Bachkantateneinspielungen mit Sigiswald Kuijken

  • Guten Tag


    in den ganzen Diskussionen über Einspielungen von Bachkantaten spielten die Aufnahmen von Sigiwald Kuijken mit seinem Ensemble La petite bande bisher hier ein Schattendarsein.
    Mittlerweile wurde bereits die 5. Folge



    aus dieser Reihe veröffentlicht; Vol. 6 erscheint im Frühjahr 2008.


    Wer kennt diese Aufnahmnen, wie sie sie zu bewerten ?


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Wenn ich richtig informiert bin, plant Kuijken zwar keine Gesamtaufnahme, aber immerhin soll es für jeden Sonntag und Feiertag des Kirchenjahres eine Kantate geben. Wie viele CDs das dann nachher werden, weiß ich leider nicht.


    Ich kenne bisher lediglich eine Aufnahme mit Bachkantaten von diesem Ensemble und zwar diese:



    Mir gefällt das durchaus gut, sehr positiv ist aus meiner Sicht vor allem, dass offenbar sämtliche Aufnahmen aus dieser Reihe mit einer Altistin und nicht mit einem Altus besetzt sind. Andererseits klingt die solistische Besetzung des "Chores" eben doch recht dünn und gewöhnungsbedürftig. Hinzu kommt, dass die CDs sehr teuer sind, ich bin nun mal nicht bereit, 20 € für eine Einzel-CD zu bezahlen, mag sie auch noch so gut sein. Sollte es aber irgendwann sämtliche Volumes als Box zu einem günstigeren Preis geben, würde mich das durchaus interessieren.


    Mit Gruß von Carola

  • Guten Abend


    Zitat

    Original von Carola
    Wenn ich richtig informiert bin, plant Kuijken zwar keine Gesamtaufnahme, aber immerhin soll es für jeden Sonntag und Feiertag des Kirchenjahres eine Kantate geben. Wie viele CDs das dann nachher werden, weiß ich leider nicht.



    Mir gefällt das durchaus gut, sehr positiv ist aus meiner Sicht vor allem, dass offenbar sämtliche Aufnahmen aus dieser Reihe mit einer Altistin und nicht mit einem Altus besetzt sind.


    Das stört mich -sofern ein guter Altus singt- weniger, da ich Bachkantaten erstmals mit männlichen Altisten -Harnoncourt/Leonhardt-Einspielungen- kennenlernte, bzw. damit großgeworden bin :hahahaha:, hab ich mich an diese spezielle Klangfarbe gewöhnt.

    Zitat

    Andererseits klingt die solistische Besetzung des "Chores" eben doch recht dünn und gewöhnungsbedürftig.


    Das ist für mich der größte Knackpunkt bei diesen Einspielungen. Ich gehe davon aus, dass in Leipzig Bach mit paar mehr Leuten im Chor als Viere seine Kantaten aufgeführte.


    Zitat

    Hinzu kommt, dass die CDs sehr teuer sind, ich bin nun mal nicht bereit, 20 € für eine Einzel-CD zu bezahlen, mag sie auch noch so gut sein. Sollte es aber irgendwann sämtliche Volumes als Box zu einem günstigeren Preis geben, würde mich das durchaus interessieren.


    Mit Gruß von Carola


    Das ist der zweite Knackpunkt, ein Großteil der bis jetzt von Kuijken eingespielten Kantaten besitze ich schon in anderen Aufnahmen.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard



  • Grüße aus Rhein-Main


    Michael

  • He! :D Was sagt denn Herr Parrott so? Ein paar erläuternde Worte wären schön!


    Interessiert mich wirklich! :yes:



    BTW: Passt hier nur am Rande rein, aber hat jemand von Euch schon in die neueren Einspielungen der Weimarer Kantaten mit dem Purcell Quartet reingehört? Mit solistischer Besetzung à la Rifkin, u.a. mit Emma Kirkby. Einiges aus den jpc-Hörschnipseln fand ich wunderbar, anderes (u.a. wegen des englischen Akzents zumindest des Tenors) anfechtbar.



