akten der gleiche Raum. Einziges großes Requisit ist ein erhöhter Gegenstand auf der Bühnenmitte, der Altar, Tisch in Scarpias Zimmer und Hinrichtungsstätte von Cavaradossi ist. Dieses Bühnenbild und die Beleuchtung haben mich persönlich sehr beeindruckt.


    Gestört an der Inszenierung hat mich, dass Regie nur bei den Nebendarstellern, dem Chor und der Statisterie zu erkennen war. Die eigentlichen Protagonisten blieben meines Erachtens von allen Anweisungen verschont. Sie standen herum und sangen. Von der Dramatik, die diese Personen umgibt, war für mich nichts zu erkennen. Neu auch der Schluss: Cavaradossi wird nicht durch ein Erschießungskommando hingerichtet, sondern durch einen aufgesetzten Schuss, Tosca wird vom Pöbel (interessant, in Abendroben) gelyncht. Da kommen dann so Regiemätzchen auf, wie ein Engel, der zum Schlussakkord in einem der (Kirchen- und Palastfenster, zum Schluss Zinnen der Engelsburg) auftaucht. Ein Staubsauger, der aus unerklärlichen Gründen am Altar lehnt. Außerdem kommt m.E. wohl keine Inszenierung mehr ohne fähnchenschwenkenden Chor aus.


    Erfreulich war die sängerische Leistung der Darsteller, wobei ich auch die Nebendarsteller und hier besonders den Angelotti von Hye-Soo Sonn erwähnen möchte. Janice Dixon mit herrlich dunklem Timbre sang eine auch in der Höhe sichere Tosca, Alfred Kim (als erkältet angekündigt) überzeugte mich als Cavaradossi. Krister St. Hill, darstellerisch fantastisch als Scarpia, enttäuschte mich ein wenig, zumal er in der Premierenkritik so sehr gelobt wurde. So stimmgewaltig fand ich ihn gestern nicht.


    Die Sänger erhielten zum Schlussapplaus sogar Bravo-Rufe, eine Seltenheit in Wiesbaden.
    Weshalb diejenigen, die in meinen Augen die herausragendste Leistung erbrachten, nämlich das Orchester unter GMD Marc Piollet, nicht so ausgezeichnet wurden, war wieder einmal ein Umstand, der sich mir nicht erschlossen hat. Alles in allem für mich ein gelungener Opernabend

  • Hallo Emotione,
    danke für deinen interessanten Bericht, dieses minimalistische Bühnenbild hätte mir sicher gefallen!
    Die Sänger müssen aber ausgesprochene schauspielerische Antitalente gewesen sein, wenn sie bei diesem hochdramatischen Krimi einfach nur herumstehen und nicht von selbst wissen, wie sie agieren müssen. Kaum vorstellbar, dass man bei dieser Handlung, diesem Text, dieser Musik nicht förmlich platzt vor Spiellust!
    lg Severina :hello:

  • Hallo
    Emotione,
    ich Habe über Deine Antwort schallend gelacht,weil ich auch immer denke ob die Sänger nicht wissen was sie singen


    MG Rita
    :boese2:

  • Hallo Severina,
    da habe ich mich vielleicht falsch ausgedrückt. Es gehörte zum Regie-Konzept. Die Sänger hätten bestimmt gekonnt, aber nicht gedurft.


    :hello:


    Emotione

  • Das ist aber dann schade,.
    Haben dir Sänger nicht die Möglichkeit zur Diskussion?


    Ich hbe hier in Berlin in der Fanculla gerade solche Änderungen miterlebt.
    Und als das dann passiert war ,ist es gleich eine "andere " Oper
    wenn Du verstehst,was ich meine, geworden.



    Mit Gruss Rita

  • Hallo Emotione,
    das habe ich tatsächlich missverstanden, aber nun bin ich um nichts weniger verblüfft, denn der SINN dieses Regiekonzepts will sich mir nicht so recht erschließen :( Steht dazu vielleicht Erhellendes im Programmheft??????
    lg Severina :hello:

  • Hallo Severina,


    nein, aus dem Programmheft ergibt sich nichts. Ich habe aber einige Auszüge aus Kritiken kopiert, die Dir nachstehend vielleicht etwas Klarheit verschaffen:


    Während Cavaradossi gut sichtbar in Kruzifix-Haltung gefoltert und später per Kopfschuss aus nächster Nähe hingerichtet wird, erleidet Tosca den Tod durch Scarpias prügelnde Schergen.
    All das könnte gut funktionieren, wenn zwischen diesen effektvollen Momenten Verbindungen bestehen würden, die hier allerdings kaum zu entdecken sind. Auch die sichtbaren Veränderungen der Kulisse, die doch immer gleich bleibt, hilft nur bedingt. Der Altar wird zu Scarpias Tafel, die Nischen, in denen im ersten Akt noch die Heiligen standen, starren am Ende als leere, düstere Fenster auf den Innenraum. Die Darsteller haben jedoch offenbar keine Anhaltspunkte bekommen, wie sie diese Form zu füllen haben.


    Dagegen sind Toscas Gebet und Cavaradossis „E lucevan le stelle“ demonstrativ ausgestellt als Shownummern: seitlich öffnen sich Fenster und befrackte Kunstgenießer applaudieren dem vokalen Bravourakt.


    Ein grauer Einheitsraum, der Kirche, Palast und Folterstätte des Polizeichefs Roms sowie die Engelsburg zugleich ist und die einfache Sicht auf Machtbeziehungen unterstreicht, rahmt das zähe Beieinanderstehen der Akteure, die Puccini eigentlich immer hautnah und ineinander verstrickt vermittelt hat - Tosca im Grauschleier.


    LG :hello:


    Emotione

  • Danke, Emotione!
    Ich fürchte, das wäre nicht meine Tosca. "E lucevan le stelle", einer der intimsten, anrührendsten Momente, als öffentlich zur Schau gestellte Shownummer? Nein, dann doch lieber unsere Staubi-Tosca, da spielen sich wenigstens spannende Interaktionen ab, wenn ein starkes Trio auf der Bühne steht.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Sevi,


    sag doch nicht "Staubi"-Tosca. Das ist so eine schöne Inszenierung ganz im Sinne des Komponisten. Und Du magst sie doch auch. Habe jetzt Fotos aus Wiesbaden gesehen: Ohweia, das ist so gar nichts für mich.


    LG,


    Christoph