was war los im Paris des Jahres 1752? - Streit!

  • Hallo Miteinander!


    Beim Buffonistenstreit im Frankreich Mitte des 18. Jahrhunderts ging es darum, welcher Musik wohl der Vorzug zu geben sei, der französischen oder der italienischen. Dabei wurden diesen beiden Stilen bestimmte Eigenschaften unterstellt. Dem Französischen wurde nachgesagt, schwer und erst zu sein, man zweifelte, ob sich die französische Sprache überhaupt für die Oper eigne. Das Italienische wurde als eingängig und leicht bewertet. (Über diese Zuordnung ließe sich auch streiten, ich hoffe jedenfalls darauf.) Die Befürworter der französischen opéra tragique wurden als die Coin du Roi, die Freunde der opera buffa als Coin de la Reine bezeichnet.


    Zum offenen Ausbruch kam es 1752, als eine italienische Opernkompanie Pergolesis La serva padrona in Paris mit großem Erfolg gab (ein paar Jahre vorher fiel dieses Werk bei den Franzosen noch durch). Der berühmte Philosoph und Musikliebhaber Jean-Jacques Rousseau veröffentlichte seinen Lettre sur la musique française, in dem er u.a. Rameaus Werke der französischen Seite zuordnete. Das klingt erstmal widersprüchlich, jedoch wurde Rameau lange von beiden Seiten immer wieder in die Schlacht geworfen. Er komponierte zwar formal im Stile Lullys, jedoch verwendete er ungewohnte Klänge und Klangmalereien.


    Rousseau komponierte auch selbst und brachte in jenem Jahr, 1752, seine Oper Le devin du village (Der Dorfwahrsager) zur Aufführung. In diesem Werk versuchte er eine Synthese der französischen Sprache und der italienischen Musik. (Nebenbei, das Singspiel Bastien und Bastienne des 12-jährigen Mozart hat sehr starke Bezüge zur Handlung in Rousseaus Kurzoper.) Der Erfolg war so groß, dass er über mehrere Jahre von den Einnahmen leben konnte, Rousseaus bescheidene Lebensführung relativiert die Summe allerdings. Eine vom König angebotene Pension schlug er jedoch aus, weil er sich nicht in Abhängigkeiten begeben wollte. Aber zurück zu eigentlichen Thema.


    Meine Frage nun, die ich zur Diskussion stelle; wie ist wohl die Meinung zu diesem Disput am heutigen Tage? Welches sind die Vorzüge oder Nachteile beider Stile?


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • WOW!!


    Hab grade eben bemerkt, dass obiger Beitrag der 1000. im Unterforum Vokalmusik war! :jubel:
    Na, wenn das kein Grund zum diskutieren ist...


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Nun auf welcher Seite ich stehe, dürfte klar sein... :D


    Ich halte den frz. Musikstil für wesentlich gefühlvoller und eleganter, wärende der Italienische oft nur billige Effekthascherei ist :stumm:
    Gerade Pergolesis "Serva Padrona" fand ich unglaublich öde, allein das Thema finde ich furchtbar.
    Ich bin eben ein Lullist durch und durch...


    Es gibt ein Werk dieser Zeit "Les Troqueurs" 1753 von Antoine Dauvergne (er wurde unter Louis XVI Surintendant) da wurde versucht die beiden Richtungen zu verbinden, eine witzige Verwechslungsgeschichte mit französischer Musik.
    Eingespielt von William Christie / Capella Coloniensis (HMF)


    Im allgemeinen bin ich der Auffassung, dass die frz. Opern geschickter konstruiert sind, außerdem muß ich gestehen sind mir "erhabenere" Themen viel lieber.
    Aber egal wie man es betrachtet es bleibt eine Frage des persönlichen Geschmacks.
    Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass auch Heute noch die Parteien den Disput mit gleicher Schärfe führen würden.
    Es soll ja fast wie bei einem Religionskrieg zugegangen sein....

