Mozartbiografen

  • Hallo!.
    Ich habe hier im Forum subjektiv oft den Eindruck, dass ernsthafte, etablierte und in meinen Augen große Mozartbiografen, wie beispielsweise, Angermüller, Valentin, Deutsch, Einstein, Hildesheimer, Braunbehrens, oft nicht ernst genommen und infrage gestellt werden.
    Ich finde das nicht richtig!
    Diese Musikwissenschaftler haben doch erst den Boden bereitet, die Plattform und das Terrain geschaffen, in denen sich andere, nun ungeniert tummeln. Ich verliere ohne diese fundamentalen Grundlagen, völlig die Orientierung. Auf was soll man sich stützen, wenn nicht auf stichhaltig begründete Argumente und Sachverhalte.
    Muss die Geschichte neu geschrieben werden. Ist das Rad noch mal zu erfinden?
    Auf der Basis dieser Quellen darf jeder natürlich seine Meinung, seine Interpretation vertreten und Deutungen abgeben. Man hat allerdings kein Recht die Wahrheit für sich in Anspruch zu nehmen!
    Es entsteht bei mir der Eindruck entstanden, sich permanent über die Meinung dieser Wissenschaftler stellen zu wollen. Damit habe ich nicht gesagt , dass sie immer recht hätten. Aber so zu tun, als wenn es ohne diese Grundlagenforschung, ohne diese - und nun benutze ich den Ausdruck Experten, ginge ist doch ziemlich anmaßend.
    Mein Eindruck ist also, das nur noch das gelten soll und richtig ist, was jetzt zu Papier gebracht und gedacht wird.
    Hildesheimer schreibt über Beurteilung Mozart folgendes." Wir vergessen unser Maß, wenn wir ihm Zensuren erteilen, seine Fehlbarkeit beklagen, so als sei auch das Genie verpflichtet, auf allen Gebieten den Maßstab zu setzen."
    Ich möchte deshalb fragen:" ist mein Eindruck richtig oder täusche ich mich?
    Viele Grüße
    Padre

  • Niemand kritisiert Hildesheimers Mozartbuch, aber ein Buch, das neben den "Fakten" auch so voller subjektiver Meinungsäusserungen ist (das "incarnatus est" aus der c-moll-Messe sei trivial....), kann veständlicherweise im Detail auch Widerspruch provozieren.

  • Zitat

    Original von Padre
    Ich habe hier im Forum subjektiv oft den Eindruck, dass ernsthafte, etablierte und in meinen Augen große Mozartbiografen, wie beispielsweise, Angermüller, Valentin, Deutsch, Einstein, Hildesheimer, Braunbehrens, oft nicht ernst genommen und infrage gestellt werden.


    Von wem? Was ist mit den Biografen, die sich untereinander die Kompetenz absprechen und nicht ernst nehmen?


    Zitat

    Auf was soll man sich stützen, wenn nicht auf stichhaltig begründete Argumente und Sachverhalte.


    Dann bräuchten wir nur eine Zeittafel und überlieferte Dokumente, denen aber auch nicht zu trauen wäre...


    Zitat

    Hildesheimer schreibt über Beurteilung Mozart folgendes." Wir vergessen unser Maß, wenn wir ihm Zensuren erteilen, seine Fehlbarkeit beklagen, so als sei auch das Genie verpflichtet, auf allen Gebieten den Maßstab zu setzen."


    Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Niemand kritisiert Hildesheimers Mozartbuch


    Hildesheimer ist gerade aber einer, der sich nicht genierte, ungehindert weniger stichhaltige Argumente in die Welt zu setzen. Ich empfinde Hildesheimers Stil als wunderbar, aber was das Faktische angeht, da lese ich in seinem Mozartbuch doch mehr über Hildesheimers Mozartbild als über Mozart... Insofern kritisiere ich schon sein Buch, weiß aber, dass meine Kritik völlig belanglos ist...


    Zitat

    Ich möchte deshalb fragen:" ist mein Eindruck richtig oder täusche ich mich?


