Schelme, Gauner, Scharlatane in der Oper

  • Hallo zusammen,


    in vielen Opern gibt es Charaktere, die in die Kategorie Schelme, Gauner oder Scharlatane einzureihen sind.


    Welche Opernfiguren würdet Ihr so charakterisieren und warum?


    Was zeichnet diese Charaktere aus?


    Mir fällt bei Scharlatanen sofort Dulcamara aus L' Elisir d'Amore ein. Ich denke auf ihn passt auch die Bezeichnung Gauner, denn genau das ist es was er tut, er versucht die Menschen übers Ohr zu hauen. Das er dabei alle Register eines, heute würde man sagen guten Verkäufers, zieht ist nur zu verständlich. Lustig finde ich allerdings, das er am Ende selbst überzeugt ist, das sein Gebräu die gewünschte Wirkung erzielt.


    Ich bin gespannt auf Eure Beiträge


    LG


    Maggie

  • Liebe Maggie,


    Warum denke ich sofort an Papageno und Leporello?
    Leporello ist ganz sicher ein Gauner. Ob Papageno aber ein Schelm ist?? Da würde ich fast "Jein" sagen.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Maggie
    Ich denke auf ihn passt auch die Bezeichnung Gauner, denn genau das ist es was er tut, er versucht die Menschen übers Ohr zu hauen. Das er dabei alle Register eines, heute würde man sagen guten Verkäufers, zieht ist nur zu verständlich.


    Liebe Maggie,


    bei dieser Definition fällt mir sofort der Gianni Schicchi ein und seine Drohung "Addio, Firenze", die er beim Diktat des falschen Testamentes immer wieder einflicht...


    LG, Elisabeth

  • Liebe Maggie,


    ein Zufall: Durch eine Aufnahme aus der Edition „Les Introuvables du Chant Français“ (eine hervorragende Sammlung historischer Aufnahmen des französischen Gesangs, zu der ich durch die Empfehlung von GiselherHH in dem Thread über die französische Oper gekommen bin) stieß ich gestern auf eine Oper, die ich bisher noch nicht kannte, deren Protagonist hier jedoch eventuell hineinpassen würde: Massenets „Panurge“. Sie basiert auf dem Hauptwerk von François Rabelais „Gargantua et Pantagruel“: Panurge (grch. panurgos = der mit allen Wassern Gewaschene) ist in der Vorlage ein heruntergekommener Scholar, der sieben bekannte Sprachen spricht und dazu noch einige von ihm selbst erfundene. Ein Tagedieb, Zechbruder, Falschspieler und ein höchst ambivalenter Charakter: gelehrt und naiv, liebenswert und grausam, für den Leser undurchschaubar, steht er in Gegensatz zu seinem Freund, dem geradlinigen, einfacher gestrickten Riesen Pantagruel.


    Der Sänger der Uraufführung, der wunderbar gestisch singende Bariton Jean-Emile Vanni-Marcoux, dem Massenet diese Rolle buchstäblich „auf den Leib geschrieben“, da für ihn komponiert hat, erzählt als Panurge in „Touraine est un pays“ von seiner Heimat, die er in einer Mischung aus großem Ernst und anrührender Naivität zu einem Paradies und einer Inkarnation alles Schönen macht. Diese Aufnahme hat mich neugierig gemacht, mir diese Oper einmal ganz anzuhören; leider scheint es jedoch keine Gesamtaufnahme davon zu geben.


    Massenet soll sich in seinem Konzept des Panurge, soweit ich bisher gelesen habe, von Rabelais‘ Vorlage jedoch etwas entfernt und diesen Schelm eher einer Figur der commedia dell’ arte angenähert haben. Vielleicht kann jemand, der diese Oper besser kennt als ich, hier Näheres beisteuern?


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von musicophil
    Liebe Maggie,


    Warum denke ich sofort an Papageno und Leporello?
    Leporello ist ganz sicher ein Gauner. Ob Papageno aber ein Schelm ist?? Da würde ich fast "Jein" sagen.


    LG, Paul


    Lieber Paul,


    das muss ich Dir zustimmen. Die Beiden hatte ich auch im Hinterkopf als ich den Thread eröffnete.


    Bei Papageno kann man wirklich geteilter Meinung sein. Er ist meiner Meinung nach nicht wirklich ein Schelm, aber auch nicht ganz frei von schelmerischen Charakterzügen. In dem Zusammenhang ist die Schlangenszene recht interessant. Lügt er einfach um sich großzutun oder zieht er sich nur aus der Affäre weil er Angst hat? Ich denke letzteres.


