• Sagitt meint:


    Eben habe ich Die Offenbarung von Robert Schneider beendet und ärgere mich sehr. Zu Recht ??
    Alle Bach-Kenner herbei:


    1. Schneider meint, Bach habe eigentlich Jurist werden wollen. Seine Musik habe ihn gelangweilt, ja geekelt


    2. Er habe deswegen ein Oratorium geschrieben, das alle Regeln der Musik-Kunst ausser Acht gelassen habe.


    Gibt es dafür irgendwelche Anhaltspunkte ?
    Ich meine NEIN, könnte mich aber täuschen.


    a) Bach war wie die meisten Mitglieder seiner Familie so selbstverständlich Musiker, dass anderes gar nicht in Betracht kam


    b) die Kränkung durch den nahenden Rokoko verarbeitete er dadurch, dass er noch strenger auf die Form, die Tradition zurückging, weil er einen Verfall des musikalischen Handwerks fürchtete.


    Ich finde, da geht die dichterische Freiheit eines Schneider deutlich zu weit. Es ist einfach falsch.Oder täusche ich mich ?

  • ad 1) ich denke da täuschst du dich nicht - ein Jurastudium war zwar sehr verbreitet, die Gründe sind mir jetzt nicht so präsent, aber die Kenntnisse waren bestimmt von Vorteil und einer Anstellung förderlich, zweites Standbein etc. - aber Bach war Musiker, da gibt es keinen Zweifel.
    Es gibt interessante Bemerkungen (von Reinhard Goebel, wenn ich mich recht erinnere, in einem seiner Begleittexte), daß ihm irgendwann klar geworden sein muß, daß ihm bestimmte Türen aufgrund seiner Herkunft und Ausbildung immer verschlossen bleiben würden, aber so wie Schneider kann man das keinesfalls auslegen.


    ad 2) halte ich im Großen und Ganzen für Unsinn. Bach hat durchaus galante etc. Elemente in den Jahren vor seinem Tod verarbeitet, aber seine Grundcharakteristik lag in der alten Organisten- und Kantorentradition, und da konnte und wollte er sicher nicht raus. Er war ein Vertreter dieser Tradition und hat, denke ich, durchaus gesehen, daß sie aus der Mode kam, aber daß die Kollegen diese Fähigkeiten schätzten, ist bekannt und zieht sich über die Generationen hin weiter.


    Welches Oratorium soll das denn gewesen sein, und welche Regeln?

  • Zitat

    Original von miguel54
    ad 1) ich denke da täuschst du dich nicht - ein Jurastudium war zwar sehr verbreitet, die Gründe sind mir jetzt nicht so präsent, aber die Kenntnisse waren bestimmt von Vorteil und einer Anstellung förderlich, zweites Standbein etc. - aber Bach war Musiker, da gibt es keinen Zweifel.


    Hallo!


    zu diesem interessanten Thema haben wir einen Thread:


    Rätselhaft, angehende Komponisten studierten zuerst Jura!


    Ob allerdings Bach Jurist werden wollte/sollte, entzieht sich meiner Kenntnis.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    das Werk hat Schneider erfunden. Meine Bedenken: er entwirft ein Werk, das überhaupt nicht zu Bach, schon gar nicht zum späten passen. Bach hatg mit der Kunst der Fuge und der h moll die Bedeutung der alten Formen betont und diese keinesfalls hinter sich gelassen.


    Im Prinzip darf einh Dichter schreiben, was er will. Aber erweckt aufgrund seiner Herkunft ( u.a. Organist) Authentizität, aber der Plot stimmt nach meiner Auffassung überhaupt nicht.


    Na Jurist wurde man, weil man Ansehen hat ( nicht beliebt) aber gutes und gesichertes Einkommen, während Musiker nicht das Ansehen hatten. Darum sollte ja Schütz oder Schumann sh. diesen thread, Jura studieren.

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von sagitt
    Sagitt meint:


    Eben habe ich Die Offenbarung von Robert Schneider beendet und ärgere mich sehr. Zu Recht ??
    Alle Bach-Kenner herbei:


    1. Schneider meint, Bach habe eigentlich Jurist werden wollen. Seine Musik habe ihn gelangweilt, ja geekelt


    J.S. Bach studierte aus vielerlei Gründen -als armes Waisenkind auch wohl kaum möglich ?- nicht, aber seine Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel studierten zewitweise u.a. Jura. Wohl auch im Sinne des Vaters !?




