Daniel Barenboim

  • Ganz verwundert stellte ich gerade fest, daß der Dirigent DANIEL BARENBOIM (geb. 1942), den man wohl zu den bedeutendsten lebenden Dirigenten zählen muß, bisher kein eigenes Thema hat.




    Ich kenne wenige Aufnahmen von ihm, aber die meisten haben mich beeindruckt, so etwa folgende:




    Doch ist Barenboim wohl eher als Wagner-Dirigent bekannt geworden - bedauerlicherweise ist mir aber keine einzige Aufnahme bekannt, doch ich bin mir sicher, daß viele Forianer etwas dazu beisteuern können.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Felipe,


    Wie das Schicksal so spielt: Ich habe mich Barenboim bisher auch an seiner Mozartseite genähert und schätze sehr seinen "Figaro", bei dem besonders die Damen vorzüglich klingen, während Geraint Evans schon ein bißchen zu alt für die Titelrolle scheint.


    Sein Buch "Die Musik, mein Leben" wollte er nicht primär als Autobiographie verstanden wissen, aber man erfährt darin zumindest ziemlich viel über sein Musikverständnis. Gut geschrieben ist es auch.


    LG


    Waldi

  • Ich kenne leider nicht viele Aufnahmen unter Barenboim - aber immer wieder hört man, daß er an seine frühen Aufnahmen heute nicht mehr heranreicht.
    Zumindest, was symphonisches Repertoire angeht. Als Pianist ganz zu schweigen.


    Ich besitze eine wundervolle Aufnahme, die ich immer wieder gerne höre und deren Interpretationen zu den Besten dieser Werke gehören:



    Werke von Delius, RVW und Walton - hinreißend v.a. das Konzert für Oboe und Streichorchester von Vaughan Williams :yes:


    :hello:
    Wulf

  • Besonders viele Einspielungen mit Barenboim kenne ich nicht. Gut vertraut bin ich – eben weil ich sie besitze - eigentlich nur mit den folgenden:






    Dann habe ich noch zwei Vinylboxen mit Berlioz' La damnation de Faust und Romeo et Juliette (DGG-Aufnahmen aus den 1970ern ), die eigentlich nur aufgrund ihrer Hippie-Art-Cover bemerkenswert sind. Ich glaube, das Berlioz-Requiem hatte ich auch mal in einer Einspielung mit Barenboim, ist aber dem Platzmangel in den Regalen zum Opfer gefallen – und hat keine bleibenden Erinnerungen hinterlassen.


    Jedenfalls ergeben diese Aufnahmen ein recht disparates Bild – IMO sehr gelungenes steht neben ziemlichen Aussetzern. Zu den Aussetzern gehören IMO die eher trübe musizierten Berlioz-Sachen, insbesondere aber auch das absolut aufgedunsen und weichgezeichnet interpretierte Mozart-Requiem und die sehr zerfahren wirkende Alpensinfonie.


    Gefallen hat mir der »Parsifal«, der auch mit einem recht guten Ensemble aufwartet (wenn auch S. Jerusalem vielleicht nicht ideal ist). Richtig gut finde ich aber den »Lohengrin« und ganz besonders die hysterische Funken sprühende »Elektra«. Hier hat Barenboim wirklich (im positiven Sinne) ennervierende Energie im Taktstock. Zudem hat die Aufnahme die in dieser Rolle für meinen Geschmack überwältigende Deborah Polaski in der Titelrolle. Ihre Elektra ist kein blind-rachwütiges Monster sondern als eine einsame, verletzliche, verletzte, ja traumatisierte Frau gibt. Da ist dem Herrn mit seinem Ensemble für meinen Geschmack wirklich etwas großes gelungen.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Estimado Rey,


    obwohl ich (unter anderen natürlich) Barenboim mit seinem Bayreuther Ring über Jahre hinweg überwältigende Live-Erlebnisse verdanke, spielt er für mich in erster Linie eine herausragende Rolle als Kammermusiker. Und hier fasziniert mich vor allem die fruchtbare (musikalische!) Zusammenarbeit mit seiner ersten Frau, Jaqueline du Pré.
    Und da setzt aber auch gleich der bittere Beigeschmack ein: Barenboims fragwürdiges Verhalten nach Ausbruch ihrer Krankheit.
    Doch den guten Tagen verdanken wir eine Fülle an unerreichten Aufnahmen, und dafür läuft der Daniel direkt in mein Pantheon durch.