    Leporello würde ich auch in die Kategorie Gauner einstufen, obwohl ich auch bei ihm nicht zu huntertprozent davon überzeugt bin, dass er wirklich ein Gauner ist. Sicher er unterstützt seinen Herrn und verspottet gar die arme Donna Elvira und er bleibt trotz seiner Bedenken an dem Lebenswandel Don Giovannis bei ihm. Diese Tatsache lässt darauf schliessen, dass er im Grunde nicht besser ist als sein Herr. Aber er ist meiner Meinung nach auch ein Opfer seines Herrn.



    Liebe Elisabeth,


    die Oper kenne ich nicht, aber ich habe mich belesen.
    Es gehört schon eine Menge Unverfrorenheit dazu, sich auf diese Art Vermögen zu erschleichen.



    Liebe Petra,


    vielen Dank für Dein Posting. Das hört sich wirklich interessant an und ich hoffe es gibt einen Tamino der uns mehr über diese Oper und seine Charaktere schreiben kann.



    LG


    Maggie

  • Liebe Petra, ich kenne diese Oper LEIDER nciht, aber sehr wohl den Roman von Rabelais. Das ist ganz grob gesagt eine gigantisch-groteske-komisch-vulgäre-verfressene-versoffene-verhurte etc etc Orgie im Stil der Bäsle-Briefe und wie man das auf eine Opernbühne bringen soll, ohne ganz gewaltig von der Vorlage abzuweichen..... ?( ?( ?(


    F.Q.

  • Hallo Maggie,
    das ist ein schier unerschöpfliches Thema, denn "Schelm" ist ein sehr weitläufiger Begriff. So ein bisschen Schelm steckt doch in vielen Opernfiguren, besonders von Rossini.
    Ein Parademischung für den "schelmischen Gauner" ist für mich der Comte Ory, der sich als wundertätiger Mönch ausgibt, um in dieser Tarnung an hübsche Frauen heranzukommen und sich dann sogar erfrecht, mit seinen Kumpanen in der Verkleidung von frommen Pilgerinnen (denen angeblich der Lüsterne Comte Ory nachstellt), Zugang zum Schloss zu finden, wo er sich an die Gräfin heranmacht, bis sein Diener alles auffliegen lässt.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Fairy,


    Zitat

    Original Fairy Queen: Das ist ganz grob gesagt eine gigantisch-groteske-komisch-vulgäre-verfressene-versoffene-verhurte etc etc Orgie im Stil der Bäsle-Briefe und wie man das auf eine Opernbühne bringen soll, ohne ganz gewaltig von der Vorlage abzuweichen.....


    die Synopsis und einige Bilder von der Uraufführung sind auf der Seite:
    jules-massenet.com/a_pan.htm zu finden; aus Gründen des Copyrights verweise ich nur mal darauf.


    Der Panurge auf dem Plakat für die Ankündigung scheint eher dem Original bei Rabelais zu entsprechen: feist und versoffen, selbstzufrieden grinsend. Die Kostümierung des Sängers lässt aber darauf schließen, dass Massenet hier tatsächlich eher eine Figur der commedia dell´arte vorgeschwebt hat, bei dem das Derb-Groteske doch stark gemildert ist.
    Es ist eher ein fragiler, verträumter Phantast, der uns da entgegenblickt.


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von severina
    Hallo Maggie,
    das ist ein schier unerschöpfliches Thema, denn "Schelm" ist ein sehr weitläufiger Begriff. So ein bisschen Schelm steckt doch in vielen Opernfiguren,
    lg Severina :hello:



    Liebe Severina,


    es würde mich freuen, wenn sich dieses Thema nicht so schnell erschöpft. :D


    Ein Schelmenstreich wie er im Buche steht, ist der der Damen Fluth und Reich aus "Die lustigen Weiber von Windsor". Die Beiden haben nicht nur den Schalk im Nacken, sie wissen auch sich gegen ihre Männer zu behaupten. Kein Wunder also das die Tochter Anna Reich es ihrer Mutter gleichtut und sich der ungeliebten Verehrer entledigt. (schnipp - schnapp) :hahahaha:


    LG


    Maggie

  • Also spontan fallen mir dazu neben Leporello sofort der Doktor Dulcamara aus dem Liebestrank ein, Frasquita und Mercedes aus Carmen (Gauner..), Dr. Malatesta aus Don Pasquale, Despina aus Cosi Fan Tutte,
    Figaro aus Barbiere, die Zerbinetta...

    Hear Me Roar!

