Die Bachkantate (165): BWV80: Ein feste Burg ist unser Gott

  • BWV 80: Ein feste Burg ist unser Gott
    Kantate zum Reformationsfest (Leipzig, um 1728/31, evtl. auch erst 1735)




    Lesungen:
    Epistel: 2. Thess. 2,3-8 (Mahnung zur Standhaftigkeit gegen die Widersacher)
    Evangelium: Offenb. 14,6-8 (Das ewige Evangelium: Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre)



    Acht Sätze, Aufführungsdauer: ca. 30 Minuten


    Textdichter: Salomon Franck (1659-1725), Dichtung von 1715
    Choral (Nr. 1, 5 und 8, sowie in Nr. 2): Martin Luther (1528/29)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I-III, Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Choral SATB, Oboe I-III, Streicher, Continuo
    Ein’ feste Burg ist unser Gott,
    Ein’ gute Wehr und Waffen;
    Er hilft uns frei aus aller Not,
    Die uns itzt hat betroffen.
    Der alte böse Feind,
    Mit Ernst er’s itzt meint
    Groß’ Macht und viel List
    Sein’ grausam’ Rüstung ist,
    Auf Erd’ ist nicht sein’sgleichen.


    2. Aria + Choral Sopran (Choral), Bass (Aria), Oboe I, Streicher, Continuo
    Alles, was von Gott geboren,
    Ist zum Siegen auserkoren.
    Mit unser’ Macht ist nichts getan,
    Wir sind gar bald verloren.
    Es streit’ vor uns der rechte Mann,
    Den Gott selbst hat erkoren.

    Wer bei Christi Blutpanier
    In der Taufe Treu’ geschworen,
    Siegt im Geiste für und für.
    Fragst du, wer er ist?
    Er heißt Jesus Christ,
    Der Herre Zebaoth,
    Und ist kein and’rer Gott,
    Das Feld muss er behalten.

    Alles, was von Gott geboren,
    Ist zum Siegen auserkoren.


    3. Recitativo Bass, Continuo
    Erwäge doch,
    Kind Gottes, die so große Liebe,
    Da Jesus sich
    Mit seinem Blute dir verschriebe,
    Wormit er dich
    Zum Kriege wider Satans Heer
    Und wider Welt und Sünde
    Geworben hat!
    Gib nicht in deiner Seele
    Dem Satan und den Lastern statt!
    Lass’ nicht dein Herz,
    Den Himmel Gottes auf der Erden,
    Zur Wüsten werden!
    Bereue deine Schuld mit Schmerz,
    Dass Christi Geist mit dir sich fest verbinde!


    4. Aria Sopran, Continuo
    Komm in mein Herzenshaus,
    Herr Jesu, mein Verlangen!
    Treib’ Welt und Satan aus
    Und lass’ dein Bild in mir erneuert prangen!
    Weg! schnöder Sündengraus!


    5. Choral SATB (in unisono), Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
    Und wenn die Welt voll Teufel wär’
    Und wollten uns verschlingen,
    So fürchten wir uns nicht so sehr,
    Es soll uns doch gelingen.
    Der Fürst dieser Welt,
    Wie sau’r er sich stellt,
    Tut er uns doch nicht,
    Das macht, er ist gericht’,
    Ein Wörtlein kann ihn fällen.


    6. Recitativo Tenor, Continuo
    So stehe dann
    Bei Christi blutgefärbten Fahne,
    O Seele, fest!
    Und glaube, dass dein Haupt dich nicht verlässt,
    Ja, dass sein Sieg
    Auch dir den Weg zu deiner Krone bahne!
    Tritt freudig an den Krieg!
    Wirst du nur Gottes Wort
    So hören als bewahren,
    So wird der Feind gezwungen auszufahren,
    Dein Heiland bleibt dein Heil,
    Dein Heiland bleibt dein Hort!


    7. Duetto Alt, Tenor, Oboe da caccia, Solo-Violine, Continuo
    Wie selig sind doch die, die Gott im Munde tragen,
    Doch sel’ger ist das Herz, das ihn im Glauben trägt!
    Es bleibet unbesiegt und kann die Feinde schlagen
    Und wird zuletzt gekrönt, wenn es den Tod erlegt.