    Wenn Du den Eindruck hast, dann hast Du ihn und täuschst Dich gewiß nicht. Es kann aber sein, dass der Eindruck täuscht...


    Kannst Du konkret benennen, was Dir unangenehm auffällt?


    :hello:

  • Hallo lieber Thomas Bernhard
    Ich meine ja nicht nur Hildesheimer. Bewertungen sind immer subjektiv. Und natürlich können Missverständnisse auftauchen und es muss auch nicht immer Konsens bestehen. Man muss mit ihnen auch nicht immer im Einklang mit ihnen stehen, man darf sie aber nicht ignorieren.
    Lieber Blackadder
    Natürlich gibt es auch unter den Biografen Menschen, die die Meinung eines anderen nicht akzeptieren können. Meistens aus purer Eitelkeit und Arroganz.
    Konkret möchte ich nicht werden, dann müsste ich nachkarten, und das würde nichts einbringen. Stattdessen empfehle ich den kritischen Beobachter, selber einmal darauf zu achten.
    Im Übrigen, würde ich mich sehr freuen , wenn ich mich täuschen würde.
    Viele Grüße
    Padre

  • Zitat

    Original von Padre
    Ich habe hier im Forum subjektiv oft den Eindruck, dass ernsthafte, etablierte und in meinen Augen große Mozartbiografen, wie beispielsweise, Angermüller, Valentin, Deutsch, Einstein, Hildesheimer, Braunbehrens, oft nicht ernst genommen und infrage gestellt werden.


    Lieber Padre,


    das ist eine bunte Reihe von Autoren - von unterschiedlicher Bedeutung. Hildesheimer, um das einmal festzustellen, ist kein Musikwissenschaftler (im Unterschied zu seinem Schriftstellerkollegen Ortheil, dem wir ein wunderbares Mozartbuch verdanken).


    Zitat

    Ich finde das nicht richtig!
    Diese Musikwissenschaftler haben doch erst den Boden bereitet, die Plattform und das Terrain geschaffen, in denen sich andere, nun ungeniert tummeln. Ich verliere ohne diese fundamentalen Grundlagen, völlig die Orientierung. Auf was soll man sich stützen, wenn nicht auf stichhaltig begründete Argumente und Sachverhalte.


    Zunächst einmal: In Deiner Reihe fehlen die Standardwerke der letzten Jahre, das sind u.a. Konrad Küster, Maynard Solomon, Georg Knepler, Robbins Landon, um nur mal auf Stand des MGG (2. Aufl.) zu argumentieren. Bei Küster findet man etwa in der Einleitung eine schöne Diskussion der Frage, was eine Biografie leisten kann oder sollte. Alle Biographien haben ihren eigenen Wert. Will man sie aber zu weitergehenden Schlüssen benutzen, so muss man sich vorher darüber u.a. klar werden, welchen Ansatz sie verfolgen und auf welcher Datenbasis sie entstanden sind. Dann können selbst ältere Werke noch nützlich zur Orientierung sein. In Einzelfragen sollte man aber immer den aktuellen Stand der Diskussion befragen. Ein guter Ausgangspunkt ist der Artikel von Ulrich Konrad (den ich der obigen Reihe gerne zufüge) in der neuen Auflage des MGG mit seiner umfangreichen Bibliographie.


    Es ist übrigens immer so, dass man, will man selbst weiterforschen, den gegenwärtigen Stand mit kritischen Interesse wahrnimmt, um dann selbst weiter zu gehen - und wenn das Weitergehen auch nur eine kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand und ein Forschungsüberblick ist - da arbeitet man auf dem Hochseil ohne Netz ...


    Zitat

    Muss die Geschichte neu geschrieben werden. Ist das Rad noch mal zu erfinden?


    Jede Geschichte ist schon eine Deutung. Wenn ich diese Deutung nicht durchschaue, blicke ich durch die Scheuklappen des Autors. Ich muss selbst - ausgehend von einer Werkanalyse und ausgestattet mit dem kritischen Werkzeug eines Historiker - "Geschichte" hinterfragen und sehen, wie sie zustande gekommen ist.


