Don Carlo in Zürich mit Jonas Kaufmann

  • Quasi als Rahmenprogramm zu den "Königskindern", denen mein Opernausflug nach Zürich in erster Linie galt, besuchte ich am 16. November "Don Carlo", leider "nur" in der vieraktigen italienischen Fassung, aber man kann eben nicht alles haben ;)
    Sensibilisiert durch unsere diversen Carlo(s)-Diskussionen im Forum blickte ich dieser Inszenierung meiner drittliebsten Verdioper natürlich sehr gespannt entgegen!
    Schon während der von Carlo Rizzi sehr schön dirigierten Ouvertüre öffnete sich der Vorhang und enthüllte das Bühnenbild, das mich vier Akte lang begleiten sollte, nur geringfügig variiert durch einige sparsam eingesetzte Requisiten. Eine halbrunde Wand schließt die Bühne nach hinten ab, durchbrochen von zwei perforierten Feldern, die geöffnet werden können und den Blick auf projezierte Flächen (Wolken, Landschaft, Säulenhalle etc.) frei geben. In der Mitte öffnet sich eine Türe, von der ausgehend ein Steg in eine runde Plattform mündet, die von einem konzentrischen Graben umgeben ist, in den von allen Seiten Stufen hinunterführen. Im 1. Akt steigt unmittelbar hinter dieser Türe eine Treppe nach oben, auf welcher Carlo schon während der Ouvertüre liegt, umgeben von brennenden Kerzen. Ein sehr suggestives Bild, das mich auf eine spannende Aufführung hoffen ließ, leider aber blieb es bei einigen schön komponierten Bildern. Eine neue Sicht auf das Werk oder wenigstens eine etwas tiefer schürfende Analyse konnte mir Werner Düggelin nicht vermitteln, ehrlich gesagt ist mir völlig schleierhaft, was und ob er überhaupt etwas sagen wollte. "Es lebe die Symmetrie!" lautet offensichtlich sein Credo, denn drei Personen links mussten selbstverständlich drei rechts entsprechen (wie er überhaupt eine Vorliebe für Dreiergruppen hat), der Chor stand entweder sorgfältig ausgerichtet auf der Bühne oder (beim Autodafe) wurde vor der Rückwand in Nischen übereinandergestapelt, was in mir Assoziationen zu Katakomben wach rief.
    Interaktionen blieben wohl dem Zufall bzw. schauspielerischen Talent der Sänger überlassen, und da ein solches nur Jonas Kaufmann (Carlo), Matti Salminen (Philippo) und mit Abstrichen Stefania Kaluza (Eboli) attestiert werden kann, bekam man großteils ödes Rampensingen geboten, wenn auch auf sehr hohem musikalischen Niveau. Besonders die matronenenhafte Elisabetta der Joanna Kozlowska begnügte sich damit, die Partitur zu exekutieren, ihr Gesicht blieb ebenso unbeteiligt wie ihr Körper unbeweglich. Gleiches gilt für den Sänger des Marquis Posa. Vladimir Stoyanov blieb seiner Partie vokal nichts schuldig, darstellerisch leider alles. Er vermied es beinahe ängstlich, seine Partner anzuschauen, sodass ich bei ihm ständig den Eindruck hatte, er führe Selbstgespräche. Das war umso bedauerlicher, als er mit seinem vollen, angenehm timbrierten Bariton ein stimmlich ausgezeichneter Posa wäre. Als Persönlichkeit war er aber leider nicht vorhanden, und das fiel natürlich umso schwerer ins Gewicht, als sein Gegenpart Carlos mit dem großartigen Singschauspieler Jonas Kaufmann besetzt war. Der identifiziert sich 100%ig mit seiner Rolle, klebt nicht sklavisch am Dirigentenstab, kann praktisch in jede Richtung singen, ohne den Faden zu verlieren. Dabei bewegt er sich völlig natürlich, sein Gesicht spiegelt all das wider, was er laut Libretto und Musik eben durchleidet, ohne Zuflucht zu stereotypen Operngesten nehmen zu müssen. Großartig seine Körpersprache in der Kerkerszene, als er sich nach dem Schuss auf Posa auf dem Boden krümmt, praktisch in sich selbst verkriecht, die Realität einfach nicht wahrhaben, nichts sehen und hören will, weil es dann vielleicht nicht stattgefunden hat. Erst beim Auftritt des Königs löst er sich aus seiner Erstarrung, blickt zum ersten Mal bewusst auf den toten Freund und bricht jetzt quasi auch innerlich zusammen.
    Natürlich lebt so ein Vollblutschauspieler mit totalem Körpereinsatz auch gefährlich, besonders bei einem Bühnenbild wie diesem, denn als er zum x-ten Mal über die Stufen in den Graben (?) hinuntersprang, rutschte er wohl ab und zog sich eine Bänderzerrung zu.
    Der Sänger Jonas Kaufmann konnte diesmal mit dem großartigen Darsteller nicht ganz mithalten. Dabei kann ich gar nicht sagen, was mir konkret gefehlt hat, ich hatte eben das unbestimmte Gefühl, dass etwas fehlt. Er war absolut phantastisch, wenn er groß aufdrehen konnte, dann trug die Stimme unwahrscheinlich und war emotional so aufgeladen, dass es einen wirklich durch und durch ging, während bei den "leisen Stellen" die Farben etwas zu verblassen schienen. (Vielleicht hat meine Freundin mit ihrer Einschätzung recht, dass JK stimmlich nie wirklich das Letzte gibt und immer der Eindruck bleibt, da wäre noch mehr drinnen.) Hätte ich ihn übrigens nur als Carlo gehört, würde ich nicht so streng mit ihm ins Gericht gehen, aber zwei Tage später als Königssohn war dann plötzlich all das 100%ig da, was ich bei Verdi ein wenig vermisst hatte.
    lg Severina :hello:

