Alessandro Bonci - Stilist oder Meckerer?

  • Liebe Taminos,


    beim neulichen Stöbern in JM Fischers Großen Stimmen habe ich den sehr abschätzigen Artikel des Autors über Alessandro Bonci gelesen. Ich kann dem guten Jens Malte da nicht zustimmen. Steane (oder Ardoin?) hält Bonci hingegen für den bedeutendsten lyrischen Tenor des 20. Jh.





    Wie weit man auch immer mit solchen Klassifizierungen kommen will, für mich ist Bonci ein herausragender Gesangsstilist mit großen Vorzügen. Das Timbre ist nicht per se schön, die Tongebung in der Höhe auch nicht immer glücklich, seine Linien aber, die Leggierezza der Stimme, das Timing Boncis sind häufig grandios.


    Meine Lieblingsaufnahmen sind die Auszüge aus Ballo; derart plastisch hat sonst kaum jemand den leichtfertigen und etwas melancholischen Riccardo gezeichnet. Vokale Juwelen sind in diesen Arien auch genügend enthalten, etwa das gesungene Lachen in E scherzo e la follia.


    Wie beurteilt Ihr Boncis Aufnahmen? Lehnt ihn auch jemand so sehr ab wie Fischer (der ja auch de Lucia sehr negativ bewertet)?



    LG,



    Christian

  • Lieber Christian,


    mit den Aufnahmen Boncis geht es mir wie mit denen des Alfredo Kraus:
    Ich bewundere die Kunstfertigkeit des Singens, die technischen Finessen, und doch fehlt mir bei beiden im Singen etwas, das die Aufnahmen anderer Sänger für mich unverwechselbar macht.


    Vielleicht ist es eine gewisse "Clarté" im Singen, eine Kühle, die ein wenig mehr vokale Phantasie vermissen lässt(Ein ähnlicher Fall ist für mich Georges Thill)?


    Das abschätzende Urteil, das Fischer in seinem Buch bietet, kann ich jedenfalls ebensowenig nachvollziehen wie bei Fernando de Lucia.
    Vergleiche ich Bonci mit de Lucia, so greife ich lieber zu den Aufnahmen des letzteren, weil sie mir im Singen die dargestellten Rollen näherbringen und weil ich eine Schwäche für die Rubati habe, die ich im Gegensatz zu vielen nicht als maniriert ansehe (von einigen Ausnahmen abgesehen, in denen er wirklich übertrieben hat).


    Auch Bonci bietet in seinem Singen noch einen Abglanz der alten Schule der musikalischen Romantik, wie de Lucia, Mc Cormack, Anselmi, ohne dass mich seine Aufnahmen so fesseln können wie die der letzteren.


    Für sein Glanzstück halte auch ich die Auszüge aus dem "Ballo": Wie später meiner Meinung nach nur Jussi Björling hat er den Ausdruck für die Mischung aus Leichtigkeit, Ironie und Melancholie. Was die gesungenen Lachpassagen in "E scherzo" angeht, bin ich im Zwiespalt:
    Es ist ungemein kunstfertig gesungen, aber mir gefallen die Aufnahmen ohne das durchschossene Lachen besser.


    Ein Vergleich mit Björling, der Boncis Lachpassagen in einem Mitschnitt von 1950 imitiert hat (ohne meiner Meinung nach an das Original heranzukommen), in seiner Aufnahme von 1940 den hybriden Charakter des Ricardo ohne dieses Stilmittel dargestellt hat, lässt mich immer wieder zu der Aufnahme ohne die Lacher greifen - einfach, weil er, wenn er sich nicht auf diese konzentriert, mit rein musikalischen Mitteln, besonders mit der Stimmfärbung, meiner Meinung nach mehr von der Ironie und Melancholie dieser Figur darstellen kann.


    :hello: Petra

  • Liebe Petra,


    im Vergleich von Bonci und Björling (ich habe mir nochmal den Mitschnitt aus der Met mit Castagna, Sved u. Andreva angehört) fand ich Björlings Riccardo eindimensionaler als Boncis. Er sang mir zu häufig mit voller Stimme und, bei größerer Klangschönheit des Materials, mit weniger akkuratem Timing.