  • Hallo,


    Ganz langsam, aber sicher beginne ich auch auf diesem Parkett Fuß zu fassen. Ursprünglich hatte ich einige "Alibiwerke" aber die Stile konnte ich nicht auseinander halten. Nun habe ich einige Werke dieser Zeit gehört, und meine nun allmählich die beiden Stile auseinander halten zu können, der französiche Stil ist, wenn ich das richtig sehe der "Höfischere", man kann aber gehässig sagen auch der "parfümiertere" zugleich aber mit sehr reräsentativ bombastischen Einlagen und einer eigenen Kultur der Flöten, oder ist das nur eine spezifische Eigenart von Rameau ?


    Wenn ich das Booklet meiner Naxos Aufnahme richtig verstanden habe, haben sich die verfeindeten Parteien der (konservativen)"Lullisten" und der (eher "fortschrittlichen") "Ramisten" für kurze Zeit sogar "zusammengeschlossen" (soll wahrscheinlich heißen, sie befehdeten einander weniger) gegen die "Eindringlinge aus Italien" um sie zu vertreiben...


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Streit zwischen den Ramisten und den Lullisten wurde durch Rameaus "Hippolyte et Aricie" ausgelöst die ja bekanntlich seine erste Oper ist. Rameau bezeichnete sich selbst als Lullisten und fand diesen Streit höchst lächerlich und wollte sich da lieber raushalten.
    Mit dem Buffonistenstreit wurde dieser Streit aber schnell beigelegt und Rameau bzw. seine Werke Lully gleichgestellt.
    Doch die beiden Opern, die sogenannten Schlachtschiffe der Lullisten waren nicht von Rameau, sondern "Armide" von Lully und "Titon et l'Aurore" von Jean Joseph Cassanea de Mondonville. Doch wurde Rameau ungewollt zur Führer Figur der frz. Musikpartei.
    Dieser Streit schien den Franzosen aber Spaß zu machen, später mit Gluck und Piccinini wurde das gleiche nochmal gemacht...


    Ich selbst habe auch zuerst Lullys Musik kennen gelernt und dann über Campra mich mit Rameau beschäftigt und mir "Hippolyte" als erstes Werk zugelegt und ich konnte ganz genau nachfolziehen was die Lullisten empfanden. Und genau wie die Lullisten damals musste ich mich erst einmal an die neue Kompositionsweise gewöhnen bis ich sie fast genauso schätzte wie die von Lully.


    Nur diesen italienischen Opera Buffa Machwerken kann ich bis heute nichts abgewinnen, weder vom Inhalt noch von der Musik.
    Aber ich halte ja auch Rousseau für einen Träumer und Voltaire für einen kriecherichen Schwätzer 8)


    Das mit den Flöten was Du meinst Alfred, ist bei Rameau zwar besonders ausgeprägt (schein wohl, als sei er der Erfinder) aber das findet man auch bei seinen Zeitgenossen: Mondonville, Francoeur Dauvergne z.B.
    Lully, Delalande und Campra haben Flöten vollkommen anders eingesetzt.

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  • Hier sollte man vielleicht nochmal die Werke posten um die es ging die sogenannten "Schlachtschiffe"
    Denn glücklicherweise sind diese Werke eingespielt worden:


    Auf der französischen Seite:



    Lully - Armide
    La Chapelle Royale / Collegium Vocale / Herreweghe
    G. Laurens / H. Crook


    Besonders der Monolog der Armide wurde zum Paradebeispiel der frz. Oper.



