Tito Schipa - Tenore di grazia zwischen Belcanto und Verismo

  • Liebe Taminos,


    Ich möchte heute hier im Schellackforum an ein "Geburtstagskind" erinnern: Am 2. 1. 1889 (manchmal ist auch 1887 oder 1890 zu lesen) wurde Tito Schipa in Lecce geboren.


    Seine Ausbildung begann zunächst in seiner Heimatstadt bei Alceste Gerunda und wurde später in Mailand bei Emilio Piccoli fortgesetzt. Neben Gesang studierte er auch Klavier und Komposition.


    Im Jahre 1910 debütierte er als Alfredo in La Traviata, sang 1913 am Teatro Colón in Buenos Aires, und kam 1915 an die Scala; seine dortige Debütrolle war der Vladimir in Fürst Igor.
    1917 wirkte er in der Uraufführung von Puccinis La Rondine mit.


    Seine Stimme war klein: geringes Volumen, kurze Höhe, ein verhangenes, leicht nasales Timbre - und doch hat er es mit Stil und Kunstverstand geschafft, prägend zu wirken, und er kann wohl als ein Vorbild des tenore di grazia in der ersten Hälfte des 20. Jh.s angesehen werden.


    So verhangen, elegisch und voll morbidezza seine Stimme in der mittleren Lage war, so scharf und durchdringend konnte sie in der Höhe klingen. Tito Schipa erzielte auf diese Weise dramatische Effekte, die durch geschickte dynamische Nuancierung noch verstärkt wurden.


    Und da Tenöre, die dem Ideal des Belcanto verpflichtet waren, in der Blütezeit des Verismo eine rare Spezies darstellten, sahen einige Kritiker in ihm den letzten und größten Belcanto-Tenor des 20. Jh.s.


    In diesem Repertoire reicht er meiner Meinung nach jedoch, was die Technik der Verzierungen angeht, an Sänger wie John Mc Cormack oder Fernando de Lucia nicht heran, eine Ausnahme ist wohl sein berühmter Ernesto im Don Pasquale.


    Dagegen passen die Musik Massenets (Werther oder Des Grieux) oder die lyrischen Passagen in veristischer Musik (für die einsame Insel: das Lamento des Federico oder das Kirschenduett mit Mafalda Favero) perfekt zu der Stimme und der Manier seines Singen, die ihre Wirkung sehr stark aus einer subtilen Verbindung von Wort und Ton entfaltet.


    Und hinreißend singt er die neapolitanischen Lieder - eher mit leichter Chanson- als mit großer Opernstimme.


    Tito Schipas sängerische Laufbahn endete erst im Jahre 1954, als er zum letzten Mal in Buenos Aires auftrat und wenig später seine letzten Platten aufnahm. Er starb am 16. 12. 1965.


    Feruccio Tagliavini und Alfredo Kraus, der ihn in einem Interview ausdrücklich als Vorbild nannte, sind von seinem Singen beeinflusst worden. Und zu seinen Schülern gehörte Cesare Valletti, der in den 50er Jahren im Belcanto-Repertoire ein kongenialer Partner für Maria Callas war.


    :hello: Petra

  • Liebe Petra,


    Tito Schipa gehört zu meinen Favoriten unter den Schellacktenören, so dass ich mich über diesen Thread sehr freue.


    Schipa soll sich selbst einmal beschrieben haben, er sei kein Tenor, sondern ein Mann, der als Tenor singt. Und Tito Schipa jr. sagte über seinen Vater, er sei zwar nicht der größte Tenor der Geschichte gewesen, aber der größte Sänger.


    Ob man dem Superlativ zustimmt oder nicht, sollte man festhalten, dass Schipa wohl damals wie heute weniger für seine stimmlichen Qualitäten oder technischen Fähigkeiten bewundert wurde, sondern für seinen Stil und sein Einfühlungsvermögen. Er war kein glatter Perfektionist, sondern eher ein Mann der Nuancen und der feinen Zwischentöne. An Schipa kann man auch erkennen, dass viele der ganz großen Künstler nicht zwangsläufig auch die allerbesten Techniker waren. Das soll jetzt kein Votum für den inspirierten Stümper sein, denn das war Schipa ganz bestimmt nicht. Zum Beispiel seine Geläufigkeit war ganz ausgezeichnet. Aber trotz der kleineren von Dir beschriebenen stimmlichen Defizite, konnte er durch seine hervorragende Musikalität und vollendetes Phrasieren zum Kern von Musik und Text vordringen, was beispielsweise Alfredo Kraus bei aller technischen Könnerschaft kaum erreicht hat.


