Cassandra / Elektra an der DOB, 08.11.2007

  • Gestern Abend hat mir mein Opern-Abo Vittorino Gnecchis „Cassandra“ und Richard Strauss' „Elektra“ an der DOB beschert.


    Gnecchis „Cassandra“ wurde 1905 unter Toscanini in Bologna uraufgeführt und im Nachgang zur vier Jahre später uraufgeführten „Elektra“ rühren sich Stimmen, die Strauss vorwarfen, bei Gnecchi „geklaut“ zu haben.
    Nun gab es diese beiden thematisch verknüpften Stücke an einem Abend in der DOB.


    Musikalische Leitung: Leopold Hager
    Inszenierung: Kirsten Harms
    Bühne, Kostüme: Bernd Damovsky


    CASSANDRA
    Oper in zwei Akten mit einem Prolog von Vittorio Gnecchi
    Libretto von Luigi Illica und Vittorino Gnecchi


    Agamennone: Gustavo Porta
    Clitennestra: Susan Anthony
    Cassandra: Malgorzata Walewska
    Egisto: Piero Terranova
    Il Prologo: Alfred Walker



    ELEKTRA
    Tragödie in einem Akt von Richard Strauss
    Dichtung von Hugo von Hofmannsthal


    Klytämnestra : Jane Henschel
    Elektra : Jeanne-Michèle Charbonnet
    Chrysothemis : Manuela Uhl
    Aegisth: Reiner Goldberg
    Orest: Alfred Walker


    „Cassandra“ fand fast ausschließlich im vorderen Bühnenbereich vor einer goldfarbenen Wand statt. Der Chor war im ersten Rang bzw. auf Stegen an der Seite des Orchestergrabens platziert. Kostüme waren „jetzt-zeitig“.
    Musikalisch fand ich das Werk insgesamt enttäuschend. Es ist überhaupt nicht zu erkennen, wo die Musik hin will. Es klingt nach Stückwerk, völlig uninspiriert. Einzig die Auftrittsszene Agamemnons erschien mir musikalisch schlüssig. Da steht ein kriegsmüder Mann, der sich sehnlichst Frieden und die Rückkehr zu seinen Kindern und seiner Frau wünscht. Gustavo Porta konnte dies mit kraftvollem, aber auch zu zarten Tönen fähigem Tenor überzeugend rüber bringen.
    Susan Anthony nimmt man ihre Klytemnästra leider weder stimmlich noch darstellerisch ab. Die Stimme ist eher klein und es waren KEINERLEI Klangschattierungen zu hören, einfach nur eine Partie, mit der sie meiner Meinung nach stimmlich überfordert war, runter gesungen. Umso unverständlicher die Bravorufe für sie… :no:
    Die Entdeckung des Abends – die Cassandra Malgorzata Walewskas. Schon ihr erstes Erscheinen mit dem Schrei „Sangue“ lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Mit ihrem umfangreichen, in allen Lagen präsenten Mezzo zeigt sie, dass das Orchester doch nicht zu laut spielt (diesen Eindruck konnte man bei den Auftritten von Susan Anthony und insbesondere Alfred Walker, die über lange Strecken kaum zu hören waren, schon haben). Ihre große Arie ließ die Zuhörer die komplette Seelenpein der Seherin nachvollziehen. Sie wurde zu recht vom Publikum gefeiert.
    Kirsten Harms gönnt dem Werk nicht wirklich eine Inszenierung. Die Szene zwischen Klytämnestra und Aegisth, in der er ihren Hass auf Agamemnon anstachelt, indem er sein Fortgehen vortäuscht, ist aufgrund der darstellerischen Schwächen wenig glaubwürdig (warum Aegisth ständig die Hände in den Hosentaschen hat, erschließt sich mit auch nicht :rolleyes: ). Sehr anrührend jedoch die Szene, in der die kleine Elektra versucht, ihren Vater von ihrer Mutter fern zu halten.
    Am Ende des rund 50minütigen Stückes öffnet sich der Bühnenraum und der ermordete Agamemnon wird auf den Hinterhof des Palastes geworfen – vor die Füße von Cassandra, Elektra sieht dies mit an.