    Zitat

    a) Bach war wie die meisten Mitglieder seiner Familie so selbstverständlich Musiker, dass anderes gar nicht in Betracht kam


    Ich glaube kaum, dass der junge Johann Sebastian jemals von einer anderen als einer Musikerlaufbahn träumte.


    Zitat

    b) die Kränkung durch den nahenden Rokoko verarbeitete er dadurch, dass er noch strenger auf die Form, die Tradition zurückging, weil er einen Verfall des musikalischen Handwerks fürchtete.


    J.S. Bach hatte immer Studenten im Hause, leitete auch jahrelang das studentische Collegium Musicum, war immer mit jungen Leutenn zusammen, wurde also immer mit den neusten "Errungenschaften" der Musik konfrontiert, er musste sich damit auseinandersetzen, etliche Neuerrungen flossen auch immer in seine Kompossitionen ein. Hätte er daran kein Interesse gezeigt, hätte er sich ins stille Komponierstübchen verzogen.
    Dass er als alter Mann -und das war man damals schon so um Mitte/Ende Fünfzig- sich nicht alle musikalischen Moden zu eigen machte, versteht sich von selbst. Wenn man andererseits aber wieder an Telemann denkt, der bis ins hohe Alter Neuerungen gegeüber aufgeschlossen war ?


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Hallo Sagitt:


    in (fast)allen von Dir monierten Punkten hast Du recht ! Das muss auch garnicht diskutiert werden.


    Ein Oratorium solcher Charakteristik wäre im Dienst-Umfeld Bachs garnicht
    aufführbar gewesen, ganz abgesehen davon, daß es dem Bach des Jahres
    1746 in keiner Weise entsprach.


    Um ein solches Bach-Werk zu erhalten, hätte man es beim Komponisten für teures Geld bestellen müssen.


    Silberne Adern des Rokoko fliessen allenthalben durch Bachs Musik, z. b. durch die Triosonate des "Opfers" aber auch durch Teile der hmoll-Messe wo z. b. das "Laudamus te" eine Verbeugung vor der bewunderten Kunst eines Hasse ist.


    Nur aus der Tatsache, daß Bachs erstgeborene Söhne ein Jurastudium begannen, zu schlussfolgern, er hätte das für sich selbst auch in Planung gehabt, ist abwegig.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Ich glaube, Ihr macht Schneider zu Unrecht Vorwürfe. Seine Idee ist eine Art Halb-Fiktion: Er nimmt belegbare Tatsachen und durchsetzt sie auf eine Weise mit seinen eigenen Erfindungen, daß die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.


    Schneider hat schon einmal auf ähnliche Weise gespielt: Eine Zeitung bat österreichische Schriftsteller, ihre Lieblingsbücher zu präsentieren. Schneider stellte den Erstlingsroman eines sehr jungen Autors vor, beschrieb Inhalt und Stil - und das so glänzend, daß am nächsten Tag in den Buchhandlungen eine gewaltige Nachfrage herrschte. Allein: Autor und Roman waren eine Erfindung Schneiders - geschickt eingepaßt in eine Realität, nämlich Buchmarkt und Leserwünsche, aber eben völlig fiktiv.


    Was man Schneider eher vorwerfen muß, ist, daß er meiner Meinung nach ein grauenhafter Stilist ist mit Sprachdefiziten, die keinem Autor passieren dürften, der ernst genommen werden will.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin, nein, ICH mache Schneider keine Vorwürfe sondern bentwortete hier lediglich die Fragen Sagitts, Bach betreffend.


    Schneiders Buch "Schlafes Bruder", das immerhin selbst einen Elias Canetti nicht unbeeindruckt ließ, las ich seinerzeit durchaus mit einigem Gewinn, obwohl mir natürlich nach wenigen Seiten klar war, daß dem Opus eben doch eine Menge fehlt, was es zu wirklich großer Literatur machen könnte.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Sagitt meint:


    Erst einmal habe ich Interesse an der Faktenlage. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Bach gerne anderes als Musiker gewesen wäre und hat er 1746 solche Ambitionen gehabt. Wer das erfindet, wenn es denn erfunden ist, dem sage ich dann, den Plot finde ich nicht überzeugend. Dieser Plot ist reine Phantasie. Weil er SO nicht hätte sein können, überzeugt er mich nicht.
    Da ich nicht ausreichend in Bachs Leben Bescheid wusste,wollte ich lieber nachfragen. Aber Eure Beiträge bestätigen mich darin, dass diese beiden zentralen Annahmen von Schneider reine Erfindung sind.
    Dies zusammen mit weiteren Unglaubwürdigkeit,Bach liesse aus Unachtsamkeit eine Partitur zurück, die ihm nach dieser Konstruktion von Schneider doch so wichtig ist und die so vieles bei denen auslöst, die sie hören, ist ebenso unglaubwürdig. Damit fällt die ganze Geschichte in sich zusammen.
    Wie heisst es : ma ben trovato- hier eben nicht ben trovato. Nur ne vero- das ist mir zu wenig.

  • Lieber Edwin, was die dichterische Freiheit und die Halbfiktion angeht,so sollte ein seriöser Autor vor den ganz grossen Gestalten der (Kunst-) Geschichte m.E. besondere Vorsicht walten lassen.
    Wer sich mit Menschen wie Bach, Leonardo da Vinci, Goethe etc belletristisch befasst, hat eine gewisse Verantwortung zur "Wahrhaftigkeit" die auch pädagogisch begründet ist.
    Leser die keine wissenschaftlcihen Zugänge haben und sich überhaupt nicht auskennen, werden ansonsten zu sehr in die Irre geführt und es enstehen leicht Persönlichkeitsbilder, die öffentlcihes Denken prägen köinnen und doch falsch sind.


    Mir ist sehr bewusst, was für ein schmaler Grad das ist, denn die Freiheit des Geistes ist selbstverständlcih eines der höchsten zu schützenden Güter für mich.


    Die sprachlichen Mängel, die du Robert Schneider vorwirfst, sind mir insbesondere in seinem Roman "Die Luftgängerin" aufgefallen, der mich im Vergleich zu Schlafes Bruder sehr enttäuscht hat. Von Schlafes Bruder war ich damals auch vollkommen in Bann geschlagen und der zentrale Satz "Wer liebt, schläft nicht" ist danach allezeit in meinem Bewusstsein geblieben.


    Fairy Queen

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  • Sagitt meint.


    Heinrich von Kleist hat in seinem kleinen Stückchen ,über das Marionettentheater, verarbeitet: man ist perfekt, entdeckt sich dabei und versucht ein Leben lang, diese Perfektion wieder zu erreichen.
    Für Schriftsteller übersetzt heisst dies: man schreibt ein sehr starkes und sehr beachtetes Buch und versucht ein Leben lang, diesen Erfolg zu wiederholen.
    Robert Schneider wäre nicht der erste, dem dies passiert.


    Was ärgerte mich? Schneider stützt auf diese Thesen praktisch die gesamte Geschichte. Das ist mir zu einfach. Wie wäre die Geschichte gewesen, wenn Schneider sich an die vorhandenen Fakten gehalten hätte ?
    Er hätte sie nicht schreiben können. So nutzt er die Bekanntheit von Bach,um daraus dann für sich Kapital zu schlagen,indem er Bach so zurechtstutzt, dass es für ihn passend ist. In meinen Augen ist das Missbrauch von Bach.
    Hätte er den Komponisten dazu erfunden, wäre es ok gewesen, aber er hätte dann auch nicht den Mehrwert eines sehr bekannten Namens gehabt. So nimmt er den Vorteil,ohne dafür mit Faktenstimmigkeit zu bezahlen.

  • Liebe Fairy Queen,
    lieber Sagitt,
    es liegt mir fern, Schneider zu verteidigen. Er ist meiner Meinung nach ein grauenhafter Autor, dessen Ruhm auf einem sehr guten ersten Buch, nämlich "Schlafes Bruder", beruht, das inhaltlich interessant und stilistisch gekonnt geschrieben ist, während sich sämtliche anderen seiner Bücher der Trivialliteratur annähern.
    Ich kann auch verraten, daß in Schneiders Schublade ein frühes, wahrhaft faszinierendes Drama (oder Film-Szenarium) über Gesualdo liegt, das er leider nicht veröffentlicht hat und das ich durch einen seltsamen Zufall kennenlernen konnte.
    Schneider ist für mich also der typische Fall eines Genies, das sich zum Talent entwickelt hat.


    Aber...


    Aber die Sache mit der "fiktiven Realität"... Nun: Es gibt da einen sehr interessanten Roman, der auf der Basis der Tatsachen eine Fiktion entwirft. Und zwar geht es darum, daß Hitler den Krieg gewonnen hat. Nein, ich spreche nicht von Harris' mäßig spannendem "Vaterland", sondern von "Wenn das der Führer wüßte", den der österreichische Autor Otto Basil einige Zeit vor Harris verfaßt hat.
    Was hat Basils Hitler mit Schneiders Bach zu tun?
    Ganz einfach: Es wird eine real existierende Person in eine Fiktion eingebaut, oder vielmehr eine Fiktion um eine real existierende Person herumgebaut.


    Das ist in der angloamerikanischen Literatur und Trivialliteratur der Postmoderne ein häufig verwendetes Konstruktionsmittel.
    Der amerikanische Komponist und Schriftsteller Sucharitkul Somtow etwa kombiniert Poe und Lord Byron mit Voodoo-Horror etc. Der britische Autor Peter Ackroyd ist ebenfalls ein Meister solcher Szenarien - etwa im "Fall des Baumeisters", in dem er den britischen Barock-Architekten Nicholas Hawksmoore mit Satanismus in Beziehung bringt.
    Auch im Film wird damit gespielt, etwa von Terry Gilliam in "Brothers Grimm".


    Im deutschsprachigen Raum kommt das nicht so gut an, weil man hier sehr strenge Maßstäbe an den Umgang mit biografischen Fakten legt - sicher zurecht. Nur vergißt man mitunter, daß Bücher dieser Art überhaupt keine biografischen Fakten vermitteln wollen, sondern mit Absicht in diesem Spannungsfeld zwischen historischer Figur und ihr angedichteten Pseudo-Fakten spielt. Es geht also nach dem Motto: Nehmen wir einmal an, Kolumbus sei gar nicht in See gestochen, sondern habe sich auf einem Bauernhof versteckt und die Geschichten von einer Neuen Welt nur erfunden, weshalb man seitdem glaubt, es gäbe Amerika, obwohl das nur eine Fiktion eines Aufschneiders und Halunken war.


    Natürlich hebt man sich damit von der Realität ab und konstruiert eine Fantasiewelt, also im weitesten Sinn Fantasy. Das sollte einem Autor durchaus "erlaubt" sein, wenn er es überzeugend und stilistisch sicher macht. Und davon scheint mir Schneider weit entfernt.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    ich will - und kann dies auch gar nicht- meine Meinung darüber zu einer ästhetischen Maxime machen.
    Mich überzeugen Geschichten mehr, die so hätten sein können. Wenn Ortheil über die Nach des Giovanni schreibt, war es vielleicht nicht so, aber es hätte so sein können. Er stellt sich der Anstrengung, den historischen Rahmen zu kennen und innerhalb dieses Rahmens seiner Phantasie freien Lauf zu geben.


    Diese gedankliche Anstrengung vermisse ich bei dem Konstrukt,über das wir hier schreiben. Man kann schreiben, Bach war ein Revoluzzer, war schwul oder hat Opern geschrieben. Es geht mir gar nicht um die Ehre des Johann Sebastian Bach, sondern darum, dass man mit dieser Konstruktion die Anstrengung vermeidet, die Phantasie im Rahmen der Fakten zu entwickeln, um sich eines in diesem Falle billigen Effektes zu bedienen.


    Dabei räume ich ein, dass es lehrreich sein könnte in der Literatur über Verhältnisse nachzudenken, die sicher nicht so waren, aber die zu erörtern hilfreich wäre ...wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte und andere Fiktionen...


    Schon deswegen ist meine Meinung von höchst begrenztem Anwendungsbereich. Diese Konstruktion von Schneider hat mich jedenfalls nicht überzeugt.


    Schöne Grüsse und ein spannendes 2008


    Sagitt

  • Lieber Edwin, natürlcih hast Du Recht und wo wäre die Literatur, wenn es "moralisch" verboten wäre, historische Figuren auch in verfremdeter Form einzubauen! Wie gesagt: es gibt kzaum ein höher zu schütezednes Gut für mich als geistige Freiheit.
    Ich gebe nur zu bedenken, dass bei grossen Figuren der Geschichte und der Geistes/Kunstgeschichte eine besondere Verantwortung der Öffentlcihkeit und deren "Erziehung" gegenüber vorliegt. Faktische Richtigstellungen von seiten der Journalisten /Kritiker halte ich in solchen Fällen dann für unabdingbar, wenn es der Autor nciht schon selbst tut. Trotzdem würde mich der Gesualdo- Schubladen-Roman natürlcih brennend interessieren. Nicht nur, dass ich seine Musik umwerfend finde, auch sein Leben ist reiner Stoff für die abenteuerlichsten und romaneskesten Vermutungen.
    Vielleicht findet sich ja jemand...... :yes: :hello:


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    ...Es wird eine real existierende Person in eine Fiktion eingebaut, oder vielmehr eine Fiktion um eine real existierende Person herumgebaut.


    Das ist in der angloamerikanischen Literatur und Trivialliteratur der Postmoderne ein häufig verwendetes Konstruktionsmittel.
    Der amerikanische Komponist und Schriftsteller Sucharitkul Somtow etwa kombiniert Poe und Lord Byron mit Voodoo-Horror etc. Der britische Autor Peter Ackroyd ist ebenfalls ein Meister solcher Szenarien - etwa im "Fall des Baumeisters", in dem er den britischen Barock-Architekten Nicholas Hawksmoore mit Satanismus in Beziehung bringt.
    Auch im Film wird damit gespielt, etwa von Terry Gilliam in "Brothers Grimm".


    Nicht zu vergessen der grauenhafte, aber dennoch wider Willen fesselnde Weltbesetseller THE DA VINCI CODE von Dan Brown, dessen Erfolg belegt, dass wir Deutsche unter bestimmten Umständen durchaus für Derartiges empfänglich sind. Franz Werfels gar nicht so erfolgloser VERDI-Roman ging ja auch schon ein Stück Wegs dahin, wenn auch spürbar von einem guten Kenner und vor allem Liebhaber seines Werkes verfasst worden war, der auch noch schreiben konnte.


    Wird die Grenze vielleicht übrschritten, wenn sich solche Autoren den heiligen Kühen teutscher Nation nähern?


    Oder würde heute alle Welt Bach analysieren statt auf Da Vincis Spuren zu dilettieren, wenn Brown seinen Roman auf einen in Bachs musikalischem Opfer verschlüsselten Geheimcode abgehoben hätte?


    Leute, hier schlummert ein Bestseller-Stoff!


    :hello: Rideamus

  • Hierzu ein kleines Beispiel aus der Praxis, das zeigen mag, wie sehr ein solches Spiel der Vermischung von Historie und Fiktion Einfluss auf die allgemeine Allgemeinbildung nehmen kann.


    In einer Klausur zur Werkanalyse legte ich vor zwei Jahren den SchülerInnen meines Grundkurses Leonardos „Abendmahl“ – im Unterricht mit Bedacht nicht besprochen – vor.


    Trotz aller Beknieungen im Vorfeld, Spekulationen und Deutungen unbedingt als solche zu kennzeichnen, wurde von 90% der Prüflinge der zu Jesus' Linker sitzende Jünger ohne mit der Wimper zu zucken als Maria Magdalena identifiziert. Dies in der Sparte „Bildbeschreibung“, wo solide und belegbare Fakten gefragt sind.


    Von hier aus gingen dann allerdings wilde Interpretationen los, die noch weit über Browns „Thesen“ hinausreichten.
    So wurde beispielsweise der Türstock, welcher im unteren Bereich durch das Pseudo-Fresko gebrochen ist, als Beistelltisch gedeutet, „alleine dazu gemalt, um Marias Geschlecht zu verbergen“. Was für Vorstellungen von menschlichen Proportionen…
    Auch wurde dem sich zur angeblichen Maria beugenden Petrus ob dieser Geste eine „betrügerische Beziehung zur Liebhaberin Jesu“ unterstellt, „weswegen Petrus später Jesus auch dreimal verleugnet“ habe.


    Meine Bestürzung wandelte sich in Neugier, da ich Browns Buch nicht kannte. Ich hab’s dann gelesen, für tollkühn aber vollcool befunden, Aufklärungsarbeit geleistet und die Arbeiten schließlich so bewertet wie ein Mathematiker, der nach einem Rechenfehler bei folgerichtigem und nachvollziehbarem Lösungsweg doch die entsprechende Punktzahl vergibt.


    Man lernt nie aus…


    Gruß,



    audiamus

  • Ich habe das Buch bisher auch nciht gelesen, aber das macht nun tatsächlich neugierig. Welcher Jünger wird denn da zur Magdalena?
    Eigentlich wäre es logischerweise doch Johannes, der, den Jesus liebhatte, wie es in der Bibel heisst? Aber der sitzt meines Wissens immer zur Rechten...... ?(
    Und Audiamus' interessanter Bericht belegt meine These, dass Schriftsteller einfach auch eine pädagogische Verantwortung haben, wenn sie grosse Werke/Figuren der Geschcihte faktisch entstellen. Genauso wurde das Mozartbild ganz entscheiden vom Amadeus-Film geprägt. Junge Leute, die sonst ncihts über Mozart kennen, finden Mozart zwar dann vielleicht cool, aber ob Mozart wirklich nur so war....... :beatnik:
    So entstehen jedenfalls Klischees.
    Aber evtl ist das immer noch besser, als dass sie Leonardo oder Mozart gar nciht kennten :wacky:


    F.Q.

  • Liebe Fairy,


    natürlich ist es Johannes, und natürlich sitzt er zu Jesus' Rechter.
    Jetzt habe ich den gleichen Fehler gemacht, den ich meinen Schützlingen immer auszutreiben versuche, nämlich zu differenzieren zwischen Sicht des Betrachters und dem Geschehen im Bild.




    6, setzen... :O


    Übrigens fällt mir eine Szene aus dem Film Horowitz at Home (oder ähnlich) ein, in welcher der Künstler in ein irres Lachen ausbricht, um dann erklärend hinzuzufügen: "I am like Mozart". Der hat Amadeus auch gesehen.




    amadiamus

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Welcher Jünger wird denn da zur Magdalena?
    Eigentlich wäre es logischerweise doch Johannes, der den Jesus liebhatte, wie es in der Bibel heisst? Aber der sitzt meines Wissens immer zur Rechten...... F.Q.


    Rechts neben Jesus sitzt ein, wirklich sehr weiblich wirkender Johannes. Da alle anderen Jünger Bartträger sind, kann man in dem Fall mit der Geschlechterbestimmung schon ein wenig durcheinander geraten. Ob Johannes tatsächlich so weiblich aussah? Kann ich mir fast nicht vorstellen.


    :hello: Ingrid


    audiamus entschuldige bitte, aber jetzt war ich zu langsam und hab nicht rechtzeitig gesehen, dass Du ja schon alles berichtigt hast.

  • Liebe Ingrid, ich habe schon so absurde Dinge gelesen, dass Jesus homosexuell war und nciht nur mit Maria Magdalena sondern auch vor allem mit Johannes eine Intimbeziehung hatte... Nur weil Johannes angeblich etwas Feminines an sich hatte, was wiederum in der Wahrnehmung dieser "Kritiker" wahrscheinlich eine Folge von Leonardos Darstellung und anderer Renaissancebilder ist.. (Bellini z.B.)
    So können Kunstwerke ganze Denksystme erschaffen und die hahnebüchensten Theorien in Gang setzen....... 8o



    F.Q.

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  • Nichts ist so übel, dass es nicht wenigstens noch als abschreckendes Beispiel dienen könnte:


    http://itre.cis.upenn.edu/~myl…elog/archives/000844.html


    Gab es nicht auch die Idee, Magdalena sei zwischen Jesus und Johannes wegretouchiert worden?
    (Gesessen hat damals sowieso niemand zu Tisch, sondern gelegen. Und da hatte Johannes angeblich den Ehrenplatz. Aber das läßt sich nicht so schön malen.)


    Zu Schneider: Schlafes Bruder ist von der Idee her ganz nett, aber sprachlich teils unerträglich manieriert. Die Musik des dortigen Protagonisten wird wie eine Art Mischung aus Bach, Schubert und Bruckner beschrieben. Mehr habe ich von ihm nicht gelesen.
    Aber ich sehe das so ähnlich wie bereits geäußert: Wenn man sich schon einen Großen der Geschichte als Romanfigur wählt, muß man das auch stemmen können.
    Im Zweifel ist es gewiß besser, einen nicht ganz so berühmten (Salieri) oder einen erfundenen, aber gewissen Vorbildern nachempfundenen, nehmen.
    Jedenfalls wenn ein gewisser Anspruch angestrebt wird, nicht nur eine launige Alternative-History-Erzählung.
    Letztlich entscheidend ist ja nicht die historische Richtigkeit, sondern die innere Stimmigkeit der Erzählung. Wenn man aber mit einer derart kontraintuitiven These, einer der berühmtesten und fruchtbarsten Komponisten habe die Musik eigentlich gehaßt, beginnt, muß man freilich ziemliche Überzeugungsarbeit für diese Alternative leisten. Dass das nciht gelingt, wundert mich wenig.


    (Rossini habe nur komponiert, um irgendwann finanziell unabhängig zu sein und sich der Kochkunst widmen zu können, wäre vielleicht eher eine Idee. Oder einen der Bach-Söhne nehmen, die haben immerhin wenigstens Jura studiert)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Oder einen der Bach-Söhne nehmen, die haben immerhin wenigstens Jura studiert) JR


    Den Film gibt's schon. Er heißt FRIEDEMANN BACH und galt damals als künstlerisches Meisterwerk. Eugen Klöpfer spielte JS und Wolfgang Liebeneiner den CPE Bach. Weil die Titelrolle darin von Gustaf Gründgens verkörpert wird, der den Film zusammen mit Traugott Müller auch inszeniert hat, und Friedemann vor seiner reumütigen Einkehr hübsch genial sein darf, wurde er auch bis in die 60er Jahre hinein noch häufig in unseren "Filmkunsttheatern" gespielt. In einem war ich mal Platzanweiser und habe ihn deshalb ziemlich oft sehen müssen. Von einem Jurastudium erinnere ich da allerdings nix.


    Immerhin hatte er mich motiviert, lange und ziemlich vergeblich nach Einspielungen von Kompositionen Friedemanns zu suchen.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Ingrid


    Rechts neben Jesus sitzt ein, wirklich sehr weiblich wirkender Johannes. Da alle anderen Jünger Bartträger sind, kann man in dem Fall mit der Geschlechterbestimmung schon ein wenig durcheinander geraten. Ob Johannes tatsächlich so weiblich aussah? Kann ich mir fast nicht vorstellen.


    :hello: Ingrid



    Obwohl es OFF-Topic ist, muss ich mich doch äußern, denn dieser Dan-Brown-Mumpitz ist für mich der größte Schwachsinn seit der Erfindung der Boy-Band. Das heißt, Dan Brown ist mir egal, was mich stört, sind die Menschen, die meinen im Besitz einer Wahrheit zu sein, weil sie seine Bücher lesen.


    Wie dem auch sei, ich habe vor einiger Zeit eine Dokumentation gesehen, in der Kunsthistoriker Browns Fantasien demontieren. Unter anderem stellten sie klar, dass eine feminine Darstellung des Johannes bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zu finden ist. Anscheinend hat sich dieser Trend in der bildenden Kunst irgendwannmal etabliert, genauso wie Jesus immer als Bartträger mit Bart gezeigt wird, obwohl ziemlich sicher ist, dass er nicht so ausgesehen hat.



    LG
    Georg


    P.S.: Nochmal Entschuldigung für das OT.

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • "De Offenbarung" habe ich mir zu Weihnachten schenken lassen, bin über die ersten Seiten noch nicht hinausgekommen.


    Nach dem, was ich hier lesen musste, fürchte ich mich jetzt vor der weiteren Lektüre.


    Bach als geheimnisumwitterter Mysteriker war aber schon einmal Thema und zwar hier:



    Zwar war das auch nicht ganz auf den Säulen historischer Erkenntnis gegründet, die Pointe immerhin überraschend und nicht gar so unglaubwürdig wie ein versäumtes Jurastudium. Als Genre-Krimi jedenfalls ganz passabel.

  • Von dort nach hier (verwirrende Vielfalt):
    Hat denn jemand den Schneider jetzt mal gelesen, oder spukt er noch immer auf Gabentischen, Wunschlisten oder no-go-Indices herum?
    Interessant klingt er ja schon.



    audiamus



    .

  • Zitat

    Original von audiamus
    Von dort nach hier (verwirrende Vielfalt):
    Hat denn jemand den Schneider jetzt mal gelesen, oder spukt er noch immer auf Gabentischen, Wunschlisten oder no-go-Indices herum?
    Interessant klingt er ja schon.


    Du meinst jetzt "Schlafes Bruder"? Ich hab mal angefangen, nach zwei Seiten wieder zugemacht. Vielleicht brennen meine Bücherregale ab und dieses Buch bleibt übrig. Dann nehme ich es mir mal wieder vor...