Arthur Honegger (1892 – 1955)
Jeanne d’Arc au bûcher
Dramatisches Oratorium in elf Szenen und einem Prolog H. 99
Für Sprecher, drei Soprane, Alt, Tenor, Bass, Kinderstimmen, gemischten Chor, Kinderchor und Orchester
Libretto: Paul Claudel (Deutsche Version: Hans Reinhart, Englische Version: Dennis Arundell)
Entstehung: 1934 – 1935, rev. 1944
Uraufführung: 12.05.1938, Basel (konzertant), 13.06.1942, Zürich (szenisch)
Aufführungsdauer: ca. 70 Minuten
Verlag: Edition Salabert, Paris
Personen (Sprecher):
Jeanne d'Arc
Frère Dominique
Le Récitant
La Mère aux Tonneaux
Heurtebise
L'Appariteur
Héraut III
Un Prêtre
Le Duc de Bedford
Jean de Luxembourg
Regnault de Chartres
Guillaume de Flavy
Personen (Sänger):
La Vierge - Sopran
Marguerite - Sopran
Catherine - Alt
Une Voix I - Tenor
Une Voix II - Bass
Porcus - Tenor
Héraut I - Tenor
Héraut II - Bass
Le Clerc - Tenor
Voix d'Enfants – Knabensoprane
Orchester :
2 Flöten (2. auch Piccolo)
2 Oboen
1 Piccolo-Klarinette in Es
1 Klarinette in B
1 Bass-Klarinette in B
3 Alt-Saxophone in Es
3 Fagotte
1 Kontrafagott
1 Piccolo-Trompete in D
3 Trompeten in C
1 Bass-Posaune oder Tuba
Pauken
1 Tamtam
1 Große Trommel
1 Kleine Trommel
Becken
1 Celesta
2 Klaviere
1 Ondes Martenot
Streicher
Arthur Honegger, 1952
Handlung:
Prolog
Die Worte der Schöpfungsgeschichte werden vom Textdichter zitiert. Er setzt die der Erschaffung der Welt vorangehende Finsternis zu jener in Beziehung, die das besetzte und geteilte Frankreich im Jahr 1940 wie auch zur Zeit des Hundertjährigen Krieges bedeckte. Gott erhört die Gebete der Menschen und schickt ihnen „ein Mädchen mit Namen Johanna“.
Szene I – Die Stimme des Himmels
Der Chor ruft dreimal den Namen Johannas.
Szene II - Das Buch
Johanna, die mit Ketten gefesselt ist, fragt nach dem, der sie ruft. Bruder Dominik antwortet ihr. Er hält in seinen Händen ein dickes Buch, in dem das ganze Leben Johannas enthalten ist, das sie nun noch einmal erleben wird. Doch Johanna kann nicht lesen, so liest Bruder Dominik ihr vor.
Szene III – Die Stimmen der Erde
Der Chor der Ankläger Johannas verwünscht Johanna und überantwortet sie einem Tiergericht. Der fassungslosen Johanna erklärt Bruder Dominik, dass es keine Menschen sind, die sie derart beschuldigen.
Szene IV – Jeanne, den Tieren ausgeliefert
Das Gericht tritt zusammen, um einen Vorsitzenden zu ernennen. Nacheinander weigern sich der Tiger, der Fuchs und die Schlange, den Vorsitz zu übernehmen. Aber das Schwein schlägt sich selbst vor und lässt sich zujubeln. Die Schafe übernehmen das Amt der Beisitzer, der Esel wird Protokollführer. Anklage und Urteil werden in einem Atemzug verkündet: der Teufel hat Johanna geholfen, also muss sie verbrannt werden!
Szene V – Jeanne am Pfahl
Ein Hund heult in der Nacht, Johanna erschrickt, aber Bruder Dominik beruhigt sie. Als Johanna ihn fragt, wie sie hierher gekommen ist, antwortet Bruder Dominik: Aufgrund eines Kartenspiels, das ein närrischer König erfand.
Szene VI – Die Könige oder die Erfindung des Kartenspiels
Die Könige werde vom Herold vorgestellt: der König von Frankreich begleitet von Seiner Majestät, der Torheit, der König von England, begleitet von Seiner Majestät, dem Hochmut und der Herzog von Burgund, begleitet von Seiner Majestät, dem Geiz. Der vierte König ist der Tod, begleitet von seiner Dame, der Wollust. Aber die Partie wird von dem Buben gespielt, das heißt: vom französischen Adel. Nach der dritten Partie wird der Einsatz – Johanna selbst – dem Sieger ausgeliefert: England.
Szene VII – Katharina und Margarethe
Johanna erkennt im Glockengeläut die geliebten Stimmen ihrer beiden Schutzheiligen Katharina und Margarethe wieder, die für sie den Beistand Gottes, Jesus und Marias erbitten.
Szene VIII – Der König zieht nach Reims
Bei einem Fest feiert das Volk die Vereinigung der beiden Hälften Frankreichs, symbolisiert durch den Bauern „Mühlenwind“ und die „Mutter Weinfass“. Doch ein Schreiber fordert die Menge auf, zur Begrüßung des Krönungszuges eine Hymne zu singen. Während der Zug sich wieder entfernt, jubelt Johanna: „Es ist Gott, der es vollbracht hat!“ Und Johanna: „Es ist Gott im Bunde mit Johanna!“ Währenddessen erheben sich die anklagenden Stimmen der Erde aufs neue.
