Martinu: Gilgamesch

  • Bohuslav Martinu (1890-1959)
    Gilgameš
    (Das Gilgamesch-Epos)



    Allgemeines zum Oratorium:


    Titel: Gilgameš
    Titel (deutsch): Das Gilgamesch-Epos
    Anlass: Maja Sacher gewidmet, der Frau seines Mäzens Paul Sacher
    Entstehungszeit: 1949-55
    Uraufführung: 24. Januar 1958 in Basel
    Libretto: Lubor Matouš in der Umdichtung von Ferdinand Pujman
    Sprache: tschechisch
    Besetzung: Solisten (SATB), gemischter Chor und Orchester
    Spieldauer: ca. 50 Minuten
    Erstdruck: Wien: Universal Edition, 1958



    Das Gilgames - Epos


    Das Epos hat seinen Ursprung im Sumerischen Reich in Mesopotamien. Aus sumerischer Zeit sind einige wenige Tontafeln in sumerischer Keilschrift mit Fragmenten mehrerer Texte bekannt.


    Der Großteil des Werkes ist durch jüngere, babylonische Tontafeln überliefert, die in der Tontafelbibliothek Assurbanipals (669 v. Chr. – 627 v. Chr.) gefunden wurden. Die Tafeln sollen einer nicht nachprüfbaren Überlieferung zufolge von dem Dichter Sin-leqe-unnini stammen, der im 12. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. Das heute bekannte Epos wurde in Ninive in ca. 3600 Verszeilen auf 11 Tafeln niedergeschrieben, die neben der Schilderung der Heldentaten des Königs Gilgamesch auch die Erzählung von einer großen Sintflut beinhalten.


    Das sumerische Epos Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt wurde später auf einer 12. Tafel hinzugefügt. Die 12. Tafel enthält als einzige den Unterwelt-Mythos, wonach König Gilgamesch zeitweilig als Richter gewirkt haben soll.


    Gilgamesch war nach sumerischer Überlieferung König der sumerischen Stadt Uruk; zu einem Drittel menschlich und zu zwei Dritteln göttlich. Das Epos erzählt von den Heldentaten Gilgameschs und seiner Freundschaft mit dem von der Göttin Aruru erschaffenen menschenähnlichen Wesen Enkidu, thematisiert aber vor allem seine Suche nach Unsterblichkeit.


    Das Epos gilt als die erste Dichtung, welche die Loslösung von den Göttern, zugleich aber auch die Angst vor der Vergänglichkeit des Lebens thematisiert. Gilgamesch gilt daher als das erste existentialistische Werk der Menschheit. Da Gilgamesch rastlos nach ewigem, d. h. göttlichen, Leben sucht, ist hier auch ein frühes faustisches Motiv zu erkennen. Auch kann das in dem Epos hervorgehobene Motiv des Baumfällens im Zusammenhang mit der Beschreibung der verödeten Steppenlandschaft als frühzeitlicher Hinweis auf die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Waldes interpretiert werden.


    Eine Reihe anderer altorientalischer Werke weisen auffällige Ähnlichkeiten zur Gilgamesch-Sage auf. Dazu zählen auch interessante Parallelen in der späteren biblischen Überlieferung. So erinnert die Figur des biblischen Noach stark an den göttlich auserwählten Helden Utnapischtim. Im Pentateuch (Genesis, Kapitel 6 EU) findet sich auch das Motiv von Engeln, die sich auf der Erde materialisiert haben und Beziehungen mit Menschenfrauen eingegangen sind. Die dabei gezeugten Kinder werden „Nephilim“ genannt und als eine Art „Halbgötter“ beschrieben, die für ihre übermenschliche Stärke und ihren aufbrausenden und schlechten Charakter bekannt sind.
    Es lassen sich auch Entsprechungen im griechischen Götterhimmel mit seinen Titanen und Halbgöttern finden, besonders in den menschlichen Kindern des Zeus, die dieser den Göttersagen zufolge nach Lust und Laune mit normal sterblichen Frauen gezeugt haben soll.


