Der Maestro als Guru

  • In den Karajan -Bernstein Threads wird es offensichtlich:
    Dar Dirigent erfüllt mehr als nur eine musikalische Funktion: Da bilden sich Cliquen, da wird drauflos gestichelt und -gehackt.
    Man hat oft den Eindruck, der Guru leite seine Anhänger zu Greueltaten an.


    Was ist hier Ursache ? Was ist Wirkung?


    Und WARUM findet überhaupt solch eine Identifizierung mit dem Idol (um ein solches handelt es sich offensichtlich )- statt ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Es ist nicht so, wie es bei "Führern" meist ist. Sie haben ihre Anhänger, die keine eigene Grösse haben, sondern diese beim " Führer" leihen, diesen also mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen müssen, weil sie so die geliehene Grösse verteidigen.


    we are the champions... ist inhaltlich Blödsinn, aber psychologisch nachvollziehbar. Man scheint dadurch bedeutender zu werden, deswegen wird man diese " champions" verteidigen.


    Würde jemals einer, der sich selbst genug ist, der/die ein gutes Selbstverständnis und -bewusstsein hat, zu solchen Überidentifikationen neigen ?


    Ich denke : Nein.


    Interesssant bei nicht wenigen dieser " Gurus", dass sie selbst auch öfters ein durchaus nicht stabiles " Ich" haben, sondern dies durch Guru-Verhalten stabilisieren müssen. Frau Callas ist dafür ein Paradebeispiel. Wenn man die späten Bilder von ihr sieht, kann man Mitleid haben, was für ein Häufchen Elend da durch die Gegend schlurft und sie war DIE Primadonna.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    In den Karajan -Bernstein Threads wird es offensichtlich:
    Dar Dirigent erfüllt mehr als nur eine musikalische Funktion: Da bilden sich Cliquen, da wird drauflos gestichelt und -gehackt.
    Man hat oft den Eindruck, der Guru leite seine Anhänger zu Greueltaten an.


    Was ist hier Ursache ? Was ist Wirkung?


    Lieber Alfred,


    das ist genau die Frage. Ich habe den Eindruck, diese Cliquen gibt es schon vorher, noch ungesteuert, ungeformt. Sobald sich etwas aus der Masse der Angebote hervorhebt, das ein entscheidendes Merkmal zur Polarisierung bietet, verhalten sich die nun als Anhänger oder Gegner definierten Mitglieder der verschiedenen Richtungen wie elektrische Teilchen. Der Gegenstand der Bewunderung oder des Abscheus ist akzidenziell, deshalb muss man ihn auch so zurichten, dass er einer einhelligen Zustimmung oder Ablehnung geeignet erscheint.


    Zitat

    Und WARUM findet überhaupt solch eine Identifizierung mit dem Idol (um ein solches handelt es sich offensichtlich )- statt ?


    Hier bin ich mir mit sagitt einig: in der Unbestimmtheit der Werte und Werthaltungen, in der wir leben, brauchen viele "Orientierungszeichen". Dass dies zugleich die Verformung dessen ist, was sie anbeten, sei abschließend angemerkt.


    Liebe Grüße Peter

  • "Musik ist eine heilige Kunst", schrieb schon Hofmannsthal mit leiser Ironie, aber auch durchaus überzeugt seinem Komponisten der ARIADNE AUF NAXOS in die Kehle.
    Heilige Kriege aber gibt es, solange es Menschen gibt.


    Dazu kommt:
    Wir lieben die Musik, und für das, was man liebt, ist man bereit zu kämpfen.
    Musik wird aber nicht nur durch die verkörpert, die sie schaffen, sondern vor allem und für uns erreichbarer durch die, welche sie interpretieren - so wie Vielen die Propheten und Heiligen mehr gelten als ihr jeweiliger Gott selbst. Die Interpreten sind halt die Mensch gewordenen Götzen der Musik, in der wir nicht zu Unrecht eine besondere Gottesgabe sehen.


    Drittens:
    Man beachte, wie bestimmte Hass- und Lieblingsmaestri auf ein, zwei Charakteristika reduziert werden. Fast alle sind sie stark emotional belegt. Das liegt natürlich auch daran, dass uns zur Charakterisierung der Musik selbst oft das angemessene Vokabular fehlt, weist aber auch auf den Bereich hin, in dem wir nicht nur besonders empfindsam, sondern auch empfindlich sind .


    Und schließlich, wie Tamino immer wieder belegt:
    manche Leute wollen und und müssen sich einfach streiten. Was eignet sich da besser als Musikanten, die jeder kennt und über die man viel schreiben kann, bevor der Mangel an Sachkenntnis evident wird?
    Notfalls kommentiert man eben Biographie, denn: habent sua fata maestri.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Ich habe den Eindruck, diese Cliquen gibt es schon vorher, noch ungesteuert, ungeformt. Sobald sich etwas aus der Masse der Angebote hervorhebt, das ein entscheidendes Merkmal zur Polarisierung bietet, verhalten sich die nun als Anhänger oder Gegner definierten Mitglieder der verschiedenen Richtungen wie elektrische Teilchen. Der Gegenstand der Bewunderung oder des Abscheus ist akzidenziell, deshalb muss man ihn auch so zurichten, dass er einer einhelligen Zustimmung oder Ablehnung geeignet erscheint.