Szene IX – Das Schwert der Jungfrau
Johanna besingt die Normandie in ihrer Frühlingspracht. Als Bruder Dominik sie nach der Herkunft ihres Schwertes fragt, erinnert sie sich ihrer Heimat Lothringen, namentlich Domrémy, wo ihr das Schwert übergeben wurde. Um die Bedeutung des Schwertes zu verstehen, sagt Johanna, müsste Bruder Dominik sich in das kleine Mädchen aus Lothringen verwandeln, das sie einst war, als sie mit den anderen Kindern das Trimazô-Lied sang. Und Johanna erklärt: Ihr Schwert heißt nicht Hass, sondern Liebe.
Szene X - Trimazô
Johannas Tränen ersticken ihre Stimme, als sie versucht, das Trimazô-Lied zu singen, denn plötzlich findet sie sich in der Gegenwart wieder, der grausamen Wirklichkeit des Scheiterhaufens.
Szene XI – Jeanne d’Arc in den Flammen
Das Buch ist zu Ende, Bruder Dominik hat es geschlossen und verschwindet. Johanna sieht sich allein den Flammen ausgeliefert, und einen Augenblick lang wird sie von ihrer Kraft verlassen. Doch die Stimmen der Heiligen Jungfrau, ihrer Schutzheiligen und Freunde sprechen ihr Trost zu und Mut, sich dem Feuer anzuvertrauen, mit dessen Hilfe sie ihre Ketten brechen wird. Zur Flamme verklärt, geht sie in die Herrlichkeit des Himmels ein. Niemand hat eine größere Liebe gekannt, als der, welcher sein Leben hingibt für die Seinen.
Über das Werk:
1934 gab die russische Tänzerin und Schauspielerin Ida Rubinstein, angeregt durch die Aufführung eines Mysterienspiels von Studenten der Pariser Sorbonne, bei dem Schweizer Komponisten Arthur Honegger ein dramatisches Musikwerk in Auftrag, das thematisch die Geschichte der Johanna von Orléans behandeln sollte. Als Text-Dichter hatte man Paul Claudel ins Auge gefasst, der jedoch, aus Ehrfurcht vor der Thematik, die Zusammenarbeit an dem Projekt zunächst ablehnte; eine Vision, die der gläubige Katholik auf einer Zugfahrt nach Brüssel gehabt haben soll, sei für ihn Anlass gewesen, den Auftrag doch anzunehmen. Innerhalb weniger Wochen hatte er das Libretto fertig skizziert, und noch im selben Jahr konnte Honegger mit der Komposition beginnen. Die Arbeit an dem Oratorium wurde am 30. August 1935 abgeschlossen. Nach der Befreiung Frankreichs von den deutschen Besatzern erweiterten Dichter und Komponist das Werk um einen Prologue, der Jeanne als Retterin Frankreichs preist.
Diese Szenen sind verknüpft durch die Verarbeitung einiger charakteristischer, wiederkehrender Motive, wie z.B. das Rufen des Höllenhundes am Beginn des Stücks, die Glockenakkorde, die die Stimmen ihrer Schutzheiligen begleiten oder das Trimazô-Lied, welches kindliche Geborgenheit symbolisiert. Zahl- und facettenreiche musikalische Quellen finden Verwendung und werden durch Diminutionen, Augmentationen, Umkehrungen, Sequenzierungen und andere thematische Spielereien szenenübergreifend miteinander verquickt. Elemente folkloristischer Musik, wie das Trimazô-Lied oder das alte, französische Volkslied „VoulezVoulez-vous manger des cesses?“ stehen neben Chorälen wie dem Antiphon „Aspiciens a longe“ oder dem Conductus der „Esel Sequenz“, das transponierte B-A-C-H Motiv neben Parodien auf die zeitgenössische Jazzmusik, wie der Arie des Porcus oder Parodien auf die Barockmusik selbst.
Auch die Klangvielfalt der chorischen und instrumentalen Besetzung ist groß. Chor, Kinderchor und Solisten singen, sprechen, schreien, summen, murmeln oder psalmodieren in Chorälen, Chören und rhythmischen Fugati. Die Hauptrolle verlangt nach einer Sprechpartie, denn Ida Rubinstein war Schauspielerin und nicht Sängerin. Auch Bruder Dominik und einige Nebenrollen werden von Sprechern dargestellt, so dass es insgesamt viele Passagen mit gesprochenem Wort gibt. Dennoch gibt es nur drei Stellen, an denen der musikalische Fluss unterbrochen wird. Das Orchester ist mit dreifachem Holz besetzt und anstelle der Hörner musizieren drei Alt-Saxophone. Celesta und zwei Klaviere reihen sich ein, die in Szene VI, der Kartenspielszene, durch auf die Seiten gelegte Metallbügel den spitzen Klang eines Cembalos mimen. Das wohl interessanteste Instrument sind aber die Ondes Martenot, ein monophones, elektronisches Tasteninstrument mit sieben Oktaven, das nach dem Prinzip des Schwebungssummers arbeitet, dessen Klang durch elektronische Filter variiert werden kann. Zum Einsatz kommt es schon zu Beginn, beim Rufen des Höllenhundes. Honegger war einer der ersten, der diesem Instrument Platz im Orchester einräumte.
Empfohlene Aufnahme:
Marthe Keller
Georges Wilson
Choeur de Radio France
Orchestre National de France
Seiji Ozawa
Deutsche Grammophon
Da ich keine andere Aufnahme kenne, empfehle ich diese Einspielung.
Davidoff