    8. Choral SATB, Oboe I-III, Streicher, Continuo
    Das Wort sie sollen lassen stah’n
    Und kein’ Dank dazu haben.
    Er ist bei uns wohl auf dem Plan
    Mit seinem Geist und Gaben.
    Nehmen sie uns den Leib,
    Gut, Ehr’, Kind und Weib,
    Lass’ fahren dahin,
    Sie haben’s kein’ Gewinn;
    Das Reich muss uns doch bleiben.






    Es gibt nicht mehr allzu viele Choräle, die auch heutzutage noch eine weitverbreitete Bekanntheit besitzen und deren Melodien (und Worte) einem sofort bei deren Erwähnung einfallen. Das war zu Bachs Zeiten mit Sicherheit noch ganz anders: Für viele seiner Zeitgenossen waren die verschiedenen Kirchenchoräle oft die einzige Musik, der sie in ihrem Alltag regelmäßig begegneten.
    Umso schöner ist es für uns Heutige natürlich, wenn wir in Bachs Kantaten (und anderen geistlichen Werken) Chorälen begegnen, die wir auch heute noch (einigermaßen) kennen und singen können. Ich denke da zum Beispiel an Stücke wie „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ oder eventuell auch noch „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ oder „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ und eben „Ein feste Burg ist unser Gott“ - die Hymne Martin Luthers, die zum Reformationsfest zu gehören scheint, wie „O Haupt voll Blut und Wunden“ zum Karfreitag oder “Vom Himmel hoch, da komm’ ich her“ zu Weihnachten!


    Interessanterweise war dies nicht immer so: Der Luther-Choral “Ein feste Burg“ war (auch) dem Fastensonntag Oculi zugeordnet: Im Evangelium für diesen Sonntag ist die Rede von der Vertreibung böser Geister durch Jesus und der Unterstellung seiner Kritiker, er stehe hierbei mit dem Satan selber in Verbindung. Und von der Bedrohung durch den “alten bösen Feind“ ist im Luther-Choral ja auch ausgiebig die Rede.


    Nun war es so, dass in Leipzig während der Fastenzeit die Figuralmusik in den Kirchen zu schweigen hatte, Bach aber während seiner Dienstjahre am Weimarer Hof Kantaten für einige Sonntage der Fastenzeit komponiert hatte.
    Da er stets wirtschaftlich dachte, war er nun bestrebt, diese Kantatenkompositionen auch in Leipzig verwenden zu können und hier bot sich für seine Weimarer Kantate “Alles, was von Gott geboren“ (BWV 80 a), die für den erwähnten Sonntag Oculi entstanden war, aufgrund ihrer Einbindung des Luther-Chorals “Ein feste Burg“ (dessen 2. Strophe diente dort als Schlusschoral) eine Wiederverwendung als Kantate zum Reformationsfest geradezu an.


    Wann genau Bach die hier besprochene Kantate aus dem alten Weimarer Material kreierte, ist leider nicht mehr eindeutig datierbar – auch die Originalvorlage (BWV 80 a), die mit dem heutigen 2. Satz begann, ist nicht mehr erhalten und lässt sich nur aus der Retrospektive auf der Basis der Reformations-Kantate ansatzweise rekonstruieren.


    Die Kantate ist eine Choralkantate, die eventuell von Bach als nachträgliche Einfügung in seinen Choralkantatenjahrgang von 1724/25 gedacht worden war, der ja offensichtlich noch keine solche für den Reformationstag enthielt.
    Bach hat Luthers bekannten vierstrophigen Choral vollständig in die Kantate integriert – die Sätze, die nicht auf den Choralstrophen beruhen, stammen nach wie vor und unverändert von Salomon Franck, dem Weimarer Hofpoeten und Textlieferanten der meisten Weimarer Bachkantaten.


