AUDRAN, Edmond: LA POUPÉE

  • Edmond AUDRAN
    LA POUPÉE / DIE PUPPE


    Operette in drei Akten und einem Vorspiel Buch Maurice Ordonneau und Albin Valabregue Originalsprache Französisch
    UA 21.10.1896 Paris
    DE 7.1.1899 Berlin (stark gekürzt und verändert)
    Spieldauer ca. 2 Stunden



    Personen Maximius, Abt - Bass
    Lancelot, ein Novize - Buffotenor
    Hilarius, ein Puppenfabrikant - Tenor
    Madame Hilarius, dessen Frau - Sopran
    Alesia, deren Tochter - Soubrette
    La Chanterelle, Lancelots Onkel - Tenor
    Bruder Balthasar, Mönch - Tenor
    Loremois, Balthasars Freund; Gesellschafterin; Lehrlinge; 2 Diener; Stubenmädchen; Mönche; Bauernvolk; Handwerker; Hochzeitsgäste


    Ort und Zeit: Eine französische Kleinstadt im 19. Jahrhundert


    Vorspiel: In einem verfallenen Konvent leben die Klosterbrüder in großer Armut, weil sie das Vermögen des Klosters verprasst haben und das Volk nicht mehr so bereitwillig zahlt wie früher. Da passt es dem Vorsteher Maximius überhaupt nicht, dass der Novize Lancelot von seinem Onkel enterbt werden soll, wenn er dem Orden beitritt, während ihm eine stattliche Mitgift winkt, wenn er heiratet. Die prahlerische Anzeige des Puppenfabrikanten Hilarius, der die täuschende Ähnlichkeit seiner Puppen mit lebenden Menschen anpreist, bringt Maximius auf eine Idee. Wenn Lancelot eine Puppe heiratet, kann er sowohl sein Keuschheitsgelübde einhalten als auch die Mitgift einstreichen, die er als Bettelmönch natürlich an das Kloster wird abführen müssen. Der schüchtern-naive Lancelot ist einverstanden und macht sich auf den Weg zu Meister Hilarius.


    Erster Akt: In Hilarius’ Werkstatt hat dessen Tochter Alesia gerade ihrem Ebenbild die Arme ausgerissen, weil sich ihr Vater nur noch um die Puppe und nicht um sie kümmert. Als Lancelot eintrifft, muss sie daher vorgeben, selbst die Puppe zu sein. Lancelot ist begeistert und erwirbt die Puppe von Hilarius, der, seiner Brille beraubt, nicht merkt, dass er seine eigene Tochter verkauft und ihm als Draufgabe sogar noch seine Frau mitgibt, die ihren Mann für dessen Vernachlässigung seiner Familie bestrafen will. Sie behauptet, als Puppenmutter bei ihrer Tochter bleiben zu müssen. Lancelot lässt die Puppen einpacken um sie umgehend seinem Onkel zu präsentieren.


    Zweiter Akt: Der Baron Chanterelle ist von der Entscheidung seines Neffen begeistert und lässt umgehend die Hochzeit vorbereiten, zu der natürlich auch der Brautvater geladen ist. Seine Frau bekommt es mit der Angst zu tun und verrät dem Baron das Geheimnis der unechten Puppe. Dieser freut sich nun erst recht und sorgt dafür, dass die Hochzeit rechtskräftig wird. Er bittet Alesia, die sich in den Novizen verliebt hat, ihre Rolle als Puppe bis nach der Hochzeit weiter zu spielen, was sie mehr als gerne und sehr überzeugend tut. Unmittelbar nach der Hochzeit fährt Lancelot mit seiner kunstvollen Braut ins Kloster, während Hilarius damit angibt, dass seine angebliche Tochter nur eine Puppe sei. Der Baron und Madame Hilarius belehren ihn eines Besseren. Entsetzt eilt Hilarius davon um sich im Kloster selbst davon zu überzeugen, dass er seine eigene Tochter verkauft hat.


    Dritter Akt: Lancelot führt seinen Klosterbrüdern die Puppe vor, und diese bestaunen die Lebendigkeit der Puppe, denn ihre Erfahrungen mit echten Frauen sind begrenzt. Der gehorsame Novize darf seine Puppe mit auf die Zelle nehmen, wo sie ihm einen leidenschaftlichen Kuss gibt und gesteht, gar keine Puppe zu sein, sondern eine echte Frau, die ihn liebt. Lancelot, der schon länger bedauert hat, dass seine „Frau“ nur eine Puppe ist, freut sich über die unverhoffte Entwicklung, und beide nutzen die Situation um einige Entdeckungen zu machen, die ihnen bislang verwehrt geblieben waren. Da kommt, gefolgt von einer schadenfrohen Hochzeitsgesellschaft, Hilarius herbei geeilt um seine Tochter zurück zu fordern. Zum Entsetzen der Mönche tritt Lancelot nicht etwa mit einer Puppe aus der Stube, sondern mit einem überglücklichen Mädchen, das ihrem Gatten gerade ihre Unschuld geschenkt hat. Betroffen realisieren Hilarius, der Abt Maximius und die Mönche die Folgen ihres Eigensinns. Hilarius will sich wieder mehr um seine Frau kümmern und die Mönche müssen fortan arbeiten, was ihnen insofern etwas leichter fällt, als Lancelot ihnen zum Dank für ihre Kuppelei einen Teil seiner Mitgift überlässt.


    Kommentar:
    LA POUPÉE, Audrans dauerhaftestes Werk neben der bukolischen Operette LA MASCOTTE von 1880, war auch eines seiner letzten. Darin kombinierten Audran und seine Librettisten geschickt und mit komischem Effekt Elemente der damals beliebten, frivolen Klosterabenteuer mit E. T. A. Hoffmanns Geschichte von der täuschend menschlichen Puppe, die sie von ihrem unglaubhaft mechanischen Kopf auf höchst lebendige Füße stellen, indem sie, wie schon Adolphe Adam in LA POUPEE DE NUREMBERG (1854), aus der vermeintlichen Puppe ein Wesen aus nicht nur begehrenswertem, sondern auch höchst begehrendem Fleisch und Blut machten.


    Der in der Vergangenheit gelegentlich geäußerte Vorwurf, Audrans melodische Einfälle stünden hinter denen seiner berühmteren Zeitgenossen zurück, ist angesichts der zahlreichen Höhepunkte allein in LA POUPÉE nur schwer nachzuvollziehen. In seiner Virtuosität im Aufbau mitreißender Finalensembles braucht er sich ebenfalls vor niemandem zu verstecken. Zudem wird bislang viel zu wenig gewürdigt, dass Audrans Schaffen nicht nur bis zuletzt sein Niveau hielt, sondern dass er sogar beständig an Fähigkeit gewann, seine Musik aus der Psychologie seiner Helden zu entwickeln und diese sehr nuanciert zu charakterisieren. Es braucht also nicht zu verwundern, wenn sein beinahe letztes Werk auch sein bestes ist. Wenn unter den großen Komponisten der französischen Operette jemand eine Wiederentdeckung verdient hat, dann Edmond Audran.


    (copyright 2007 by Rideamus)