    Viele Grüße


    Bernd


  • Und selbst wenn damals nur vier Knäblein gesungen haben - na und? Es soll ja mir gefallen und nicht irgendwelchen längst verblichenen Kirchenoberen anno 1725. Und ich möchte die Kantaten von einem gemischten Chor mit circa 3 bis 4 erwachsenen Sängerinnen und Sängern je Stimme gesungen hören. Daran werden auch noch so viele Bücher und musikwissenschaftliche Erkenntnisse nichts ändern.


    Mit Gruß von Carola

  • Guten Abend



    Die Thesen von Parrott und Rifkin sind für mich nicht so überzeugend.
    Da finde ich den Artikel von Andreas Glöckner im Bach-Jahrbuch 2006 "Alumnen und Externe in den Kantoreien der Thomasschule zur Zeit Bachs" überzeugender.
    Warum soll der Leipziger Rat für 54 Alumen und einige Externe an St. Thomas Kosten übernommen haben, um dann in der Kirche bei den Kantatenaufführungen nur vier Solisten als Chor hören zu können ?
    2-3 Sänger pro Stimme sehe ich da als realistischer an.



    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Ich habe Parrotts Buch (leider) noch nicht gelesen, verfolge die Diskussion aber seit Rifkins ersten Thesen vor inzwischen 30 Jahren.
    Die Chortradition kommt ja aus einer ganz anderen Ecke als die Aufführung von Sacri Concerti (denn Kantaten waren es ja streng genommen nicht) im Rahmen der Liturgie. Ich frage mich, wie ein so großer Chor nebst Instrumenten einschl. Cembalo auf der Orgelempore der Thomaskirche Platz gefunden haben soll ....
    Bachs Eingabe bezgl. einer wohlbestallten Kirchenmusik ist ja auch eine Sicherungsmaßnahme, um auf jeden Fall genug Sänger zur Vefügung zu haben, wenn welche durch Krankheit ausfielen. Auch die Musiker des Dresdner Hoforchester haben seltenst alle zusammen gespielt, höchstens bei höchst fetslichen Anlässen, genau wie Bach bei seinen sog. weltlichen Kantaten auch mal 3-4 Sänger pro Stimme eingesetzt haben wird. In der wöchentlichen Aufführung von Kirchemusik wohl kaum. Bei solistischer Besetzung der Instrumente ist das auch kein Problem.


    Text von buecher.de zu Parrotts Buch:


    Zitat

    Kurzbeschreibung


    Andrew Parrotts Buch ist das wohl abschließende Wort zu der in der Bachforschung heftig umstrittenen Frage der Besetzung des Chores - eine Streitschrift, die jeder kennen muss, der sich mit der Aufführungspraxis von Bachs Vokalwerken beschäftigt.
    Beschreibung
    Welche Art von Chor schwebte Bach vor, als er seine Kantaten und Passionen schrieb? Wie viele Sänger standen ihm in Leipzig zur Verfügung, und auf welche Weise setzte er sie in seiner eigenen Musik ein? Auf der Suche nach dem richtigen Verständnis von Bachs einzigartigem Chorschaffen unterzieht Parrott eine Vielzahl von Quellen einer Überprüfung: Bachs eigene Schriften sowie die von ihm für Aufführungen benutzten Partituren und Stimmen, dazu theoretische, ikonographische und archivalische Dokumente unterschiedlicher Herkunft, nicht zuletzt das musikalische Zeugnis seiner Vorgänger und Zeitgenossen. Manche der Funde werfen ein überraschendes, ja verstörendes Licht auf bisher unumstößliche Konventionen.
    Anders als der typische Oratorienchor, wie er uns aus Händels Londoner Zeit vertraut ist, bestand Bachs Chor nur aus einem professionellen Vokalquartett (oder Quintett), das auch alle Soli und Duette ausführte. In einigen wenigen Werken Bachs wurde dieses Solistenensemble durch sog. Ripienisten ergänzt, deren Beteiligung aber nicht zwingend war. Parrott weist nach, dass diese Besetzungspraxis eines solistischen Chors gängiger Brauch in der deutschen lutherischen Kirchenmusik zur Zeit Bachs war. Bachs Entscheidung für einzelne Stimmen hatte nicht den Grund, weil eine größere Anzahl nicht verfügbar, sondern weil es die übliche Besetzung einer kunstvollen konzertierenden Musik war. Das Buch enthält neben zahlreichen Bild- und Textdokumenten im Anhang auch den bisher unveröffentlichten Vortrag, mit dem Joshua Rifkin 1981 die bis heute kontroverse Debatte eingeleitet hat.


