Paul McCreesh (*1960), der Gründer des Gabrieli Consort, dürfte einer der harausragendsten englischen Dirigenten der Generation nach Gardiner sein.
Seine Einspielung von Händels Messiah ist mir die mit Abstand liebste. Daneben hat er weitere "konventionelle HIP-Einspielungen" von Händel-Oratorien geleitet.
Kontovers zu diskutieren sind allerdings seine "Experimente". Da gibt es die Experimente mit solistischer Besetzung (man denke an Bachs Matthäuspassion) und Experimente einer möglichst historisch authentischen Programmzusammenstellung, die geradezu wie die Erfindung des Hörspiels im Alte-Musik-Sektor anmuten.
Da wären an "Hörspielprojekten" (die Liste ist lang!) beispielsweise zu nennen:
Erste Vesper zur Verkündigung der hl. Jungfrau Maria wie sie 1643 in der Basilika von San Marco in Venedig hätte gefeiert werden können. Mit Werken von Monteverdi, Rigatti, Cavalli, etc. ( "Venetian Vespers", 1990)
Eine Ostermesse, wie sie um 1600 in der Basilika San Marco gefeiert worden sein könnte. Mit Werken von G. & A. Gabrieli, Lassus (Lasso) und anderen. ("Venetian Easter Mass", 1996)
Ein Requiem für Philip II wie es 1598 bei seiner Trauerzeremonie in der Kathedrale von Toledo hätte aufgeführt werden können. Mit dem Requiem von Cristobal de Morales und einer Motette von Alonso Lobo (1997)
Tja... was soll man von derartigen Experimenten halten? Erst war ich begeistert. Gerade auch die Programmzusammenstellung der erstgenannten CD finde ich äusserst löblich, weil man so neben Monteverdi auf vokale Meisterwerke von G. A. Rigatti, F. Cavalli und A. Grandi stösst, die einen vielleicht nie interessiert hätten, weil die Namen nur für Experten von Bekanntheit sind. Dafür möchte ich Paul McCreesh herzlich danken! Auch dieser Hörspielcharakter ist eine sehr schne Sache. Da wird einem vom Klingeln der Sakristeiglocke bis zum Schlußsegen eine komplette Vesper (bzw. Messe oder was auch immer) präsentiert. In der "venezianischen Ostermesse" wird sogar die Zeremonie des An-die-Tür-Klopfens nachgestellt.
Leider sättigt das aber auch bald. So wird beispielsweise in allen drei der oben angeführten "Hörspiele" das pater noster gesungen. Das ist auf die Dauer musikalisch vollkommen uninteressant, ganz zu schweigen davon, wenn Tagesgebet, Lesung, Evangelium, Hochgebet, Segen, etc. auch alles eingesungen wird. Zumal gerade diese Teile recht unschön gesungen sind. Und wenn der Antwortgesang der Gemeinde dann auch nur aus einer kleinen handvoll Männerstimmen besteht, die nochdazu ziemlich grimmig brummeln, geht die vermeintliche Authentzität dieses Schauspiels alsbald flöten. Die leicht grimmigen Bässe werden dann auf der Morales-CD auch noch von einem Bajón/Dulzian begleitet, was das alles noch viel grimmiger und kehliger klingen lässt. Die vorgetragenen Epistel und dergleichen gehen in jener CD leider auch sehr im eigenen Nachhall unter und sind vokal recht lieblos und ausserdem nicht sonderlich Textverständlich gesungen...
Naja, aber wo so viel Licht ist, darf auch etwas Schatten sein.
Was haltet ihr von McCreeshs Einspielungen, von den konventionellen wie den teilweise enorm experimentierreudigen?