    Con saludos a Su Majestad,




    audiamus



    .

  • Hallo,


    Ich melde mich auch mal wieder zu Wort :D...
    (habe IMMER NOCH kein eigenes INET... :kotz:)


    Da ich ja jetzt in Berlin wohne, habe ich ja des öfteren die Möglichkeit Barenboim live in Aktion zu erleben. Ich freue mich schon darauf ihn diese Spielzeit als Pianist und Dirigent der Berliner Philharmoniker mit dem 1. und 5. Klavierkonzert von Beethoven zu erleben!


    Beeindruckend finde ich seine Tannhäuser-Aufnahme und auch dem Lohengrin kann ich einiges abgewinnen. Der Holländer gefällt mir weniger...
    Seine WTC-Komplett-Einspielung finde ich persönlich in ihrer romantisierenden Art sehr schön! Seinen "Sacre" mit dem ONdP halte ich auch für sehr ordentlich, auch wenn er nicht zu meinen liebsten gehört - das wars auch dann schon mit meiner Aufnahmenkenntnis was Barenboim angeht.


    Viele Grüße,
    Raphael

  • Für mich hat er große Verdienste in Bezug auf das Orchester der Berliner Staatsoper.
    Er hat in den 17 Jahren seiner dortigen Tätigkeit das Orchester sehr gut geformt.


    Wenn ich noch an die ersten Jahre nach der Öffnung der Mauer denke,ist das ein großer
    Fortschritt. Jetzt hat das Orchester einen eigenen guten Klang,besonders im deutschen
    Fach.



    Rita

  • Liebe Taminos,


    ich habe in den letzten Jahren soviel durchschnittlichen Repertoirebetrieb von Barenboim gehört (teils gar weit unterdurchschnittlich), daß meine Meinung von ihm sehr durchwachsen ist. Ich schätze ihn vor allem als Kommunikator, er setzt seinen Charme und seine große Intelligenz sehr gut und durchaus auch zum Wohl vieler Projekte ein. Zudem glaube ich, daß ein Künstler, der seine Popularität benutzt, um politisch Anstöße zu geben, dabei häufig peinlich wirkt - bei Barenboim ist mir das nie aufgefallen.


    Aber: musikalische Highlights sind eher selten, viele Aufnahmen werden als so schlampig gemacht verrissen, daß ich sie nicht angehört habe. Wenn ich auf der anderen Seite den duftigen Feuilleton-Waber à la "Klangmagier Barenboim" lesen muß, hört es bei mir endgültig auf. Letzte Saison habe ich etwa Busonis "Doktor Faust" unter ihm erlitten - laut und knallig, erdrückend, so wie ihm auch sein Wagner gern mal aus dem Ruder läuft. Seine Beethoven-Einspielungen mag ich auch nicht.


    Ein Problem aber kommt hinzu: Ich kann dem Klang der Staatskapelle nicht soviel abgewinnen, wie Rummel um sie gemacht wird. Zugegeben ist die Akustik in der Staatsoper schlicht lausig, da scheppert es gern wie auf der Kirmes.


    In Berlin hat man da bessere Alternativen.



    LG,



    Christian

  • Ich hatte bislang zweimal das Vergnügen (ja, ich finde es ist eins), Barenboim live in der Staatsoper zu erleben.
    Seine Interpretation der Carmen fand ich schlichtweg umwerfend! Die Zwischenmusiken habe ich noch nie so schön und differenziert gehört, wie unter seiner Leitung :jubel:
    Sein Parsifal hat mir auch sehr gut gefallen - allerdings war es mein erster Parsifal und deswegen fehlen mir die Vergleichsmöglichkeiten. Zumindest haben er, Wagner, und die beteiligten Sänger/Musiker es geschafft, dass ich stundenlang gebannt zugehört habe.


    Von und mit ihm habe ich lediglich Tannhäuser und alle Beethoven-Symphonien.


    Denn Tannhäuser müsste ich mal noch intensiver anhören.. :O
    Bei den Beethoven-Symphonien fehlt mir bis auf die Neunte auch das "Vergleichsmaterial". Spontan würde ich sagen, alles sehr ansprechend. Die Neunte gefällt mir allerdings unter Rattle mit den Wienern besser...