    Bernard Sherman hat einige Argumente gut zusammengefasst.

  • Zitat

    Original von Bernhard


    Die Thesen von Parrott und Rifkin sind für mich nicht so überzeugend.


    Zumal die Argumentation wirklich nicht überall schlüssig ist und vieles von dem weglässt, was gegen die solistische Stimmbesetzung spricht.
    Jedenfalls waren nach zeitgenössischen Berichten bei Kantatenaufführungen "30 oder gar 40 Musizierende" zugange, was nur mit einem Chor von 12 bis 16 Sängern zu erklären ist.


    Die von miguel zitierte Kurzbeschreibung interpretiert Bachs "Entwurff" auch nicht richtig, denn bei dieser Eingabe ging es ihm lediglich um die Aufstockung der Instrumentalistenzahl bzw. um mehr Geld dafür.
    Die Vokalisten werden als von der Thomasschule zu stellen genommen und mit "Concertisten" "1-2" und "Ripienisten" "mindestens 2" pro Stimme vorausgesetzt. Und da im Chor Concertisten und Ripienisten zusammen singen, ergibt das schlicht und einfach mindestens drei bis vier Sänger pro Stimme.


    Der verlinkten Zusammenfassung fehlen die hierzulande geführten Diskussionen, bei denen die Solistenvertreter immer nur gegen die Wand gelaufen sind und von Wolff, Schulze und den anderen üblichen Verdächtigen bei jeder Gelegenheit ohne viel Mühe in der Luft zerrissen worden sind.


    Der Versuch mit der solistischen Besetzung liest sich wie eine jener sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, die alles mögliche dreht und wendet, aber übersieht, dass die Frage gar nicht gestellt werden muss, weil die Antwort schon vorher da war.

  • Hier noch eine Rezension von Parrotts Buch aus der Neuen Züricher Zeitung:


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  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Carola


    Und selbst wenn damals nur vier Knäblein gesungen haben - na und? Es soll ja mir gefallen und nicht irgendwelchen längst verblichenen Kirchenoberen anno 1725. Und ich möchte die Kantaten von einem gemischten Chor mit circa 3 bis 4 erwachsenen Sängerinnen und Sängern je Stimme gesungen hören. Daran werden auch noch so viele Bücher und musikwissenschaftliche Erkenntnisse nichts ändern.


    Mit Gruß von Carola


    Das ist klar, ich höre auch nur, was mir gefällt; aber wenn das Ganze "Musikhistorisch" noch untermauert ist, freuds mich doppelt :hahahaha:



    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Hildebrandt


    Die Vokalisten werden als von der Thomasschule zu stellen genommen und mit "Concertisten" "1-2" und "Ripienisten" "mindestens 2" pro Stimme vorausgesetzt. Und da im Chor Concertisten und Ripienisten zusammen singen, ergibt das schlicht und einfach mindestens drei bis vier Sänger pro Stimme.


    Bei der Einteilung des Thomanerchores in vier Chöre kommen z.B. für den 1. Chor in der Nikolaikirche und den 2. Chor in der Thomaskirche mit je 12 Sänger (3 Diskantisten, 3 Altisten, 3 Tenoristen und 3 Bassisten) 24 Sänger zusammen. Wenn der Thomanerchor damals ca. 55 Knaben umfasste und die Thomasschule gem. der Ordnungen und Gesetzen der Schola St. Thomana von 1723 noch rd. 100 externe Schüler aufnahm, von denen viele von Bach unterrichtet wurden, kann ich mir einen größeren Chor als wie mit vier Leuten vorstellen.
    Wohl aber eine Glaubensfrage ?



    Zitat

    Der Versuch mit der solistischen Besetzung liest sich wie eine jener sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, die alles mögliche dreht und wendet, aber übersieht, dass die Frage gar nicht gestellt werden muss, weil die Antwort schon vorher da war.


    Böse Zungen behauptete damals, als Rifkin seine ersten solistisch besetzte Bachkantaten einspielte, dass dies nur geschar, weil in USA keine entsprechend geeignete und des Deutschen mächtige Chöre zur Verfügung standen :untertauch:



    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Böse Zungen behauptete damals, als Rifkin seine ersten solistisch besetzte Bachkantaten einspielte, dass dies nur geschar, weil in USA keine entsprechend geeignete und des Deutschen mächtige Chöre zur Verfügung standen


    :D
    Bei einer Grippe-Epidemie in Sachsen wird es Bach nicht anders gegangen sein.