    Gilgamesch, der Held der Geschichte, ist zu zwei Dritteln Gott und zu einem Drittel Mensch. Er besitzt außergewöhnliche physische Kräfte, wird als furchtloser und ungehobelter Tatmensch geschildert und herrscht als König in Uruk. Sein autoritärer Regierungsstil und die bedrückenden Lasten, die mit seinen Bauprojekten verbunden sind, führen zur Verärgerung der Einwohner der Stadt, die sich bei den Göttern beschweren. Um den Herrscher zu bändigen und von seinem wichtigsten Bauvorhaben, einer riesigen Stadtmauer, abzuhalten, erschaffen die Götter Enkidu, ein wildes, menschenähnliches Wesen, und setzen es in der Steppe bei Uruk aus. Ein Jäger entdeckt den Steppenmann und berichtet dem König von der beeindruckenden Stärke Enkidus. Gilgamesch interessiert sich dafür und schickt eine Tempeldienerin, um Enkidu zu verführen und ihn auf diese Weise in die Stadt zu locken. Sie schläft mit ihm, Enkidu verliebt sich in das Mädchen und sie überzeugt ihn, mit nach Uruk zu kommen. In einem Hirtenlager erfährt Enkidu von Gilgameschs selbstherrlichem Gebaren, das ihn sehr erzürnt. In Uruk treffen Gilgamesch und Enkidu dann aufeinander und es kommt zwischen den beiden zum Kampf um die Herrschaft, bei dem jedoch zunächst keiner den anderen besiegen kann, weil Enkidu von den Göttern so stark erschaffen wurde, dass er Gilgamesch gewachsen ist. Letztendlich gewinnt Gilgamesch den Kampf doch, erkennt Enkidu aber symbolisch als seinen Bruder an: In Enkidu habe ich meinen Bruder gefunden. So schließen die beiden Helden Freundschaft.


    Gilgamesch und Enkidu nehmen sich vor, gemeinsam eine Heldentat zu vollbringen und Chumbaba, ein furchtbares Waldungeheuer, zu töten und in dessen Wald Zedern zu fällen. Sie finden Chumbaba, können es töten, und fällen dann die Zedern. Als die Liebesgöttin Ischtar (Inanna) den zurückgekehrten Helden Gilgamesch erblickt, verliebt sie sich in ihn. Doch Gilgamesch weist sie zurück. Erbost darüber geht sie zum Göttervater Anu und verlangt, den Himmels-Stier auszusenden, um Gilgamesch zu töten. In Uruk angelangt, richtet das Ungeheuer schlimme Zerstörungen an. Der Stier tötet Hunderte von Uruks Männern, bis Enkidu und Gilgamesch den Kampf aufnehmen und ihn töten. Als die Götter dies sehen, sind sie sich einig, dass die beiden jetzt zu weit gegangen sind. Sie beschließen, die Aufrührer zu bestrafen, zunächst, indem sie eine Krankheit schicken, an der Enkidu stirbt.


    Der Tod Enkidus macht Gilgamesch nachdenklich und er begibt sich auf eine lange Wanderschaft, um in der Fremde das Geheimnis des Lebens zu finden. Er will nicht das gleiche Schicksal wie Enkidu teilen und hofft, dass ihm sein Urahn Utnapischtim dabei helfen kann. Auf seiner Suche irrt er zunächst durch die Weite der Steppe und kommt schließlich zum Berg Maschu, in dem sich der Einstieg in den nächtlichen Tunnel befindet, den die Sonne Schamasch nachts auf ihrem Weg von West nach Ost durchläuft. Gilgamesch kann die Wächter des Tunnels, zwei Wesen, die halb Mensch, halb Skorpion sind, überreden, ihn passieren zu lassen. Als er aus dem Tunnel heraustritt, befindet er sich in einem Garten, in dem alle Pflanzen aus Edelsteinen bestehen. Er kommt dann zu einer Schenke, deren Bedienung ihm den Weg weist.


    Gilgamesch findet also den Fährmann Utnapischtims, der ihn über das Meer des Todes zur Insel bringen soll, auf der Utnapischtim lebt. Aber im Streit zerschlägt Gilgamesch die für die Überfahrt benötigten Fährstangen. Nur mit diesen speziellen Stangen aus Stein hätte man sich problemlos über das Totenmeer fortbewegen können. Der Fährmann erklärt sich dennoch bereit, Gilgamesch überzusetzen. Dazu muss Gilgamesch nun aber zunächst einhundertzwanzig Stangen aus Holz schnitzen. Nachdem Gilgamesch das getan hat, fahren sie los. Nach jedem Stoß muss Gilgamesch die gerade benutzte Stange ins Wasser hineingleiten lassen, da sie mit dem Wasser des Todes aus diesem mythischen Meer in Berührung gekommen und dadurch verunreinigt ist. Als sie die letzte Stange aufgebraucht haben, sind sie noch immer nicht an der Insel angelangt. Gilgamesch zieht sein Hemd aus und hängt es wie ein Segel auf.