    LG
    Rosenkavalier

  • Zitat

    Original von Rosenkavalier


    Von und mit ihm habe ich lediglich Tannhäuser und alle Beethoven-Symphonien.


    Barenboims Tannhäuser gefällt mir, was die Leistung des Dirigenten angeht gut: Schlüssige Tempi und eine fast kammermusikalische Transparenz, sowie ein Peter Seifert in Hochform. Jane Eaglens Aussprache ist allerdings gewöhnungsbedürftig.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Ich war zwar IIRC nur einmal in der Staatsoper (Parsifal ca. 1995, Kupfer? mit dem "Tresor" und den Fernsehschirmen), aber die dortige Akustik ist in der Tat sehr trocken. Die Beethovensinfonien mit der Staatskapelle gehören allerdings zu den bestklingenden Aufnahmen dieser Werke (und dem Hörensagen nach gilt ähnliches für die rezenten Mahler-Aufnahmen) und sind sicher unter neueren Aufnahmen eher "konservativ-romantischer" Prägung eine dicke Empfehlung wert.
    Ich habe in den letzten 10-15 Jahren den Eindruck, dass Barenboim ein wenig zu rührig ist, auf zu vielen Hochzeiten tanzt. Ohne sein Spiel kürzlich gehört zu haben, der kann doch seit Jahren nicht mehr richtig Klavier geübt haben.... :rolleyes:
    Vor 30 Jahren war er allerdings ein guter Pianist.
    Seine Box mit Mozart-Konzerten halte ich für eine der empfehlenswerteren Gesamtaufnahmen, nicht zuletzt auch aufgrund seines Dirigats, das das Kammerorchester nie klein oder hübsch klingen läßt. Vielleicht mag einiges für Empfindsame zu "beethovensch" klingen, ich halte das für wesentlich interessanter als z.B. die berühmten Aufnahmen der Konzerte mit Perahia.


    :hello:


    JR


    EDIT: ich meinte die Mozart-Aufnahmen, die um 1970 mit dem English CO enstanden sind, die neueren bei Teldec kenne ich nicht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ich habe in den letzten 10-15 Jahren den Eindruck, dass Barenboim ein wenig zu rührig ist, auf zu vielen Hochzeiten tanzt. Ohne sein Spiel kürzlich gehört zu haben, der kann doch seit Jahren nicht mehr richtig Klavier geübt haben.... :rolleyes:
    Vor 30 Jahren war er allerdings ein guter Pianist.
    Seine Box mit Mozart-Konzerten halte ich für eine der empfehlenswerteren Gesamtaufnahmen, nicht zuletzt auch aufgrund seines Dirigats, das das Kammerorchester nie klein oder hübsch klingen läßt. Vielleicht mag einiges für Empfindsame zu "beethovensch" klingen, ich halte das für wesentlich interessanter als z.B. die berühmten Aufnahmen der Konzerte mit Perahia.


    Die Mozart-Konzerte mit ihm finde ich auch sehr gelungen, obwohl er auch da schon ruhig ein bisschen mehr hätte üben können. Das hat er wohl noch nie besonders gern getan. :D


    Aber die Hochzeiten, auf denen er tanzt, finde ich auch sehr respektabel. :yes:

  • Für mich ist er auch zu rührig!
    Dem Klang der Staatskapelle kann ich auch nichts abgewinnen.


    Außerdem stimme ich sonst mit Il Grande Inquisitor mit seinen Bemerkungen
    zu unseren Orchesterauswahlen voll überein.


    Mein erster Beitrag bezog sich darauf,das das Orchester unter seiner Leitung
    etwas bessre geworden ist.


    Rita

  • Dem Klang der Staatskapelle kann ich ziemlich viel abgewinnen. Voraussetzung ist natürlich, dass man Mischklang nicht prinzipiell ablehnt. Vor allem muss man das Orchester nicht nur in der akustisch tatsächlich nicht gerade überragenden Staatsoper hören, sondern in einem vernünftigen Konzertsaal, z.B. der Philharmonie. Barenboim mit der Staatskapelle habe ich mehrfach live erlebt - am meisten in Erinnerung geblieben ist mir die Aufführung aller Brahms-Symphonien an zwei Abenden 2003 im Pariser Théâtre du Chatelet. Natürlich sollte man von Barenboim keinen geschärften Spaltklang erwarten, aber wenn man sich auf eine traditionelle Aufführungspraxis im besten Sinn einlässt, dann waren das vollendete Wiedergaben: ganz warm im Klang, eher lyrisch als dramatisch, wunderbar "gesungen", mit fantastischem Spiel aller Instrumentengruppen. Leider gibt's auf CD nur die ziemlich missratene Aufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra.