    Zur Vergegenwärtigung habe ich mir die hier aufgelegt:



    allerdings in noch älterer Reflexe-Aufmachung. Im Booklet steht:
    "Die größte vokale Besetzung von zwölf Sängern (sie ist nur im sechsstimmigen Sanctus zu hören) entspricht dem Instrumentalensemble von höchstens 24 Musikern. Stimmen und Instrumente nähern sich somit jenen idealen Mitteln, die Bach 1730 in seinem als Entwurff bekannten Ersuchen... erbittet."


    Jede Stimme ist also doppelt besetzt, und das Ergebnis klingt oft sehr überzeugend. Ob das allerdings Bachs Intentionen gerade bei dieser Komposition entspricht, wage ich doch noch zu bezweifeln.
    Es gibt ein paar Gesichtspunkte, die die Sache anders aussehen lassen:
    Der Kontrast zwischen solistischem und chorischem Gesang fällt etwas dünn aus, wobei er hier ja noch durch die doppelte Stimmenbesetzung – als Kompormiss? – ein wenig erhalten bleibt.
    Bach, der Verfechter von Gravität, soll gerade bei der h-moll-Messe als klanglicher Asket aufgetreten sein? Der Nachdruck, den manche Chorteile erst durch größere Volksmassen (sind drei oder vier pro Stimme schon eine Masse?) fehlt.
    Obwohl bei der Aufnahme ein Violon zum Continuo hinzugenommen wurde, fehlt der B.-c.-Gruppe die Durchschlagskraft – wieder so ein Piepse- und Tute-Örgelchen. Nehmen wir den aktuellen Stand, gehört die große Orgel mit pomp and circumstances ebenso dazu wie ein 16'-Cembalo. Dagegen hätte es ein Vierer- oder Sechserensemble von Vokalisten aber schon ganz schön schwer.


    Außerdem macht mir die etwas gewaltsame Argumentation von Rifkin & Co doch immer noch Magenschmerzen. Das wirkt zu sehr zurechtgebogen und mit Gewalt aufs Ziel gerichtet.


    Trotz- und alledem: Auch wenn der Aufnahme einfach an manchen Stellen die Wucht fehlt, ist sie einfach großartig.

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Hildebrandt



    Bach, der Verfechter von Gravität, soll gerade bei der h-moll-Messe als klanglicher Asket aufgetreten sein? Der Nachdruck, den manche Chorteile erst durch größere Volksmassen (sind drei oder vier pro Stimme schon eine Masse?) fehlt.


    Es wurde ja schon geäußert, dass Bach die h-moll-Messe für die Einweihung der Dresdener Hofkirche 1751 komponiert (bzw. zusammengestellt :jubel: :untertauch: ) hatte, wäre nachvollziehbar, Bach komponierte fast immer für bestimmte Anläße. In Dresden dürften für die Instrumental- als auch Vokalmusik andere und bessere Voraussetzungen wie in Leipzig geherrscht haben. Lässt die Besetzung der h-moll-Messe in anderen Licht erscheinen ?


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Es wurde ja schon geäußert, dass Bach die h-moll-Messe für die Einweihung der Dresdener Hofkirche 1751 komponiert (bzw. zusammengestellt :jubel: :untertauch: ) hatte, wäre nachvollziehbar, Bach komponierte fast immer für bestimmte Anläße. In Dresden dürften für die Instrumental- als auch Vokalmusik andere und bessere Voraussetzungen wie in Leipzig geherrscht haben. Lässt die Besetzung der h-moll-Messe in anderen Licht erscheinen ?


    In Dresden kam allerdings die Schwierigkeit hinzu, dass die große Orgel erst 1755 fertig wurde, also wird da wohl ein anderes Instrument verwendet worden sein.
    Die Instrumental- und Vokalvoraussetzungen waren allerdings andere. :yes:


    Aber wie groß die Besetzung war? Keine Ahnung.
    Gibt es dazu Dokumente?