    Zitat

    Auf der Basis dieser Quellen darf jeder natürlich seine Meinung, seine Interpretation vertreten und Deutungen abgeben.


    Biographien sind keine Quellenwerke - außer für jemanden, der eine Arbeit über Biographien schreibt.


    Zitat

    Man hat allerdings kein Recht die Wahrheit für sich in Anspruch zu nehmen!


    Wenn man nicht Wahrheit im Sinne ihrer Falsifizierbarkeit in Anspruch nimmt, wird niemanden das interessieren dürfen, was man schreibt.


    Zitat

    Es entsteht bei mir der Eindruck entstanden, sich permanent über die Meinung dieser Wissenschaftler stellen zu wollen.


    Indem man die Ergebnisse (Achtung! Nicht die Meinung!) der Wissenschaftler kritisch befragt, tritt man in einen Verstehensprozess ein - ohne kritisches Hinterfragen kein Verstehen (Stichpunkt: Hermeneutik), eine wichtige Grundlage der Geschichtswissenschaft.


    Zitat

    Damit habe ich nicht gesagt , dass sie immer recht hätten. Aber so zu tun, als wenn es ohne diese Grundlagenforschung, ohne diese - und nun benutze ich den Ausdruck Experten, ginge ist doch ziemlich anmaßend.


    Wenn man die Literatur kritisch beleuchtet, wird man die Arbeit all der Vorgänger zu schätzen lernen. Anmaßend ist es nur, sie zu gebrauchen, ohne sie zu verstehen.


    Zitat

    Mein Eindruck ist also, das nur noch das gelten soll und richtig ist, was jetzt zu Papier gebracht und gedacht wird.


    ... und eben das fußt auf dem, was die großen Vorgänger geleistet haben. Man steht auf der Schulter von Riesen. Aber nicht auf ihre Schultern zu klettern, heißt sie zu verachten.


    Zitat

    Hildesheimer schreibt über Beurteilung Mozart folgendes." Wir vergessen unser Maß, wenn wir ihm Zensuren erteilen, seine Fehlbarkeit beklagen, so als sei auch das Genie verpflichtet, auf allen Gebieten den Maßstab zu setzen."


    Wir haben - wohlgemerkt - von Biografen gesprochen, nicht von Mozart. Ich gebe Hildesheimer Recht, wenn es darum geht, dass ich Mozarts Kompositionen betrachte. Aber auch da ist es so, dass z.B. (mit guten Gründen, auch wenn ich sie nicht immer und nicht unbedingt teile) die frühen Opern als Halbfertiges auf dem Weg zur Meisterschaft gesehen werden. Auch wird man seine frühen Sinfonien durchaus als die Stilkopien bezeichnen dürfen, die sie sind. Wer alles gleich macht, achtet nicht das Meisterwerk - und das wird man bei den frühen Werken noch nicht finden.



    Zitat

    Ich möchte deshalb fragen:" ist mein Eindruck richtig oder täusche ich mich?


    Darauf kann ich nur mit einem mannhaften "ja" antworten.


    LG Peter

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  • Zitat

    Original von Blackadder


    Hildesheimer ist gerade aber einer, der sich nicht genierte, ungehindert weniger stichhaltige Argumente in die Welt zu setzen. Ich empfinde Hildesheimers Stil als wunderbar, aber was das Faktische angeht, da lese ich in seinem Mozartbuch doch mehr über Hildesheimers Mozartbild als über Mozart... Insofern kritisiere ich schon sein Buch, weiß aber, dass meine Kritik völlig belanglos ist...


    Lieber Blackadder,


    ich teile Dein Urteil über Hildesheimer. Das braucht nicht den Blick zu verstellen, dass es ein sehr gut recherchiertes und geschriebenes Buch ist, das man als Mozartfreund mit großem Gewinn lesen kann. Aber eine wissenschaftliche Biografie ist es selbstverständlich nicht.