    Damit ist das schon mehrfach erwähnte Problem der Unausgeglichenheit angesprochen: Barenboim hat schon immer das ganze Spektrum zwischen "herausragend" und "unterirdisch schlecht" ausgereizt, letzteres leider auch in meiner Gegenwart (Bruckner). Seine Wagner-Dirigate habe ich nicht durchgehend, aber relativ regelmäßig verfolgt - die späteren gefallen mir tendenziell besser als die früheren (der Bayreuther Ring um 1990 herum war ziemlich schrecklich, teilweise extrem verschleppt).


    Von Barenboim als Pianisten habe ich noch früh eingespielte, eigenwillig lyrische Beethovensonaten im Ohr; live habe ich ihn in dieser Funktion zweimal mit vielen falschen Tönen erlebt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo zusammen,


    Bei Barenboim klaffen mir (meist länger zurückliegende) Live-Erlebnisse und seine Einspielungen von der Bewertung her deutlich auseinander.


    Ich habe großartige Erinnerungen an seine Auftritte als Pianist Anfang der 90er Jahre bei den Berliner Philharmonikern. Vom Flügel aus dirigierend, wurde jedes Jahr ein Mozart-Klavierkonzert gegeben, und ich war bemüht, keines dieser Konzerte zu verpassen, weil die wirklich gut waren. Dann gab es auch zweimal ein Zusammentreffen mit Abbado am Pult, Beethovens 5. Klavierkonzert und das 2. Klavierkonzert von Brahms. Tolle Erlebnisse, von denen ich jetzt noch einige Szenen recht plastisch vor Auge und Ohr habe.
    Aber das ist wie gesagt schon über 10 Jahre her. Aber auch in der Staatsoper habe ich schöne Abende, gerade mit Mozart und Wagner erlebt.


    Andererseits findet sich in meiner Sammlung keine einzige Aufnahme des Dirigenten oder Pianisten Barenboim (sieht man mal von einer Sampler-CD mit Beethovensonaten ab, die glaube ich meine dritte Klassik-CD überhaupt war - er spielt, als ob es Chopin wäre).
    Ich habe in viele Aufnahmen reingehört, mich aber nie zum Kauf entschließen können.


    Die von Johannes erwähnte frühe Aufnahme der Mozart-Konzerte finde ich allerdings sehr gut (und ich will sie auch mal irgendwann kaufen), die Aufnahme mit den Berlinern wirkt dagegen wenig inspiriert und klingt vor allem grauenhaft, das Orchester ist nur ein einziger scheppernder Brei, dass lässt sich auch nicht mit einer Auffassung von romantischem Orchesterklang erklären, da ist irgendwas anderes schief gelaufen.


    Die Staatskapelle als Orchester gefällt mir eigentlich sehr gut, die Entwicklung in den letzten 2 Jahrzehnten ist durchaus beachtlich. Allerdings muss ich schon Christian recht geben: In der Klasse der ganz großen Ausnahmeorchester, in die Sie bisweilen von der Werbung gehievt werden, spielen sie aus meiner Sicht nicht.
    Barenboim scheint sich in den letzten Jahren so viel zuzumuten, dass wirklich überragende Leistungen vermutlich Glückssache sind. Wenn es sie überhaupt in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Wie gesagt, mein Eindruck hinsichtlich der Tonträger spricht eigentlich dagegen.
    Live hingegen, wo der Wille zur Begeisterung und mangelnde Alternativen ja die Meßlatte im Allgemeinen niedriger hängen, war er eine Zeitlang für mich eine ziemliche Bank für große Konzerterlebnisse.


    Abschließend finde ich sein politisches Engagement sehr beachtlich und maße mir auch nicht an, Vorgänge in seinem Privatleben moralisch zu bewerten, die mir nun wirklich zu komplex scheinen, als dass man aus der Ferne ein Urteil fällen könnte. Das sollte man dann doch der Bildzeitung überlassen.
    Was wäre wenn er sich aufs Klavierspielen beschränkt hätte ? Aus meiner Sicht würde es dann vermutlich ein paar CDs mehr mit Ewigkeitswert in seiner Diskographie geben.