    Wie Gilgamesch und der Fährmann die Insel schließlich doch erreichen, ist nicht bekannt, da dieser Teil der Tontafel beschädigt ist. Er ist aber offenbar tatsächlich heil auf der Insel angelangt.


    Auf der elften Tafel des Epos wird die Geschichte einer Flutkatastrophe erzählt. Eine vollständig erhaltene Fassung der Tafel ist nicht vorhanden. Deshalb musste die Handlung aus sumerischen, babylonischen, akkadischen, hurritischen und hethitischen Überlieferungsfragmenten rekonstruiert werden. Demnach sucht Gilgamesch seinen Urahnen auf, der in der sumerischen Fassung der Erzählung Ziusudra heißt und ihm die Geschichte von der Flut erzählt (Rahmenhandlung). Demnach hatte der Gott Enki den Menschen Ziusudra vor einer Flut gewarnt, die alles Leben vernichten wird, und ihm geraten, ein Schiff zu bauen. Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass Enki den anderen Göttern zuvor hatte schwören müssen, über die kommende Katastrophe Stillschweigen zu bewahren. Um seinen Eid nicht zu brechen, wendet Enki eine List an und redet nicht unmittelbar mit dem Menschen, sondern spricht seine Worte gegen die aus Schilf bestehende Wand des Hauses, in dem Ziusudra schläft. So wird Ziusudra im Schlaf in Form eines Traumes vor der Gefahr gewarnt. Er folgt daraufhin den erhaltenen Befehlen Enkis aus dem Traum, reißt sein Haus ab und baut aus dem Material ein Boot. Auf ausdrückliche Weisung Enkis verrät er den anderen Menschen nichts von dem drohenden Untergang. In das Boot lässt Ziusudra nun die Tiere der Steppe, seine Frau und seine gesamte Sippe einsteigen. Die babylonische Fassung berichtet im weiteren Verlauf über den Ablauf der Katastrophe, die in Form einer Flut über das Land hereinbricht und alles feste Land untergehen lässt. Nach dem Ablaufen des Wassers werden Ziusudra und seine Frau von Enlil für die Rettung der Lebewesen dadurch belohnt, dass beide vergöttlicht werden und ein göttliches Leben auf der Götterinsel Dilmun führen dürfen. Im Gilgamesch-Epos wird Schurrupak im unteren Mesopotamien als der Ort angegeben, von dem die Flut ihren Ausgang nahm. Nun setzt die Rahmenhandlung wieder ein. Nach dem Anhören der Geschichte schläft Gilgamesch ein. Er schläft sechs Tage und sechs Nächte lang. Nachdem er am siebten Tag aufgewacht ist, sagt Utnapischtim ihm schließlich, wo er die geheimnisvolle Pflanze finden kann, die das ewige Leben bewirkt. Gilgamesch kann das Gewächs finden und macht sich auf den Weg zurück in die Heimat, wo er die Wirkung der Pflanze zunächst an einem Greis testen will, ehe er die Substanz der Pflanze an sich selbst erprobt. Als Gilgamesch an einem Brunnen rastet, ist er jedoch unvorsichtig und eine Schlange kann ihm die Pflanze des Lebens stehlen. Betrübt und niedergeschlagen kehrt er nach Uruk zurück. Als Trost für sein Scheitern bleibt ihm letztlich nur der Stolz auf die von ihm errichtete Stadtmauer.