    LG Peter

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Niemand kritisiert Hildesheimers Mozartbuch, aber ein Buch, das neben den "Fakten" auch so voller subjektiver Meinungsäusserungen ist (das "incarnatus est" aus der c-moll-Messe sei trivial....), kann veständlicherweise im Detail auch Widerspruch provozieren.


    Hallo ThomasBernhard,


    soeben höre ich mir die bei Hildesheimer nicht eben gut weggekommene Passage aus Mozarts Großer Messe in c-moll an.
    Ein typischer Mozart-Genieblitz nach meinem Empfinden.


    Der von mir geschätzte Mozart-Biograph nennt die Sopran-Arie "Et incarnatus est" aus dem Credo als eine "Dreivierteltakt Arie im italienischen Stil, die viel schwächer sei, als viele Arien, die Mozart seinen weltlichen Frauenfiguren in seinen Opern in dem Mund gelegt hat."
    Für diese Meinung dürfte er nicht allzu viele Anhänger gefunden haben. Eine Kritik der gesamten Mozart-Biographie steht mir deswegen aber nicht zu.


    Ein anderer Großer des Geistes, Albert Einstein nämlich, äußert sich so über diese Arie:
    "Es ist ein Weihnachtsgesang, Vorstellung der Krippe, in der das göttliche Kind liegt, angebetet von der Jungfrau, im Hintergrund die musizierenden Engel; von überwältigender Süßigkeit und Naivität."


    Ich möchte beide Aussagen nur als persönliche Meinungen werten. Details aus dem Gesamtwerk herauszupicken wird einer Würdigung dessen ohnehin nicht gerecht.


    Da ich bei der Aufführung der c-moll-Messe schon als Chorsänger mitwirken durfte, empfinde ich ohnehin eine besondere Ehrfurcht vor diesem Werk. Und die wird mir kein Vertreter der (nur) schreibenden Zunft nehmen können, egal, welcher Couleur er angehört.
    :hello:


    PS: Für empfindliche Naturen habe ich ein Wort in Klammern gesetzt. Mal abwarten, wie sich das bewährt.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von pbrixius
    ich teile Dein Urteil über Hildesheimer. Das braucht nicht den Blick zu verstellen, dass es ein sehr gut recherchiertes und geschriebenes Buch ist, das man als Mozartfreund mit großem Gewinn lesen kann. Aber eine wissenschaftliche Biografie ist es selbstverständlich nicht.


    Lieber Peter,
    eine »wissenschaftliche Biografie« hat Hildesheimer ja auch gar nicht schreiben wollen.


    Manchmal ist es doch nützlich, nach der Lektüre eines Buches an seinen Anfang zurückzukehren und nochmals die einleitenden Worte zu lesen. In Hildesheimers Mozart findet sich etwa dort (ich meine jetzt die kursiv gesetzten Abschnitte, die mancher, ausschließlich an den Fakten im »Leben« des Genius interessierte Liebhaber vielleicht gern überlesen mag, weil da ja ohnehin nur uninteressante Überlegungen über Bedingungen und Probleme des biografischen Narrativs als Textsorte festgehalten sind) überaus prägnant formuliert, daß Hildesheimer im Zuge seiner Beschäftigung mit »Mozart« das notwendige Scheitern einer biografischen Annäherung an eine »historische Person« festgestellt habe und entlang dieser Einsicht gerade das Scheitern (oder das notwendige an der historischen Wirklichkeit Vorbeireden des biografischen Narrativs) kalkuliert habe. Daneben finden sich einige doch bemerkenswerte Auslassungen über die Bedeutung des »Fiktionalen« für die Ausdeutung des »Historischen« im biografischen Narrativ. Man muß das nicht teilen, was es dort zu lesen gibt, aber es ist ganz instruktiv im Hinblick auf den dann folgenden »biografischen« Text und kann einem die eine oder andere Enttäuschung vorneweg ersparen - und dafür den Genuß an der brillianten Erzählung steigern.