    Mondonville - Titon et l'Aurore
    Les Musiciens du Louvre / Minkowski


    Diese Oper löste Armide als Schlachtschiff ab, Titon gilt als eine der erfolgreichsten frz. Opern des ausgehenden Barock.



    auf der italienischen Seite:



    Pergolesi - La serva padrona
    La Petit Bande / Kuijken
    (es gibt noch ettliche andere Aufnahmen, ich habe diese gewählt, da ich sie selbst besitze)


    Diese Werk löste den Buffonistenstreit aus und ist damit ohnehin schon eines der wichtigsten Werke der Musikgeschichte.



    die Nachahmer:



    Antoine Dauvergne, der spätere Oberhofmeister der Musik Louis XVI komponierte eine frz. komische Oper:




    Les Troqueurs
    Capella Coloniensis / Christie


    Auch Rameau versuchte sich an einem komischen Stoff "Platée" dann das wohl berühmteste Folgewerk "Le Devin du village" des Philosophen Rousseau.


    Dann später folgten die Werke von Grétry.

  • Johann Mattheson schrieb bereits 1739 dazu:


    Was die ächten frantzösischen Trio, sowol zum Singen, als zum Spielen anlanget, ist doch Lully immer obenan zu setzen. Denn es gibt unter den jüngern Frantzmännern, die der Musik obliegen, sehr viele, dermaassen verwelschte Kräuseler, daß sie zu lauter gezwungenen Sonderlingen werden, und keiner Nachahmung werth sind.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
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    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Und Johann Adolf Scheibe scheibt 1745:


    Der französische Styl, oder vielmehr die französische Musikart ist durchaus lebhaft und munter. Sie ist kurz und sehr natürlich. Diejenigen Stücke, in welchen viele Stimmen zugleich arbeiten, haben eine starke, lebhafte und deutliche Harmonie. Auch die Mittelstimmen führen oft einen ziemlichen Gesang bey sich, und alles ist in eine abgemessene Anzahl und Eintheilung der Takte sehr klüglich eingeschränkt: daß also der Rhythmus und das Metrum allemal auf das deutlichste ins Gehör fallen. Es müssen also die französischen Stücke sehr natürlich seyn; zumal da sie alle weithergesuchte und schwülstige Ausschweifungen fliehen. Die größte Stärke dieser Musik besteht vornehmlich in den so genannten Ouverturen, in starken wohl besetzten Singechören, und diese sind insonderheit von vortrefflichem Nachdrucke. Ferner zeiget sie sich auch in dreystimmigen Stücken, wie auch in solchen Stücken, die für die Kniegeige und Querflöte gesetzet sind. Hinzu kommen noch allerhand kleine Lieder, Arietten und Tänze.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
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    - H. Heine -

  • Lassen wir noch einen weiteren Zeitgenossen zu Worte kommen. André Ernest Modeste Grétry schrieb


    über den italienischen Stil:


    Die italienische Schule ist die beste, die es gibt, sowohl für Komposition als auch für den Gesang. Die Melodie der Italiener ist einfach und schön, niemals darf man sie hart und überladen darbieten. [...]
    Was indessen fehlt den Italienern, um eine gute ernste Oper zu haben? - denn während der neun bis zehn Jahre, die ich in Rom lebte, habe ich keine einzige zu Erfolg gelangen sehen. Wenn man sich mitunter in Massen dorthin begab, so deshalb, um diesen oder jenen Sänger zu hören; sobald er aber nicht mehr auf der Bühne war, zog sich jedermann in seine Loge zurück, um Karten zu spielen und Eis zu essen, während das Parkett gähnte. [...]
    Laßt uns also einzig und allein hier den Grund für die Langeweile und das geringe Interesse an der italienischen Oper suchen, denn wenn man sich in der Tat den Spaß machte, aus einer Partitur die Wiederholungen, Koloraturen und die unnötigen Ritornelle wegzustreichen, so behaupte ich, daß man sie dadurch um zwei Drittel kürzen könnte und daß folglich die Handlung auf solche Weise konzentriert, mehr interessieren würde. [...]
    Sehen sie sich im übrigen alle Bravourarien an, die eine italienische Oper enthält: Sie werden überall die gleiche Art, die gleiche Manier und nahezu die gleichen Koloraturen finden, obwohl sie alle in verschiedenen Situationen erscheinen. Wie sollte man sich in einer solchen Einförmigkeit nicht langweilen?[...]
    Man stimmt allgemein darin überein, daß die Instrumentalmusik der Italiener schwach ist. Fast nie ist Melodie darin, weil hier die Italiener bestrebt sind, harmonischen Wirkungen nachzulaufen; und dennoch findet man wenig Harmonie, weil sie die Kunst des Modulierens nicht kennen.



    Aber auch am französischen Stil findet er wenig Gutes:


    Ich war zweimal hintereinander in der Oper gewesen weil ich glaubte, mich beim ertstenmal getäuscht zu haben; aber dadurch wurde mir die französische Musik nicht verständlicher. Man gab Dardanus von Rameau. Ich saß neben einem Mann, der vor Wonne starb, und ich war gezwungen hinauszugehen, um nicht vor Langeweile zu sterben. Ich glaubte, gewisse italienische Arien zu hören, die veraltet waren und auf deren triviale Wendungen mein Lehrer Casali mich mitunter aufmerksam gemacht hatte, um mir den Fortschritt seiner Kunst zu demonstrieren.




    Thomas

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    - H. Heine -

  • Viel später schreibt Grétry rückblickend:


    • über die Italiener


      Pergolesi war mit der Wahrheit völlig eins; Vinci, Leo, Terradellas, Galuppi, Jomelli, Piccinni, Cimarosa und Paisiello waren oder sind geschickte Musiker, die nacheinander beliebt gewesen sind, ohne den Fortschritt der Kunst befördert zu haben, da sie nicht wie Pergolesi die deklamatorische Wahrheit empfunden haben. Tatsächlich hat jeder von den Fortschritten profitiert, die die Sänger und Instrumentalisten aller Gattungen machten, um ihre Werke zu bereichern. Was aber das Wesen der Kunst angeht, so sind sie, ich wiederhole es, nicht über Pergolesi hinausgelangt. Sacchini ist nach meiner Ansicht ein Fall für sich. Ohne neue Ideen gefällt sein unbestimmter und reiner Gesang, wie er vom Instinkt eingegeben ist. Durante, Jomelli und mehrere gelehrte Harmoniker seiner Schule haben sich im Kontrapunkt ausgezeichnet, ich wage sogar zu sagen im gefühlvollen Kontrapunkt, der dem Ausdruck freundlich gesonnen ist.


    • über die Franzosen


      Die Franzosen, die, melodisch die Italiener und harmonisch die Deutschen nachahmend, nichts Neues hervorbringen konnten, haben alles vervollkommnet, indem sie Melodie und Harmonie dramatisch machten. Die französischen Schriftsteller haben dieser Entdeckung den Weg bereitet, sie haben Texte geschrieben, die so gut waren, daß die Musik es nicht wagte, sie durch Unsinnigkeiten zu entstellen. In Italien können fast alle Arien von Metastasio aus Stücken gestrichen werden, ohne der Handlung des Dramas zu schaden. In Frankreich ist die Dichtung für die musikalische Bühne selbst Handlung, und der Musiker hat sie respektieren müssen.


    • über die Deutschen


      Als Nachahmer der Melodie der Italiener haben sie mehr als jene in der Harmonie kombiniert; wenn sie vielleicht auch keinen Meister besitzen, den man als Muster wahrer Deklamation anführen könnte, haben die Deutschen doch die wahre Instrumentalmusik erfunden. Sie haben für die Blasinstrumente die Grenzen des Möglichen bestimmt. Schließlich haben sie das ganze übrige Europa gelehrt, daß die Unterstützung durch eine kraftvolle, reiche und vielfältige Harmonie zu einem Ruhm verhilft, der unmittelbar nach demjenigen kommt, den das schöpferische Genie erntet, das die Natur abmalt, das heißt die genaue und in köstlichen Gesang verwandelte Deklamation.




    Thomas

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