    Lieber Peter,


    wir posteten parallel. Grundsätzlich stimme ich Deiner These der Cliquenbildung und der anschließenden Suche nach einem Identifika(s)tionsobjekt zu, deckt sie sich doch auch mit meinem vierten Punkt. Dennoch muss mehr daran sein, denn die Fronten verlaufen gerade beim Thema Lieblingskünstler durchaus wechselhaft.


    Da machen sich die Cliquen eher dadurch kenntlich, wie schonend oder heftig mit einer abweichenden Meinung umgegangen wird. Und dann gibt es natürlich auch noch die Einzelgänger, die erst mal loshauen und sich dann auf die einstellen, die sie mehr oder weniger gezielt getroffen haben.


    Das ist aber eher eine Analyse des Phänomens als ein Versuch, seine Ursachen zu bestimmen.


    :hello: Rideamus


    PS:
    Im übrigen gratuliere ich dem frischgebackenen Moderator zu seinem nunmehr farbigeren und milderen Auftritt.

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Da machen sich die Cliquen eher dadurch kenntlich, wie schonend oder heftig mit einer abweichenden Meinung umgegangen wird.


    Lieber Rideamus,


    die abweichende Meinung ist oft ja das einzige, was die eigene Gruppe definiert. Wahrscheinlich wird man heftiger, wenn die Demarkationslinie so dünn ist, dass man als Außenstehender beide Gruppen fast verwechseln könnte.


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Alfred


    Das Konzert ist wohl die stilisierte und sublimierte Gestalt eines Prozesses, der im rohen Opferkult seinen Ursprung hat:
    Ein (durch besondere Gaben und entprechendem Charisma Ausgezeichneter) schlachtet (unterstützt durch Singsang, Geklatsche und Gepolter der Adepten) ein Lebewesen zum Zweck der rituellen Aneignung der Kraft des Blutes.


    Da wir in einem kulivierten Zeitalter leben..., verläuft der „sacre“ in wohltemperierteren Formen. Der gestikulierende Hohepriester agiert zwar nicht mehr mit einem Messer, wohl aber mit einem anderen spitzen Gegenstand..., aber der Sinn der Handlung ist immer derselbe: Rituelle Herstellung einer kraftspendenden Spannung zwischen Himmel und Erde.


    Die Beziehung der Adepten zu den priesterlichen Vermittlern zwischen Himmel und Erde kann schwärmerische Züge annehmen, die geeignet sind, den Vermittler zum Gott selbst zu erheben. Der Adept hat durch diesen Prozess teil am Göttlichen:


    Die Karajaner fühlen sich über den Monsignore Heribertus zugehörig zum Stammesgott „Perfectio“.


    Die Celibidachen fühlen sich via Abbé Serge zugehörig zum Stammesgott „Meditatio“.


    Die Bernsteinigen fühlen sich durch Monsignore Leonardo di Capriolo zugehörig zum Stammesgott „Emotio“.


    Die Verkleiberten fühlen sich durch Don Carlos zugehörig zum Stammesgott „Mach-Dich-Rarius“.


    Jeder Stamm hat seinen Dunkelheits-Vertreiber (hinduist. Bedeutung von „Guru“). Und nun beginnt der Kindergarten: Meine Dunkelheit ist dunkler als deine Dunkelheit, äätsch! Mein Dunkelheitsvertreiber ist besser als dein Dunkelheitsvertreiber..., und wenn sie nicht gestorben sind, streiten sie heute noch.


    Gott (welchem?) sei Dank haben wir ja unseren treuen Blindenhund „Tamino“...


    Mit Wuff aus Bern


    Walter

  • :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :jubel:


    F.Q.



    Jetzt ist mir nochmal mehr klargeworden, warum wir Frauen uns in der Mehrheit solchem Weihe- Wahn-Werk verweigern und nciht Dirigentinnen werden wollen.......

  • Na ja, liebe Fairy, wenn Du Dich da nur nicht täuschst: Die Frauen sind gewaltig am Aufholen, und es ist eine Frage der Zeit, bis das Matriarchat wieder die Macht übernimmt und demonstriert, wo Göttin hockt: und dann werden sich Youngianer, Alsöpper und Anutalisten kloppen :D
    Walter, der noch Hoffnung hat... :pfeif:

  • Hallo zusammen,


    ich finde die Erklärung von Sagitt am einleuchtendsten. Geliehene Größe - das scheint es zu treffen.


    Es kommt auch die Sucht nach Bestätigung des eigenen (?), mühsames angelesenen und angelernten Weltbildes hinzu. Entwicklung findet nicht statt, nur Verteidigung dessen, was man als Besitz in Form einer Weltanschauung zu haben meint.


