Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie No.7 C-Dur op.60 "Leningrader"

  • Hallo Zusammen,


    um Alfred zu "unterstützen" starte ich mal ein weiteres Thema zu einem Schostakovitsch Werk.


    Die ersten drei Sätze dieser viersätzigen Sinfonie entstanden in der Stadt Leningrad, die damit zum "Namensgeber" der Sinfonie wurde.


    Der erste Satz spiegelt den herrannahenden Kreig wieder.


    Der zweite und dritte Satz stellen einen Kontrast zum Krieg dar und der vierte Satz ist dem Sieg gewidmet.


    Diese Schostakowitsch Sinfonie mit ihrem Entstehungsjahr 1941 in einer Zeit, in der die Russisch-deutsche Gesichte leider sehr traurige Ereignisse zu verzeichnen hat.
    Daher sehe ich diese Sinfonie als eins aus deutscher Sicht wesentlichen Werke von DS.


    Ein aus meiner Sicht sehr gelungene Aufnahme ist diese:



    Gergiev gelingt es sehr gut die jeweilige Situation und Charakteristik der Sätze darzustellen.
    Man höre nur die herrannahmende Bedrohung durch den Kireg!


    Welchen Bezug habt ihr zu dieser Sinfonie.?
    Welche Aufnahmen sind für ein die gelungensten?

  • Zitat

    Original von Richard Ross
    Welchen Bezug habt ihr zu dieser Sinfonie.?


    Ein zentrales, aber schwer zu fassendes Werk. Eine letztgültige Aufklärung der Umstände wird es nie geben und wirklich "Spaß" an der Auseinandersetzung um die Enstehungsgeschichte und die Thematik werden nur Einäugige haben.


    Zitat

    Welche Aufnahmen sind für ein die gelungensten?


    Abseits qualitativer Aspekt und vor allem historisch bedeutsam ist die Toscanini-Aufnahme. Die Partitur wurde auf Mikrofiche aus der SU herausgeschmuggelt. Shostakovich selbst soll sich negativ über die Aufnahme geäußert haben, aber die Authentizität der Aussagen von DSCH hängt ja immer vom Betrachter ab. Eine weitere historische bedeutsame Aufnahme ist Celibidaches von 1947 mit den Berliner Philharmonikern. Zwar nicht das erste von Celibidache in Deutschland mit DSCH gestaltete Konzert, aber er dürfte einer der ersten gewesen sein, die nach 1945 dessen Musik auf das Programm setzte. Zudem wurden die Konzerte in der ersten Ausgabe des Spiegel rezensiert. Meine Lieblingsaufnahme ist die von Ashkenazy mit den Leningradern, hat auch ein wenig historischen Gehalt, immerhin ist die Radioansprache DSCHs aus dem besetzten Leningrad zu hören.

    Gruß,
    Gerrit

  • Ich schliesse mich Thorstens Worten zum Bezug zu dieser Sinfonie an. Ich denke, eine definitive Deutung ist sehr schwer zu finden. In meinen Augen ist die siebte nicht unbedingt die stärkste Sinfonie Schostakowitschs - dafür ist sie vom Aufbau her meiner Meinung nach zu kopfsatzlastig angelegt. Mein Eindruck im Konzert (bisher dreimal) war immer, dass nach dem Kopfsatz nichts wirklich wesentliches mehr bzw. nichts mehr, was die Kraft des Kopfsatzes wirklich überträfe kommt. Nichtsdestotrotz ein zentrales Werk - auch gerade wegen des enigmatischen Charakters, was die Deutung angeht.


    Immer wieder fasziniert höre ich Maris Jansons und den Leningrader Philharmonikern zu (EMI, 1988 )



    (BTW: Offenbar kommt Jansons ja nun mit dem Symphonieorchester der Bayerischen Rundfunks dazu, diese Gesamtaufnahme abzuschliessen - die vierte ist eben erschienen, die 13. erscheint im Juli. Hoffentlich bringt EMI dann auch die jetzt schon nicht mehr erhältlichen Aufnahmen wieder auf den Markt....


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Na sowas, dachte zu diesem Thema wurde schon viel mehr geschrieben. Ehrlich gesagt interessiert mich an dieser Sinfonie ja doch nur der erste Satz :D



    Nach langer Zeit habe ich jetzt mal wieder in Bernsteins Einspielung aus New York von 1962 reingehört. Die hatte ich als zu langsam in Erinnerung, aber beim erneuten hören hat sie mir jetzt ganz gut gefallen, sehr gut sogar, aber ich müsste auch mal wieder die anderen Aufnahmen zum Vergleich hören: Haitink, Rozhdestvensky, Rostropowitsch. Mrawinsky steht bei mir leider immernoch nur auf der Kauf-Wunschliste.


    Da es hier noch nicht getan wurde, muß es von mir erwähnt werden:
    Es ist gewissermaßen unmöglich im ersten Satz nicht auch an Ravels Bolero zu denken...

  • Hallo Thomas Bernhard,


    Du hast mit Deinen Gedanken an Ravels´s Bolero Recht, da hat Ravel bei Schostakowitsch bestimmt eine Vorbildfunktion gehabt.


    Zu Bernstein: Ich bin absoluter Fan dieses genialen Dirigenten, aber gerade die bernsteinsche Leningrader soll doch im ersten Satz eine gekürzte Fassung aufweisen !?! Kannst Du mal die Spielzeiten des ersten Satzes erwähnen.


    Meine Favoritenaufnahme ist auch bei der Leningrader die Roshdestwensky-Eurodisc-Aufnahme, aber auch Haitink auf Decca ist schon wegen der Klangtechnik "erste Wahl" und meine Barschai-Brillant - Aufnahme kann ich schon wegen des Preises (alle Sinfonien zum Preis einer CD) auch wärmstens empfehlen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich habe unter anderem diese Aufnahme:



    Aber mal ne Frage:

    Zitat

    Dimitri Schostakovitsch: Sinfonie No.7 C-Dur op.60"Leningrader"


    So weit ich es weiß, wird Schostakowitsch immer ohne i nach dem D geschrieben...also Dmitri.


    Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Es ist gewissermaßen unmöglich im ersten Satz nicht auch an Ravels Bolero zu denken...


    Also tut mir echt leid, aber ich werde dabei nicht an den Bolero erinnert...
    Weder bevor ich euer Statement dazu hatte (was ich absolut akzeptiere, aber im Moment nicht teilen kann...was sich ändern kann) und auch jetzt noch nicht...denn ich höre mir gerade seine 7. an...

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo maik,


    die deutsche Schreibweise, auch auf deutschen CD´s, ist Dimitri Schostakowitsch. Und als deutscher bediene ich mich nur dieser schreibweise !


    ;) Übriges Deine NAXOS-Aufnahme ist nicht auf dem interpretatorisch hohen Level angesiedelt wie die Aufnahmen mit Roshdestwensky, Haitink, Barschai, Jansons, Mrawinsky, Swetlanow, Kondraschin.
    Du solltest da einen Wechsel ins Auge fassen.


    Ich bin sonst auch gerne Käufer von NAXOS-CD´s aber nicht bei dem Ensemble, wie bei Deiner Leningrader.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Übriges Deine NAXOS-Aufnahme ist nicht auf dem interpretatorisch hohen Level angesiedelt wie die Aufnahmen mit Roshdestwensky, Haitink, Barschai, Jansons, Mrawinsky, Swetlanow, Kondraschin.


    Na dann ist ja gut :D
    Ich besitze auch noch eine Aufnahme von Barshai mit dem WDR Sinfonieorchester.



    Zitat

    die deutsche Schreibweise, auch auf deutschen CD´s, ist Dimitri Schostakowitsch. Und als deutscher bediene ich mich nur dieser schreibweise !


    Das hab ich auch gedacht, dass ich ihn so im deutschen schreibe, aber auf vielen Internetseiten (deutschen!!!) hab ich seinen Nachnamen in deutsch gefunden und der dazugehörige Vorname eben in der Schreibweise Dmitri.

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Original von teleton
    Zu Bernstein: Ich bin absoluter Fan dieses genialen Dirigenten, aber gerade die bernsteinsche Leningrader soll doch im ersten Satz eine gekürzte Fassung aufweisen !?! Kannst Du mal die Spielzeiten des ersten Satzes erwähnen.


    Nachdem sich die Problematik der übertragung des Kyrillischen in die lateinische Schrift ja einigermaßen geklärt hat jetzt zu Wolfgangs Frage:


    Bernstein braucht für den ersten Satz stolze 27:46 min. Scheint mir von daher einigermaßen vollständig zu sein. (etwa gleich lang wie Rostropowitsch und Rozhdesvensky, die Aufnahme von Haitink habich grad nicht gefunden.)



    p.s.: Maik: natürlich ist nicht der gesamte erste Satz mit dem Bolero zu vergleichen, es beginnt mit dem Abschnitt, der so ca. ab Minute 7-8 beginnt, das wird Dir aufgefallen sein, gell..?


    Das Thema, das da stets wiederholt wird ist wohl bewußt "schlecht" (aber seltsamerweise nicht wirklich böse oder bedrohlich). Klingt ein bisschen wie der Kommunistenschlager "Brüder zur Sonne" nur noch plumper. Daß Schostakowitsch den deutschen Truppen hier ein musikalisches Material zur Verfügung stellt, daß auch an das stalinistische System denken läßt ist mal wieder typisch Schostakowitsch, der beide Seiten als Bedrohung sah.

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  • Hallo Thomas Bernhard,


    richtig - so ist es, erst nach 8Minuten geht die Steigerung los.
    Dann hat Bernstein in seiner 1962er-CBS/Sony-Version keine Kürzung vorgenommen - gut so !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo teleton,


    gerade habe ich in folgender Rezension http://www.musicweb-internatio…srev/sept99/shos7wigg.htm gelesen, daß Bernstein in seiner 62er Aufnahme ca. 40 Takte im ersten Satz gestrichen hat. In seiner 88er Konzertaufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra braucht Bernstein für den ersten Satz zwar geschlagene 31´43, beginnt aber mit dem "Invasionsthema" etwa bei 7´35 und wird erst gegen Schluß etwas langsamer. An den Gerüchten um die Kürzung könnte also doch etwas dran sein.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ich glaube, es ist an der Zeit, einen der Schostakowitsch-Threads wieder nach vorne zu holen. Schließlich haben wir ja Schostakowitsch-Jahr.


    Zuerst will ich einmal mit einem der nebensächlichsten, aber beliebtesten Fehler aufräumen: Schostakowitschs Vorname ist Dmitri ohne i nach dem D. Die russische Form von Demetrius schreibt sich IMMER ohne dieses i; mit i ist der Vornahme eher einem Griechen zuzuordnen - siehe auch die Schreibung jenes Komponisten, der einer von Schostakowitschs Gegnern war: Dmitrij Borisowitsch Kabalewskij. (Nebenbei: Nach k gibt's im Russischen kein y sondern, wie auch nach sch, schtsch und z, nur ij. Die einzige Grammatikregel der russischen Sprache, die keine Ausnahme hat. Aber das nur nebenbei.)


    Zur "Leningrader".
    Ich liebe Bernstein sehr, ich verehre ihn sogar dann, wenn er ein Werk völlig auf seinen eigenen Stil zurecht biegt, wenn er, wie etwa im Schlussatz der DG-Aufnahme von Tschaikowskijs Sechster, die Musik nahezu anhalten kann. Seine Aufnahmen von Werken Schostakowitschs sind für mich die Ausnahmen: Ich finde sie grauenhaft! Zu larmoyant, zu süß, zu kitschig.


    Nun zum ersten Satz der "Leningrader": Ravels "Bolero" als Modell - das liest man immer wieder. Und ich halte es für total falsch.
    Was macht Ravel? - Er führt über einem ostinat durchgehaltenen Rhythmus zwei ähnliche Themen zu einem triumphalen Höhepunkt.
    Was macht Schostakowitsch? - Er steigert ein Marschthema, spielt dagegen ein völlig anders geartetes, allmählich erstarkendes zweites Kantilenenthema aus, das schließlich das erste zum Zusammenbruch treibt. Und er hängt ein allmählich ersterbendes Nachspiel dran, in dem seltsamerweise das bedrohliche Marschthema das letzte, wenn auch leise Wort hat.
    Das ist in meinen Augen und Ohren ein völlig anderes Konzept als bei Ravel. Nicht jede über ein Ostinato verlaufende Steigerung ist automatisch Ravel-beeinflusst. (Oder sollte Ravel gar in Ottorino Respighis "Pini" nachgeschaut haben, wie man eine Steigerung über ein Ostinato herbeiführt?)


    Der zweite Satz ist meiner Meinung nach die notwendige Gegenthese zu ersten: Der Rhythmus hat etwas Tänzerisches, dennoch merkt man eine latente Spannung. Der dritte Satz mit seinen dissonierenden Choral-Eckpfeilern und seinem so seltsam gehetzten Mittelteil scheint mir Schmerz, aber auch hastiges Vorandrängen zu signalisieren. Und der vierte Satz mit dem gellenden Finale, das sich erst im Schlussakkord zu stabilem C-Dur durchringt, ist für mich ein Ausdruck von Freude unter Tränen des Schmerzes. Ich habe das Gefühl, dass hier auch Klage und Anklage mitschwingt, wie es dann in der Achten noch extremer wird.


    Jedenfalls hatte ich bei dieser Siebenten nie das Gefühl der Befreiung, der Apotheose, sondern immer das Gefühl, dass auch der Schluss fast eine Art Schmerzensschrei ist. Dann las ich bei Wolkow, dass Schostakowitsch auch die Siebente im Subtext gegen Stalin gerichtet hat, und der Schluss dem Sieg des einen verbrecherischen Diktators über den anderen verbrecherischen Diktator gilt. Mag sein, dass Wolkow die oder einige Aussagen Schostakowitschs gefälscht hat. Aber das Gefühl der Belastung, der Bedrohung, des unfreien Jubels, stellte sich bei der Siebenten offenbar auch bei Wolkow ein.

    Natürlich ist die Aufnahme unter Jewgenij Mrawinskij ein Muss - aber sie ist technisch eben ein Kind ihrer Zeit (1953). Ich schätze sehr die unter Hochdruck gespielte Aufnahme unter Kondraschin, die kantigere, aggressivere unter Roschdestwenskij. Und ich, der ich eher kein Janssons-Fan bin, bin fasziniert von dessen Einspielung mit den St. Petersburgern. Da hat man das Gefühl, sie wissen in jedem Moment, worum es geht, sie spielen diese Aufnahme wie ein aktuelles Vermächtnis. Natürlich kenne ich nicht alle Aufnahmen dieses Werkes, aber die, die ich sonst habe oder gehört habe (Haitink, Järvi, Masur, Caetani, Bychkov) scheinen mir zu sehr auf den Effekt ausgerichtet und daher ein Missverständnis gegenüber einem keineswegs glatten und sicherlich nicht hurra-patriotischen Werk.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    INun zum ersten Satz der "Leningrader": Ravels "Bolero" als Modell - das liest man immer wieder. Und ich halte es für total falsch.
    Was macht Ravel? - Er führt über einem ostinat durchgehaltenen Rhythmus zwei ähnliche Themen zu einem triumphalen Höhepunkt.
    Was macht Schostakowitsch? - Er steigert ein Marschthema, spielt dagegen ein völlig anders geartetes, allmählich erstarkendes zweites Kantilenenthema aus, das schließlich das erste zum Zusammenbruch treibt. Und er hängt ein allmählich ersterbendes Nachspiel dran, in dem seltsamerweise das bedrohliche Marschthema das letzte, wenn auch leise Wort hat.
    Das ist in meinen Augen und Ohren ein völlig anderes Konzept als bei Ravel. Nicht jede über ein Ostinato verlaufende Steigerung ist automatisch Ravel-beeinflusst. (Oder sollte Ravel gar in Ottorino Respighis "Pini" nachgeschaut haben, wie man eine Steigerung über ein Ostinato herbeiführt?)


    Ich muß gestehen, diese Sinfonie praktisch nicht zu kennen (vor JAHREN mal gehört und langweilig gefunden), aber eine Steigerung über einem ostinato ist, hmm nichts wirklich neues,; das konnte jeder halbwegs fähige Barockkomponist :D
    Im Ernst, ich weiß nicht, ob das ein Einfluß sein könnte (denn es ist dann doch ein wesentlich vielschichtigerer Satz), aber was ist mit dem Kopfsatz von Mahlers Dritter? Auch hier "kämpfen" u.a. zwei Marschthemen gegeneinander und eins "gewinnt".


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich glaube, es ist an der Zeit, einen der Schostakowitsch-Threads wieder nach vorne zu holen. Schließlich haben wir ja Schostakowitsch-Jahr.


    Zuerst will ich einmal mit einem der nebensächlichsten, aber beliebtesten Fehler aufräumen: Schostakowitschs Vorname ist Dmitri ohne i nach dem D. Die russische Form von Demetrius schreibt sich IMMER ohne dieses i; mit i ist der Vornahme eher einem Griechen zuzuordnen - siehe auch die Schreibung jenes Komponisten, der einer von Schostakowitschs Gegnern war: Dmitrij Borisowitsch Kabalewskij. (Nebenbei: Nach k gibt's im Russischen kein y sondern, wie auch nach sch, schtsch und z, nur ij. Die einzige Grammatikregel der russischen Sprache, die keine Ausnahme hat. Aber das nur nebenbei.)


    Hallo Edwin,


    ich werde deinem Anliegen nachkommen und den Thread "umbenennen". Wie verhält es sich dann aber mit dem Nachnamen? Trotzdem deutsch Schostakowitsch oder Shostakovich? Heißt es russisch nicht sogar Costakovic?


    Zur Siebten:
    Mich hat dieser erste Satz von Anfang an fasziniert. Eine Ähnlichkeit zum Bolero habe ich nie bemerkt oder in Erwägung gezogen. Wenn ich mir jetzt die beiden Werke nebeneinander vorstelle: Ich würde immer den Schostakowitsch vorziehen. Auch wenn es vielleicht ähnliche Effekte sind, dass man auf dem gleichen Rhythmus das Stück aufbaut, wirkt für mich da Schostakowitsch überzeugender. Aber das ist IMO Geschmackssache. Ich mag den Bolero nicht so sehr, das wurde im entsprechenden Thread aber auch schon diskutiert.



    Gruß, Peter.

  • Hallo Petemonova!


    Zitat

    ich werde deinem Anliegen nachkommen und den Thread "umbenennen". Wie verhält es sich dann aber mit dem Nachnamen? Trotzdem deutsch Schostakowitsch oder Shostakovich? Heißt es russisch nicht sogar Costakovic?


    Das Problem ist, dass ich in diesem Forum keine Kyrillischen Buchstaben verwenden kann, da kommen nur Ketten von Sonderzeichen. Sonst wäre die Erklärung ganz einfach.
    Ich versuch's dennoch:
    Auf Kyrillisch schreibt sich Schostakowitsch mit einer Buchstabenfolge, in der das Sch und das tsch jeweils ein Buchstabe sind. Das Sch sieht ein wenig aus wie unser w, das tsch etwa wie ein i ohne Punkt mit einem kleinen Häkchen links oben. W und v werden im Kyrillischen Alphabet nicht unterschieden, beides wird geschrieben wie unser B.
    Und damit beginnt die Transkriptionsmisere, da jede Sprache die Laute anders ausdrückt.
    Im Deutschen ist Schostakowitsch völlig korrekt.
    Die Engländer und Amerikaner schreiben Shostakovich.
    Die Franzosen meistens Chostakovich.
    Wenn Du eine slawistisch korrekte Transkription vorziehst, muss Dein Schreibprogramm die tschechischen Zusatzzeichen können. Die ganz korrekte Schreibung lautet nämlich Sostakovic mit dem Häkchen, dass Dvorák auf dem r hat und dass Hacek (mit dem Häkchen auf dem c, gesprochen tsch) heißt auf dem Anfangs-S und dem Schluss-c. Dementsprechend wird das Schtsch, das übrigens als scharfes sch und nicht als sch-t-sch gesprochen wird, als sc jeweils mit Hacek wiedergegeben, also z.B. Scedrin.
    Der Sinn ist, jeweils ein Kyrillisches Schriftzeichen mit einem oder höchstens zwei Lateinischen zu übertragen, um eben scheinbar unsprechbare und schwer lesbare Folgen wie schtsch zu vermeiden.


    Aber keine gauen Haare wachsen lassen: Wenn die Russen Namen aus anderen Sprachen übertragen, sind sie gnadenlos. Das liest sich dann: Gjote, Schopen, Bise oder Schjonberg, wenn nicht gar ein Schenberg daraus wird.

    ...

  • Zitat

    Original von petemonova


    Wie verhält es sich dann aber mit dem Nachnamen? Trotzdem deutsch Schostakowitsch oder Shostakovich? Heißt es russisch nicht sogar Costakovic?


    Das kommt darauf an, mit welchem "Standard" Du es aus dem Russischen bzw. Zyrillischen ins lateinische Alphabet und der jeweiligen Sprache (Englisch, Deutsch, Spanisch,....) transkribierst - da aber das auf Deutsch oder Englisch nicht gut aussprechbar ist bzw. die "Hatschecks" etc. m Deutschen ungebräuchlich sind, hat man weiter transkribiert, bis man auf Shostakovich (Englisch) bzw. Schostakowitsch (Deutsch) gekommen ist.


    Schostakovich scheint eine Mischform aus beiden Transkriptionen zu sein.


    Die Transkription kann man bspw. im Internet in Wikipedia beim Artikel von Schostakowitsch (die schreiben ihn so) sehen samt zyrillischen Zeichen - ich habs versucht hier in Zyrillisch zu schreiben samt der Transkription, aber die Forensoftware erlaubt keine Hatschecks und keine zyrill. Zeichen kodiert zu schreiben.


    Viele Grüße,
    Andi

  • Heute brachte 3sat eine Fernsehaufzeichnung dieses Werks. Es spielte das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Semyon Bychkov, eine Aufzeichnung aus der Kölner Philharmonie vom Februar 2003. Ich fand das Orchester großartig disponiert. So eine Fernsehaufzeichnung offenbart dann doch noch deutlicher, wie viel solistische Präsenz der Komponist vor allem den Holzbläsern zuteilt. Ich finde, Bychkov hat sich sehr bemüht, den inneren Gehalt wie ihn Edwin Baumgartner beschreibt, herauszuarbeiten. Der trotzige Aufschwung des Finales ist alles, nur kein Sieg. Eine unter die Haut gehende Interpretation!


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Im historischen Kontext interessant sind die Mitschnitte der deutschen und amerikanischen Erstaufführungen dieses genialen Werkes:


    Celibidache dirigierte im Dezember 1946 in Berlin..eine Interpretation, die, so die Kritiken, das Publikum erschütterte (beim Hören heute noch nachvollziehbear).
    Toscanini geht in der Aufnahme von 1942 mit der ihm eigenen Strenge zu Werke...sehr hörenswert.


    Gruß Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    [...] Und ich, der ich eher kein Janssons-Fan bin, bin fasziniert von dessen Einspielung mit den St. Petersburgern. Da hat man das Gefühl, sie wissen in jedem Moment, worum es geht, sie spielen diese Aufnahme wie ein aktuelles Vermächtnis. Natürlich kenne ich nicht alle Aufnahmen dieses Werkes, aber die, die ich sonst habe oder gehört habe (Haitink, Järvi, Masur, Caetani, Bychkov) scheinen mir zu sehr auf den Effekt ausgerichtet und daher ein Missverständnis gegenüber einem keineswegs glatten und sicherlich nicht hurra-patriotischen Werk.


    Gestern haben die St. Petersburger Philharmoniker die Symphonie im Konzerthaus gespielt - seit Monaten ausverkauft. Yuri Simonov ist für den erkrankten Yuri Temirkanov eingesprungen. Ich kann mir für diese Musik kein besseres Orchester vorstellen. Die Aufführung hat alles übertroffen, was ich je an Konzerten und Einspielungen der Siebten gehört habe.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

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  • Hallo!


    Als Einstieg in die Shostakowitsch-Symphonien überhaupt (zumindest als geplanter) steht als preiswerte CD die folgende auf meiner Wunschliste. Die berühmte 7. habe ich nämlich bewußt noch nie gehört.



    Ich suche für den Anfang keine Spitzenaufnahme, aber zumindest eine, die das Prädikat "OK" verdient. Ist das hier der Fall oder sollte ich die auch zum Einstieg lieber lassen?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Als Einstieg in die Shostakowitsch-Symphonien überhaupt (zumindest als geplanter) steht als preiswerte CD die folgende auf meiner Wunschliste. Die berühmte 7. habe ich nämlich bewußt noch nie gehört.



    Ich suche für den Anfang keine Spitzenaufnahme, aber zumindest eine, die das Prädikat "OK" verdient. Ist das hier der Fall oder sollte ich die auch zum Einstieg lieber lassen?


    Meiner Ansicht nach solltest Du vor allem mit einer anderen Sinfonie einsteigen!


    Und zwar mit der 1., 8., 10. oder zur Not auch der 5. 5 und 7 sind trotz ihrer großen Popularität nicht annähernd das Beste, was Schostakowitsch zu bieten hat. Damit will ich nicht sagen, daß sie nicht hörenswert oder das die von mir stattdessen genannten, die "besten" seien. Aber 4 ist ein ziemlich harter Brocken und die Ironie von 9 oder 15 sind am Anfang vielleicht auch weniger geeignet.
    Kennst Du das 8. Quartett? Dann beginne mit der 8. oder 10. Sinf.


    ThomasBernhard kann Dir gewiß auch mal ein paar CDs zum Reinhören leihen (ich auch, aber ist logistisch etwas umständlich).


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Pius,


    lass dir von JR die Sinfonie nicht madig machen. Sehr, sehr viele Klassikfreunde hören sie mit großem Genuss - obgleich ich einräumen möchte, dass ich niemanden kenne, der sagt, die siebte sei seine Lieblingssymphonie von Schostakowitsch.


    Die Haitink-CD kenne ich nicht. Wolfgang (Teleton), bekanntermaßen ein Schostakowitsch-Liebhaber und -Kenner, hat aber mal geschrieben, dass er sehr lange - genauer: bis er Roschdestwenskij gehört hat - mit Haitinks Aufnahme sehr zufrieden gesehen sei. Also kannst du beruhigt zugreifen. Ich allerdings würde dir empfehlen, gleich den Barshai-Zyklius zu kaufen. Für nicht viel mehr Geld erhältst du alle Sinfonien in einer hervorragenden Einspielung.


    Zur Sinfonie habe ich mich früher mal anderenorts ausführlich geäußert. Da ich nicht weiß, ob du diesen Beitrag kennst und es sein kann, dass er dir beim Kennenlernen der Sinfonie nützlich ist, gebe ich ihn an dieser Stelle wieder (diejenigen, denen der Beitrag bereits bekannt ist, bitte ich an dieser Stelle um Entschuldigung für die in ihren Augen womöglich unnötige Wiederholung):


    "Liebe Schostakowitsch-Freunde!


    [...]


    Die siebte Sinfonie ist umgeben Merkwürdigkeiten. Obgleich sie als eine der populärsten Sinfonien Schostakowitschs, ja, des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts gilt, hören die Meisten von ihr nur den ersten Satz. Obgleich über diese Sinfonie so viel geschrieben wurde wie über kaum eine andere Sinfonie von Schostakowitsch, ist die Bedeutung der Sinfonie noch immer nicht klar, ist die Deutungsgeschichte von extremen Wechseln der Auffassungen geprägt. Zunächst hieß es, behandelt würde der Abwehrkampf gegen Hitler-Deutschland. Die in der "Invasionsepisode" angreifenden deutschen Truppen würden siegreich in die Flucht geschlagen. Dann, anknüpfend an die Wolkow-Memoiren


    (dort heißt es: "Über die Siebte und die Achte habe ich mehr dummes Zeug zu hören bekommen als über meine übrigen Arbeiten. Merkwürdig, wie langlebig solche Dummheiten sind. Manchmal verblüfft mich, wie denkfaul die Menschen sind. Alles, war über diese Symphonien in den ersten Tagen geschrieben worden ist, wird unverändert bis zum heutigen Tag wiederholt. Dabei gab es doch genügend Zeit zum Nachdenken, Der Krieg ist schließlich längst zu Ende, liegt fast dreißig Jahre hinter uns. Vor dreißig Jahren konnte man wohl sagen, dass es Kriegssymphonien seien… Man betrachtet die Vorkriegszeit heute gern als Idylle. Alles war schön und gut, bis Hitler kam. Hitler war ein Verbrecher, nicht zu bezweifeln. Aber auch Stalin war ein Verbrecher. Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Stalins Befehl Ermordeten. Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in unserem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte. Der Krieg gegen Hitler brachte unendlich viel neues Leid, neue Zerstörungen. Aber darüber habe ich die schrecklichen Vorkriegsjahre nicht vergessen. Davon zeugen alle meine Symphonien. Die Siebte und Achte gehören auch dazu."),


    die dazu führten, dass Schostakowitsch zunehmend als Regimekritiker, als musikalischer unter der Oberfläche-Dissident entdeckt wurde, wurde konstatiert, dass Schostakowitsch sich mit der siebten Sinfonie nicht nur gegen die Gewalt der angreifenden Deutschen, sondern auch und vor allem gegen die Gräuel des Stalinismus wende. Sodann wurde abstrahierend behauptet, die Sinfonie sei „ein musikalisches Porträt menschlicher Dummheit und Gewalttätigkeit“, wie Wersin es in seinem CD-Führer formuliert, wende sich gegen das Böse, gegen die menschliche Brutalität schlechthin. Schließlich wird die Meinung vertreten, eine konkrete Deutung der Sinfonie verbiete sich, da eine solche angesichts der Vielgestaltigkeit der möglichen Interpretationen unmöglich sei. Das Werk sei musikalisch zu verstehen, nicht literarisch.


    Meine Meinung zu dieser Kontroverse werde ich unten im Rahmen der Werkbeschreibung äußern. Jetzt soll es erst einmal um die geschichtlichen Fakten gehen:


    1. Geschichtlicher, biographischer Hintergrund


    Wie wir gesehen haben, ist Schostakowitsch dem stalinistischen Terror glücklich entronnen, vor allem durch die offizielle Darstellung der fünften Sinfonie als Antwort eines Künstlers auf gerechtfertigte Kritik und das fleißige Schreiben von Filmmusik. Schostakowitschs Rehabilitation, mit dem Triumph der fünften Sinfonie beginnend, nahm ihren Weg über die Professur am Leningrader Konservatorium, die Wahl in den Vorstand der Leningrader Abteilung des Komponistenverbandes und die Komposition des zugänglichen und damit ganz auf der offiziellen Linie stehenden ersten Streichquartetts. Vollständig wurde die Rehabilitation aber erst mit der Verleihung des Stalinpreises, der größten Auszeichnung, die einem Komponisten in der Sowjetunion zuteil werden konnte, im März 1941 für das Klavierquintett, eines der schönsten Werke Schostakowitschs überhaupt. Schostakowitsch persönlich hatte es im November 1940 gemeinsam mit dem Beethoven Quartett mit triumphalem Erfolg uraufgeführt.


    Im Juni 1941 überfiel Deutschland die Sowjetunion. Bald schon wird Leningrad von den deutschen Truppen belagert. Rund zweieinhalb Jahre lang wurde Leningrad systematisch von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Unfassbares Elend war die Folge. Die Menschen erfroren, verhungerten. Von den drei Millionen Einwohnern Leningrads kam jeder dritte um.


    Schon in den ersten Kriegstagen meldete Schostakowitsch sich freiwillig, wurde jedoch nicht genommen. Als Komponist und war er wichtiger. Mit der Konservatoriumsbrigade hob er Schützengräben aus, wurde er als Brandwache eingesetzt.


    Unter fortwährendem Artilleriebeschuss begann Schostakowitsch die Komposition der siebten Sinfonie – der umstrittenen Frage, ob Schostakowitsch die Sinfonie nicht bereits deutlich früher begonnen hat, soll hier nicht nachgegangen werden.


    Bei Krzysztof Meyer heißt es: „Am 19.07 [1942] begann Schostakowitsch seine Arbeit an einer neuen Symphonie, die den Mut des Landes rühmte und dem heroischen Kampf gewidmet war. Es war nahe liegend, dass sich Schostakowitsch bei der Wahl der Gattung für eine Symphonie entschied. Nach Beendigung des Werkes bekannte er: „Ich wollte ein Werk über unsere Menschen schreiben, die in ihrem im Namen des Sieges geführten Kampf gegen den Feind zu Helden werden… Als ich an der neuen Symphonie arbeitete, dachte ich an die Größe unseres Volkes, an seine Heldenhaftigkeit, an die wunderbaren humanistischen Ideen, an die menschlichen Werte, an unsere wunderschöne Natur, an die Menschlichkeit, an die Schönheit… Mein Symphonie Nr. 7 widme ich unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem sicheren Sieg über den Feind und meiner Heimatstadt Leningrad.““


    Im Oktober 1942 wurde Schostakowitsch mit seiner Frau und seinen beiden Kindern aus Leningrad evakuiert und wie andere Künstler auch in den Ural in Sicherheit gebracht. Dort, in Kujbyschew, komponierte er die Sinfonie zu Ende, dort fand am 5. März 1942 die Uraufführung statt. Schnell wurde die siebte Sinfonie zum Symbol des nationalen Widerstands. Es wurde sogar eine Aufführung im belagerten Leningrad organisiert, für die die Orchestermitglieder von der Front zurückbeordert und mit Extrarationen aufgepäppelt wurden. Schostakowitsch erhielt für die Sinfonie, die er der Stadt Leningrad widmete, erneut den Stalinpreis.


    Schostakowitsch hat den einzelnen Sätzen zunächst Namen gegeben (1. Der Krieg, 2. Erinnerungen, 3. Die großen Lebensräume meines Vaterlands, 4. Der Sieg), auf deren Verwendung später jedoch verzichtet. Für die Aufführung der Sinfonie am 29. März 1942 in Moskau schrieb er allerdings ein Programm. Es lautet (von mir übersetzt aus der englischen Fassung im Mrawinsky-CD-Booklet, die im Buch von Blokker/Dearling „The Music of Dmitri Shostakovich, The Symphonies“ wiedergegebene englische Fassung weicht in Einzelheiten ab):


    „Die siebte Sinfonie ist ein programmatisches Werk, inspiriert von den tragischen Ereignissen von 1941. Sie besteht aus vier Sätzen.


    Der erste Satz erzählt von unserem wundervollen, friedlichen Leben, plötzlich unterbrochen durch eine feindliche Kraft, dem Krieg. Ich beabsichtigte nicht, ein naturalistisches Bild der Kampfhandlungen (Summen der Bomber, Rumpeln der Panzer, Kanonenschüsse) zu schaffen. Ich komponierte kein Schlachtengemälde.


    Die Exposition des ersten Satzes beschreibt die Fröhlichkeit des Volkes, zufrieden mit sich und zuversichtlich bzgl. der Zukunft. Es ist ein einfaches friedliches Leben, welches Tausende von Leningradern, welches die ganze Stadt, welches das ganze Land vor dem Krieg gelebt hat.


    Das Kriegsthema durchläuft die gesamte mittlere Episode.


    Die zentrale Stelle im ersten Satz wird von einem Trauermarsch eingenommen, oder, genauer, von einem Requiem für die Opfer des Krieges. Das sowjetische Volk hält die Erinnerung an ihre Helden in Ehren. Dem Requiem folgt eine noch tragischere Episode. Ich weiß nicht, wie ich diese Musik beschreiben soll. Vielleicht spricht sie von den Tränen der Mütter oder sogar von dem Kummer, der so groß ist, dass keine Tränen mehr übrig sind. Nach einem langen Fagott Solo, das die geliebten Toten betrauert, kommt ein optimistisches und lyrisches Finale des ersten Satzes. Ganz am Ende des ersten Satzes allerdings taucht das Kriegsthema noch einmal auf, sich selbst und die weiteren Kämpfe zurück ins Gedächtnis bringend


    Der zweite Satz ist ein sehr lyrisches Scherzo. Dies sind Erinnerungen an angenehme Ereignisse, fröhliche Episoden. Ein zarter Hauch von Traurigkeit und Verträumtheit umgibt das alles.


    Der dritte Satz ist ein pathetisches Adagio. Die Wertschätzung des Lebens, die Verehrung der Natur – dies sind die Ideen des dritten Satzes. Der dritte Satz geht ohne Unterbrechung in den vierten über.


    Wie der erste, ist der vierte Satz für das Werk besonders wichtig. Der erste Satz ist der Kampf, der vierte Satz ist der nahende Sieg. Der vierte Satz beginnt mit einer kurzen Einleitung gefolgt von der Darlegung des ersten Themas, lebhaft und aufgewühlt. Dann tritt das zweite Thema auf – ein majestätisches. Dieses zweite Thema ist die Apotheose der gesamten Komposition. Die Apotheose entwickelt sich in Ruhe und mit Zuversicht, wird kraftvoll und majestätisch am Ende…[Es folgen Ausführungen über die Rolle der Künstler, die hier nicht interessieren]“


    Wir heutigen Leser wissen, dass von den von Schostakowitsch zu Beginn des Programms beschworenen ruhigen und friedlichen Zeiten vor dem Kriege keine Rede sein konnte. Das bedeutet aber nicht, dass das Programm auch im Übrigen falsch sein muss. Im Gegenteil halte ich dieses Programm mit Abweichungen im Einzelnen nach wie vor für den besten Leitfaden zur siebten Sinfonie. Wir werden sehen warum.


    2. Werkbeschreibung


    Die 7. Sinfonie op. 60 besteht aus vier Sätzen und dauert insgesamt etwa 75 Minuten.


    1. Satz


    Der erste Satz beginnt in kraftvollem C-Dur. Das von den Streichern intonierte, von den Holzbläsern sogleich wiederholte (0:25, Anm.: Die Zeitangaben betreffen wie stets die Barshai-Aufnahme) Thema beherrscht stark und voller Selbstvertrauen für eine Weile das Feld. Nicht überhört werden sollte allerdings das von zwei Trompeten und einer Pauke im Forte gespielte „daa dadadam“-Motiv (4 Mal die Note C: eine Achtel-, zwei Sechzehntel- und eine Viertel-Note) unmittelbar nach der achten Note der Sinfonie, das noch eine wichtige Rolle spielen wird. Bei 1:31 beruhigt sich die Musik, wird der Orchesterapparat stark zurückgenommen. Ein Flötensolo ist zu hören. Streicher, Holzbläser und schließlich die Solovioline spielen lyrische Weisen. Es herrscht die oben im Programm beschriebene schöne, friedliche Stimmung vor dem Krieg


    Bereits an dieser Stelle der Sinfonie kommt es zum Schwur. Wenn wir Schostakowitsch wörtlich nehmen, gibt es keine verlogenere Stelle in Schostakowitschs Schaffen als diese. Wir wissen, wie sehr Schostakowitsch unter Stalin gelitten hat. Wir haben insbesondere am Ende der fünften Sinfonie gesehen, wie Schostakowitsch mittels Doppelbödigkeit gelernt hat, mit seiner Situation umzugehen. Hier aber, zu Beginn der siebten Sinfonie gibt es diese Doppelbödigkeit nicht. Hier ist alles echt. Behauptet Schostakowitsch also tatsächlich, ohne Ironie und doppelten Boden, die Zeit vor dem Kriege sei schön gewesen?


    Das tut er nicht. Bei Wolkow heißt es:


    „Der Krieg brachte unsagbares Leid und Elend. Das Leben wurde sehr, sehr schwer. Es gab unendlich viel Kummer, unendlich viel Tränen. Doch vor dem Krieg war es noch schwerer, weil jeder mit seinem Leid allein war. Schon vor dem Krieg gab es in Leningrad sicherlich kaum eine Familie ohne Verluste: der Vater, der Sohn, und wenn es kein Angehöriger war, dann ein naher Freund. Jeder hatte um jemanden zu weinen. Aber man musste leise weinen, unter der Bettdecke. Niemand durfte es merken. Jeder fürchtete jeden. Der Kummer erdrückte, erstickte uns. Er würgte alle, auch mich. Ich musste ihn in Musik umsetzen. Ich musste ein Requiem schreiben für alle Umgekommenen, für alle Gequälten. Ich musste die furchtbare Vernichtungsmaschinerie schildern und den Protest gegen sie zum Ausdruck bringen… Da kam der Krieg. Der heimliche, der isolierte Kummer wurde zum Kummer aller. Man durfte über ihn sprechen, man konnte offen weinen, offen die Toten beklagen. Die Menschen brauchten sich nicht mehr vor Tränen zu fürchten… Das Recht auf Kummer ist ein Privileg. Es wird nicht jedem und nicht ein für allemal erteilt…. Erst mit der Siebten begann ich wieder zu leben. Sie entstand im Krieg, als wir wieder miteinander sprechen konnten. Wir hatten es schwer, dennoch atmeten wir leichter… Anna Achmatova schrieb ihren Gedichtzyklus Requiem. Die Siebte und die Achte sind mein Requiem.“


    Diese Aussagen machen deutlich, dass der Beginn der Sinfonie anders als in dem Programm geschildert zu verstehen ist. Ja, geschildert wird eine glückliche Zeit. Diese glückliche Zeit ist aber nicht jene vor dem Angriff der Deutschen, sondern es ist jene vor dem Beginn des Kummers und der Tränen, jene vor dem Einsetzen der furchtbaren Vernichtungsmaschinerie. Es ist nach meinem Verständnis die Zeit vor Stalin, von der an dieser Stelle der Sinfonie idealistisch, ja, arkadisch übersteigert erzählt wird.


    Hingewiesen sei darauf, dass Blokker und Dearing in dem oben erwähnten Buch den Anfang anders verstehen. Sie verweisen darauf, dass die Anfangsmusik nicht mächtig klingt, sondern zwar erdgebunden, aber eben auch frustriert und belegen das damit, dass die Musik bereits im sechsten Takt das Anfangsmotiv wiederholte, so als ob die Musik statisch wäre, unfähig sich zu entwickeln. Mich überzeugt das nicht.


    Zurück zum Geschehen in der Sinfonie: In die lyrischen Klänge der Solovioline hinein erklingt von ferne eine einen militärischen Rhythmus spielende Trommel (5:44). Dieser Rhythmus wird die nun folgende „Invasionsepisode“ fortwährend begleiten. Auf seiner Grundlage wird sich der Marsch in einem gewaltigen Crescendo entfalten.


    Nach meinem Verständnis geht es bei dieser so genannten „Invasionsepisode“ nicht um die Invasion der Deutschen. Schostakowitsch schrieb bezüglich der „Invasionsepisode“ in seinem Programm von einer feindlichen Kraft, dem Krieg, dem Kriegsthema, aber eben auch von einem Trauermarsch, der die zentrale Stelle im ersten Satz einnehme und, genauer, ein Requiem für die Opfer des Krieges sei.


    Er schrieb nicht von den angreifenden Deutschen. Die angreifenden Deutschen, die Faschisten können es nicht sein. Gojowy macht dies in der rororo-Biographie überzeugend deutlich. Warum sollte den Deutschen ausgerechnet das faszinierendste Thema der gesamten Sinfonie zugeordnet werden? Und vor allem: Warum gibt es kein ebenso starkes bzw. noch stärkeres „russisches“ Gegenthema? Gojowy weist dann auch auf die sowjetische Kritik aus 1948 hin, die den Finger eben in diese Interpretations-Wunde legt, allerdings nur vor dem Hintergrund des falschen Verständnisses der „Invasionsepisode“ stringent ist: „Kräfte, die diesem faschistischen Affenmarsch entgegengesetzt würden, gibt es in der Musik von Schostakowitsch nicht… Mit dem faschistischen Marsch kollidiert nur die Verzweiflung am Widerstand, was dann zu einer tragischen Kulmination führt. Die Kraft, die dem faschistischen Thema entgegengestellt wird, müsste sich in dieser Sinfonie aus Melodien des russischen Volkes und anderer Völkerschaften der UdSSR zusammensetzen, um so die Kraft und das Vermögen des sowjetischen Volkes auszudrücken.“


    Ja, auch ich sehe vor meinem geistigen Auge marschierende Soldaten, wenn ich die „Invasionsepisode“ höre. Nur ist es vor meinem geistigen Auge einerlei, welcher Nationalität die Soldaten sind, sind die Soldaten die Opfer. Nach meinem Verständnis handelt es sich bei der „Invasionsepisode“ nicht um eine Anklage gegen die Deutschen, sondern um eine Anklage gegen den Krieg als solchen. Ich sehe Soldaten, die zu den begleitenden Klängen in Massen sinnlos in den Tod gehen Ich werde erinnert an die Schreckensbilder aus dem Ersten Weltkrieg, werde erinnert an das Ende des „Zauberbergs“ von Thomas Mann, wo es heißt:


    „Sie werfen sich nieder vor anheulenden Projektilen, um wieder aufzuspringen und weiterzuhasten, mit jungsprödem Mutgeschrei, weil es sie nicht getroffen hat. Sie werden getroffen, sie fallen, mit den Armen fechtend, in die Stirn, in das Herz, ins Gedärm geschossen Sie liegen, die Gesichter im Kot, und rühren sich nicht mehr. Sie liegen, den Rücken vom Tornister gehoben, den Hinterkopf in den Grund gebohrt, und greifen krallend mit ihren Händen in die Luft. Aber der Wald sendet neue, die sich hinwerfen und springen und schreiend oder stumm zwischen den Ausgefallenen vorwärts stolpern.“


    Sie alle laufen ins Grab. Die „Invasionsepisode“ schildert, um es mit den Worten Schostakowitschs zu sagen, eine furchtbare Vernichtungsmaschinerie.


    Wie aber funktioniert diese „Invasionsepisode“, dieses Crescendo nach Art des Bolero musikalisch?


    Zwölf Mal wird dieselbe Melodie wiederholt, bei jeder Wiederholung stärker instrumentiert, bei jeder Wiederholung lauter. Die Wiederholungen werden jeweils voneinander abgegrenzt durch ein aus zwei Mal fünf Noten bestehendes 10-Ton-Motiv, das ebenfalls mit der Zeit stärker instrumentiert und lauter wird.


    In der ersten Runde spielen die Streicher ab 5:51 pizzicato die Melodie, ab 6:26 ebenfalls pizzicato das 10-Ton-Motiv (Es geht hier um das Verständnis der Entwicklung, nicht um die Vorgehensweise im Einzelnen. Ich werde hier daher nur Wesentliches erwähnen, auf die genauere Unterteilung in der Art von erste Geigen arco, aber secco, zweite Geigen, col legno, Violas pizzicato verzichten).


    In der zweiten Runde wird die Melodie von der Soloflöte gespielt (6:34), das 10-Ton-Motiv abermals von den Streichern pizzicato.


    In der dritten Runde spielen Flöte und Piccoloflöte die Melodie (7:16), die Streicher wiederum pizzicato das 10-Ton-Motiv.


    Vor Beginn der vierten Runde tritt ein neues Thema hinzu. Wir erinnern uns an das Anfangs- „daa dadadam“. Hier ist es, allerdings in etwas veränderter Form: „dum daa dadumdum“ Auch dieses Motiv wird uns fortan begleiten, auch dieses Motiv wird wachsen und stärker werden.


    In der vierten Runde spielen Oboe und Fagott abwechselnd die Melodie (7:59), das 10-Ton-Motiv wird wieder pizzicato von den Streichern gespielt.


    In der fünften Runde spielen gedämpfte Trompete und Posaune die Melodie (9:15), das 10-Ton-Motiv wird erneut pizzicato von den Streichern gespielt. Das „dum daa dadumdum“, mittlerweile auch vom Klavier gespielt, ist nun deutlicher zu hören.


    In der sechsten Runde (9:56) wird die Melodie als Kanon von den Klarinetten einerseits und Oboe und Englischhorn andererseits gespielt. Das 10-Ton-Motiv ertönt abermals pizzicato in den Streichern (10:29).


    In der siebten Runde wird die Melodie von den Violinen gespielt (10:37), das 10-Ton-Motiv wird von den Streichern erstmals nicht pizzicato, sondern normal gespielt (11:10).


    In den weiteren Runden treten nach nunmehr bekanntem Muster zunehmend Instrumente hinzu, auch das „dum daa dadumdum“ wird immer lauter. Besonders eindrucksvoll ist das Hinzutreten des Xylophons bei 11:57. Ab 12:37 ist ein neues 4-Ton-Motiv zu hören – fast wäre die Bezeichnung Geräusch besser –, das man als Sirenenklang auffassen kann.


    Die zwölfte Wiederholung schließlich wird nicht zu Ende gespielt. Vielmehr greift ein neues Motiv in das Geschehen ein – die Experten streiten, ob es wirklich neu ist, oder ob es sich um einer Art Umkehrung des Marschmotives handelt – Das Marschthema versucht, die Oberhand zu behalten. Das Geschehen wogt in höchster Lautstärke chaotisch Hin und Her. Es tobt der Krieg. Das Marschthema wird atemlos (die Viertel werden zu Achtel, dann zu Triolen), wird zunehmend fragmentarisch. Das Xylophon macht schrille Einwürfe. Bei 16:32 endet dieser Abschnitt – und nach über zehn Minuten auch der grundierende militärische Trommelrhythmus, das Kriegsthema, der Kampf – mit einem Schlag auf den großen Gong, gefolgt von einer Aufwärtsskala und einem furchtbaren Aufschrei (16:38 ).


    Wie hieß es in dem Programm: „Dem Requiem folgt eine noch tragischere Episode. Ich weiß nicht, wie ich diese Musik beschreiben soll. Vielleicht spricht sie von den Tränen der Mütter oder sogar von dem Kummer, der so groß ist, dass keine Tränen mehr übrig sind.“ Mehr noch als bloßer Kummer ist zu hören. Furchtbares Entsetzen drückt die Musik in meinen Ohren aus. In der Tat, hier gibt es keine Tränen mehr. Über jenes Stadium ist das zu hörende Grauen weit hinaus.


    Erst bei 18:42 kommt die Musik allmählich zur Ruhe. Ein Flötensolo ist zu hören, erst noch etwas zügig, dann zunehmend beruhigt und leidvoll-schön. Ab 20:08 ist das lange Fagott Solo zu hören, das nach dem obigen Programm die geliebten Toten betrauert. Beachtenswert ist die Begleitung. An dieser Stelle, nach dem Erlebten gibt es keine heile Musik mehr, sondern nur noch gebrochene, kaputte Rhythmen.


    Bei 22:14 bringen die Hörner zwei Mal das „da dadadam“-Motiv in Erinnerung. Die Streicher versuchen sich, an den Anfang der Sinfonie anknüpfend, an einem lyrischen Aufschwung, der aber durch Dissonanzen gestört wird. Abermals erklingt zwei Mal das „da dadadam“-Motiv. Erneut setzen lyrische Bemühungen ein. Aber auch hier enden sie mit einem letztmaligen „da dadadam. Es folgt leise das nochmalige Erklingen des Militärmotivs in den Trommeln. „Ganz am Ende des ersten Satzes allerdings“, so schreibt Schostakowitsch, „taucht das Kriegsthema noch einmal auf, sich selbst und die weiteren Kämpfe zurück ins Gedächtnis bringend.“


    2. Satz


    Vorbemerkung: Das Problem der siebten Sinfonie ist das Missverhältnis zwischen dem ersten und den folgenden Sätzen. Die Sinfonie hat Schlagseite, hat jemand mal treffend formuliert. Tatsächlich stellt sich die Frage, was nach diesem gewaltigen ersten Satz noch folgen soll? Ursprünglich gedacht hat Schostakowitsch daran, die Sinfonie einsätzig zu belassen und mit einem Chorfinale zu beenden. Ob das besser gewesen wäre? Wohl nicht. Nach dem gewaltigen Crescendo des ersten Satzes muss etwas Ruhiges, Leises, Trauriges als Gegenpart folgen. Hätte Schostakowitsch den ersten Satz auf dem Höhepunkt der Spannung abrupt beendet und dann einen zweiten Satz, angefüllt mit der Trauer und Trostlosigkeit des Fagottsolos vom Ende des ersten Satzes folgen lassen, wäre die Wirkung der Sinfonie noch größer gewesen, denke ich. Hat er aber nicht. Was er getan hat, ist Folgendes:


    Die Trauer „packt“ Schostakowitsch ans Ende des ersten Satzes (Fagottsolo). Zu Beginn des zweiten ist sie also schon „abgearbeitet“, was den Weg frei macht zu Erinnerungen an angenehme Ereignisse, fröhliche Episoden (s. das Programm). Entsprechend beginnt der zweite Satz, der symmetrisch aufgebaut ist, gar nicht so langsam, wie man erwarten könnte, sondern mit beschwingten Streichern. Ab 1:26 beschwört die Oboe eine sehr, sehr schöne Erinnerung, umgeben von einem zarten Hauch von Traurigkeit. Die Streicher kehren zurück, spielen ihr schönes Lied, musizieren schließlich pizzicato vor sich hin, bis, ja bis bei 4:21 der Schalk in Schostakowitsch zum Vorschein kommt, der es wohl nicht leiden konnte, ein Scherzo ohne Groteske zu komponieren: Die Es-Klarinette bricht mit einem ordinären Walzerthema in die Stimmung hinein – ich kann mir nicht helfen, muss immer an: "(Den) Schnee-, Schnee-, Schnee-, Schnee-(Walzer tanzen wir...)" denken. Dieser Gedanke an den Schneewalzer singende, an tanzende Soldaten, die Assoziation mit den surfenden Soldaten im Film Apocalypse Now trifft das Gemeinte, denke ich. Die Blechbläser, das Tamburin, das Xylophon, das Klavier stimmen ein. Sogar ein Marsch – der Gedanke an die unter Stalin ständigen Paraden liegt nahe – und bei 5:20 ein Xylophonsolo sind zu hören. Bei ca. 6:35 ist der Mittelteil vorbei. Der Rückweg (symmetrischer Aufbau) beginnt. Die Streicher spielen wieder ihr Lied Ab 7:22 erklingt erneut die Oboenmelodie, dieses Mal allerdings gespielt von der Bassklarinette, begleitet von drei Flöten (eine davon eine Altflöte) und einer Harfe – Klangzauberer Schostakowitsch! Ein kurzes Klarinettensolo folgt und mit den Streichern vom Beginn endet der Satz.


    3. Satz


    Wie der dritte Satz zu verstehen ist, wird nur selten thematisiert. Wenn überhaupt – in der Regel wird nur über den ersten Satz, und da auch nur über die Bedeutung der Invasionsepisode diskutiert – liest man eine bloße Beschreibung des musikalischen Geschehens. Schade, finde ich.


    Nun wurde ich in der Schostakowitsch-Reihe bereits mehrfach für meine Neigung gerüffelt, das musikalische Geschehen mit (konkreten) Bedeutungen zu verbinden – von hier aus ein schöner Gruß an Aladdin! Die vorgebrachten Einwände habe ich nicht vergessen. Hier aber, bei der siebten Sinfonie, drängt sich die Frage nach der außermusikalischen Bedeutung meines Erachtens geradezu auf. Hat Schostakowitsch für diese Sinfonie doch ein konkretes Programm geschrieben und steht doch außer Frage, dass der erste Satz und auch der vierte etwas bedeuten, was nahe legt, dass es so auch beim dritten ist. Die Frage lautet daher nur: „Was bedeutet der dritte Satz?“


    Der zeitweise Titel des dritten Satzes hilft nicht weiter. Was, bitte, ist unter den „großen Lebensräumen“ von Schostakowitschs Vaterland zu verstehen? Das Programm wird da schon konkreter: „Der dritte Satz ist ein pathetisches Adagio. Die Wertschätzung des Lebens, die Verehrung der Natur – dies sind die Ideen des dritten Satzes.“ Erinnert sei darüber hinaus an die oben aus der Biographie Meyers zitierte Passage: „…Als ich an der neuen Symphonie arbeitete, dachte ich an die Größe unseres Volkes, an seine Heldenhaftigkeit, an die wunderbaren humanistischen Ideen, an die menschlichen Werte, an unsere wunderschöne Natur, an die Menschlichkeit, an die Schönheit…“


    Worum es geht, macht meines Erachtens der Beginn des dritten Satzes sehr schnell deutlich: Es erklingt ein – von Holzbläsern und Harfe gespielter, streng und leidvoll klingender – Choral, der sofort Assoziationen an die Sphäre des kirchlichen entstehen lässt. Bei 0:30 erklingt dann ein sehr tragisches, leidvoll verzweifelt klingendes Violinrezitativ, bei 1:15 wieder der Choral, bei 1:51 erklingen erneut die verzweifelten Geigen. Zu hören ist also ein Dialog. Die Frage stellt sich, wer die Beteiligten dieses Dialoges sind.


    Für mich klar ist, dass das Violinrezitativ für das Leid des Einzelnen steht, für das unter dem Krieg und seinen Folgen leidende Individuum, für den an der menschlichen Dummheit und Gewalt leidenden Menschen.
    Der Choral kann demgegenüber für Vieles stehen: für die Kirche, für die Idee des Humanismus, für die Menschlichkeit, für Gott.


    Nur probeweise und aus Gründen der Plastizität schlage ich vor: Der Choral steht für Gott. Gehen wir mit dieser Idee also den dritten Satz durch und stellen uns vor:
    Ein vom Krieg gezeichneter Mensch, z. B. ein Vater, der seinen Sohn verloren hat, hört in seiner Seele die Stimme Gottes zu ihm sprechen (den Anfangschoral). Der Mensch will davon nichts hören, klagt sein Leid (das Violinrezitativ ab 0:30). Gott spricht weiter zu ihm (erneut der Choral bei 1:15). Noch immer wird der Mensch nicht erreicht (erneut die Violinen, 1:51). Dann aber, langsam, beginnt das Wort Gottes seine Wirkung zu tun (Überleitung ab 2:15, die Streicher beruhigen sich). Der Mensch hört der Stimme Gottes zu (2:47: tiefe Holzbläser, gewissermaßen der Choral im Sprechton). Gott sagt dem Menschen, er solle nicht verzweifeln. Siehe, die Welt ist schön. Er zeigt ihm einen unbeschwert umherfliegenden Vogel als Sinnbild für die Wertschätzung des Lebens (3:39:Flötensolo). Der Mensch ist bereit, anzunehmen. Er traut sich, an das Schöne zu glauben. Er traut sich, die Erdenschwere zu verlassen, mit dem Vogel zu fliegen (4:24: zweite Flöte, Duett). Er singt selbst das Lied der Schönheit, der Liebe (5:18: Die Violinen spielen das Flötenthema!!!). Dann aber, plötzlich, holt ein Schuss den Menschen zurück in die Wirklichkeit (7:24). Der Krieg ist wieder da. Der Mensch aber will nicht mehr mitmachen. Er begehrt auf. Er marschiert für seine Ideale (8:39: Die Trommel aus dem ersten Satz spielt wieder, dieses Mal aber nicht das destruktive Militärmotiv des ersten Satzes, sondern eines, das eher nach Aufbruch klingt. Bei 9:39 ertönt die Choralmelodie in den Bläsern. Bei 9:58 spielen die Trompeten ein heroisches Motiv). Die Anstrengung des Menschen ist aber noch nicht stark genug. Der Marsch erreicht nicht die Stärke desjenigen aus dem ersten Satz. Folgerichtig stellen sich in den Streichern Zweifel ein. Der Vogel singt nicht mehr (11:23: Die Flöte klingt nicht mehr schön. Bei 13:44 und 14:44 – und zuvor, ich habe die Zeit nicht notiert – kommen jeweils zweimalige Einwürfe, die wie Fragezeichen klingen). Der Mensch glaubt nicht mehr an seine Ideale von eben (15:15: Das Streicherrezitativ kehrt zurück). Es war nur ein schöner Traum. Die Wirklichkeit holt den Menschen ein. Die Idee des Göttlichen (= des Humanen, des Schöngeistigen) steht wieder im Schatten (17:35: Der Choral kehrt zurück. Er klingt nicht mehr liturgisch, sondern abgedunkelt, wird gespielt von der ordinären Klarinette).


    Und jetzt beenden wir diesen Versuch und stellen dringend klar: Keinesfalls sollte das soeben Geschriebene dahingehend verstanden werden, als handele es sich um die richtige Deutung des dritten Satzes. Ich bin überzeugt, es ist nicht die Richtige, es gibt keine Richtige. Nur hat Schostakowitsch eben geschrieben: „Die Wertschätzung des Lebens, die Verehrung der Natur – dies sind die Ideen des dritten Satzes.“ Meine Hoffnung ist, dass man sich dem Sinn des dritten Satzes über meine „Geschichte“ nähern kann. Meine Empfehlung lautet, den dritten Satz einmal parallel zu meiner „Geschichte“ zu hören, die Geschichte dann wieder zu vergessen und den Satz dann noch einmal zu hören. Vielleicht, so hoffe ich, ist man dem Gemeinten dann näher.


    4. Satz


    „Der vierte Satz beginnt mit einer kurzen Einleitung gefolgt von der Darlegung des ersten Themas, lebhaft und aufgewühlt. Dann tritt das zweite Thema auf – ein majestätisches. Dieses zweite Thema ist die Apotheose der gesamten Komposition. Die Apotheose entwickelt sich in Ruhe und mit Zuversicht, wird kraftvoll und majestätisch am Ende“, heißt es in Schostakowitschs Programm.


    Richtig, möchte ich nur sagen und hinzufügen, dass der vierte Satz am meisten Spaß bringt, wenn man ihn so richtig laut hört.


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    Abschließend stellt sich die Frage, wie das oben wiedergegebene Verständnis von der „Invasionsepisode“ in Einklang zu bringen ist, mit dem im vierten Satz unzweifelhaft geschilderten Sieg?


    Eine mögliche Antwort könnte lauten, dass nicht gemeint ist der Sieg im konkreten Krieg gegen die Deutschen, sondern der Sieg des Humanismus, des menschlichen Fortschritts über die Geißel des Krieges, über die menschliche Brutalität und Gewalttätigkeit.


    Für überzeugender halte ich jedoch die Erklärung, dass es in der siebten Sinfonie keine absolute Stringenz gibt. Schostakowitsch hatte beim Verfassen der Sinfonie zwei Seelen in seiner Brust. Die eine war die von Stalin unterdrückte, die, welche Schostakowitsch (nach Wolkow) sagen ließ:


    „Der Kummer erdrückte, erstickte uns. Er würgte alle, auch mich. Ich musste ihn in Musik umsetzen. Ich musste ein Requiem schreiben für alle Umgekommenen, für alle Gequälten. Ich musste die furchtbare Vernichtungsmaschinerie schildern und den Protest gegen sie zum Ausdruck bringen.“
    Diese Seele führte dazu, dass Schostakowitsch sich mit der siebten Sinfonie nicht allein gegen die faschistische Gewalt, sondern gegen jegliche totalitäre Gewalt, auch die stalinistische wandte.


    Die andere Seele in Schostakowitschs Brust war jene, die zu dem belagerten Russen Schostakowitsch gehörte, zu jenem Patrioten, der sich freiwillig meldete, um sein trotz Stalin geliebtes Russland gegen die Angreifer zu verteidigen. Ohne jeden Zweifel wollte Schostakowitsch den Sieg, wollte er die Belagerung Leningrads beenden, wollte er seinen Landsleuten mit seiner Musik Mut machen.


    Diese Seele führte dazu, dass es am Ende eben doch ganz konkret um den Sieg im Krieg geht.



    3. Interpretationen auf CDs


    Zunächst sei auf die unter folgendem link zu findende Zusammenstellung (http://develp.envi.osakafu-u.a…kudo/dsch/work/sym7e.html) hingewiesen.
    Ich besitze folgende CDs:


    Barshai, WDR Sinfonie-Orchester, Brilliant, 1992, aus der Gesamtaufnahme
    Jansons, Leningrad Philharmonic Orchestra, EMI, 1988, aus der Gesamtaufnahme
    Kondrashin, Moscow Philharmonic Orchestra, Melodiya, 1975, aus der Gesamtaufnahme
    Mravinsky, Leningrad Philharmonic Orchestra, Melodiya, 1953


    Beim aktuellen Hörvergleich habe ich mich auf den ersten Satz beschränkt.


    Mrawinskij, die Aufnahme mit der deutlich schlechtesten Tonqualität, beginnt nicht majestätisch, nicht stark, sondern halbherzig. Es ist, als traute Mrawinskij, dem selbstbewussten Anfang nicht, als weigerte Mrawinskij sich, die Herrlichkeit der Zeit vor dem Krieg zu besingen. Der anschließende lyrische Teil wird dazu passend ebenfalls nicht lyrisch gespielt. Der dunkle, raue Klang der Flöte passt nicht zu der zu spielenden Süße. Auch rein technisch betrachtet spielt der Soloflötist nicht in derselben Liga wie die Flötisten der Konkurrenzaufnahmen. Die Solovioline klingt ebenfalls nicht süß, sondern dünn. Es stellt sich die Frage: Ist dies gewollt, quasi als Nichtmitmachen der offiziellen Auffassung zurzeit vor dem Krieg oder ist das nicht besser gekonnt? Ich vermute, letzteres ist der Fall, da sich die Mängel fortsetzen. Zu Beginn der Invasionsepisode sind die Pizzicati uneinheitlich, also unsauber gespielt. Die Soloflöte in der zweiten Wiederholung klingt für meine Ohren an dieser Stelle viel zu warm, die Piccoloflöte in der dritten Wiederholung pfeift. An der Konzeption der Invasionsepisode fällt die extreme Nutzung unterschiedlicher Tempi auf. Mehr als alle anderen ist Mrawinsky anfangs sehr langsam, gegen Ende hin dann sehr schnell. Mir gefällt das nicht. Der Marsch verliert dadurch an Bedrohlichkeit. Es gibt hier keinen gewaltigen Schub, kein Gefühl der Unaufhaltsamkeit, keine Urgewalt, sondern der Marsch wirkt am Ende nur noch gehetzt, irrwitzig. Die unpassende Assoziation des zu schnellen Karussell-Fahrens stellt sich ein. Der Aufschrei packt mich folgerichtig auch nicht. Er ist nur laut. Die Bleichbläser, das sei lobend erwähnt, klingen schneidig und beißend. Den Bläsersoli im dritten Abschnitt des ersten Satzes kommt der körnige Klang der Holzbläser allerdings sehr zu Gute. Insbesondere das Fagottsolo klingt wunderbar wehmütig. Fazit: Diese Aufnahme ist eine Riesenenttäuschung. Stünde nicht Mrawinskij drauf, würde ich denken, der Dirigent ist drittklassig.


    Kondrashins Aufnahme ist merkwürdig. Beim ihm klingt alles richtig, alles gut bis sehr gut, nichts aber bleibt wirklich hängen. Während des Hörens machte ich mir Notizen. Fast immer steht nur: ja, richtig, genau. Positiv aufgefallen sind mir die Streicher und Holzbläser im anfänglichen lyrischen Thema. Hier, und nur hier, wird die Lyrik begleitet von einem Hauch Wehmut. Das hat mir außerordentlich gut gefallen. Die Invasionsepisode vermag mich nicht zu begeistern. Die Trommel, fällt mir auf, hat Schwierigkeiten mit dem Gleichmaß des grundierenden Rhythmusses. Das Marschthema ist durchweg sehr bestimmend, die Nebenthemen gehen ein wenig unter. Der Höhepunkt ist gut. Das Kreischen der Blechbläser fällt positiv auf. Beim Aufschrei allerdings ist der Gong fast nicht zu hören. Im letzten Abschnitt der Sinfonie gelingt das Fagottsolo sehr schön. Auffällig deutlich wird hier die Abgehacktheit der Begleitung herausgearbeitet. Mein Fazit lautet: Nicht Fisch noch Fleisch. Sicher eine deutlich bessere Aufnahme als die von Mrawinskij. Aber für eine Spitzenaufnahme fehlt mir doch zu viel. Die Aufnahme fesselt mich nicht, ist nicht packend.


    Barshai ist mein persönlicher Favorit. Der Anfang ist machtvoll und kraftstrotzend. Auch die Bläser spielen mit Nachdruck. Die hervorragende Durchhörbarkeit der Aufnahme kommt der Invasionsepisode sehr zugute. Hervorragend lässt sich hier das musikalische Geschehen verfolgen. Man hört jede Einzelheit. Auch Barshai wird im Laufe dieses gewaltigen Crescendos schneller, aber maßvoll. Er erreicht die gewaltige Wirkung des Marsches vor allem durch eine Erhöhung der Intensität, des Druckes. Während Mrawinsky nur schneller wird, ist es bei Barshai, als würde er den Turbo einschalten. Der Schub, der hier entfaltet wird, die Kraft, die von dem Marsch ausgeht, ist überwältigend. Eins Plus, kann ich nur sagen. Der Hochdruck, der Kondrashin nachgesagt wird, hier wird er erreicht. Und das Beste ist: Der Hochdruck wird auch gehalten! Die gesamte Episode bis zum Gong ist geprägt von permanentem Hochdruck, von grauenvollem Entsetzen unter beständiger Hochspannung. FANTASTISCH! Selbstredend ist hier auch der Gong deutlich zu hören. Nach der Beruhigung lohnt es sich, auf das Flötensolo zu hören. Bei Barshai klingt es zunächst gehetzt, atemlos. Erst nach einiger Zeit wird es schön. Fazit: Diese Aufnahme ist mein klarer Favorit. Bei bester Tonqualität ist sie sehr packend und unglaublich gut. Ich muss anmerken, dass ich die Aufnahmen von Roshdestwenskij, Berglund und Svetlanow nicht kenne. Möglicherweise sind jene ja tatsächlich noch packender. Mal sehen, vielleicht bestelle ich sie mir noch.


    Jansons legt ebenfalls eine Spitzenaufnahme vor. Alles wird sehr sauber gespielt, wirkt aber im Vergleich zu den anderen Einspielungen stets um einen Gang zurückgenommen. Die lyrische Episode zu Beginn ist wunderschön. Die Sologeige klingt süß und zart, wie es schöner nicht geht. Dynamisch ist die lyrische Episode ebenfalls hervorragend. Jansons Spiel mit der Lautstärke ist wundervoll. Der Übergang von der Solovioline zum Marschthema gelingt ebenfalls großartig. Bei den anderen Einspielungen ist die Trommel plötzlich einfach da. Jansons gestaltet den Auftritt der Trommel. Bei ihm ist sie nicht plötzlich da, sondern nähert sie sich langsam, wie aus der Ferne. Die Invasionsepisode wird sehr sauber, sehr schön gespielt. Allerdings klingt die Musik nie, auch nicht in den größten Kämpfen dreckig oder hässlich, immer nur schön. Spannung hat die Aufnahme trotzdem. Auch das Fagottsolo am Ende klingt nicht tieftraurig, sondern schön. Fazit: Eine sehr gute Aufnahme, empfehlenswert für all jene, die raue Töne nicht mögen. Ich selbst greife regelmäßig zu Jansons, höre seine Aufnahme gern. Dies vor allem auch deshalb, weil die Sätze zwei und drei bei Jansons äußerst gelungen sind."


    Soweit mein damaliger Beitrag, den ich hier im Wesentlichen unbearbeitet einstelle - obwohl z. B. nicht mehr richtig ist, dass ich "nur" vier Aufnahmen besitze. Angemerkt sei, dass mir beim Verfassen dieses Beitrags die Partitur nicht vorlag, so dass ich für einzelne Ungenauigkeiten bei der Beschreibung des Geschehens insbesondere im ersten Satz um Nachsicht bitte.


    Viele Grüße und vor allem viel Spaß beim Hören wünscht
    Thomas

  • Hallo!


    Ich habe die 7. Sinfonie bewusst zum ersten Mal im Wiener Musikverein gehört, ohne das Werk und seinen Zusammenhang vorher zu kennen.


    Es war das Konzert mit dem Königlichen Concertgebouworchester Amsterdam unter Mariss Jansons. Für mich war das Konzert ein Erlebnis!Im großen und ganzen erfasste ich die Geschichte der Sinfonie. Für mich ein Erfolgserlebnis.



    Als CD würde ich, da ich Janssons schon gehört habe und diese Aufnahme auch von Edwin gelobt wurde, empfehlen.


    lg,
    Franz

    Sagt nicht:"Ich habe die Wahrheit gefunden", sondern:"Ich habe eine Wahrheit gefunden." (Khalil Gibran; Der Prophet, dtv, 2002)

  • Zitat

    Original von Pius


    Ich suche für den Anfang keine Spitzenaufnahme, aber zumindest eine, die das Prädikat "OK" verdient. Ist das hier der Fall oder sollte ich die auch zum Einstieg lieber lassen?


    Servus Pius, hoffe, man sieht sich heute,


    das Prädikat OK kann man der Haitink-Aufnahme auf jeden Fall aufstempeln. War auch eine meiner ersten Schostakowitsch-CDs.
    Wie Thomas N würde ich auch gleich zum Barshai-Zyklus raten.
    Rostropowitsch als Schostakowitsch-Dirigent wäre wahrscheinlich auch kein Fehlgriff: (muß mal lesen, was dazu hier geschrieben wurde)


  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt


    Nach meinem Verständnis geht es bei dieser so genannten „Invasionsepisode“ nicht um die Invasion der Deutschen. Schostakowitsch schrieb bezüglich der „Invasionsepisode“ in seinem Programm von einer feindlichen Kraft, dem Krieg, dem Kriegsthema, aber eben auch von einem Trauermarsch, der die zentrale Stelle im ersten Satz einnehme und, genauer, ein Requiem für die Opfer des Krieges sei.


    Thomas


    Lieber Thomas,
    daß die Deutschen gemeint sein könnten würde ich durchaus in Erwägung ziehen; in dem Invasionsmotiv taucht für mich unüberhörbar ein Zitat auf, das zu jener Zeit unweigerlich auf das Deutsche Reich verweisen musste: "Da geh' ich zum Maxim, dort ist man sehr intim", schlechthin der Hit des Ufa-Stars Joopie Heesters. Erst ab ca. 14:00 (in der Kondrashin-Aufnahme) wechselt die Tonalität und dieses Motiv verschwindet.


    Die Sinfonie ist noch zu Stalins Zeiten verfilmt worden. In einem Schostakowitsch-Seminar habe ich einen Ausschnitt aus diesem Film gesehen (interessanterweise in einer deutschen Fassung, die wohl zur Aufführung in der DDR gemacht worden war). In dem gezeigten Ausschnitt wurde der Invasionsteil gezeigt. Die Bilder dazu: es wird irgendwie ein Orchester zusammengestellt, das in der Belagerung die Sinfonie aufführt. Überblendungen mit dem Leid auf den Straßen und dann ein grandioser Einfall des Regisseurs: kurz vor dieser angesprochenen Stelle bei min 14 fragt ein Posaunist seinen Kollegen: "Wollen wir's den Deutschen zeigen?" - "Ja-" Und dann ein Close-up zu der Posaunenbewegung in rhytmischem Wechsel mit der Bewegunng des Flak-Geschützes, das die deutschen Flieger vom Himmel schießt (den Film würde ich ja gerne einmal ganz sehen).


    Freilich, das dürfte die offizielle Lesart der Sinfonie gewesen sein, und ich glaube auch, das Schostakowitsch noch mehr Bedeutungsebenen in dem Werk verborgen hat. Dieses Danilo-Motiv scheint sich gleichwohl recht eindeutig auf die Deutschen zu beziehen.


    Erstaunlich übrigens, daß hier die Swetlanov-Einspielung noch nicht genannt wurde.




    Ich ziehe sie der Kondraschin-Einspielung vor, der Hörvergleich mit Barschai und Kitaenko steht mir noch bevor.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo,


    ich finde die Diskussion um das Invasionsthema im ersten Satz sehr interessant.
    In der DDR wurde dieses Thema eindeutig den Deutschen zugeordnet.
    Es sollte die seelenlose,brutale Militärmaschinerie darstellen.
    So auch in dem offiziellen Musiklehrbuch in der Schule.


    Doch diese Interpretation erschien mir nie passend. Beim erneuten Hören
    bestätigten sich die Zweifel an dieser Interpretation .


    Man sieht, die Interpretation der Sinfonien ist spez. bei Schostakowitsch
    nie eindimensional.


    Gruß
    Rüdiger

    Gruß
    Rüdiger


    ________________________
    Lärm ist ... nur eines der Übel unserer Zeit, wenn auch vielleicht das auffälligste. Die anderen sind Grammophon, Radio und neuerdings die verheerende Television.


    C.G. Jung

  • Übrigens:
    Die Anspielung auf Ravels "Bolero" ist ein Wortspiel und verweist auf "Iberia", das ist nicht nur der Name Spaniens, sondern auch der antike Name für die Region, in der Stalin geboren wurde. Mithin ist der Marsch im Mittelteil des ersten Satzes nichts anderes als ein Portrait von Stalin, wie er über das Land hinwegfegt und dabei alles plattmacht, was sich ihm in den Weg stellt. (Ja, ich weiß: Ravel war Baske, aber der Bolero ist ein spanischer Tanz.)


    Zur "Sprachverwirrung": In der Tat finde ich es bedauerlich, daß aufgrund der unterschiedlichsten Zeichensätze es sensiblen Nutzern nicht leicht gemacht wird, Namen in ihrer originalen Schreibweise zu verwenden. Dabei wäre zu beachten, daß "Schostakowitsch" ebenso wie "Shostakovich" natürlich schon lateinisierte Formen des kyrillischen sind.


    Ich finde, der Respekt vor anderen Kulturen gebietet eigentlich die Verwendung der originalen Schreibweise. Wer da meint "ich als Deutscher verwende eine deutsche Schreibweise", möge sich bitte einmal fragen, wie er es finden würde, wenn im Ausland sein deutscher Name in eine Landes-Version "verballhornt" wird ... Beispiel: "McDonalds" heißt auf Japanisch "Makodonaldaruda" (soweit ich mich erinnere)


    Aber dies nur nebenbei...

  • Zitat

    Original von ben cohrs


    Mithin ist der Marsch im Mittelteil des ersten Satzes nichts anderes als ein Portrait von Stalin, wie er über das Land hinwegfegt und dabei alles plattmacht, was sich ihm in den Weg stellt.


    Interessant, lieber Ben, ich habe dennoch die Frage, wie das mit dem Danilo-Motiv aus der lustigen Witwe zusammengeht?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape


    Lieber Thomas,
    daß die Deutschen gemeint sein könnten würde ich durchaus in Erwägung ziehen; in dem Invasionsmotiv taucht für mich unüberhörbar ein Zitat auf, das zu jener Zeit unweigerlich auf das Deutsche Reich verweisen musste: "Da geh' ich zum Maxim, dort ist man sehr intim", schlechthin der Hit des Ufa-Stars Joopie Heesters. Erst ab ca. 14:00 (in der Kondrashin-Aufnahme) wechselt die Tonalität und dieses Motiv verschwindet.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Lieber Thomas,


    Ich hätte an der von dir zitierten Stelle besser geschrieben: Nach meinem Verständnis geht es bei dieser so genannten „Invasionsepisode“ nicht nur um die Invasion der Deutschen. Damit meinte ich, es geht nicht um die Invasion der Deutschen im Sinne des herkömmlichen Verständnisses.


    Genausowenig geht es nach meinem Verständnis aber nur um die Schrecken Stalins - wie ben cohrs es zu meinen scheint.


    Sondern, ich schrieb es wenige Absätze nach der von dir zitierten Stelle:


    Zitat

    Nach meinem Verständnis handelt es sich bei der „Invasionsepisode“ nicht um eine Anklage gegen die Deutschen, sondern um eine Anklage gegen den Krieg als solchen. Ich sehe Soldaten, die zu den begleitenden Klängen in Massen sinnlos in den Tod gehen.


    Dieses Verständnis beantwortet auch die Frage von dir:


    Zitat

    Original von Thomas Pape


    Interessant, lieber Ben, ich habe dennoch die Frage, wie das mit dem Danilo-Motiv aus der lustigen Witwe zusammengeht?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Ja, es gibt in der Episode von Schostakowitsch angelegte Bezüge zu den Deutschen. Aber: Es gibt auch Bezüge zu Stalin. Einen Bezug zu den Deutschen hast du genannt. Einen Bezug zu Stalin hat ben cohrs genannt (wobei darauf hinzuweisen ist, dass Edwin oben bereits gewichtige Unterschiede zwischen Bolero und Invasionsepisode aufgezeigt hat).


    Die Folgerung von ben cohrs ("mithin") halte ich für nicht überzeugend. Daraus, dass es einen Bezug zu Stalin gibt, folgt nicht, dass die gesamte Invasionsepisode für Stalin steht. Vielmehr stehen beide Stellen, stehen die Deutschen und steht Stalin meines Erachtens pars pro toto für den Krieg als solchen, das Barbarische, die Gewalt als solche.


    Eine kleine Bitte habe ich noch, lieber Thomas. Wäre es dir möglich, genau anzugeben, wo dieses Lied aus dem Maxim auftaucht? Ich würde das gerne nachvollziehen. Da ich das Lied aber nicht kennne - Johannes Heesters musizierte weit vor meiner Zeit - brauche ich Hilfe, um es zu finden. Das Maxim-Lied dürfte online verfügbar sein, irgendwo...


    Viele Grüße
    Thomas

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