Claude Debussy (1862 - 1918 )
Le Martyre de Saint Sébastien
(Das Martyrium des Heiligen Sebastian)
Musique de scène sur le mystère en cinq actes de Gabriele D’Annunzio
(Bühnenmusik zum Mysterium in fünf Akten von Gabriel D’Annunzio)
Libretto: Gabriele D’Annunzio (1863 - 1938 )
Entstehung: 1911
Uraufführung: 22.05.1911, Paris
Dirigent: André Caplet
Regie: Armand Bour
Choreographie: Michail Fokin
Sébastien: Ida Rubinstein
Verlag: Edition Durand, Paris
Dauer: ca. 90 Minuten (Angabe des Verlegers)
Personen:
Le Jumeau Marc / Der Zwillingsbruder Marc - Mezzosopran
Le Jumeau Marcellien / Der Zwillingsbruder Marcellien - Mezzosopran
La Vierge Erigone / Die Jungfrau Erigone - Sopran
Vox sola / Einzelne Stimme - Mezzosopran
Vox coelestis / Stimme der Freude - Sopran
Anima Sebastiani / Sebastians Seele - Sopran
Récitant (Le Saint) / Erzähler (Der Heilige) - Sprecher
Les Archers d’emèse / Die Bogenschützen von Emesa
Chorus Seraphicus / Chor der Seraphim
Musiciens (Les catharèdes) / Musiker (Die Harfenspiele)
Les Femmes de Byblos / Die Frauen von Byblos
Chorus Syriacus / Chor der Syrer
Chorus Martyrum / Chor der Märtyrer
Chorus Virginum / Chor der Jungfrauen
Chorus Apostolorum / Chor der Apostel
Chorus Angelorum / Chor der Engel
Chorus Sanctorum Omnium / Chor aller Heiligen
Orchester:
1 Piccoloflöte, 3 Flöten , 3 Oboen, 3 Klarinetten, 1 Bassklarinette, 3 Fagotte, 1 Kontrafagott
6 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Tuba
Pauken, Schlagzeug
3 Harfen, 1 Celesta
Streicher
Ida Rubinstein als "Saint Sébastien"
Handlung:
Premiére Mansion / Erste Mansion
La cour des lys / Der Lilienhof
In einer Säulenhalle bereitet man glühende Kohlen für das Martyrium der Zwillingsbrüder Marc und Marcellien, zweier junger Christen vor. In einem Anbetungshymnus bekennen und bekräftigen die beiden ihren Glauben. Der Präfekt legt den Märtyrern nahe, sich zu besinnen und wieder den alten Göttern zu folgen. Sebastian, glühend erfüllt vom christlichen Glauben und bemüht, verfolgten Christen zu helfen, betrachtet die Zwillinge voller Inbrunst. Da er sie schwanken sieht, erhebt er seine Stimme und gibt ihnen neue Kraft. Er bitte den Himmel um ein Zeichen, durch welches die Macht des einigen Gottes sich offenbaren soll. Er spannt seinen Bogen und schießt einen Pfeil zum Himmel, der nicht wieder herab fällt. Inmitten der Begeisterung betritt Sebastian mit nackten Füssen die Kohlenglut und tanzt einen ekstatischen Tanz. Ihren Höhepunkt erreicht die mystische Raserei, als aus dem hohen Liliengarben sieben Seraphine erscheinen.
Deuxième Mansion / Zweite Mansion
La chambre magique / Der magische Raum
Mit Hilfe seiner Jünger stürzt Sebastian, in der Inbrunst seiner Heiligkeit und seines göttlichen Auftrags, die falschen Götter. Im Laufe seines glühenden Kreuzzugs erreicht er den magischen Raum, wo sieben gefesselte Zauberinnen unter einer Kuppel aus poliertem Metall über das in Tiegeln brennende Feuer der Planeten, der Sonne und des Mondes wachen. Mit einem Hammer zerstört Sebastian den heiligen Raum. Hinter einer Bronzetür erhebt sich die Stimme der Jungfrau Erigone. Die metallenen Türflügel öffnen sich ein wenig, und man erblickt das Strahlen des magischen Raums, in welchem die Zeichen des Tierkreises sich unter der herrlichen Majestät der Jungfrau drehen.
Troisième Mansion / Dritte Mansion
Le concile des faux dieux / Der Rat der falschen Götter
In einem weiten Halbkreis thront der Kaiser Augustus inmitten von Bildnissen der zahllosen Götter. Die Menge der Priester fleht den Cäsar an, sie zu rächen, sie von den Christen zu befreien. Der Kaiser liebt Sebastian wegen seiner Schönheit. Und weil er ihn bei sich behalten will, führt er ihn in Versuchung und bietet ihm die Unendlichkeit der Macht und des Reichtums. Der Heilige hat die Saiten seiner Leier zerschnitten und spielt das Drama des Menschensohns. Der Kaiser springt begeistert auf und legt Sebastian eines der goldenen Siegessymbole in die Hand. Dieser schmeißt es dem Kaiser aber vor die Füße. Augustus bändigt seine Wut und befiehlt den Heiligen auf die Leier mit den zerschnittenen Saiten auszustrecken und ihn mit Blumen zu bedecken.