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    In Dresden kam allerdings die Schwierigkeit hinzu, dass die große Orgel erst 1755 fertig wurde, also wird da wohl ein anderes Instrument verwendet worden sein.
    Die Instrumental- und Vokalvoraussetzungen waren allerdings andere. :yes:


    Aber wie groß die Besetzung war? Keine Ahnung.
    Gibt es dazu Dokumente?


    Die h-moll Messe ist nun so ziemlich das kontroverseste Beispiel für eine Diskussion um die konkreten Aufführungsbedingungen Bachscher Vokalwerke, da nur Teile von Bach aufgeführt wurden und über die Besetzungsstärken nichts Genaues bekannt ist. Da sind wir in der gleichen Diskussion über solistische Besetzung wie vorher.
    Auch in Dresden waren zwar Musiker für eine große Besetzung vorhanden, aber in der wöchentlichen Routine der Hofkirchenmusik dürfte auch eher eine solistische Besetzung gespielt haben, dgl. bei der Hofmusik - der Rest war mit Einstudieren der nächsten Stücke beschäftigt.
    Es gibt da eine Studie von Wolfgang Horn: Die Dresdner Hofkirchenmusik 1720-1745. Studien zu ihren Voraussetzungen und ihrem Repertoire (Bärenreiter/Carus 1987) - ich kann das jetzt nicht alles nochmal lesen, aber bei "großen Kirchenmusiken" von Hasse waren 8 erwachsene und 8 Knabensänger der Chor, bei kleineren nicht mehr als insgesamt 8 - das schließt er aus dem erhaltenen Stimmenmaterial und zeitgenössischen Beschreibungen. Und das bei relativ großen Instrumentalgruppen: für eine kleine Besetzung 3/3/1/1/2/1 Streicher, 2 Oboen, Continuo mit Fagott; bei einer großen von Hasse 2X6 oder 2X8 Violinen, 4 Bratschen und "starker Generalbass" plus Bläser, die oft in den Tutti chorisch mit den Streichern gespielt haben - unser Ideal von Textverständlichkeit können wir uns da abschminken. Nicht umsonst wurden ja immer Textbücher verkauft bzw. die liturgischen waren bekannt.
    Der Begriff "Chor" hat sich in seiner Bedeutung stark gewandelt - wir sind da von der Bewegung geprägt, die von der Wiederaufführung Bachscher Passionen durch Mendelssohn mit der Berliner Singakademie angekurbelt wurde, und die schon diese Begriffe anders interpretieren musste als die Musiker der Bach-Zeit.
    Die Verklärung Bachs und schon fast religiös zu nennende Überhöhung seines Werkes mit der Genienverehrung des späten 19. Jahrhunderts haben wir noch lange nicht hinter uns gelassen.
    Ich denke - vor allem mit der Aufstellung des gesamten Ensembles auf der Orgelempore der Thomaskirche im Hinterkopf - das eine solistische oder bei großen Anlässen doppelte Besetzung wohl realistisch ist.
    Was nicht heißt, dass eine größere Besetzung nicht funktioniert: Ich habe mal in der Frankfurter Dreikönigskirche die h-moll-Messe mit La Stagione unter Michael Schneider gehört: Chorstärke wie in der wohlbestallten Kirchenmusik gefordert, zusätzliche Solosänger (aber nur 4!), großes Ensemble und großes Continuo mit Orgel und Cembalo, ein kräftiges Fondamento ... davon hätte ich gerne eine CD gehabt! Allerdings eine relativ kleine Kirche mit eher wenig Hall!
    Mit dem leiseren Grundklang der barocken Instrumente und ihrer großen Dynamik sehe ich keine grundsätzlichen Probleme bei solistischer Sängerbesetzung.
    Kaviar schmeckt auch nicht besser, wenn man ihn mit großen Löffeln isst ...


    Zitat

    Original von Bernhard
    Es wurde ja schon geäußert, dass Bach die h-moll-Messe für die Einweihung der Dresdener Hofkirche 1751 komponiert (bzw. zusammengestellt) hatte, wäre nachvollziehbar, Bach komponierte fast immer für bestimmte Anlässe.


    Wo steht denn das? Die h-moll-Messe sieht doch eher nach einem der für Bach typischen exemplarisch konzipierten Publikationsvorhaben aus?


    Und mit 1751 bzw. 1755 sind wir nach Bachs Tod angelangt ...