    Nicht ganz umsonst hat Hildesheimer übrigens aus den Erfahrungen der Mozart-»Biografie« (er selbst versieht das Buch übrigens nicht mit der Genrebezeichnung »Biografie« sondern er nennt es »Essay«, was eingedeutscht »Versuch« meint...) recht radikale Konsequenzen gezogen und ein Werk folgen lassen, das er dann tatsächlich auch »Biografie« genannt hat, nämlich den Marbot - ein Beispiel für die seiner Meinung nach einzig möglich stimmige, ihrem Gegenstand angemessene historische Biografie, nämlich die einer fiktiven Person.


    Man sollte Hildesheimers Mozart daher IMO nicht an etwas messen, was es gar nicht sein will. Aber da hattest Du ja schon für Klärung gesorgt.


    Ich selbst habe das Buch sehr genossen - aber ich habe darin auch nicht einen außerhalb dieses spezifischen Textes existierenden »Mozart« gesucht, sondern den, den Hildesheimer herbeierzählt.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Hallo!


    Zitat

    Original von Padre
    Hallo!.
    Ich habe hier im Forum subjektiv oft den Eindruck, dass ernsthafte, etablierte und in meinen Augen große Mozartbiografen, wie beispielsweise, Angermüller, Valentin, Deutsch, Einstein, Hildesheimer, Braunbehrens, oft nicht ernst genommen und infrage gestellt werden.
    Ich finde das nicht richtig!


    Ich durchaus. Das hat nichts damit zu tun, ob man den jeweiligen Autor der Biografie schätzt oder nicht... aber es muß doch einiges hinterfragt werden, denn zumindest bei den "alten Hasen" der Mozartbiografie im Allgemeinen ist zu bedenken, daß sie von einem weitaus geringeren Gehaltsstand der Forschung ausgingen, als dieser heute vorliegt.


    Zitat

    Diese Musikwissenschaftler haben doch erst den Boden bereitet, die Plattform und das Terrain geschaffen, in denen sich andere, nun ungeniert tummeln. Ich verliere ohne diese fundamentalen Grundlagen, völlig die Orientierung. Auf was soll man sich stützen, wenn nicht auf stichhaltig begründete Argumente und Sachverhalte.


    Ob diese Argumente stets so stichhaltig sind, wie Du dies siehst, möchte ich auch anzweifeln. Nicht hingegen, daß die ersten Briografien fundamental sind. Hier wurde Pionierarbeit geleistet, auf die nun aufgebaut wird und werden muß.


    Zitat

    Muss die Geschichte neu geschrieben werden. Ist das Rad noch mal zu erfinden?


    In weiten Teilen: ja. Manches Detail hat sich erst heute geklärt - man bedenke die jahrundertelange Bezeichnung von KV 271 als "Jeune-homme-Konzert", das in Wahrheit [!] "Jenamy-Konzert" heißen müsste. Ob das so wichtig ist, steht auf einem anderen Blatt. Der ursprüngliche Name hat jedenfalls zu einiger Spekulation Anlass gegeben, die bei der gleich korrekten Bezeichnung für hunderte, wenn nicht gar tausende, leer gebliebener Seiten gesorgt hätte...


    Wichtig ist beim Lesen von Biografien, daß man querbeet verschiedene Werke liest - ggfs. punktuell zu einem bestimmten Thema. Nur so kann man durch die vielseitige Beleuchtung und Interpretation zu einem ggfs. passenden - eigenen - Bild gelangen.


    Keine Biografie, aber ein hinreißender Fundus an Material ist beispielsweise Ludwig Köppens Buch "Mozarts Tod". Er gibt an, das Rätsel darum endlich zu lösen. Auf diese verrückte Idee lasse ich mich von vorneherein garnicht erst ein - dazu bin ich auch zu wenig Chemiker und Biologe, um Solches verstehen und nachvollziehen zu können [ebensowenig wie übrigens Köppen selbst]. Aber der Umfang des zusammengetragenen Materials ohne die jeweilige Interpretation Köppens ist bereits das Buch wert. Ich gehe so wie hier beschrieben vor, um mir MEIN Bild von Mozart zu machen: Das Herauspicken und Verifizieren von Fakten durch Vergleiche mit anderen Quellen [und Interpretationen!] und das anschließende Zusammensetzen des Mosaikes. Es unterliegt einer ständigen Wandlung.