    (Quelle: Wikipedia)



    Zur Komposition


    Diese großartige Vorlage - das Ringen mit Naturgewalten, gesellschaftliche Machtkämpfe, Sexualität, Liebe und Tod - hat Martinu zu seiner Musik inspiriert, die als Gipfelpunkt seines Vokalschaffens gilt. Lyrisches und Dramatisches, meditierende Partien und solche, die archaische Motivprägung zulassen, bilden ein reiches Feld für fantasiereiche Entfaltung. Das Sujet "ist dramatisch, es verfolgt mich im Schlaf, schwer ist es ebenfalls. Balde werde ich damit fertig. Paul Sacher freut sich schon sehr darauf", schreibt Martinu am 12.02.1955 an tschechische Freunde aus Nizza, wo er sich seit Ende 1953 aufhielt. Wenige Tage später war die am 23.12.1954 begonnene Arbeit abgeschlossen. Der Plan dazu beschäftigte ihn allerdings seit vielen Jahren.


    Für sein Libretto hat Martinu nur einige Teile der von Reginald Campbell Thompson 1928 in Englische übersetzten Dichtung ausgewählt und frei zu drei dramaturgisch schlüssigen Teilen gefügt:


    I. Gilgamsch
    II. Der Tod des Endiku
    III. Die Beschwörung


    In dem für seine Entstehungszeit gemäßigt modernen, klangfarbig instrumentierten Werk ist die sich bis zum mitreißenden Aufruhr religiösen Beschwörungstaumels steigernde Handlung auf vier Solisten, Sprecher und (gelegentlich textlos oder a capella singenden) Chor verteilt.


    Aus dem Orchestersatz treten Klavier, Harfe, Trompeten, Posaunen und reich besetztes Schlagwerk besonders hervor. Die musikalische Deklamation suggeriert lebendige Szenen durch den unbegleiteten Sprechstil des Erzählers, melodramatische oder ariose Partien durch die Solisten, vorallem aber durch den wirkungsvoll differnzierten Einsatz des Chores. Besonders bannende Wirkungen werden in dieser textbedingten Mischung durch die berauschende Verlockungsszene im ersten Teil, durch Enkidus gespenstische Todesvisionen, Gilgameschs von Threnodien des Chores umspielte Klage um den toten Freund und sein dränges Flehen um dessen Auferstehung ausgelöst. Instrumental frappierende Impressionen im Harfenrausch des Vorspiels zum dritten Teil erinnern an Albert Roussel, dessen Schüler Martinu 1923 in Paris war. Mit dem zum Vivace gesteigerten Einsatz aller Vokal- und Instrumentalkräfte wird bei der Beschwörung Gottes noch einmal eine faszinierende dramatische Wirkung erreicht, bevor zum Ende die ersterbenden Klänge mit der Stille der Unendlichkeit verschmelzen.



    Einspielungen



    Kusnjer, Margita, Vele, Depoltova,
    Slowakische Philharmonie & Chor, Kosler







    Machotkova, Zahradnicek, Zitek, Prusa,
    Prag SO, Belohlavek



    Habt ihr schon Erfahrungen mit dem Werk gemacht und wenn ja, welche? Ich habe das Werk bisher einmal im Jahr 2004 - in deutscher
    Übersetzung - live hören können. Welche Einspielungen werden von euch bevorzugt?

  • Ich muss es mir unbedingt wieder einmal anhören! Im Moment kann ich mich einfach zu wenig daran erinnern - ich weiß aber noch, dass mich die Verführungsszene ziemlich begeistert hat und ich den Frauenchor, der um Enkidu trauert, sehr schön gefunden habe. Insgesamt ist das ein Werk, das ich gerne einmal live erleben würde, weil ich da stets mehr "Überblick" erlebe als beim CD-Hören. Und der fehlt mir noch ein bisschen.
    Liebe Grüße,
    Martin

  • Wer dieses Werk einmal live hören möchte, hat dazu in einem Jahr Gelegenheit:


    Freitag 01. Mai 2009 | 20:00 | Konzert


    Alfried Krupp Saal , Essen



    5 Jahre Philharmonie
    "Gilgamesch-Epos"
    Kammerorchester Basel mit RIAS Kammerchor
    Simona Saturova, Sopran
    Tomas Cerny, Tenor
    Ivan Kusnjer, Bariton
    Peter Mikulas, Bass
    Dieter Mann, Sprecher
    Kammerorchester Basel
    RIAS Kammerchor
    Matthias Bamert, Dirigent


    Joseph Haydn
    Sinfonie Nr. 22 Es-Dur, Hob. I:22 "Der Philosoph"
    Bohuslav Martinu
    Das Gilgamesch-Epos, Oratorium in drei Teilen für Sopran, Tenor, gemischten Chor und Orchester