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Antracis
    ...
    Was wäre wenn er sich aufs Klavierspielen beschränkt hätte ? Aus meiner Sicht hätte es dann vermutlich ein paar CDs mehr mit Ewigkeitswert in seiner Diskographie gegeben.
    ...


    Und wenn ihm das völlig egal ist? Wenn er der Meinung ist, dass die Doppelgleisigkeit ihm ein viel erfüllteres und bunteres musikalisches Schaffen ermöglicht, unbeachtet der Maßstäbe, die andere daran legen?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Und wenn ihm das völlig egal ist? Wenn er der Meinung ist, dass die Doppelgleisigkeit ihm ein viel erfüllteres und bunteres musikalisches Schaffen ermöglicht, unbeachtet der Maßstäbe, die andere daran legen?



    Dann bin ich sicher der letzte, der Ihn dafür auf heiße Stangen spießt! ;)

  • Liebe Diskutanten, in meiner letzten Ausgabe von "Le monde de la musique" ist ein grosses Dossier mit Interview über Daniel Barenboim. Dort spricht er über seine Musikauffassung und sagt z.B. den sehr interessanten Satz:" Es ist nicht das Ziel der Musik,auf höchstem professionellen Niveau gespielt zu werden. Heute hat es den Anschein, als sei das Wesentliche der Ton an sich und für sich und nicht der menschliche Ausdruck. Das ist aber die eigentliche Frage, die sich heute stellt bzw stellen mûsste. Die berüchtigte Krise der klasssichen Aufnahme kommt von daher."


    Ich kenne Barenboim auch vorwiegend als pianistischen Kammermusiker, was Liedbegleitung einschliesst, und finde ihn dort hervorragend.
    Sein Engagement für den "west-östlcihen Divan" kann man nciht genug begrüssen. :jubel:
    Was sein angeblich unmoralisches Verhalten gegenüber seiner MS kranken Frau Jaqueline du Pré angeht: nciht alles was von aussen und auf den ersten Blick "unanständig" aussieht, muss das wirklich sein.
    Wer nicht genaueste Einblicke in die Beziehung zwischen Ehepartnern hat, kann sich darüber m.E. kein Urteil erlauben.
    Es gibt von Charakterschwein bis zu internem Arrangement immer ALLE Möglichkeiten
    Wir hatten hier mal eine Diskussion über den Film zu Jaqueline du Prés Leben aus der Sicht ihrer Schwester. Dort wird Barenboim am Ende in einem negtiven Licht gezeigt. Er ist offenbar nciht gegen die Veröffentlichung des Films vorgegangen.
    Vielleicht ist er auch wirklich souverän, mutig und anständig genug, zu Fehlern der Vergangenheit zu stehen.



    Fairy Queen

  • Liebe Fairy, liebe Barenboimianer,


    Barenboim ist ein guter Dirigent- meistens.
    und er ist ein guter Pianist- meistens.
    Aber was er vor allem ist: ein hervorragender Botschafter für die genuine Sache der (klassischen) Musik: Die Irrtümer und Irrwege des menschlichen Strebens in humanistische Bahnen zu lenken. In meiner Option gibt es keinen anderen Musiker, der (nach Menuhin) so intensiv an die harmonisierende und friedensstiftende Kraft der Musik glaubt. Er ist ein grosser Humanist. Das macht ihn so wertvoll und unersetzbar.


    Gruss aus Bern vom Frischling
    Walter

  • Dem Humanisten und "Weltverbesserer" Barenboim gilt meine ganze Sympathie! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Als ich begann, Beethovens Kompositionskosmos auf CD nach langer Pause zu erobern, begann ich mit der Gesamteinspielung des Gewandhaus-Quartetts und mit Barenboims Sonateneinspielung
    , später


    kam die Kassette mit Klemperer dazu.


    Bei beiden Einspielungen das Gleiche: Irgendwie kann es das allein nicht sein.
    Die Langsamkeit zerpflückt die Konzentration, läßt die Zusammenhänge nicht erkennen. Gut, damals hatte ich noch nicht die heutige Hörerfahrung, aber - das war der Auslöser für meine Suche nach der idealen Interpretation, so wie ich es mir denke, daß es sein müsse.


    Das Ergebnis steht neben mir in Ikea-Regalen und ist auch Antrieb für die Teilnahme an diesem Forum.