    Parallel zu diversen Biografie sei stets die Verwendung des Köchelverzeichnisses, der Briefe-Gesamtausgaben, Zeittafeln und diverser Berichtsammulngen [Deutsch / der Novellos...] empfohlen, um eine möglichst gute Transparenz zu erhalten.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Niemand kritisiert Hildesheimers Mozartbuch, aber ein Buch, das neben den "Fakten" auch so voller subjektiver Meinungsäusserungen ist (das "incarnatus est" aus der c-moll-Messe sei trivial....), kann veständlicherweise im Detail auch Widerspruch provozieren.


    Lieber Thomas,


    ein wenig möchte ich Hildesheimer da schon in Schutz nehmen, denn da kann er sich im Grundsätzlichen etwa auf Charles Rosen (Der klassische Stil) stützen. Die katholische Kirchenmusik dieser Zeit ist ja nicht so ganz unproblematisch. Mozart wählt einen archaisierenden Stil, er knüpft am Spätbarock an. Dazu kommen die Arien, die "von ihren Gegenstücken in den Opern fast nicht zu unterscheiden" sind" (Rosen, S. 417). Es liegt (wie etwa bei Verdis Requiem) dann nahe, diesen Arien eine opernhafte Oberflächlichkeit (und das ist wohl mit dem Wort "trivial" gemeint) zu unterstellen. Unterscheiden muss man zwischen der Feststellung von Stilmerkmalen - und dem subjektiven Werturteil bei einem bestimmten Stück. Hier kann man nur einen subjektiven Geschmack ablesen, den man teilen kann, aber nicht muss. Ich teile ihn nicht.


    Aber schauen wir doch noch einmal genauer hin, was Hildesheimer (zitiert nach der 2, Aufl. 1980) geschrieben hat:


    Die Solonummern der c-moll-Messe (K. 417q, zwischen Sommer 1782 und Mai 1783), zumal die Sopranpartien, unterscheiden sich in ihrem Ausdrucksgehalt und Inhalt - dem was Mozart 'Expreßion' nannte - immer nur passagenweise und gering von denen der großen Konzert- oder Opernarien.


    Soweit kann man Hildesheimer wohl kaum widersprechen. Die Frage allerdings, die man sich bei einer solchen Wertung stellen muss, ist diejenige, ob dieser Vergleich denn so zulässig ist. Selbst wenn Mozart sie fast wie Opernarien vertont hätte, so ist - wie bei der Oper - nach dem Verhältnis zum Text zu fragen, kurz (mit Rosen): sollte der Text emotional ausgedeutet oder als geistlicher Text verherrlicht werden. Geht es um eine emotionale Ausdeutung (wie beim Incarnatus), so ist es eben keine Opernfigur, die dort singt, deren emotionale Geschichte man über die ganze Handlung verfolgen kann, die eben personalisiert und charakterisiert ist. Kein Wunder, wenn man dann vermisst, was eine Opernfigur ausmacht. Damit greift nun Hildesheimers subjektives Geschmacksurteil im folgenden fehl:


    Noch im unvollendeten "Et incarnatus est" der c-Moll-Messe klingt es an, einer Dreivierteltakt-Arie im italienischen Stil, die Mozart ebensogut oder -schlecht einer seiner weltlichen Frauenfiguren in den Mund gelegt haben könnte, wäre sie nicht so viel schwächer als was er einer Gräfin Almaviva oder einer Pamina zu singen gegeben hat. (S. 145)


    Den Beweis, was daran schwächer sein sollte als eine Pamina-Arie, tritt Hildesheimer nicht an. Stattdessen zitiert er Abert, der von einem Stilbruch spricht, aus italienisch wird "neapolitanisch", ja gar "schlimmstes Neapolitanertum". Dass es bei der o.a. Problematik der Kirchenmusik zu "Stilbrüchen" kommt, ist das eine - ob aber diese "Stilbrüche" nicht eine Stilvielfalt sind, eine Durchdringung eines vom Menschen beseelten gegenüber einem repräsentativen Stil, wäre die Frage, die sich mir stellt.