Quatrième et Cinquième Mansion / Vierte und Fünfte Mansion
Le laurier blessé / Der letzte Lorbeerbaum
Sebastian hängt an einem hohen Stamm im Hain des Apollo. Seine Bogenschützen, die ihn lieben, wollen ihn losbinden und befreien. Doch das Schicksal Sebastians muss vollstreckt werden, er muss von den Pfeilen seiner eigenen Schützen getroffen werden. Mit glühenden Worten redet er auf seine treuen Soldaten ein, ihn mit ihren Pfeilen zu töten.
Le paradis / Das Paradies
Interlude (Orchestre) / Zwischenspiel (Orchester)
Langsam bahnt sich der Totenzug seinen Weg durch das Dunkel des Abends. Die Tore des Paradieses öffnen sich. Die Heere der Engel und die Heiligen empfangen die Seele des Heiligen Sebastian.
(Fassung nach Germaine Inghelbrecht, gekürzt.)
Gabriel D’Annunzio
Über das Werk:
Das „Martyrium des Heiligen Sebastian“ war ursprünglich eine von mittelalterlichen Mysterien und Mirakelspielen inspirierte, verschwenderisch ausgestattete Theaterproduktion, in der alle künstlerischen Disziplinen zusammenwirkten. Der im Exil lebende Gabriel D’Annunzio war angeblich - im Einklang mit dem seinerseits in Paris vorherrschenden Klima - auf der Suche nach einer Neuinterpretation religiöser Werte gewesen und wählte sich hierfür die Gestallt des Sebastian. Unterstützt wurde er bei diesem Projekt von der Tänzerin Ida Rubinstein (1885 - 1960), die das Werk in Auftrag gegeben hatte und trotz aller Widerstände die Rolle des heiligen Sebastian übernahm. Debussy war als Komponist nur dritte Wahl gewesen, nachdem Jean-Jules Roger-Ducasse und Florent Schmitt diesen Auftrag abgelehnt hatten. Nach eigenen Worten musste Debussy in zwei Monaten eine Partitur schreiben, für die er normalerweise ein Jahr benötigt hätte. Nachdem er jedoch einmal mit der Arbeit begonnen hatte, fand er bald Gefallen an der faszinierenden und anregenden Thematik. Da die zeit drängte, suchte Debussy Unterstützung bei seinem Freund André Caplet, der daraufhin das Kopieren der Stimmen und teilweise die Orchestrierung der Partitur übernahm.
Die Uraufführung fand am 22.05.1911 am Théâtre du Châtelet in Paris statt. Die im ganzen fünf Stunden dauernde Vorstellung wurde von der Kritik mit Ratlosigkeit aufgenommen und von der katholischen Kirche auf das schärfste verurteilt, was zum Teil den Misserfolg des Stückes erklärt. Wenige Tage vor der der Premiere hatte Léon-Adolphe Amette, der Erzbischof von Paris, ein Verbot ausgesprochen, wonach es allen Katholiken untersagt war, diesem Spektakel beizuwohnen. Das Verbot blieb auch weiter bestehen, nachdem Debussy und D’Annunzio erklärt hatten, das Werk sei Ausdruck tiefsten religiösen Empfindungen.
Seitdem wurde die Musik auf verschiedene Weise wieder belebt: im Konzertsaal mit und ohne Chor, als Ballett und als Oratorium. Den meisten Erfolg kann wohl jene Fassung verbuchen, die mit Zustimmung von Debussy und D’Annunzio für die zahlreichen konzertanten Aufführungen unter dem Dirigenten Désiré-Émile Inghelbrecht (1880 - 1965), dem Chorleiter der Uraufführung, angefertigt wurde. Dessen Frau Germaine Inghelbrecht wählte einige Passagen des Schauspiels aus, durch deren Vortrag ein Erzähler die Verbindung zwischen den einzelnen Musiknummern schaffen sollte. In dieser Version wird zudem eine Beschreibung und Zusammenfassung von jedem der fünf Akte gegeben.
„Le Martyre de Saint Sébastien“ wird bisweilen als eines der Schlüsselwerke aus Debussys letzten Jahren eingestuft, das ähnlich dem Ballett „Jeux“ und den späteren Kammermusikwerken bereits zukünftige musikalische Entwicklungen des 20. Jahrhunderts vorausahnen lässt.
Empfohlene Einspielung:
Sylvia McNair, Ann Murray, Nathalia Stutzmann, Leslie Caron
London Symphony & Chorus
Michael Tilson Thomas
Sony
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Davidoff