    Im Gegensatz zur nur wenige Jahre älteren Kantate BWV 79 überrascht die verhältnismäßig bescheidene Orchesterbesetzung dieser Kantate: „Nur“ drei Oboen treten zu Streichern und Continuo-Gruppe hinzu.
    Es drängt sich natürlich die Frage auf, ob Bach diese „instrumentale Selbstbeschränkung“ mit Absicht gewählt hat (z. B. um die Zuhörer nicht unnötig vom Textvortrag abzulenken, was in gewissem Sinne ja auch ein zentrales Anliegen der Reformation war...), oder ob er notgedrungen auf eine „Festtagsbesetzung“ mit Pauken und Trompeten verzichten musste, weil ihm keine geeigneten Musiker zur Verfügung standen?
    Bachs ältester Sohn Wilhelm Friedemann scheint die Orchesterbesetzung dieser Kantate jedenfalls offensichtlich als zu dürftig empfunden haben – nach dem Tode seines Vaters pompöste er das Werk ordentlich auf, indem er einen Part für 3 Trompeten plus Pauken hinzufügte – ähnlich verfuhr er ja auch mit der bekannten Kantate BWV 51. Offenbar hatte Johann Sebastians Sprössling es gern etwas lauter und mit mehr "Sound" (jaja, die jungen Leute) ... :D


    In dieser Version scheint die hier besprochene Kantate lange Zeit fast ausschließlich musiziert worden zu sein – soweit ich es nachvollziehen kann, ist die originale Orchesterfassung von Vater Bach erst im Rahmen der historischen Aufführungspraxis im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wieder zu Ehren gekommen.


    Sicher – beide Fassungen haben ihre Vorzüge und ihre Existenzberechtigung: Das prachtvolle Trompetengeschmetter Wilhelm Friedemanns passt gut zum trutzig-stolzen Text des Luther-Chorals, aber die Kantate verliert wirklich nichts, wenn stattdessen „nur“ die drei Oboen erklingen, die Vater Bach hier eigentlich vorgesehen hatte. :yes:


    Gerade der prächtige Eingangschoral (der von Alfred Dürr zu Recht als “Höhepunkt des Bachschen vokalen Choralschaffens“ bezeichnet wurde) scheint von Bach wiederum erst einige Jahre nach der Fertigstellung der „Reformations-Fassung“ dieser Kantate angefertigt worden zu sein. Ursprünglich wurde die Kantate wohl nur durch eine schlichte Choralstrophe eingeleitet.


    Das Besondere am Eingangschoral ist – neben vielen anderen bewunderungswürdigen Aspekten – die Art und Weise, wie Bach die eigentliche Choralmelodie vortragen lässt. Geschieht dies normalerweise durch eine der Gesangsstimmen (meist der Sopran), so lässt er hier alle vier Stimmen die Melodie stets „nur“ in variierter und ausgezierter Form singen und zieht dabei alle Register seiner Satzkunst.
    Am Ende jeder Choralzeile erklingt dann doch noch die eigentliche Choralmelodie – allerdings sind es die Oboen (bzw. bei Wilhelm Friedemann Bach die Trompeten) und die Bass-Stimme im Continuo, die diese Aufgabe übernehmen! Auch dies hat wieder einmal eine tiefere (theologische) Bedeutung: Die alles umfassende Macht Gottes wird auf diese Weise sinnfällig dargestellt, indem die höchsten und tiefsten Stimmen des Ensembles dieses musikalische Glaubensbekenntnis intonieren!
    Was für ein Meisterwerk! :jubel::jubel::jubel:


    In die Weimarer Fassung der jetzigen Arie Nr. 2 hat Bach virtuos die zweite Choralstrophe eingebaut, die nun der Sopran – mit einigen Verzierungen versehen – vorträgt, während der Bass die mit zahlreichen Koloraturen geschmückte Arie singt.


    Bachs Vorliebe für Kontrastwirkungen innerhalb seiner Kantaten kommt in der Arie Nr. 4 zum Tragen, die im Gegensatz zu den beiden ersten Sätzen lediglich mit intimer Continuobegleitung auskommt und eine anmutig-grazile Wirkung hat.