    Da wir inzwischen ein anderes Ohr für Stilvielfalt haben, liest sich die Wertung bei Wersins "Reclams Führer zur lateinischen Kirchenmusik" anders:


    Im Gegensatz zum repräsentativen Charakter dieses Satzes evoziert das anschließende Sopransolo - dessen unvollständig ausgeführter Instrumentalsatz ebenso der Ergänzung bedarf wie der des Credo-Beginns - ein unerhörtes Maß an Intimität; die Ausdruckskraft der geschmeidigen Kantilenen der Sängerub gipfelt in überirdisch schönen Passagen des sensiblen Wechselspiels zwischen den beiden Oboen, dem Fagott und der vokalen Linie. (S. 106f.)


    Um hier wieder auf die Frage von Biografien zurückzukommen: Wenn mit der Lebensgeschichte - was sinnvoll ist - die Werkgeschichte geschrieben wird und verbunden wird mit einer Charakterisierung des Werkes für den Leser, haben wir es mit sehr unterschiedlichen Anforderungen an den Biografen zu tun. Gerade weil er sich an den Leser wendet, wird er zu Geschmacksurteilen neigen, die auch Identifikationspunkte beim Leser sind. Diese werden von Persönlichkeit zu Persönlichkeit des jeweiligen Biografen unterschiedlich ausfallen. Diese Charakterisierungen lassen aber meist die beweisführende Analyse aus, manchmal sind sie missverständliche Zusammenfassungen eines Forschungsstandes, schlimmstenfalls Beispiele eines dem Gegenstand nicht adäquates musikalisches Wissen. Um Analyse und Beweisführung kommt keiner herum - ob er es nun mit den eigenen Mitteln und unbewusst tut. Eine klare Abgrenzung zwischen persönlichem Empfinden und Wiedergabe eines gesicherten Wissenstandes ist aber immer hilfreich, für eine wissenschaftliche Biografie ist sie sogar unerlässlich.


    Liebe Grüße Peter

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  • Vielen Dank ,
    für eure interessanten Antworten. Alle in sich schlüssig, jedoch inhaltlich abweichend. Und dies zeigt doch gerade, dass es eine einheitliche, subjektive Beurteilung, ein und der gleichen Person, offensichtlich nicht gibt und auch nicht geben muss.
    Jeder darf sich sein eigenes Bild über eine Person machen, und das ist gut so!
    Viele Grüße
    Padre

  • Lieber Padre,


    Zitat

    Original von Padre
    Vielen Dank ,
    für eure interessanten Antworten. Alle in sich schlüssig, jedoch inhaltlich abweichend. Und dies zeigt doch gerade, dass es eine einheitliche, subjektive Beurteilung, ein und der gleichen Person, offensichtlich nicht gibt und auch nicht geben muss.


    Nein, ein »einheitliches Bild« kann es ja tatsächlich auch gar nicht geben, denn das »Bild« entsteht ja im Auge/im Blick des jeweiligen Betrachters - und dieser Blick ist niemals »unschludig« bzw. »neutral«, sondern immer schon durch Wissen und Interessen vorbestimmt bzw. setzt dieses Wissen voraus. Deshalb ist es auch so immens wichtig, die Voraussetzungen, die den Blick auf den Gegenstand bzw. die Person bestimmen, deutlich zu machen und offen zu legen.


    Zitat

    Jeder darf sich sein eigenes Bild über eine Person machen, und das ist gut so!
    Viele Grüße
    Padre


    Das schon - aber das Bild, das man sich macht, kann nicht gegen das Quellenmaterial, an dem entlang es konstruiert wird, gestellt werden - wenn es denn schlüssig sein und bestehen soll.
    So gesehen, sind die stets subjektiven Bilder nicht beliebig, sondern müssen mit dem Quellenmaterial korrespondieren. Außerdem gibt es dann auch ja auch noch so etwas wie Intersubjektivität...