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  • Liebe Maggie,


    Schelmische Züge mache ich am Ännchen im "Freischütz" aus, vor allem, wenn ich an die Arie "Einst träumte meiner sel'gen Base" denke - aber ich weiß nicht, ob Deine Frage auf solche Teilphänomene gerichtet war oder auf "Vollschelme". Bei solchen fällt mir viel eher etwas aus dem nichtmusikalischen Bereich ein (der Truffaldino aus Goldonis "Diener zweier Herren" etwa). In der Oper ist das Eindimensionale nicht so angesagt. Der Kezal ist für mich eine Spur zu bösartig - dafür darf man ihn vielleicht als geprellten Schelm bezeichnen - und daher nicht Schelm genug. Die Norina in "Don Pasquale" ist auch teilschelmisch, aber für sie geht es eigentlich um ein ernstes Problem.
    Schelmische Züge überwiegen beim Zsupan des "Zigeunerbarons", ein Schelm ist Dr.Falke in der "Fledermaus" oder Caramello in der "Nacht in Venedig". Die Operette bietet eher Gelegenheit zu solchen Typen.


    LG


    Waldi


  • Lieber Waldi,


    um eindimensionale Charaktere geht es mir eher nicht, sondern um Charaktere, die zu Schelmenstreichen, Gaunereien oder Scharlatanerie fähig sind und diese auch praktizieren. Sei es nun als eine Reaktion auf eine bestimmte Situation oder als die dominierende Charaktereigenschaft.


    Natürlich gibt es auch in der Operette etliche solche Charaktere. Die von Dir angesprochenen kann man wohl mit Fug und Recht als schelmische Charaktere bezeichnen. Es ist vielleicht gar nicht nötig, in diesem Thread die Operettencharaktere auszugrenzen.


    LG


    Maggie

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Liebe Maggie,


    Schelmische Züge mache ich am Ännchen im "Freischütz" aus


    Ännchen wiederum machte den Schelm sehr konkret an einem Nagel fest. :D


    Natürlich darf hier der Erz- aller Schelme nicht fehlen, auch wenn die Orchesterdichtung von Richard Strauss um ihn bekannter ist als die Oper, die Emil Nikolaus von Reznicek über ihn geschrieben hat: TILL EULENSPIEGEL. Allerdings verlagern wir die Thematik jetzt zunehmend auf Leute, die den Schalk im Nacken haben.


    Ein ganzes schelmisches Geschlecht waren übrigens auch die Nibelungen, jedenfalls wenn man der Lesart von Oscar Straus und meinem Namensohm Rideamus glauben mag, taten sie doch alles um Dumm-Siegfried zu übertölpeln. Besonders begabt waren sie darin allerdings nicht.


    Scharlatane ganz teuflischer Art sind übrigens auch Babinsky und der Teufel höchstpersönlich in Weinbergers SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER sowie die übrigen Helden meines Rätsels http://www.tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=6391.


    Und vergessen wir nicht fiese Charaktere wie den Scarpia in Puccinis TOSCA, einen Trickbetrüger der besonders hinterhältigen Art.


    Dagegen sind der Falsacappa in Offenbachs LES BRIGANDS/DIE BANDITEN und dessen Gegenstück GASPARONE schon wieder harmlos liebenswerte Gauner.


    Und schließlich: was ist der Dr. Pangloss aus Bernsteins bzw. Voltaires CANDIDE anderes als ein Erzschelm?


    Oder der Puck aus Purcells und Brittens SOMMERNACHTSTRAUM nach Shakespeare?


    Man sieht: die Bandbreite ist mehr als groß, denn schelmisch im weiter oben beschriebenen Sinne sind sogar die Heldinnen von MARTHA, ganz zu schweigen von dem Kezal aus der VERKAUFTEN BRAUT und den ganzen Heiratsvermittlerinnen, die mir dabei einfallen, etwa der Dolly aus HELLO DOLLY oder ihrem Pendant in FIDDLER ON THE ROOF/ANATEVKA, die das ja schon fast von Berufs wegen sind.


    Nach diesen Anstößen müssten eigentlich noch eine ganze Menge mehr zum Vorschein kommen, denn kaum eine Komödie ist frei von einer/m, die/der es faustdick hinter den Ohren hat.


    Ausgenommen natürlich der Affe, den ein anderer Schelm als DER JUNGE LORD ausgibt.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus


    Ännchen wiederum machte den Schelm sehr konkret an einem Nagel fest. :D


    Nein, der Nagel ISt der Schelm:


    Agathe
    Sprich, wen meinst du? Welchen Knecht?


    Ännchen
    Nun, den Nagel! Kannst du fragen?
    Sollt´er seinen Herrn nicht tragen?
    Ließ ihn falln! War das nicht schlecht?


    :hello:


    Elisabeth

  • Zitat

    Original von Elisabeth


    Nein, der Nagel ISt der Schelm:


    Meinte ich doch auch. Da braucht man auch gar nicht lange zu suchen, denn schon Aennchens erste Worte vor den vor Dir zitierten sind:


    "Schelm, halt fest."


    Damit meint sie den Nagel, der sich weigert, das Bild des Grossvaters festzuhalten. Tut mir leid, wenn meine "blumige" Sprache irrefuehrte.


    :hello: Rideamus (z. Zt. in England)