    Dass Luthers Choral einen entschlossenen und durchaus kämpferisch-trotzigen Charakter hat, macht Bach im Choral Nr. 5 deutlich: Der ganze Chor intoniert unisono die dritte Choralstrophe, während das begleitende Orchester diesen Vortrag ausschmückt. Die drei Oboisten tauschen hierfür ihre Instrumente gegen 2 Oboi d’amore und eine Oboe da caccia aus. Auch hier erklingen in der Fassung von Wilhelm Friedemann Bach Trompeten.


    Beide Rezitative diese Kantate stammen ziemlich unverkennbar aus der ursprünglichen Weimarer Fassung des Werks – sie enden beide typischerweise in einem wohl als Arioso zu bezeichnenden Teil.


    Wie in vielen Kantaten Bachs steht an vorletzter Stelle ein Duett – hier übernehmen es Solo-Alt und –Tenor, begleitet von einer Oboe da caccia und einer Solo-Violine (und dem Continuo natürlich). Auch dieses Duett ist – ähnlich zur Arie Nr. 4 – von eher poetischem und innigem Charakter. Der kontrastierende Mittelteil (“Es bleibet unbesiegt“) setzt sich wiederum wirkungsvoll von der eingangs besungenen „Seligkeit“ ab. Das Duett in der Reformations-Kantate BWV 79 hat Bach ganz ähnlich gestaltet.


    Abschließend wird in gewohnt schlichter Form die letzte Choralstrophe vorgetragen – bei Wilhelm Friedemann dürfen hier auch die Trompeten ein letztes Mal festlich schmettern...


    Diese Kantate gehört – bedingt durch ihre Kopplung an den unverändert sehr beliebten Luther-Choral – zu den populärsten geistlichen Kompositionen Bachs überhaupt. Sie ist als erste Bachkantate überhaupt bereits 1821 im Druck erschienen (wohlgemerkt in der Fassung von Wilhelm Friedemann Bach!).
    Zu diesem Zeitpunkt lagen weder die h-moll-Messe noch die Matthäus-Passion in gedruckter Form vor!


    Gut möglich, dass der glühende Bach-Verehrer Felix Mendelssohn-Bartholdy sich durch diese Kantate zur Anfertigung seiner eigenen “Reformations“-Sinfonie (seine 5. Sinfonie) inspirieren ließ, die anlässlich der 300-Jahr-Feier der “Augsburger Konfession“ von 1530 entstanden war.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • "Ein feste Burg ist unser Gott" war eine der ersten Bachkantaten, die ich kennengelernt habe. Und zwar in dieser Aufnahme mit Richter/Münchner Bach-Chor- und -Orchester:



    Dort wird noch die von Sohn Wilhelm Friedemann "aufgepeppte" Version des Eingangschors mit Pauken und Trompeten gespielt - das hat schon was.


    Wer die frühere Art der Bach-Interpretation(sehr groß besetzter Chor und eben solches Orchester, langsame Tempi) noch nicht kennt, der kann durch diese CD für wenig Geld einen guten Eindruck davon bekommen.


    Und auch, wenn ich vor allem den Chor so heute nicht mehr hören mag, das war über Jahrzehnte hinweg Referenz und schon deshalb sollte man es kennen.


    Mit Gruß von Carola

  • Guten Abend


    diese Kantate lernte ich erstmals um 1978 in der Einspielung mit N. Harnoncourt -ohne Paucken & Trompeten- kennen und schätzen. Sie hat mich von Anfang -vom monumentalen Eingangschor, über den Choral "Und wenn die Welt voll Teufel wär.." bis zum Duett "Wie seelig sind.."- an fasziniert.


    Als Einspielung liegt sie mir in diesem



    Album vor :jubel: :jubel:


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Hallo!


    Diese Doppel-CD lag bei mir ein paar Wochen ungehört rum, heute habe ich sie mir dann vorgenommen. Meine Wahl fiel zuerst auf BWV 80.



    Das war dann doch ungewohnt, die Kantate in solistischer Besetzung zu hören. Sie verliert dadurch an Wucht und Pracht, gewinnt aber an Transparenz und Intimität.
    Sehr interessant, aber gewöhnungsbedürftig.


    Viele Grüße,
    Pius.