  • Zitat

    Original von miguel54
    Die h-moll Messe ist nun so ziemlich das kontroverseste Beispiel für eine Diskussion um die konkreten Aufführungsbedingungen Bachscher Vokalwerke, da nur Teile von Bach aufgeführt wurden und über die Besetzungsstärken nichts Genaues bekannt ist. Da sind wir in der gleichen Diskussion über solistische Besetzung wie vorher.


    Stimmt, aber die hatte ich gerade zur Hand, um mir ein Beispiel anhören zu können.


    Bleiben wir aber doch bei Bachs "Entwurff". Da schildert er ja auch die tatsächlichen Gegebenheiten:
    "So nun die Chöre derer Kirchen Stücken recht, wie es sich gebühret, bestellt werden sollen, müßen die Vocalisten wiederum in 2erley Sorten eingetheilet werden, als: Concertisten und Ripienisten.
    Derer Concertisten sind ordinaire 4; auch wohl 5, 6, 7 biß 8; so mann nemlich per Choros musiciren will.
    Derer Ripienisten müßen wenigstens auch achte seyn, nemlich zu ieder Stimme zwey."
    Wie das gerechnet werden muss, ergibt sich für mich aus diesem Satz:
    "Zu iedweden musicalischen Chor gehören wenigstens 3 Sopranisten, 3 Altisten, 3 Tenoristen, und eben so viel Baßisten, damit, so etwa einer unpaß wird [folgt die Grippe-Stelle] wenigstens eine 2 Chörigte Motette gesungen werden kann."


    "iedweden ... Chor" kann doch nur bedeuten, dass es drunter kein Chor mehr ist.
    Und Chor darf man keinesfalls mit "Chörigt" verwechseln, denn chörigt bedeutet nur die maximal mögliche Stimmenzahl, hier also acht Stimmen in einem Chor. Dabei legt das "wenigstens" doch nahe, dass es sich um die Minimallösung handelt – bei vielen Ausfällen eben. Eigentlich möchte er doch mehr singen lassen als die "2 Chörigte Motette", und dazu braucht er mehr als 8. Aber mehr als acht Stimmen wird er wohl kaum im Chor benötigt haben. Was also lässt er mit mehr als acht Sängern aufführen?

  • Zitat

    Original von Zwielicht




    BTW: Passt hier nur am Rande rein, aber hat jemand von Euch schon in die neueren Einspielungen der Weimarer Kantaten mit dem Purcell Quartet reingehört? Mit solistischer Besetzung à la Rifkin, u.a. mit Emma Kirkby. Einiges aus den jpc-Hörschnipseln fand ich wunderbar, anderes (u.a. wegen des englischen Akzents zumindest des Tenors) anfechtbar.


    nur vom rand her (will den interessanten fluss nicht gerne stauen):
    ich habe mir den actus tragicus gekauft (um teures geld) und kann deine anfechtungen bestätigen, letztlich hat sich meine anfängliche begeisterung gelegt (und ich suche weiter nach der ultimativen :rolleyes: )


    :hello:

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  • Guten Abend


    Zitat

    Original von miguel54


    Zitat

    Wo steht denn das? Die h-moll-Messe sieht doch eher nach einem der für Bach typischen exemplarisch konzipierten Publikationsvorhaben aus?


    Und mit 1751 bzw. 1755 sind wir nach Bachs Tod angelangt ...


    Das sagte Georg Christoph Biller -ein Amtsnachfolger J.S. Bach- in einem Interview, reine Spekulation ?!. Sollte es auch bleiben bis man es wirklich beweisen kann.
    Und Bach konnte, als er die h-moll-Messe niederschrieb, nicht wissen, dass er schon 1750 sterben würde.



    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Und Bach konnte, als er die h-moll-Messe niederschrieb, nicht wissen, dass er schon 1750 sterben würde.