    In diesem Bühnenbild geht es dann nach der Pause mit Elektra weiter, der Boden ist knöcheltief mit schwarzem Sand bedeckt, man sieht Teile eines Gerippes (Agamemnon?). Elektra liegt halb begraben im Sand, um ihrem toten Vater nahe zu sein. Auch das Beil, das Klytämnestra in "Cassandra" ständig hinter sich herschleppt, taucht wieder auf.
    Diesmal interagieren jedoch wenigstens die Beteiligten mit größerer Begeisterung, insbesondere die Duettszenen wirken sehr intensiv (Elektra/Chrysothemis, Elektra/Klytämnestra). Die „Lebenden“ sind in schwarz gewandet, die Toten in Weiß. Ich hab’s aber erst kapiert, als Elektra zum finalen Tanz ihre schwarze Strickweste, die sie über dem weißen Kleid trug, auszog. Orest ist gekleidet wie zuvor sein Vater Agamemnon in „Cassandra“ und nach dem Mord an der Mutter und deren Liebhaber auch ebenso blutüberströmt.
    Sängerisch sind Michaela Uhl und Jane Henschel hervor zu heben. Michaela Uhls Crysothemis beeindruckt mit schöner, durchschlagkräftiger Stimme, deren Wunsch nach „Weiberschicksal“ und deren Liebe zur Schwester man ihr jeden Ton abnimmt. Ich würde mir allerdings Gedanken über die Besetzungspolitik machen, wenn die Sängerin der Crysothemis eine größere Stimme als die der Elektra hat. Die Stimme lässt aufhorchen und ich bin gespannt, welche Partien sie in 10 Jahren singen wird.
    Jane Henschel spielt als Klytämnestra alle Farben aus, die diese beeindruckende Partie beinhaltet; und das sind nicht wenige. Imposant ihre Erscheinung mit schneeweißer Perücke und knallrotem Federumhang.
    Jeanne-Michèle Charbonnet wurde als erkältet angekündigt. Dies mag die nicht allzu große Durchschlagkraft der Stimme an diesem Abend erklären, aber nicht das selbst für mich unerträgliche Wabbern der Stimme. Sie präsentierte genau das, was ich unter Quintenschleuder verstehe! Aber – auch hier wieder Bravo-Rufe…. :wacky:
    Burkard Ulrich und Alfred Walker brachten eine solide Leistung, bei Ulrich ist die überragende Textverständlichkeit hervor zu heben.
    Musikalisch muss ich für mich eingestehen, dass ich das Werk erst etwas ab dem Erscheinen von Orest genießen konnte (mal abgesehen von der 1. Duettszene Elektra/Crystothemis). Vorher sprach mich die Musik nicht an – es war aber auch meine erste Begegnung mit Elektra.
    Am Schluss tosender Applaus (m.E. etwas übertrieben) und – wie gesagt – unverständliche Bravo-Rufe für die Sängerin der Elektra.


    Drei Stunden griechische Tragödie mit dieser Art von Musik sind schon ziemlich anstrengend....


    LG
    Rosenkavalier

  • Danke, da lernt man doch mal wieder auf angenehme Weise eine neue Oper kennen, denn live wäre das für mich wohl eher Überlebenstrainig gewesen! :wacky: :untertauch:
    Jedenfalls klingt es sehr spannend, wie der Übergang von einer in die andere Oper inszeniert war und das Bild mit schwarzem Sand, Gerippe und der traumatisierten Elektra sehe ich genau vor meinem geistigen Auge. Die Strauss'sche Elektra Musik habe ich bereits als für mich unerträglich beiseite legen müssen, aber die Eindringlichkeit der Artriden-Story ändert das natürlich in keinster Weise! Ich halte mich dann eben an Glucks Iphigenie und die griechische Ur-Tragödie im Sprech- Theater.
    F.Q.

  • Lieber Rosenkavalier,
    danke für deinen ausführlichen Bericht.
    Ich habe leider (bis jetzt) nur eine Szenenprobe beider Werke erlebt...
    Die "Cassandra" müsste ich mir antun, um mir ein Urteil zu bilden.
    Aber interessant finde ich die Kopplung schon.
    Henschel und Ulrich haben mir in der Probe sehr gut gefallen, aber es war halt nur ´ne Probe.