    Inzwischen weiß ich natürlich, daß nicht Jeder Jedes ideal spielt.
    Aber Barenboim liegt eigentlich nie in meinen Ohren.
    Schade eigentlich, denn die Langsamkeit, die er so zelebriert, ist ja auch nicht nur eine Macke.


    Die Piano-Trios mit Du Pre haben mich auch nicht überzeugt, auch die höre ich äußerst selten.


    Meine Meinung betrifft ausschließlich die eingespielten Beethoven-Kompositionen, alles andere habe ich nie gehört.


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Was sein angeblich unmoralisches Verhalten gegenüber seiner MS kranken Frau Jaqueline du Pré angeht: nciht alles was von aussen und auf den ersten Blick "unanständig" aussieht, muss das wirklich sein.
    Wer nicht genaueste Einblicke in die Beziehung zwischen Ehepartnern hat, kann sich darüber m.E. kein Urteil erlauben.


    Liebe Fairy,


    natürlich steckt man allgemein nicht drin. Doch, ohne das hier breittreten zu wollen, etliche Insider-Informationen haben mich bei diesem Thema sehr geprägt.


    Ansonsten halte ich, was Du, liebe Fairy, wahrscheinlich ganz unten auf Deiner Liste verzeichnen wirst, Barenboim vor allem zugute, dass er in hartem Kampf Wagner in Israel wieder salonfähig gemacht hat.


    Hierzu gibt es übrigens ein geradezu erschütterndes Filmdokument aus einem Kibbuz, wo der Dirigent versuchte, das Siegfried-Idyll aufzuführen.


    LG,



    audiamus

  • Hallo Forianer,


    die Staatskapelle Berlin war bereits vor Barenboim ein Spitzen-Orchester! Dies zu negieren, würde bedeuten, die Lebensleistung von Otmar Suitner anzuzweifeln, der immerhin 25 Jahre lang der Chefdirigent dieses Orchesters war und der stets ein Garant für hochklassige Aufführungen war, egal, ob bei Oper, Konzert oder den diversen Einspielungen.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Lieber Liebestraum


    nichts gegen Suitner, aber war das RSO auch ein absolutes Spitzenorchester, nur weil ihm Fricsay, Maazel und Chailly vorstanden?
    Ich finde vieles, was um die Staatskapelle an medialem Aufruhr gemacht wird, nicht gerechtfertigt. Mit den Philharmonikern ist sie qualitativ nun sicher nicht zu vergleichen.


    LG,


    Christian

  • Hallo Christian,


    ich habe nicht gesagt, dass die Staatskapelle besser ist, als die Philharmoniker.


    Mir ging es vielmehr darum, mit dem Unsinn aufzuräumen, erst durch Barenboim sei die Staatskapelle wieder ein international renomiertes Orchester geworden!



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitor
    nichts gegen Suitner, aber war das RSO auch ein absolutes Spitzenorchester, nur weil ihm Fricsay, Maazel und Chailly vorstanden?


    Ja klar! Sie waren in den 50ern und 60ern in mancher Hinsicht je nach Repertoire sogar besser als die Philharmoniker, präziser, transparenter. Ist vielleicht hier mehr vom Dirigenten abhängig als beim BphO, aber auf den Aufnahmen aus dieser Zeit ist das RIAS bzw. RSO unter Fricsay mindestens so gut wie die Philharmoniker, die er ja auch dirigiert hat. Bei Repertoire wie Bartok u.ä. eher besser, weil sie darauf besser gedrillt waren.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes,


    mir ging es nur darum, daß die Verbindung eines Orchesters mit einem großen Namen noch kein eindeutiges Kriterium für seine Spitzenklasse ist. Gerade unter Fricsay sind ja viele maßgebliche Interpretationen entsttanden, und ich mag den RSO-Klang auch sehr gern. Ich würde das Orchester aber nicht über die gesamte Zeit als vergleichbar mit den BPh sehen.


    LG,


    Christian

  • Hallo,
    Falls jemand irgendwie Zweifel haben sollte, dass Barenboim zu den ganz grossen Pianisten gehört, dem empfehle ich diese CD



    Da wird wirklich gezaubert !


    Ansonsten gibts natürlich auch Sachen von Barenboim, die mir nicht gefallen- z.B. Albeniz :faint:, Piazzolla :faint: :faint: und auch Beethoven.


