Werbung oder Kritik

  • Spätestens seit der beispiellosen Hochstilisierung Anna Netrebkos zum Jahrhundertsopran in fast allen Medien anläßlich ihrer Traviata in Salzburg, stellt sich die Frage, wie konnte es soweit kommen, daß gestandene Musikliebhaberund -kenner diesen Werberummel mitmachen. Ich unterstelle einmal, daß professionelle Musikkritiker auch Musikliebhaber sind. Man kann ja die Netrebko in dieser Rolle gut finden, aber warum immer gleich die Gleichstellung mit der Callas und die Ignoranz gegenüber zeitnahen Interpretinnen wie z.B. der Gheorghiu?
    Besonders infam ist die Methode das Neueste gleich zum Besten zu erklären bei Schallplattenkritiken. Hier ja das Publikum eine erste Orientierung bekommen, ob es sich lohnt diese Aufnahme zu kaufen. Dazu gehört IMO die Analyse der Aufnahme, aber auch der Vergleich mit Referenzaufnahmen. Sicherlich liegt hier die Crux. Der Verweis auf Referenzaufnahmen kann natürlich die Attraktivität der besprochenen Aufnahme senken. Aber wäre dies so schlimm? Ob nun diese Aufnahme gekauft wird oder eine andere, bleibt doch für die Schallplattenidustrie gleich. Aber wahrscheinlich bin ich naiv, den ich schätze wohl die Art der Beziehungen zwischen Musikkritikern und bestimmten Plattenfirmen falsch ein.
    Ich möchte an der Besprechung der neuen Bartoli-CD (Maria) das Phänomen erlätern:
    Die Besprechung in der Frankfurter Rundschau beginnt:
    "Seit Maria Callas gab es keine so faszinierende Sängerin, keine Bühnenpersönlichkeit mit ähnlich vehementer Ausstrahlung. Die nette Netrebko wirkt gegen sie wie eine Sternschnuppe, ein Starlet. Sie aber ist ein Star dieser Epoche: die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli."
    Weiter:
    http://www.fr-online.de/in_und…euilleton/?em_cnt=1211293
    Wie kann Jungheinrich, der doch, weiß Gott, ein ganzes Stück Musikgeschichte erlebt hat, so ungeniert Reklame für eine CD machen. Ich habe die CD zwar nicht gehört, aber die letzten CDs zeigen doch, um es schlicht zu sagen, die Bartoli kann halt nicht mehr schön singen. Sie hatte einmal ein warmes und in allen Registern ausgeglichenes Timbre. Sie hatte! Ihre Technik ist immer noch da, aber …
    Ihr seien die Tantiemen, die sie mit diesen Progaramm-CDs einspielt, gegönnt. Aber inzwischen dürfte doch den meisten klar sein, daß dies auch ein Weg war und ist, die Konkurrenz zu meiden, was schon bei "Opera proibita", zu ihrem Nachteil nicht zu vermeiden war. Die Anzahl ihrer Bühnenrollen und Live-Auftritte hält sich nicht umsonst in engen Grenzen. Die Norma gehört nicht dazu.
    Und jetzt "Casta Diva". Ich kann es mir nichtvorstellen – na schön, als wundersames Gehauche. Wie gesagt, ich habe die CD noch nicht gehört, aber darf ein Kritiker es sich so einfachmachen? Warum stellt sich ein Kritiker so ungeniert in den Dienst der Phonoindustrie. O.K., vielleicht liege ich ja falsch mit meiner persönlichen Einschätzung der Bartoli. Ich möchte mich bei allen Bewunderern der Bartoli entschuldigen, insbesondere bei Herrn Kesting. Aber eines muß doch klar sein, die Bartoli ist keine Malibran. Sich an der größten Primadonna der Romantik zu messen ist doch reines Marketing. Und Jungheinrich schließt den Kreis, indem er die Bartoli an die Seite der Callas stellt, der wahrhaften Malibran unserer Epoche.
    arimantas

    2 Mal editiert, zuletzt von arimantas ()

  • Ich bin verwundert, daß dieser Thread (bisher) kaum auf Resonanz stieß - denn das Thema ist soch sehr interesssant, wie ich finde.