    Eigentlich ist das geistige Armut, aber so sind wir nun einmal. Und so lange sich die BILD-Zeitung besser verkauft als die ZEIT, werde ich von dieser Meinung nicht abrücken. Denn auch diese Meinung ist ein vermeintlicher geistiger Besitz und Teil einer Weltanschauung ... ;)

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  • Ich lege ein Schäuferl nach:


    Es ergeben sich einige weitere Fragen.


    a)Sind Dirigenten mit Guru-Funktion "erfolgreicher", als "wertfreie" ?


    b)Sind diese Dirigenten "Opfer" ihrer Anhänger - oder steuern sie diesen Prozess ganz bewusst ?


    c)Welche Parameter sind notwendig, damit ein Dirigent diese Guru-Funktion erreicht ?


    d) welches sind die 6 typischesten Vertreter dieser Spezies ?


    e) Ist ein spezielles Repertoire besonders ge- bez ungeeignet ?



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Lieber Alfred,


    "Erfolgreicher" in medialem Sinn wahrscheinlich, denn die Medien stürzen sich nun einmal lieber auf sogenannte Sensationen und lieben echtes oder falsches Tamtam mehr als seriöses Wirken im Stillen/Halbstillen. Wenn ein Dirigent irgendwelche individuellen oder pseudoindividuellen Verhaltensweisen demonstriert, dann ist er damit schon ein Fressen und hat eine bessere Chance, "gemacht" zu werden. Er muß das allerdings raffiniert dosieren und darf nicht im falschen Moment übertreiben (Karajan tat manchmal zuviel an priesterlichen Gesten und Versunkenheitsmimik). Natürlich hilft es manchmal nach, wenn man nicht gerade einen Dutzendkopf auf den Schultern trägt (siehe Furtwängler oder Harnoncourt), doch kann man hier Karl Böhm als Gegenbeispiel anführen - der war gewissermaßen durchschnittlich fesch, aber nicht ausgefallen. Böhm ist aber auch nicht ganz der "Guru"-Typ (ich verstehe diesen Terminus ja nicht nur positiv).
    Ein Othmar Suitner war in vielem kein schlechterer Dirigent als Karajan, aber heute kennen ihn nur noch die Insider. Er ist meines Wissens auch nie durch irgendwelche Eskapaden aufgefallen.


    Einige Dirigenten waren vermutlich zunächst mehr "Opfer", haben sich dann der Erwartungshaltung ihrer Fans aber auch meist gern angepaßt.


    Die Frage nach den Parametern vermag ich nicht generell zu beantworten. Sicher muß eine überragende künstlerische Qualität von vornherein gegeben sein, die unter Umständen auch einseitig ausgerichtet sein kann, aber nicht muß (ich würde einen gewissen geigenden Herrn ja nicht unter die hier gemeinten Gurus einreihen). Eine gewisse Umstrittenheit fördert die Sache jedenfalls.


    Die 6 typischsten Vertreter? Das ist gar nicht so leicht. Ich würde so aus dem Bauch heraus folgende Namen nennen: Toscanini, Karajan, Bernstein, mit Einschränkung Harnoncourt, Furtwängler, mit sehr großer Einschränkung Karl Böhm. Bei längerem Nachdenken könnte sich diese Liste aber unter Umständen ein bißchen verändern.


    Man wird nicht zum Guru, wenn man nur Randgebiete beackert. Man muß schon Modellinterpretationen von Hauptwerken liefern, sondet reagiert die breite Masse im allgemeinen nicht.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Man wird nicht zum Guru, wenn man nur Randgebiete beackert.


    Also unter Instrumentalisten gibt es schon "Gurus" in "Randgebieten" (Randgebiet aus Sicht des Klassikbetriebes): Arditti ist als Geiger schon ein vergleichbares Phänomen. Dirigenten, die Guru-Funktionen abdecken kenne ich aber bei aktueller Musik keine, die wirken oft eher wie freundlich koordinierende Metronome. Alles andere kommt mir dann schon wie ein Manierismus vor ...
    :P

  • Lieber KSM,


    Es geht aber hier ausschließlich um Dirigenten, und - soweit ich verstanden habe - um Gurus mit großer Breitenwirkung, nicht um Gurus mit beschränkter Reichweite. Wenn man Instrumentalisten einbezieht, sieht die Sache sicher etwas anders aus - allerdings müßte man dann auch eher an Geiger, Cellisten, Pianisten etc. denken, die weltweites Renommee über den Kennerkreis hinaus gewannen, Liszt, Menuhin, Casals und solche.


    Daß derzeit keine Guru-Dirigenten auszumachen sind, scheint mir kein Nachteil. Sicher, ein paar Zugpferde machen Klassik leichter populär. Andererseits wirtschaftet man sich mit dem pseudoklassischen Drumherum auch viel Ballast ein. Es gibt immer Pro und Kontra.
    Würde man uns Amateure aus dem Forum entfernen, müßtet Ihr Gurus im eigenen Saft schmoren und nur mehr Qualität ertragen. Immer nur auf der Wolke makellos Halleluja singen, könnte aber mit der Zeit langweilig werden. :baeh01::hello:


    LG


    Waldi