Hermann Jadlowker - virtuoses Kuriosum oder ernstzunehmender Künstler?

  • Liebe Taminos,


    wie steht Ihr zu Hermann Jadlowker? Der aus der Kantorentradition stammende Sänger (der neben seiner Bühnenkarriere Chasan in Riga war) ist womöglich der virtuoseste Tenor der Plattengeschichte, mit sagenhaften Läufen, brillanten Trillern etc. Im Gegensatz ist sein Timbre vorsichtig gesprochen gewöhnungsbedürftig, und seine Registerverblendung zweitklassig, seine Höhe nasal und gequetscht (wenn nicht im Falsett gesungen).
    Dennoch: Ecco ridente in cielo, die Baumeister-Arie, Fuor del mar oder "Mes amis" aus Fra Diavolo sind Schaustücke, die in ihrer Ausführung einzigartig sind, auch wenn andere Interpreten sicher geeigneter in den jeweiligen Rollen waren.
    Die Repertoirebreite (Almaviva, Otello, Lohengrin) lag sicher auch weit über seinen tatsächlichen stimmlichen Möglichkeiten.






    Wer kennt Jadlowker überhaupt noch? Wer schätzt ihn insgesamt höher ein als ich? Repräsentiert er eine Zeit, die vorbei ist? Oder kommen mit Florez und Brownlee jetzt wieder ähnlich gelagerte Tenöre (bei weit angenehmeren Stimmen) nach?


    In Vorfreude grüßt



    Christian

  • Lieber Christian,


    ich kenne von Jadlowker lediglich das "Ecco ridente" und kann die Ausführung zwar bewundern, aber so richtig lebendig wird das Stück für mich damit nicht. Das gestische Singen kommt da meiner Meinung nach zu kurz.


    Über das "gewöhnungsbedürftige" Timbre hatte ich schon viel gelesen, bevor ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Sooo extrem gewöhnungsbedürftig ist es für mich nicht, aber da ich auch Erb, Patzak und Pears gern höre, habe ich, was das Timbre angeht, vielleicht eine recht hohe Toleranzschwelle :D


    Deine Frage, ob er eine bstimmte (vergangene) Zeit repräsentiere, bringt mich auf die Parallele zu einer Sängerin, die ich gerade vor einigen Tagen wieder einmal etwas intensiver gehört habe, und die bei mir ähnliche Gedanken auslöst:


    Selma Kurz wurde 1874, also drei Jahre vor Jadlowker geboren, von dem Kantor Ignatz Goldmann entdeckt, von Jadlowkers späterem Lehrer Joseph Gänsbacher zunächst abgewiesen und von Johann Ress ausgebildet. Wie Jadlowker wurde auch sie von Gustav Mahler stark gefördert, der besonders ihre langen Triller schätzte. Und die hat sie teilweise so exzessiv herausgestellt, dass man sich fragt, warum?
    Es ist eine Virtuosität, die sich selbst feiert. Und ihre späteren Aufnahmen zeigen, dass sie eigentlich einen recht dunklen Sopran mit erheblich mehr dramatischer Ausdruckskraft hatte, als man nach ihren Koloratur-Piecen glauben sollte.


    Bestehen da vielleicht Parallelen, die auf eine bestimmte Schule oder Förderung bestimmter Ausdrucksmittel durch z.B. Mahler hinweisen?
    Ich nenne es gern "Fin-de-siècle-Singen": Die musikalischen Stilmittel der Alten Schule, die von Sängern wie Plancon, Melba oder Tetrazzini dazu verwendet wurden, den Ausdruck zu unterstützen, werden hier zur Demonstration einer stärkeren "Künstlichkeit", die sich von den Bestrebungen der Romantik, eine Kunst-Natur darzustellen, doch unterscheiden. Es ist für meine Begriffe eher ein "musikalischer Jugendstil".


    Von Jadlowker kenne ich, wie gesagt, nur das eine Stück, aber könnte man ihn damit vergleichen? Das würde mich interessieren.


    :hello: Petra

  • Ich glaube, jedes Stimmtimbre ist gewöhnungsbedürftig..
    Jadlowker, der, Ironie des Schicksals, zu den reichsten Sängern seiner Zeit gehörte und in Armut starb, hat mehrere Uraufführungen (Königskinder/Ariadne) gesungen und hinterliess eine Diskografie, die seine sängerische Bandbreite vom lyrischen zum Heldentenor zeigt. (ob zu seinem Vorteil, sei dahingestellt).
    Eine CD des HAfG mit Arien und Szenen von Auber,Humperdinck,Wagner und Verdi geben ein eindrucksvolles Bild seiner Kunst, ebenso die Duett-Aufnahmen mit Frieda Hempel.