    Das ist natürlich richtig. Aber das er in seinem Alter schon an sein Ableben und seine Hinterlassenschaft dachte, ist naheliegend. Prof. Christoph Wolff hat in einem zusammenfassenden Vortrag über seine Arbeit am Archiv der Berliner Singakademie (hier zu sehen und zu hören, ca. 1 Stunde, in englischer Sprache, aber sehr gut verständlich) einiges über Bachs Arbeit des Sammelns und Sortierens in seinen letzten Lebensjahren gesagt - sogar, dass Bach die Musik für seinen Trauergottesdienst ausgesucht hatte!
    Ob er nach zwei Absagen aus Dresden und nur einem Teilerfolg in Form der Ernennung zum Hofkomponisten von Haus aus tatsächlich mit einer Aufführung in Dresden gerechnet hat, scheint mir fraglich, zumal sein Stil dort hoffnungslos aus der Mode gekommen war.

  • Zurück zum Thema dieses Thread - die Debatte solistische vs. chorische Bestzung der Vokalpartien sollte in einem eigenen Thread diskutiert werden.


    Diese CD wurde mir seinerzeit von Dettmar Huchting, der u.a. Rezensionen für Klassik heute schreibt, wärmstens empfohlen - ich habe den Kauf nicht bereut. Eine der schönsten Bach-Vokal-CDs, die ich besitze.


  • Guten Tag


    Zitat

    Original von miguel54
    Zurück zum Thema dieses Thread - die Debatte solistische vs. chorische Bestzung der Vokalpartien sollte in einem eigenen Thread diskutiert werden.


    Grundsätzlich ja; ob sie neue Erkenntnisse/Ansichten bringt ?


    Nochmals zurück zum Ursprungsthread, kennt jemand neueren Kuijken-Bacheinspielungen ?


    Zitat

    Diese CD wurde mir seinerzeit von Dettmar Huchting, der u.a. Rezensionen für Klassik heute schreibt, wärmstens empfohlen - ich habe den Kauf nicht bereut. Eine der schönsten Bach-Vokal-CDs, die ich besitze.



    Herr -oder Goldesel- hilf :faint:, der Wunschzettel wird immer größer ;( :hahahaha:


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard



    Grundsätzlich ja; ob sie neue Erkenntnisse/Ansichten bringt ?


    In dem Zusammenhang verweise ich auf Deine Signatur. :D
    Wir werden hier nicht weiter kommen als die Fachwelt, die sich seit Jahrzehnten die Köpfe darüber einschlägt.
    Was ich ein bisschen vermisst habe, ist eine Stellungnahme aus Berlin. :pfeif:


    Zitat

    Herr -oder Goldesel- hilf, der Wunschzettel wird immer größer


    Was meinst Du, was mich dieser Mensch aus Flörsheim schon für Geld gekostet hat. :D:untertauch:
    Aber gelohnt hat es sich bis jetzt immer. :yes:

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Hildebrandt


    In dem Zusammenhang verweise ich auf Deine Signatur. :D


    Ich liebe Karl Valentin (noch ein Valenini :hahahaha: ) und seine Wortspielereien :baeh01:


    Zitat

    Wir werden hier nicht weiter kommen als die Fachwelt, die sich seit Jahrzehnten die Köpfe darüber einschlägt.
    Was ich ein bisschen vermisst habe, ist eine Stellungnahme aus Berlin. :pfeif:


    Parrotts Bach "The Essential Bach Choir" ist auch schon fast acht Jahre alt, und Rifkins Thesen noch älter, gibts da evtl. neue Arbeiten und Erkenntnisse ?
    Das Bach-Archiv Leipzig arbeitet an einer Studie zu den organisatorischen Strukturen am Thomaskantorat und den Begleitumständen der Bachschen Aufführungen, warten wir gespannt !?




    Zitat

    Herr -oder Goldesel- hilf, der Wunschzettel wird immer größer


    Zitat

    Was meinst Du, was mich dieser Mensch aus Flörsheim schon für Geld gekostet hat. :D:untertauch:
    Aber gelohnt hat es sich bis jetzt immer. :yes:


    Ich such auch schon seit Monaten nach einem zusätzlichen und nicht so anstrengenden 400 €
    Job :hahahaha: :hahahaha:


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    In dem Zusammenhang verweise ich auf Deine Signatur. :D
    Wir werden hier nicht weiter kommen als die Fachwelt, die sich seit Jahrzehnten die Köpfe darüber einschlägt.