    Speziell bei Stimmen war es immer so, daß die Beurteilungen weit auseinander lagen - Wie praktisch also, wenn die Linie bereits vorgegeben ist.
    Und noch praktischer, wenn alle Kollegen ins selbe Horn stoßen - dann kann man sich ja kaum mehr blamieren.


    Aber war das nicht schon immer so ?


    Einige wenige (und nicht immer die Besten) wurden "hochgejubelt", wärend zahlreiche andere nicht mal die Chance erhielten eine Schallplattenaufnahme machen zu dürfen, den Haus- und Hofstars - die das Geld brachten - hielt man blind (und taub ?) die Treue - und besetzte sie auf "Teufel komm raus".


    Und zum Thema Kritik gibt es ein altes Sprichwort, das zwasr nicht explizit für Kritiker anwendbar ist - aber dennoch ganz ausgezeichnet passt:
    "Wes´Brot ich ess - des Lied ich sing"


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nunja, lieber Alfred, es ist ja auch nichts Neues in dieser Erregung. AN hat schon ihren eigenen Thread -und ich will hier keinen schlafenden Edwin wecken- und Du hast sehr zu Recht das nette Sprichwort erwähnt vom Brot, das man isst....


    Nur, neu ist das nicht. Allerdings ist die Werbebranche in ihrer Entwicklung auch nicht stehen geblieben. Wir nehmen diese Künstler wie Netrbeko, Lang Lang oder wen auch immer ja nur dehalb wahr, weil die Maschinerie eines großen Konzerns dahinter steckt. Der -um Lisa della Cas zu zitieren- die Leute auspresst wie Zitronen und dann wegwirft. Siehe z. B. Tzimon Barto, der seinerzeit von der EMI als Star gepushed wurde und dann plötzlich in der Versenkung verschwand. Um heute erfolgreich bei ONDINE zu veröffentlichen.


    Die Entwicklung ist doch diejenige -um die Kritik der Threaderöffnung aufzugreifen- daß die großen Label eben nicht mehr die Garanten für gute Künstlerpolitik sind. Das wissen die auch. Und "machen" deshalb Künstler.


    Sehe ich von den Boulez-Platten einmal ab -der bei der DGG unter Vertrag steht- so sind DGG, DECCA oder EMI allesamt keine Referenz mehr, die eine Kaufentscheidung beeinflussen sollte.


    cpo, D+G, Naxos, Brilliant, Hyperion, CHANDOS, Harmonia Mundi, Ondine, Marco Polo oder Virgin haben diese Werterelevanz mittlerweile eingenommen.


    Die haben allerdings nicht die finanziellen Möglichkeiten, eine PR- und Werbe-Maschinerie anzuschmeißen wie eben die alten Majors. Zwar führt die Werbung für AN bei mir nicht zu Pawlowschen Anti-Beißreflexen; allerdings werde ich auch trotz aller in den Medien bemühter Superlative nie zu einem Freund der Callas werden. Und diejenigen, die sich über die Netrebko-Hype beklagen (deren filmisch dokumentierte Bühnenpräsenz immerhin beeindruckend ist) sollten einmal darüber nachdenken, daß es zwischen der Medienaufmerksamkeit für die Callas und ihrer stimmlichen Existenz auch Gräben zu überwinden gibt. Und vermutlich wird die Netrbeko deutlich öknomischer mit ihrem Organ umgehen als MC.