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Lieber Medard
    Deiner Formulierung kann ich voll zustimmen. Ich will hier nicht über Selbstbild, Fremdbild , Eigenbild reden. Natürlich darf eine Beurteilung nicht am Quellenmaterial vorbei und gegen die objektiven Fakten geführt werden.
    Viele Grüße
    Padre :hello:

  • Wolfgang Hildesheimer: Mozart



    Nach der Lektüre dieses Buches bin ich doch recht zwiegespalten.
    Auf der einen Seite ist ganz ohne Frage unterhaltsam, aber auch wenn auf der Rückseite „kein Brevier für Spezialisten ...“ zu lesen ist, so muss man dem doch klar wiedersprechen.


    Um das Buch überhaupt zu erfassen ist eine ziemlich genaue Kenntnis vom Leben und Werk Mozart notwendig, am besten man hat entsprechende CD’s oder falls man sie lesen kann, die Partituren griffbereit und vor allem weitere Literatur.
    Der Stil ist recht witzig und leicht zu erfassen, nur wird eben eine Menge Grundwissen vorrausgesetzt.



    Das Buch ist keine Biographie, sondern ähnlich wie Zweigs „Marie Antoinette“ ein recht subjektives Portrait, dass aber auch mit reichlich Fehleinschätzungen garniert ist.


    Keine Frage, Hildesheimer liebt Mozart, aber ob er die Musik verstanden hat steht auf einem anderen Blatt. Sehr unterhaltsam die eingeschobenen Briefe oder Berichte von Augenzeugen.
    Mozarts Musik wird jedenfalls erst nach Idomeneo interessant für ihn.


    Äußerst negativ und mittlerweile wohl vollkommen obsolet, seine mehr als fragwürdigen Einschätzungen zum Thema Opera Seria und noch schlimmer zum Thema historische Aufführungspraxis. Beides mündet in mehr oder weniger geglückten Spott, der aber letztlich nur die Unkenntnis des Autors zur Thematik widerspiegelt.
    Allerdings ist das Buch auch nicht so alt, als das man diese katastrophale Fehleinschätzungen
    Unbedingt kritiklos hinnehmen kann.


    Hildesheimer hat das Wesen der Opera Seria nicht verstanden und schätzt demnach auch sämtliche Werke die Mozart in diesem Genre verfasste dementsprechend negativ ein.
    Einzige Ausnahme ist der Idomeneo, den er doch wertschätzt.
    Allerdings ist Idomeneo keine Opera Seria, sondern ein „Drama per Musica“ das ist ein Unterschied – die Nähe zu den Werken von Gluck und Jommelli sieht er nicht (ein Problem der meisten Mozart Forscher und Biographen, sie sehen eben nur Mozart und nicht das was es sonst noch gab, weil es ja niemals an das Übergenie heranreichen kann ... und darf... :rolleyes: )


    Zwar stellt sich Hildesheimer gegen diesen Geniekult und diese Heldenverehrung, aber letztlich bläst er ins gleiche Horn, nur mit anderen Tönen.


    Die Einschätzungen der frühen Opern, wie Lucio Silla, il Re Pastore usw. (Mitridate wird z.B. gar nicht erwähnt) sind bestensfalls als ärgerlich zu bezeichnen.
    La Clemenza di Tito wird als Rückschritt betitelt und generell als schwach angesehen.
    Die Konzentration findet auf Don Giovanni statt.
    Ebenfalls enttäuschend, aber eben nicht verwunderlich, auf andere Komponisten wird so gut wie nicht eingegangen, was vielleicht auch ganz gut ist, man muss ja immer mit Verunglimpfungen rechnen.


    Sicher ein interessantes und unterhaltsames Buch, aufgrund einiger Aufsätze zu bestimmten Werken, aber leider mit einem üblen Beigeschmack, wenn es an Werke geht, die dem Autor nicht liegen.
    Neue Erkenntnisse habe ich nicht gewonnen.
    Es bleibt eben ein sehr subjektives Portrait eines Helden.