    Da muß ich Dir wohl recht geben ... was ich nicht mag, sind Dogmatismen jeder Art, vor allem was die Selbstverständlichkeit des großen Chors angeht, oder das "Gravitätische" - letzteres kann ich bei Bach gar nicht nachvollziehen, da spielen sich unendlich viele Projektionen der eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen ab. Die brauchen natürlich auch die Interpreten, aber solange es die Vielfalt der Darstellungen belebt, ist nichts dagegen einzuwenden.
    Ich denke, wir würden uns ganz schön wundern, wenn wir eine Zeitreise in die Thomaskirche machen könnten ...


    p.s. Schönen Dank für das Kompliment - auch wenn ich die damit verbundenen Ausgaben aufrichtig bedaure - aber das beruht auf Gegenseitigkeit. :)

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von miguel54


    Da muß ich Dir wohl recht geben ... was ich nicht mag, sind Dogmatismen jeder Art, vor allem was die Selbstverständlichkeit des großen Chors angeht,


    Dogmen mag ich auch nicht; wie groß waren eigendlich die Knabenchöre der Kantateneinspielungen von Harnoncourt/Leonhardt -mit diesen Aufnahmen lernte ich Bachs Kantatenschaffen kennen- in den 70,-80-ziger ?
    Den vereinzelt veröffendlichten Bildern nach schätzungsweise so 20 Leute ?


    Zitat

    Ich denke, wir würden uns ganz schön wundern, wenn wir eine Zeitreise in die Thomaskirche machen könnten ...


    Ja, da -und anderswo- würde man zu gerne mal Mäuschen spielen :yes:


    Welcher HIP-Dirigent sagte mal sinngemäß: "Wir wissen nicht wie damals gespielt wurde, aber nicht so, wie wir es heute spielen !".



    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von miguel54


    Da muß ich Dir wohl recht geben ... was ich nicht mag, sind Dogmatismen jeder Art, vor allem was die Selbstverständlichkeit des großen Chors angeht, oder das "Gravitätische" - letzteres kann ich bei Bach gar nicht nachvollziehen, da spielen sich unendlich viele Projektionen der eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen ab.


    Mit Dogmatismen kommen wir sowieso nicht weiter. Gerade bei Bach führen mehrere Wege zum Wohlbefinden des Hörers.
    Aber was die Gravität betrifft, habe ich die als festen Terminus verwendet, wie sie auch im 18. Jh. so häufig vorkommt. Kaum hatte Bach eine neue Organistenstelle, ließ er auf Biegen und Brechen noch einen 32' und ein paar 16' einbauen. Cembali mit 16' kamen immer mehr in Mode. Das alles hat aber nur dan Sinn, wenn oben drüber die Balance gewahrt wird. Deshalb also meine Vermutung, dass da wohl mehr als nur Solisten gesungen haben. Wie wollen sich 4 Vokalisten behaupten, wenn der Mann an der Orgel die Posaune 32' zieht?


    Zitat

    p.s. Schönen Dank für das Kompliment - auch wenn ich die damit verbundenen Ausgaben aufrichtig bedaure - aber das beruht auf Gegenseitigkeit. :)


    Jaja, irgendwann stehen wir alle zusammen in der Schlange vor der Suppenküche, können aber über jedes Cembalo auf Gottes Erdboden fachsimpeln. :D

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    Mit Dogmatismen kommen wir sowieso nicht weiter. Gerade bei Bach führen mehrere Wege zum Wohlbefinden des Hörers.
    Aber was die Gravität betrifft, habe ich die als festen Terminus verwendet, wie sie auch im 18. Jh. so häufig vorkommt. Kaum hatte Bach eine neue Organistenstelle, ließ er auf Biegen und Brechen noch einen 32' und ein paar 16' einbauen. Cembali mit 16' kamen immer mehr in Mode. Das alles hat aber nur dan Sinn, wenn oben drüber die Balance gewahrt wird. Deshalb also meine Vermutung, dass da wohl mehr als nur Solisten gesungen haben. Wie wollen sich 4 Vokalisten behaupten, wenn der Mann an der Orgel die Posaune 32' zieht?


    Dann habe ich den Begriff von Gravität falsch verstanden - so finde ich das auch logisch. Ich hatte eher an träge Tempi und breiigen Klang gedacht - aber mit historischen Instrumenten etc. und einer richtigen Kirchenorgel - diese verd... Truhenorgeln gehören in die musikalische Früherziehung verbannt.
    Wer außer McCreesh hat mit richtigen Kirchenorgeln aufgenommen?

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