    LG,
    Heldenbariton :hello:

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Chère Chevalieuse,


    mich hat Deine eindrückliche Schilderung dieses in einem Guss inszenierten, historischen Sequels sehr neugierig gemacht.
    Wenn ich es schaffe, werde ich meinen nächsten Berlin-Besuch daraufhin abstimmen, auch wenn der eine oder andere Wehmutstropfen aus Deiner Besprechung herübersprenkelt.


    Meine letzten Besuche an der DOB sind eh schon eine Weile her, es waren Thielemanns letzte(r) FroSch und Daphne vor seinem Abstieg in den Süden (nur geographisch gesehen...).


    LG,




    audiamus



    .

  • Vielen Dank, Rita. Der Spielplan gibt aber auch noch den 16.11. und den 1.12. bekannt. Oder ist da etwas schief gelaufen?


    LG,


    audiamus

  • Hallo,


    War gestern in der DOB-Elektra. (Cassandra wird ja wie gesagt nicht mehr vorweg gegeben). Die Inszenierung fand ich persönlich äußerst gelungen!
    Auch wenn die Bühnenhandlung teilweise etwas dröge war, so vermittelte der unendlich scheinende, dunkle Schacht nebst einer sehr ansprechenden Lichttechnik doch ein sehr stimmiges, atmosphärisches Bild!
    (Es gab am Ende einige sehr laute Buh-Rufe, welche sich meines Erachtens vor allem auf die Inzenierung bezogen (bei den Sängern wurde einhellig gejubelt!) - Ich finde soetwas unverschämt, wenn man nicht gerade bei der Premiere ist. Auf der Treppe zum Augang hörte ich auch, wie jemand sich äußerst energisch per Händy über die "so verkommene Inzenierung" und das "in so einem Haus" mokierte...
    Nunja - man kanns halt nicht allen recht machen.


    Henschel und Ulrich haben mir ebenfalls sehr gut gefallen - die Gründe gibt Rosenkavallier sehr treffend an!


    Der "Störfaktor" des Abends war, wie auch von Rosenkavallier beschrieben
    Jeanne-Michèle Charbonnet:


    Zitat

    Original von Rosenkavalier
    Dies mag die nicht allzu große Durchschlagkraft der Stimme an diesem Abend erklären, aber nicht das selbst für mich unerträgliche Wabbern der Stimme. Sie präsentierte genau das, was ich unter Quintenschleuder verstehe!


    [...]


    Am Schluss tosender Applaus (m.E. etwas übertrieben) und – wie gesagt – unverständliche Bravo-Rufe für die Sängerin der Elektra.


    Sicher passt die Darstellung und der Gesang zu einer so zerrütteten Parson wie Elektra ganz hervorragen, jedoch ging mir dieses permenente, völlig monotone Extrem-Tremolo auch sehr auf die Nerven!
    Der begeisterte Schlussapplaus denke ich, ist dennoch nicht völlig fehl am Platze - die Rolle ist schon sehr unfangreich und anstrengend!
    Ich persönlich habe aber für Manuela Uhl weitaus mehr Applaus und Brava-Rufe aufkommen lassen als für ihre Rollen-Schwester...


    Noch eine kleine Panne zum Schluss: Um den frenetischen Jubel irgendwann einmal etwas abzumildern, wurde nach einigen Minuten Applaus ein schwarzer Vorhang heruntergelassen. (Die Bühne war an sich vorhang-frei). Die Akteure bewegten sich aber noch einmal verkettet nach vorne - nur einige bemerkten den Vorhang und blieben zurück. Der Effekt: Die Kette wurde getrennt und nur in letzter Sekunde konnte sich z.B. Jeanne-Michèle Charbonnet wieder hinter den Vorhang retten - jetzt bemerkte auch die Technik den Patzer und gab für eine letzte Verneigung die bedeckten Köpfe der Darsteller wieder frei...


    LG
    Raphael