    Um nochmal kurz auf die Gerüchteküche um den Umgang mit Jaqueline Du Pre zurück zu kommen- selbst wenn man mit Barenboim und JdP darüber sprechen könnte, würde man zu keinem objektivem Bild kommen. Letztendlich sind da sogenannte Insiderinformationen auch nichts anderes als ein Synonym für Gerüchte.
    Schlussendlich ist ein Zusammenhang zu seinen musikalischen Qualitäten nicht wirklich ersichtlich.


    Gruss :hello:


    Syrinx

  • Verweise an dieser Stelle auf ein ausführliches Gespräch mit Daniel Barenboim vor allem zur Arbeit mit seinem West-Eastern Divan Orchestra:


    "http://www.welt.de/kultur/arti2329078/Bei_Barenboim_spielen_die_schoensten_Musiker_.html"

    Freundlicher Gruß
    Alexander







  • Ich schätze Barenboim als Pianist immens. Freilich hat er durch seine polypragmosyne nicht die Konzentration auf seine klaviertechnischen Leistungen hinbekommen, wie es andere, monothematischere Konkurrenten fertigbrachten.


    Drei Aufnahmen werden mir immer herausragen: Die späteren Beethovensonaten bei der DG (1984), die ich demnächst in einem kleinen Hörvergleich aus meiner Sicht als meine persönliche Referenz näher vorstellen möchte.


    Dann die Mozartkonzerte bei der EMI (1967-1975), die so weit verbreitet sein dürften, daß man dazu nicht mehr viel sagen muß.


    Und die schon erwähnten Mendelssohn-LiederohneWorte.


    Seine neue WTC-Aufnahmen kenne ich nicht und muß ich auch nicht kennenlernen. Wie er live spielt, habe ich nie überprüfen können.


    Als Dirigent ist mir der Barenboim der letzten zwanzig Jahre offen gesprochen völlig gleichgültig. Ich habe ihn im Konzert erlebt, auf vielen Einspielungen gehört, und muß bekennen, daß ich entsetzt bin über die Wandlung vom sehnigen, luziden Jungspund zum (im klangtechnischen Sinne) fettleibigen, unbeweglichen und mit undurchschaubarer Agogik nur so um sich werfenden Salonlöwen.


    Es gibt einige frühe Aufnahmen, die wundervoll dirigiert sind.


    Die Schumannsymphonien allen voran, DG 1977, die ihresgleichen wohl nie mehr gefunden haben.


    Der von Waldi schon vorgestellte Mozart-Figaro, den ich ebenso wie er beurteile.


    Ein Deutsches Requiem aus Edinburg, DG 1972, das zu den Unumgänglichen hätte zählen können, wäre da nicht ein sprachfremder und nicht sehr homogen agierender Chor am Werke.


    Von den neueren Aufnahmen (und hier kenne ich ebenfalls recht viele) ist mir einzig eine Platte mit Wagner-Vorspielen, Teldec 1995), erwähnenswert - die aber dafür nachdrücklich. Den Parsifal kann ich hingegen unmöglich so hoch schätzen wie mein verehrtes Klawirr, auch die anderen Wagneropern und -dramen sind mir eher ein Graus. Barenboims Strauss kenne ich nicht. Seine späteren Mozartopern scheinen mir ebenfalls entbehrlich. Die kompletten Beethovensymphonien (Staatskapelle, 2001) vermögen ebenso wie früheren Brahmssymphonien (CSO, 1994) mit selbst gewöhnlicheren Einspielungen wie dem Beethoven-Jochum oder den Karajan-Brahmsen nicht mitzuhalten.


    Des Meisters politisches, oder besser quasi-politisches Engagement der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht zu schätzen und zu honorieren, käme mir nie in den Sinn.


    Ebenso aber erscheint es mir lächerlich, über das Privatleben eines trotz gewisser öffentlicher Präsenz völlig unbekannten Menschen den Stab brechen zu wollen. Lachhaft auch, daß das (wieder einmal) großen Raum im Thread einnimmt. Wer hier die Ebenen des Künstlerischen und Lebenskünstlerischen durcheinanderbringt, offenbart mehr seine eigenen Probleme als die Herrn Barenboims.


    Mit dieser nachdenklich stimmenden kleinen Pointe gebe ich zurück zu denen, die Barenboim als Musiker zu besprechen kein Federlesens machen.



    Graf Wetter

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