    Zum Lachen in E scherzo: Ich sehe es auch als einen Effekt, der nicht zwingend notwendig ist, aber eine äußerst gekonnt ausgeführte eigene Auszierung ist es schon, die Boncis Riccardo unverwechselbar machen, ähnlich wie den Oscar Tetrazzinis.


    LG,


    Christian

  • Lieber Christian,


    ich glaube, was den Vergleich zischen Bonci und Björling angeht, sind wir gar nicht so weit auseinander:


    Den Kunstverstand und die Beherrschung der technischen Finessen schätze ich bei Bonci sehr; dass mir sein Timbre etwas zu neutral ist, mindert seine Leistung ja nicht, sondern ist lediglich mein subjektiver Eindruck. Ich meine deshalb ja auch, dass Björling zwar die Lachpassagen imitiert hat, aber in dieser Hinsicht an Boncis Original nicht herangekommen ist.


    So gern ich Björling höre, war er doch ein typischer Sänger seiner Generation, der leider nur ganz zu Anfang Aus- und Verzierungen recht sparsam einsetzte und nachher ganz darauf verzichtete. Was den Ricardo angeht, so bringt er einfach meiner Meinung nach die ideale Stimme mit, die per se schon immer etwas melancholisch gefärbt war, manchmal aber recht spitz-mokant klingen konnte. Und ich mag einfach auch die Verve und den Übermut, mit dem er die Parade zu Ulrica anführt, wobei das Dirigat von Panizza sicherlich auch sein Übriges tut. Was die Belcanto-Technik angeht, war Bonci (wie auch Mc Cormack und de Lucia) ihm mit Sicherheit überlegen.


    :hello: Petra

  • Liebe Petra,


    man kann Björling nicht mit Bonci vergleichen. Der sogenannte Belcanto


    endete ungefähr mit Caruso. J.Björling war schon ein Sänger des


    Verismo, aber seine herrliche Stimme, ist uns heutigen sicher näher, als


    die Stimmen der Ära vor Caruso(Tamagno, de Lucia, Bonci,etc.)


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Herbert,


    auf den Vergleich Björling - Bonci war ich nur deshalb gekommen, weil bei beiden Sängern der Ricardo als eine der Paraderollen galt und Björling bei Bonci doch einiges abgeschaut hat.


    Ich gebe Dir völlig Recht in der Hinsicht, dass beide Sänger sonst schwer miteinander zu vergleichen sind. Das war es auch, was ich meinte, als ich schrieb, Björling sei ein typischer Sänger seiner Generation gewesen; ähnlich höre ich es bei Tito Schipa (allerdings wie immer nur mit Laien-Ohren, da ich ja nicht vom Musikfach bin).


    Beide haben noch mit ein paar schönen Resten des alten Belcanto-Stils gesungen, aber die filigranen Verzierungen und die Rubati, die für die Sänger der alten Belcanto-Schule selbstverständlich waren, wurden zu der Zeit, in der sie sangen, ja nicht mehr übermäßig geschätzt.


    :hello: Petra

  • Ich finde, wie auch Petra, daß man jeden Sänger mit jedem vergleichen kann, wenn beide die gleichen Rollen gesungen haben. Stilistisch hat Herbert natürlich vollkommen recht, aber gerade der "transstilistische" Vergleich ermöglicht doch die interessantesten Perspektiven.


    LG,


    Christian

  • Bonci war vor allem in Amerika (an der Manhattan Opera) war in Amerika Carusos größte Kunkurrenz, das will schon was heißen. Bonci war gesanglich der Traditionalist, der die alte Schule weiterführte, Caruso der Neuerer. Da schieden sich die Geister des Publikums.
    Mich stören Stimmen mit einem raschen vibrato generell nicht (solange es gleichmäßig ist und nicht ein einen wobble ausartet). Ich höre Bonci gerne - sehr elegant und souverän, aber nicht maniriert.
    "A te o cara" Puritani
    "Ballo in maschera"
    "Di pescatore ignobile" aus Lucrezia Borgia
    herrlich auch das duett "Prender moglie" aus Don Pasquale mit Ferruccio Corradetti