  • Hallo Severina,
    danke für den Bericht.
    Kann es sein, dass die Inszenierung von Düggelin schon etwas länger läuft? Wenn es die ist, die ich vor ein paar Jahren (2004?) in Zürich gesehen habe, dann gebe ich Dir recht. Da passiert ÜBERHAUPT NICHTS. Ich war damals mit Freunden, einer Sänger, der andere Regisseur, drin und Du kannst Dir vorstellen, wie der Regisseur sich aufgeregt hat....
    Mich hat damals allerdings die Besetzung Shicoff, Hampson, Naef, Salminen mehr als entschädigt.


    LG
    Rosenkavalier


  • Hallo Rosenkavalier,
    ja, es handelt sich um die nämliche Inszenierung X(
    Musikalisch kam ich auch voll und ganz auf meine Rechnung, denn gesungen wurde großteils wunderschön, Matti Salminen war ein ausgezeichneter Philippo, sein "Ella giammai m'amo" ergreifend, leider hieß der Posa nicht Thomas Hampson, denn mit ihm als dritten im Bunde hätte es großes Theater gegeben. Kaufmann, Salminen und Hampson brauchen keinen Regisseur um zu wissen, wie sie ihre Rollen anlegen müssen, die machen es einfach instinktiv richtig. Aber leider.....
    lg Severina :hello:

  • Hallo Severina,


    danke für Deinen ausführlichen und sehr anschaulichen Bericht. Hast Du erfahren, ob dieser Don Carlo auch fürs Fernsehen aufgezeichnet wird/wurde?
    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Hallo Severina,


    danke für Deinen ausführlichen und sehr anschaulichen Bericht. Hast Du erfahren, ob dieser Don Carlo auch fürs Fernsehen aufgezeichnet wird/wurde?
    :hello:


    Hallo Siegfried,
    nein, da ist leider nichts geplant, es handelt sich ja um eine ältere Produktion, die unmittelbar nach der PR aufgezeichnet worden wäre. Aber auch davon weiß ich nichts. (Die wäre dann auch nicht mit Kaufmann, sondern Cura, der im ersten Block gesungen hat, wenn ich mich jetzt nicht irre!)
    lg Severina :hello:

  • Hallo severina,


    das ist natürlich genau das Problem, wenn von der ursprünglichen Besetzung kaum noch jemand übrig ist: von der Regie ist dann nix mehr da und die Akteure auf der Szene sind sich mehr-oder-weniger selbst überlassen. Wahrscheinlich ist Salminen der einzige, der auch schon in der Premiere dabei war.


    Es ist doch schade, wenn im Grunde genommen noch nicht einmal die Handlung transportiert wird...

  • Zitat

    Original von Alviano
    Hallo severina,


    das ist natürlich genau das Problem, wenn von der ursprünglichen Besetzung kaum noch jemand übrig ist: von der Regie ist dann nix mehr da und die Akteure auf der Szene sind sich mehr-oder-weniger selbst überlassen. Wahrscheinlich ist Salminen der einzige, der auch schon in der Premiere dabei war.


    Es ist doch schade, wenn im Grunde genommen noch nicht einmal die Handlung transportiert wird...


    Hallo Alviano,
    das ist natürlich das grundsätzliche Problem bei Repertoirevorstellungen, weil da viel zu wenig geprobt wird bzw. die kurz zuvor anreisenden Sänger oft auch gar keine Lust dazu haben. Auch unser genialer Konwitschny-Carlos zerbröckelt immer mehr, wie ich leider feststellen muss.
    Nur glaube ich, dass die Regie von Düggelin von Anfang an kein Geniestreich gewesen ist, denn der Chor ist derselbe, und zu dem ist ihm absolut nichts eingefallen, außer gefälliges Herumstehen. So ein langweiliges Autodafe habe ich z.B. noch nie über mich ergehen lassen müssen, im Vergleich dazu ist unser verstaubter italienischer "Don Carlo" beinahe aufregend (Also nur diese eine Szene, in allen übrigen ist Zürich doch besser, besonders was das Bühnenbild betrifft. In dem könnte nämlich durchaus eine spannende Aufführung stattfinden!)
    lg Severina :hello:

  • Moin,


    ich habe die Inszenierung vor einigen Jahren kurz nach der Premiere gesehen. Da war damals schon nicht richtig viel drin. Die Kritiken waren auch nicht besonders dolle, allgemeiner Tenor war eher "mässige Inszenierung, in der niemanden im Publikum auf die Füsse getreten wird".
    In der letzten Saison hatte ich dann wieder das Vergnügen. Da war dann eigentlich gar nichts mehr von der ursprünglichen Inszenierung drin. Es gab die übliche konzertante Aufführung in Kostümen mit Auf- und Abgängen.


    Meiner Meinung nach sollte diese Inszenierung schleunigst verschwinden.

    Grüsse aus Rhosgobel


    Radagast

  • Zitat

    Original von Radagast
    Es gab die übliche konzertante Aufführung in Kostümen mit Auf- und Abgängen.


    Meiner Meinung nach sollte diese Inszenierung schleunigst verschwinden.


    Das ist mal eine deutliche Aussage - das muss man dann eigentlich auch nicht auf einer DVD verewigen...