    Zurück also zur Werbung: Einfach ignorieren.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich finde es nur ein bisschen merkwürdig, wenn man eine Kritik kritisiert, ohne das Objekt dieser Kritik zu kennen.
    Ich habe zwar die Kritik nicht gelesen, weil ich prinzipiell keine CD-Rezensionen lese - ich bilde mir lieber mein eigenes Urteil - kenne aber im Unterschied zu Arimantas die von ihm gescholtene Malibran-CD von Cecilia Bartoli, die mir sehr gut gefällt. Und nicht nur mir - Fairy hat bereits eine sehr fundierte und ausführliche Analyse eingestellt, auch andere Taminos haben sich dazu geäußert.
    Natürlich ist die Bartoli keine Callas (Man könnte jetzt diskutieren, ob das so erstrebenswert wäre :stumm: :stumm: ), ebenso wenig wie die Netrebko, aber wer solche "Vergleiche" ernst nimmt, ist meiner Meinung nach selber Schuld. Jeder halbwegs intelligente Mensch weiß doch, wie Werbung funktioniert und was er davon zu halten hat, also verstehe ich diese Aufregung nicht ganz.
    lg Severina :hello:

  • Auch die Klassikbranche ist darauf angewiesen, ihre Produkte in möglichst grosser Stückzahl an den Käufer oder die Käuferin zu bringen. Eine Möglichkeit, für eine CD Werbung zu machen, ist auch PR - also durchs Versenden von Rezensionsexemplaren (vielleicht verbunden mit einigen Zusatzinformationen zu den Ausführenden der Scheibe) an die Fachkritik Besprechungen der neuen CD von xy zu erreichen, die natürlich möglichst positiv ausfallen sollen.


    War Kritik in den Feuilletons schon immer auch eine Angelegenheit des subjektiven Geschmacks des Kritikers (die wirklich guten waren und sind aber in der Lage, dies kenntlich zu machen und sich um einen gewissen Grad an Objektivitär zu bemühen), so scheint mir diese "Subjektivität" durch die Maßnahmen der PR-Abteilungen der grossen Plattenfirmen noch zugenommen zu haben.


    Ich selbst lese die CD-Kritiken eher selten, benutze bestenfalls eine solche Besprechung als Hinweis auf eine Neuerscheinung, die mich möglicherweise interessieren könnte. Das oben geschilderte Beispiel anlässlich der Bartoli-CD hätte mich kaum zum weiterlesen animiert: zu deutlich ist hier die Distanzlosigkeit des professionellen Berichterstatters.


    Heinz-Klaus Jungheinrich wird für mein Empfinden als Kritiker überschätzt: entweder, er hört wirklich nichts oder er ignoriert bewusst sängerische Mängel. Da wird schon mal ein Stimmfach falsch zugeordnet oder, besonders auffällig, ein Sänger wie der Tenor William Cochran wird von Jungheinrich zum führenden Heldentenor seiner Zeit hochstilisiert, obwohl jeder hören kann, dass dieser Sänger mit seiner dünnen, engen, anämischen und unruhig geführten Stimme eher ein Beispiel für den Mangel an echten Heldentenören ist. Liegt dann nicht der Verdacht nahe, dass es hier um eine wohlwollende Beschönigung geht?


    Also: Zeitungskritiken nicht überbewerten, der Stellenwert einer gewissen "Allgemeingültigkeit" kommt ihnen kaum zu.

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  • Hallo Gestrenge,


    inzwischen habe ich die Malibran-CD gehört, obwohl mich einige recht selbstgefällige Äußerungen Cecilia Bartolis zur Callas und der Sutherland fast davon abgehalten hätten. Damit hat sie sich übrigens selbst in den Vergleich zur Callas gebracht, was aber bei Bellini unvermeidlich ist. Ich habe meinen Höreindruck in einer Antwort an Fairy Queen wiedergegeben.


    Ich selbst lese leidenschaftlich gerne Schallplattenrezensionen, so. z.B. das „fono forum“ bestimmt schon seit 40 Jahren. Sicherlich zunächst wie Alviano, um über Neuerscheinungen informiert zu werden. Z.B. von der DVD mit der b-moll-Sonate von Chopin, gespielt von Michelangeli, hätte ich sonst bestimmt nichts mitbekommen. Aber ebenso dienen mir die Besprechungen auch dazu, einen ersten Zugang zu bestimmten Künstlern oder auch Werken zu bekommen, z.B. angesichts der vielen neu herausgekommenen Vivaldi- oder Händelopern. Desgleichen hätte ich in meiner Jugend ohne Joachim Kaiser bestimmt keinen so schnellen Zugang zu vielen Pianisten gefunden, auch wenn ich heute viele seiner Auffassungen nicht mehr teile. Als ob es heute gewesen sei, erinnere ich mich an die Besprechung (1969) von Herta Piper-Ziethen der Händelkantate „Lucrezia“. Gewiß auch ein einziges Loblied auf die rumänische Sängerin Emilia Petrescu, aber eben ganz fundiert und nachvollziehbar. Immer noch meine Lieblingsaufnahme, trotz Baker, Gens, Mei (von der ich abraten würde), Kozena, Invernizzi oder auch Lesne. (Entschuldigt die Abschweifung!)


    In der Tat sind, wie Thomas Pape sagt, zwischen der Medienaufmerksamkeit für die Callas und ihrer stimmlichen Existenz auch Gräben zu überwinden. Mich hat dieser allmählich einsetzende und bis heute anhaltende, z.T. auch sehr außermusikalische, Hype immer gestört (wie z.B. auch bei Glenn Gould) und ich kann mir vorstellen, daß dieser auch abschreckend wirken kann, zumal die Callas nicht von Natur aus mit einer schönen, großen, weichen, verführerischen Stimme ausgestattet war. Daß sie auf diesem mittelmäßigen Instrument wie ein Genie gespielt hat, hat sich mir nicht von selbst erschlossen, sondern eben erst mit der Zeit über bestimmte Rezensionen und Würdigungen. Zwar würde ich Sie nie so absolut setzen, um nicht auch z.B die Traviata der Caballe zu bewundern, aber sie hat Maßstäbe gesetzt.


    Liebe Severina, mein Grundanliegen ist nicht die Kritik an Cäcilia Bartoli, sondern mein Eindruck, daß die Kritik zunehmend eine Tendenz entwickelt hat, den Hype zu verstärken oder sich narzißtisch um sich selbst zu drehen. Gerade aufgrund auch von positiven Erfahrungen, erwarte ich von den Kritikern in den Feuilletons Hilfestellung, ob es sich lohnt in diese Aufführung zu gehen, die CD zu kaufen, diesen oder jenen Künstler im Auge zu behalten. Tamino schafft ja durch die Vielfalt der Meinungen eine Art von Gegenöffentlichkeit zu dieser Tendenz, aber warum nicht auch einmal unkritische Werbeträger konkret benennen. Mit Rezensenten in Fachzeitschriften müßte man noch kritischer verfahren (Angabe von Referenzaufnahmen usw.)

    Die Hauptgefahr einer den Werbehype der großen Gesellschaften verstärkenden Kritik ist m.E. vor allem die Konzentration auf wenige Künstler. Ganz unabhängig, wie gut diese sind, fallen andere Talente durch den Rost. Das ist in der Tat nicht neu, so kommt man z.B. wegen der Politik der großen Labels nicht in den Genuß der jungen Scotto, ja vielleicht hätte sie sich gar nicht in die stimmvernichtende Rolle der Abigaille gewagt. Vollkommen unerklärlich die geringe Präsenz der Varady auf Tonträger usw. Oder empfiehlt sich eine Norah Amsellem mit ihrer wunderbaren Traviata (auf DVD) nicht weitaus eher als die Netrebko für weitere Aufgaben.

    Liebe Taminos, „das ist nichts Neues“ oder „das ist halt der Gang der Welt“ ist wenig hilfreich. Ich weiß da auch nicht „die“ Lösung. Aber wäre es nicht ein Anfang, Namen und Zeitschrift der allzu faulen, selbstverliebten oder interessengeleiteten Kritiker zu benennen ?


    Grüße aus Hamburg
    arimantas