    Ich mag die allermeisten der Aufnahmen, die ich von ihm kenne - ob es die Duette mit Amelita Galli-Curci sind, die vielen großartigen Lieder oder ganz besonders die empfindsamen Arien aus französischen Opern wie Werther, Manon oder Mignon.


    Schipa war auch ein Tenor, der niemals gesungen hat, was er nicht singen konnte – gerade zur Hochzeit des Verismo keine Selbstverständlichkeit. Daher konnte er bis ins hohe Alter noch erfolgreiche Konzerte geben. Dass er frei war von der Selbstüberschätzung vieler anderer Kollegen, zeigt sich auch darin, dass er aus Leoncavallos Pagliacci nicht die populäre Canio-Arie, mit der er überfordert gewesen wäre, eingespielt hat, sondern die schöne, aber unscheinbarere Serenade des Beppe. Kaum eine Phrase, die in diesem kurzen Stück nicht unvergesslich bleibt.


    Zu seiner Popularität hat es sicher beigetragen, dass er in einigen Filmen mitwirkte und auch relativ viele Lieder gesungen hat, nicht nur neapolitanische Canzonen, sondern auch populäre Kaffeehausmusik mit spanischem Einschlag. Erwähnt werden sollte noch, dass Tito Schipa auch eigene Lieder komponiert und gesungen hat, die perfekt für seine Stimme eingerichtet waren. Eine wunderschöne Aufnahme davon ist sein "Pianefforte è Notte" auf einen Text von Salvatore di Giacomo, das er noch 1955 aufgenommen hat. Schipa ist 66 Jahre alt, weiß aber immer noch zu bezaubern.


    Naxos hat vor mehr als zwei Jahren eine "Schipa Edition" angefangen, die aber, so wie es aussieht, nach nur zwei CDs eingeschlafen ist. Sollte das alles gewesen sein? Ich jedenfalls würde auch Teil 3 kaufen!

  • Auf Tonträger hat Schipa auch einige Opernszenen gesungen, die seine stimmlichen Grenzen eigentlich überschritten haben,z.B.: Die Tenorarie aus "Luisa Miller", oder die zwei "Arien" aus "Tosca",
    aber, sie sind ein Beispiel dafür, wie man diese Stücke auch mit einer lyrischen Stimme gestalten kann.



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Zauberton,


    Zitat

    Zitat: Aber trotz der kleineren von Dir beschriebenen stimmlichen Defizite, konnte er durch seine hervorragende Musikalität und vollendetes Phrasieren zum Kern von Musik und Text vordringen, was beispielsweise Alfredo Kraus bei aller technischen Könnerschaft kaum erreicht hat.


    als Defizite sehe ich die Charakteristika in Schipas Stimme gar nicht, im Gegenteil, ich mag seine Stimme sehr gern, gerade weil sie nicht "tenoraler mainstream" war. Aber oft stehen ja gerade im Tenorbereich entweder die Besitzer von besonders voluminösen oder besonders "schmelzenden" Stimmen im Vordergrund, und ich bewundere es einfach, dass es Schipa mit vokaler Phantasie und immenser Musikalität gelungen ist, zu einem der Großen zu werden, auch wenn seine Stimme diesem Ideal vielleicht nicht ganz entsprach.


    Ich gehöre auch zu denen, die zwar Stil und Technik von Alfredo Kraus bewundern, die sein Singen aber dennoch nicht so richtig begeistern kann - Schipa hat auch meiner Meinung nach gestischer gesungen und gestaltet.


    Gibt es übrigens Verbindungen zwischen Schipa und dem spanischen Kulturraum? Er ist derjenige der italienischen Tenöre, bei dem ich am stärksten ein "spanisches" Element im Singen höre, ohne es genau beschreiben zu können.



    Lieber Herbert,


    die Arie aus "Luisa Miller" höre ich sehr gern, kenne sie von Schipa gesungen jedoch noch nicht. Ich kann sie mir jedoch gerade bei seiner elegischen Art des Singens und der feinen Nuancierungsfähigkeit wunderbar vorstellen.


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von petra
    Gibt es übrigens Verbindungen zwischen Schipa und dem spanischen Kulturraum? Er ist derjenige der italienischen Tenöre, bei dem ich am stärksten ein "spanisches" Element im Singen höre, ohne es genau beschreiben zu können.


    Warum Tito Schipa so viel auf spanisch gesungen hat, Platten auf spanisch aufgenommen und auch eigene Tangos komponiert hat, weiß ich nicht. Auf die Schnelle habe ich nur ermittelt, dass er relativ oft in Spanien und Südamerika aufgetreten ist. Das war aber auch damals nicht besonders außergewöhnlich. Ich kann nur spekulieren, dass man in Spanien Schipas Stil sehr gemocht hat. Die Popularität von Miguel Fleta zeigt, dass dort gerade raffiniertes Singen geschätzt wurde.


    Die Luisa Miller-Arie kenne ich leider auch nicht. Bei "E lucevan le stelle" muss ich eingestehen, dass ich das von anderen Tenören auch schon besser gehört habe.

  • Tito Schipa zählt auf zu meinen Favoriten unter den Tenören der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er entstammte einer Generation, in der manja vor allem auf der Suche nach dem Caruso-Nachfolger war und wurde auch als solcher gehandelt. Nun hat auch Caruso als lyrischer Tenor begonnen, sich aber im Laufe der Zeit gewandelt. Schipa hingegen hat Verismo-Partien vorwiegend zuu Beginn seiner Karriere gesungen, als die zeitgenössische Musik war und der Typ des robusten Verismo-Brüllers weohl auch noch nicht so einhellig gefordert war.


    Sein Schwerpunkt blieben allerdings lyrische Partien - und auch durchaus alte Musik. Seine Paraderolle war der Werther (dazu nimmt Jens Malte Fischer in seinem BHuch u.a. ausführlich Stellung). Ich persönlich kenne auch keine schönere, ergreifendere Aufnahme von "Pourquoi me reveiller" als Schipas (französisch gesungene) Version von 1925. Daneben halte ich seine Aufnahme von "Una furtiva lagrima" für einzigartig - ohne Schluchzer, fast naiv absolut ehrlich. Zu recht hochgerühmt auch das Kirschenduett aus L'amico Fritz. Weniger kann ich mit seinen Mozart-Aufnahmen anfangen (beide Ottavio-Arien).


    Gruß aus Lübeck
    Dieter

  • Hallo Dieter,


    der Werther ist wohl die Rolle, die am meisten mit Tito Schipa in Verbindung gebracht wurde - zu Recht, denn in der Aufnahme von 1925 und noch in einem in aufzeichnungstechnischer Hinsicht leider miserablen Mitschnitt von 1940 bringt er den empfindsamen jungen Mann mit feinen Nuancen und ohne gefühlige Drücker wunderbar zum Ausdruck. Er sentimentalisiert nicht, sondern wahrt immer einen Rest von Distanz - auch das mag ich an seinem Singen.


    Was die beiden Ottavio-Arien angeht, stimme ich dir auch voll zu; im Vergleich zu den Aufnahmen des italienischen und französischen Faches waren sie für mich eine leichte Enttäuschung; mir fehlt in ihnen der Ausdruck des Höfischen und des Heroischen, mit dem Ottavio Donna Anna auf ein Podest stellt.


    :hello: Petra

  • http://www.youtube.com/watch?v=4LgQw_AYddg



    Schipa ist einer meiner absoluten Lieblingssänger. Daß er als Sänger einer der allergrößten ist, bleibt für mich unbestritten. Kaum einer hat aus einem so unspektakulären Stimmpotential so viel herausgeholt. Da hat er viel mit De Lucia gemeinsam: eine phänomenale Atemtechnik, aber eine kurze Stimme, nach oben wie nach unten. Was ihm fehlte war die Geläufigkeit. - Verzierungen in den "Barbiere" und Ottavio Arien wirken stellenweise geradezu hölzern.
    Er hat ein ganz großartiges Gefühl für das "richtige timing" und das richtige Tempo (bei Callas empfinde ich das ähnlich). Er spielt auf seiner Stimme wie auf einem Instrument, ohne aber steril oder instrumenttal zu klingen.
    Schipa war auch für den jungen Di Stefano ein großes Idol, was man in den frühen Aufnahmen auch hört.


    Herrliche Aufnahmen die noch zu erwähnen wären:
    "Prendi l´anelti dono" aus Sonnambula mit Dal Monte
    "Tu che a dio" aus Lucia
    "Una furtiva lagrima"
    das Kirschenduett mit Mafalda Favero
    und die vielen Lieder, die in ihm für mich seinen idealen Interpreten gefunden haben, kein Hollywood Breitwand Sound sondern schlichte "Ständchen" und Erzählungen.


    Meine besónderen Lieblinge:
    Pesca d´ammore
    Mal d´amore
    O marenariello
    Era de Maggio
    Vieni sul mar
    Guapparia


    ach so viele!


  • Raffaele Attilio „Tito“ Amedeo Schipa (* 2. Januar 1889 in Lecce; † 16. Dezember 1965 in New York City) war ein italienischer Tenor und Komponist.
    Vermutlich ist er schon Ende Dez. 1888 geboren, wurde von seinen Eltern, die einer albanischen Minderheit in Italen entstammten, jedoch erst Anfang des Neuen Jahren standesamtlich eingetragen.
    Er war einer der besten Belcanto-Sänger seiner Zeit und hatte eine ungewöhnlich lange Karriere, die 52 Jahre dauerte.

    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Schipas Ernesto in der Don-Pasquale-Aufnahme ist wahrlich einzigartig. Mit welch sinnlichem Schmelz er das Com'è gentil in die lauschige Mondnacht schmachtet - im positiven Sinne: Für mich unerreicht!


    (Ebenso sein Prendi, l'anel ti dono mit Toti dal Monte ...)

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Belcanto vom allerfeinsten! Wirklich unerreicht auch für mich. Was Schipa anbetrifft, bin ich so süchtig wie Du, lieber Milletre. :) Ich werde mir gleich ein paar Aufnahmen heraussuchen und hören.


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Und wie hinreißend er die neapolitanischen Lieder singt!!!

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

  • Ich habe die Stimme von Tito Schipa lange nicht mehr gehört. In meiner Schellack-Sammlung befinden sich einige Aufnahmen. Sollte ich die finden, werde ich diese herrliche Stimme mal wieder genießen.

    W.S.

  • Heute jährt sich wieder einmal sein Todestag. Tito Schipa starb am 16.12.1965 in New York.


    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

  • Von Tito Schipa gibt es noch einige Aufnahmen zu kaufen, ich muß erst meine Bestände sichten, bevor ich etwas dazukaufe. Die hier vorgestellte Aufnahme "Tornami a dir ..." aus "Don Pasquale" mit Toti Dal Monte (über sie und dieses Duett fand ich zu diesem alten Thread über Tito Schipa)ist meine momentane Lieblingsaufnahme. Ich konnte sie bei flüchtiger Recherche auf keiner CD finden. Es gibt eine mit Amelia Galli Curzi, die aber IMO nicht an diese heranreicht -auch aufnahmetechnisch nicht.Diese hier empfinde ich als überirdisch schön gesungen. Ein Musterberispiel dafür, daß historische Aufnahmen nicht nur interessant sind, sondern auch musikalisch begeistern können...


    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Von Tito Schipa gibt es noch einige Aufnahmen zu kaufen, ich muß erst meine Bestände sichten, bevor ich etwas dazukaufe. Die hier vorgestellte Aufnahme "Tornami a dir ..." aus "Don Pasquale" mit Toti Dal Monte (über sie und dieses Duett fand ich zu diesem alten Thread über Tito Schipa)ist meine momentane Lieblingsaufnahme. Ich konnte sie bei flüchtiger Recherche auf keiner CD finden. ...


    Bei Amazon wird man fündig - gebraucht und neuwertig. Etliche Angebote unter 1€!!
    Bei Ebay gibt es die Aufnahme auch. Und man kann sie natürlich bei den einschlägigen Anbietern herunterladen.
    Es ist in der Tat eine Aufnahme die einen zu den Engeln schickt!!!!
    Göttlich!
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!