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Ward Marston hat vor einigen Jahren die alten Schellack-Aufnahmen von Hermann Jadlowker sorgfältig restauriert und auf einer Doppel-CD herausgebracht:



    Folgende Titel sind darauf enthalten:


    Disk: 1
    1. Idomeneo: Noch Tönt Mir Ein Meer Im Busen
    2. Cosi Fan Tutte: Wie Schön Ist Die Liebe
    3. Don Giovanni: Trane Vom Freunde Getrocknet
    4. Don Giovanni: Bande Der Freundschaft
    5. Die Entfuhrung Aus Dem Serail: Ich Baue Ganz
    6. Die Zauberflote: Dies Bildnis Ist Bezaubernd Schön
    7. Die Lustigen Weiber Von Windsor: Was Begehet
    8. Alessandro Stradella: Tief In Den Abruzzen
    9. La Muette De Portici: O Seht, Wie Herrlich
    10. La Muette De Portici: Du Einz'ger Troster
    11. Joseph: Ach, Mir Lächelt Umsonst
    12. Joseph: Ich War Ein Jüngling Noch An Jahren
    13. St. Paulus: Sei Getreu Bis In Den Tod
    14. Romeo Et Juliet: L' Amour!
    15. Fra Diavolo: Meine Freunde Sind Hier
    16. Les Hugenots: Ihr Wangenpaar
    17. Les Hugenots: Wer Uns Vertrauen Gab
    Disk: 2
    1. Il Barbiere Di Siviglia: Ecco Ridente In Cielo
    2. La Traviata: De' Miei Bollenti Spiriti
    3. Don Carlos: Io L'ho Perduta
    4. Il Trovatore: Ah Si, Ben Mio
    5. Le Donne Curiose: Se In Voi Contanto Forta
    6. Prodana Novesta: Es Muss Gelingen
    7. Dubrovsky: O Gib Mir Vergessenheit
    8. Die Konigin Von Saba: Magische Töne
    9. Die Konigskinder: Ei, Ist Das Schwer
    10. Standchen
    11. Morgen
    12. Ich Trage Meine Minne
    13. Don Juan's Ser
    14. Kein Wort Dir, Der Freude Oder Klange
    15. Warum?
    16. O, Du Mondhelle Nacht
    17. Wiegenlied
    18. Heimat
    19. Pur Dicesti
    20. Vittoria Mio Core
    21. Der Mond Steht Uber Den Berge
    22. Von Ewiger Liebe
    23. E Canta Il Grillo
    24. Stornellata Marinara


    Diese CDs geben einen Überblick über die Bandbreite des Repertoires von Hermann Jadlowker.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Vorerst möchte ich festhalten, daß ich einerseits die Frage in der Richtung beantworte, daß Jadlowker selbstvertändlich ein ernstzunehmender Künstler war, ja mehr als das, ich finde ihn hervorragend - und dass ich zweitens die Behauptung mit dem gewöhnungsbedürftigen Timbe nicht nachvollziehen kann - vielleicht auch deshalb, weil ich jetzt seit zwei Tagen akustische Opernaufnahmen in Folge höre...


    Andrerseits haben ihn schon seine Zeitgenossen hoch geschätzt, sang er doch an zahlreichen führenden Opernhäusern und war zeitweise - wenn man Internet-Quellen trauen darf - besser bezahlt als Enrico Caruso





    Wer Angst hat, die Soundsamples könten dereinst aus dem Internet - und somit aus unserem Forum verschwinden, dem bietet sich hier dieses Preiser Stimmportrait an. In die Samples kann hineingehört werden.



    mit freundlichen GRüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hermann Jadlowker hat großartige Aufnahmen hinterlassen: Das "Ecco ridente in cielo" aus Rossinis "Barbiere" ist vermutlich nie virtuoser und effektvoller gesungen worden. "Plus blanche" aus Meyerbeers "Hugenotten" hat er müheloser gesungen als Caruso oder Slezak. Seine Mozart-Einspielungen "Fuor del mar" und "Ich baue ganz auf deine Stärke" gehören zu den besten der Schallplattengeschichte. Und dennoch: Seinen Vorträgen - technisch brillant - fehlen Eloquenz und sinnliche Energie. Er trägt vor, liebt und leidet nicht.

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

  • Zitat

    Er trägt vor, liebt und leidet nicht.


    Auch wenn meine Aussage hier auf Widerspruch stossen wird:
    Das war zu Zeiten Jadlowkers auch nicht gang und gäbe. Die KUNST - und wenn man sowill auch das artifizielle, "überhöhte" war angestrebt. Auch ein Portrait sollte kein "Ebenbild " des Portraitiereten sein, sondern ein "idealisiertes Ebenbild".
    Realitätsnähe und "primitive Gefühle" sollten nicht unbedingt gezeigt werden. Man sang artig an der Rampe und wartet auf den wohlverdienten Applaus bzw Jubel und "da Capo" Rufe.
    Caruso war einer der ersten, der mit dieser Tradition brach, auch der Verismo hat hier seines dazu beigetragen. Aber an sich erwartete das Publikum dieser Zeit vorzugsweise "schönen Gesang und hohe Töne, Virtuosität....


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !