HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN (Wiener Volksoper, 15.12.)

  • Lange hat es „Hoffmanns Erzählungen“ an der Volksoper nicht mehr im Repertoire gegeben. Die letzte Inszenierung stammte aus dem Jahr 1976 und stand bis 1990 am Spielplan. In der Titelpartie hörte man aus dem Ensemble unter anderem Adolf Dallapozza und als Gäste sangen Größen wie Nicolai Gedda oder Alfredo Kraus.
    Offenbachs Meisterwerk galt die gestrige Premiere im Haus am Währinger Gürtel. Während nahezu überall auf der Welt Oper in Originalsprache gegeben wird, entschied sich die Direktion für eine deutschsprachige Produktion (was einen Verfechter der Originalsprache, wie ich es bin, doch schmerzt), nicht unbedingt zum Vorteil des Abends. Denn so konnte auch jener Teil des Publikums, der das Werk nicht ganz genau kennt, mitverfolgen, dass im Vorspiel zwar von Punsch und anderen Getränken gesungen wird, auf der Bühne aber von Studentenbräuchen nichts zu sehen war (wäre in einer überdimensionierten Theatergarderobe, die den ganzen Abend den Rahmen für ein beinahe Einheitsbühnenbild gab, auch nicht ganz logisch) oder Hoffmann auch nicht mit Olympia tanzt und auch sonst in weiten Teilen am Inhalt vorbei inszeniert worden ist. Dabei hat Regisseur Peer Boysen, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, eine farbenprächtige Ausstattung geschaffen, die den richtigen Rahmen für die alkoholschwangeren Träume des Titelhelden geben könnte. Und auch sonst gibt es eine Reihe von Ideen, die jede für sich Sinn machen würden – wenn etwa Stella als permanentes alter ego der Muse Niklaus auf der Bühne zu sehen ist, wenn die szenischen Rahmen der drei Frauenakte auf einer minimalisierten von Wänden umgebenen Drehbühne im Bühnenhintergrund geprägt sind, wenn Hoffmanns Gegenspieler auf offener Bühne Kleidung und damit Persönlichkeit wechseln, und noch manches mehr – allein, es bleibt ein fader Nachgeschmack zurück. Ich habe den Eindruck, dass Boysen die Probenzeit zu kurz geworden ist.
    Und die musikalische Seite ? Die Volksoper hat sich für eine Mischvariante der Choudens-Ausgabe von 1907 und der Oeser-Fassung von 1979 entschieden und um ein paar akustische Spielereien ergänzt. Die Frauen werden, wie zumeist, von unterschiedlichen Sängerinnen interpretiert, die vier Bösewichter werden wie üblich von einer Person gesungen, ebenso wie die Charaktertenöre.
    In der Titelpartie debütiert Sergej Khomov an der Volksoper. In der Darstellung von der Regie als langweilige Person gezeichnet, verfügt er über einen helltimbrierten Tenor so wie einst viele französische Tenöre (etwa Raoul Jobin oder Georges Thill) oder auch Alfredo Kraus und könnte daher ein guter Hoffmann sein, dürfte er in der Originalsprache singen. Seine Widersacher Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto werden von Jochen Schmeckenbacher mehr als nur anständig interpretiert, aber auch bei ihnen dürfte die Regie kantiger und individueller sein. Daniela Fally sieht als Olympia eher wie ein Zombie aus, entzieht sich als schwer indisponiert (warum wurde sie eigentlich nicht angesagt ?!) aber der Kritik; Kristiane Kaiser singt und spielt die Antonia ziemlich rollengerecht; Adrineh Simonian ist eine vor allem stimmlich sehr gute Giulietta und wäre in einer anderen Regie wahrscheinlich als Gesamtfigur noch viel besser. Karl-Michael Ebner (Andreas, Cochenille, Franz, Pitichinaccio) ist vor allem als Franz auch eine herrliche Charakterstudie; Wolfgang Gratschmaier zeigt als Nathanael und Spalanzani einmal mehr seine Stärken (ich hätte dennoch, oder gerade deshalb, die Rollen von Ebner und Gratschmaier umgekehrt besetzt). Eva Maria Riedl bleibt als Muse und Niklaus stimmlich blass und sollte als Figur doch androgyner sein. Jelena Bodrazic (Stimme der Mutter, gibt es dafür niemand im Ensemble ?), Einar Th. Gudmundsson (Luther, Crespel) und Daniel Schmutzhard (Hermann, Schlemihl) ergänzen das Ensemble.
    Der (wie häufig sehr gute) Chor singt aus Logen, auf der Oberbühne und nicht immer im Blickfeld; das Orchester zeigt sich (diesmal vor allem in den Solostellen der Holzbläser) durchaus ambitioniert. Dirigiert hat der Chefdirigent des Hauses Leopold Hager.
    In den Schlussbeifall mischten sich vereinzelte Buhs für den Dirigenten und deutlich vernehmbares Missfallen für den Regisseur und Ausstatter.

  • Hallo brunello,
    vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht! Ich werde es leider erst im Jänner schaffen, war aber natürlich schon sehr neugierig. Große Lust machst du mir jetzt ja nicht, außerdem bestätigst du meine Vorbehalte gegen Opern in deutscher Übersetzung :wacky: , aber diese Diskussion wurde ja schon in einem anderen Thread geführt.
    lg Severina :hello:

  • Hallo brunello,


    danke für deine Schilderung.
    Ich kannte bisher nur die nichts sagende Nachtkritik vom Sonntags-Kurier, in der steht, dass fast alles schlecht wäre, ohne aber Konkretes anzugeben. Spätestens nach dem seligen Herrn E. sollte es in einer (ernst zu nehmenden?) Tageszeitung so eine Art von Kulturberichterstattung nicht mehr geben, finde ich.


    Mir wäre aus musikalischen Gründen die Originalsprache auch lieber, aber in der deutschen Version liegt die Chance, dass viele Deutsch sprechende Einsteiger einen leichteren Zugang finden. Schade, wenn dann die Regie oft nicht den Kern der Sache trifft. Am Freitag werde ich mich überzeugen.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo, brunello,


    die gestrige Premiere habe ich auch miterlebt und unsere Meinungen decken sich über weite Strecken. Doch auch nicht wirklich ganz. Die Auslegung der Geschichte, dass die drei Lieben des Hoffmann nicht nur Erzählungen für seine "Studenten-Saufkumpane" sind, sondern Deliriumträume in den letzten Minuten vor seinem Tod, gefällt mir sehr und dabei erscheint auch die Inszenierung schlüssiger. Die sogenannte Farbenpracht wird wegen der neonfarbigen Plastikgewändern und Plastikperücken der Damen so manche Besucher irritieren, aber nichtsdestotrotz kann man sich damit arrangieren. (Obwohl bei mir schon einige deja vu Erlebnisse eingestellt haben, vgl. Lohengrin in der WSO, auch was die fantastischen Kopfbedeckungen des Chors betrifft). Bei der Inszenierung bzw. Bühnenbild konnte auf jeden Fall mit sehr wenigen Mitteln in allen drei Akten eine authentische Atmosphäre erreicht werden; im Giulietta-Akt ging die oft dargestellte Gondel nicht ab und man hatte ein sehr intensives Venediggefühl.


    Was das Volksopernorchester betrifft, war der Abend für mich sehr gelungen und nicht nur ambitioniert.
    Schon lange konnte man die Musiker nicht so gut gelaunt spielen hören, und die offenbachsche Musik wurde sehr gut getroffen. Mit dem Lob der Bläser (aller) sind wir einer Meinung.


    Wenn man von den "richtig großen" Opernhäusern spricht, sind wir alle darin einig, Vorstellungen in der Originalsprache sehen/hören zu wollen. Doch da müssen wir schon differenzieren, was die Wiener Volksoper ist und auch sein soll. Nämlich genau dort sollen die doch vernachlässigten deutschsprachigen Opern, wie auch die "leichteren, populären" Stücke in deutscher Sprache gepflegt werden, da sehr wohl auch dafür ein großes Publikum gibt, die wieder in die Volksoper zurückgeholt werden soll.


    Und jetzt noch kurz zu den Sängern. Die angenehmste Erfahrung war für mich Jochen Schmeckenbecher. Seine vier Figuren (wie auch von brunello gesagt) waren sehr gut gesungen, besonders Dapertuttos Spiegelarie gelang bis auf kleine Schwächen in der Tiefe sehr schön, daher auch verdiente Bravorufe. Daß Dapertutto unbedingt ein sog. schwarzer Bass sein soll, sehe ich nicht so, doch las ich schon einige Kritiken in diese Richtung.


    Die Damen Fally (leider nicht ganz fit), Kaiser und Simonian sind auch Rollenfüllend und mit schöner Stimme. Eva-Maria Riedl singt in der Tat etwas leise, ich schreibe aber insgesamt viele Schwächen bei allen dem Premierendruck zur Last.


    Bei Sergei Khomov kann ich die Meinung, er hätte seine sängerischen Schwächen wegen der deutschen Sprache gehabt, nicht nachvollziehen. In der Mittellage und im Piano sehr schön und berührend, doch in der Höhe sehr unsicher und gestemmt, da gibt es einiges zum verbessern. Aber ein Heldentenor wird er wahrscheinlich nicht. In lyrischen Rollen kann ich ihn in einer besseren Verfassung als gestern sehr wohl vorstellen. Aber auch bei ihm soll der Premierenbonus gelten.


    severina: bitte ohne vorfabrizierte Eigenvostellungen hingehen (aber gerade Du tust das sowieso), wenn möglich die oftmals gesehenen WSO-Bilder ausblenden, und nicht unbedingt Alfredo Kraus oder Neil Shicoff im Ohr haben, denn das wäre tatsächlich unfair; doch mit Alberto Cupido, Marcus Haddock, und "unserem gemeinsamen Freund" Keith Ikaia Purdy kann er sich allemal messen. Der deutsche Text stört nicht wirklich und man ist ja in der Volksoper.


    LG Jahnas

  • Lieber Jahnas,
    danke auch für deinen Bericht, ich werde mein Bestes tun! Wenn der Hoffmann allerdings klingt wie Keith Ikaia Purdy 8o 8o 8o 8o, muss ich es mir noch einmal groß überlegen ;). (Shicoff wäre auch nicht wirklich eine Empfehlung :untertauch: )
    lg Severina :hello:

  • Auch wenn ich nicht zu Euch nach Wien kommen kann, um mir den "Hofmann" in der Volksoper anzusehen, muß ich hier mal eine Lanze brechen für den Hauptdarsteller


    SERGEI KOMOV aus Odessa



    Ich kenne ihn sehr gut, er war jahrelang unser "Haustenor" an der Rheinoper in Düsseldorf und Duisburg!


    Wir verdanken ihm hier Sternstunden der Opern z.B. in "Lucia di Lammermoor", "Manon", "La Traviata", als Duca im "Rigoletto" usw., meist als Partner unserer Alexandra von der Weth, die beiden galten hier als das Traumpaar, wie andernorts Netrebko/Villazon!


    Eine echte Empfehlung!


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich war auch in der Premiere und war von Komov nicht wirklich angetan. Ich denke, dass er vielleicht einfach einen schlechten Tag hatte. Ich finde, dass er ein gutes Material hat, allerdings sollte er vielleicht noch an seiner Technik etwas feilen.


    Er hat das notwendige Metall um in einigen Jahren einen durchaus brauchbaren Lohengrin zu singen.


    Im Hoffmann wurde er allerdings von der Regie total im Stich gelassen - die meiste Zeit musste er mit irrem Blick ins Publikum schauen und beim "Klein Zack" wusste ich nicht, ob er so presste, weil die Regie auch stimmlich das Irre-Sein vorgegeben hat.


    Vielleicht soll man ihm in einer anderen Produktion noch einmal eine Chance geben - die Publikumsreaktion war relativ kühl.

    Hear Me Roar!

  • Hallo


    Sergej Chomov hat vor einem Jahrzehnt in Graz den Alamiro in Belisario und den Edgardo in der Lucia gesungen. Das war ein erstklassiger Mann (der keinerlei Feilen an seiner vorzüglichen Technik benötigte). Seither habe ich aber nichts mehr von ihm gehört.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!