J.B. Lully "Thesée (Concert d'Astrée, Emmanuelle Haïm

  • Gestern konnte ich hier an der Opéra de Lille das langersehnte Opernereignis des Jahres, den seit 200 Jahren nciht mehr aufgeführten "Thesée" von Jean-Baptiste Lully, geniessen
    Diese Oper wurde 1675 in St German-en Laye in Paris uraufgeführt und nun unter der musikalischen Leitung der in Lille residierenden Emmanuelle Haïm und iihrem Concert d'Astrée von Jean Louis Martinoty und dem Choreographen François Raffinot inszeniert.
    Das Ergebnis war musikalisch überwältigend gut und Emmanuelle Haim war tatsächlich der Star des Abends. Sie bekam mehrfachen Zwischenjubel und strahlte in einen langen schulterfreien Kleid statt des gewohnten Hosenanzugs und langem roten Haar statt der gewohnten kurzen Locken eine beeindruckende Mischung aus klarer Kompetenz und barocker Syn-Ästehtik aus.
    Die klangliche Zusammenarbeit zwischen Orchester, Gesang und Tanz war so hinreissend, dass man trotz des teilweise spektakulären Geschehens auf der Bühne geneigt war, die Augen zu schliessen.
    Letzteres auch , weil die Oper echte Überlängen besonders am Anfang und Ende besitzt und mit insgesamt vier Stunden (incl. Pausen) so manchen barockunerfahrenen Hörer etwas überforderte.


    Die Inszenieirung war meine Allererste einer Lully-Oper überhaupt und ich kann ohne Vergleiche zu haben, nur sagen, dass ich sie gut und angemessen fand, teilweise gab es sogar geniale Ideen.
    Die gesamte Szenerie war in Dekor, Kostümen und Bühnenbildern an den Hof Louis XIV gelegt-für den heutigen Zuschauer sicher eine entscheidende Hilfe beim Verständis und der Interpretation dieser antiken Allegorie auf hôfische Gepflogenheiten und Liebesintrigen in Versailles.


    Sehr gelungen fand ich die in das Bühnenbild eingebauten Gemälde und hebe da insbesondere Folgendes hervor:
    Im dritten Akt schickt die eifersüchtige Zauberin Medée ihre Rivalin um die Liebe Thesées, Aeglée, in eine monsterbewohnte Wüste, um sie dort quasi unter Folter zu einem Verzicht auf Thesée zu zwingen.
    Die Pein und die Qualen, denen Aeglée ausgesetzt wird, wurden durch videoanimerte Gemälde von Hieronymus Bosch dargestellt-eine phantastische Idee mit überzeugender Wirkung.


    Etwas enttäuschend war für mich das Ballett, da hatte ich ehrlich gesagt mehr erwartet. Sechs professionelleTänzer/Artisten, dazu zum Tanz animierte Sänger, aber keine echten grossen Tanzszenen, wie ich mir erhofft hatte.
    Tant pis!


    Zum Gesang, der ja bekanntlich einer meiner wichtigsten Punkte in der Oper ist:


    Alle Leistungen waren gut , es gab keine Ausrutscher oder Fehlbesetzungen irgendeines der Mitwirkungen. Gesungen wurde insgesamt auf sehr lyrischem Niveau, wirklch typisch leichte Barockstimmen konnte ich ausser Paul Agnew und dem Haute-contre Cyril Auvity als Bacchus nciht ausmachen.
    Besetzung:


    Thesée: Paul Agnew (er hatte leider viel zu wenig zu singen, hat aber eine sehr angenehme, leichte Tenorstimme mit m.E. etwas zu wenig Verve und Energie für einen antiken Helden gezeigt)


    Medée: Salome Haller (hat mich nach ihrer desaströsen Donna Anna serh angenehm überrascht, etwas starkes Vibrato aber sehr rollendeckend mit Spinto-Qualitäten, hervorragnede Darstellerin)


    Aeglée: Sophie Karthäuser (seit der Werther-Sophie hier vor zwei Jahren deutlich lyrisch entwickelter Sopran mit angenehm warmem Timbre. Die Sängerin sang bereits sichtbar schwanger und das veranlasste "Le monde de la musique" zu einem Vergleich mit der dauerschwangeren Geliebten des Louis Xiv, Madame de Montespan)


    Egée: J.P. Lafont: ein sowohl stimmlich als auch persönlich gewaltiger König, und für mch im Barockfach bereits etwas grenzwertig schwer.


    Cleone, Ceres, Bergère: Jaël Azzaretti
    die für mich klangschönste Frauenstimme des Opernabends, dazu eine serh gute und lebendige Bühnendarstellerin


    Nathan Berg: Mars, Arcas: ein hervorragender Bass-Bariton, mit Jaël Azzaretti als Cleone das sängerisch fü mich überzeugendste "Paar"


    Weitere Rollen/Sänger auf Nachfrage.


    Peter wird sicher noch Einiges ergänzen und Anders bewerten, das nur mal als ersten Überblick. Denn bevor er nciht Berge von Lully-Literatur durchgeackert hat, werdet ihr hier sonst kaum etwas zu lesen bekommen..... :D
    Dem Lullisten müssen eigentlich die Ohren klingeln, denn wir haben viel an ihn gedacht!!!!! :hello:
    Für mich war das ein sehr gelungener Opernabend. :jubel: :jubel: :jubel: Allerdings will ich nciht verschweigen, dass es einige mozart und verdigewohnte Zuhörer gab, denen die Musik Lullies über mehrere Stunden so "auf die Nerven ging", dass sie nach der Pause den seit Wochen ausverkauften Saal verliessen. Das ärgerte mich besonders im Hinblick auf Barockliebhaber, die kieen Karten mehr bekommen haben! Aber frz. Barock ist eben nicht jedermanns Sache. :(


    Fairy Queen

  • Beneidenswert.
    natürlich wäre ich gerne da gewesen, aber leider war das für mich weder finanziell noch zeitlich auch nur ansatzweise möglich.


    Zumindest bleibt mir die hervorragende Aufnahme unter Paul O'Dette und Stephen Stubbs, die das Werk zum allerersten Mal seit dem Zusammenbruch des Ancien Regimes wieder auf die Bühne holten.


    Aber auch diese Aufführung soll ja auf CD erscheinen, so habe ich auch da die Gelgenheit die Interpretation von Frau Haim kennen zulernen, die sich mit dieser Produktion, wohl einen Traum erfüllt hat.




    Nun aber ganz leer werde ich nicht ausgehen.


    Im Sommer werde ich ein eigenes Konzert veranstalten, mit einem hier ansässigen Barockensemble - auch da wird Lully gespielt werden und viel aus den Kasseler Handschriften.
    Und dann im September steht eine wirkliche Premiere an:


    Wir werden das "Ballet Royal de la Nuit" aufführen, das seit 1653 nicht mehr erklungen ist. :faint:
    Denn meine "Hofhaltung" nimmt jetzt etwas professionellere Züge an :D



    :hello:

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Peter wird sicher noch Einiges ergänzen und Anders bewerten, das nur mal als ersten Überblick. Denn bevor er nciht Berge von Lully-Literatur durchgeackert hat, werdet ihr hier sonst kaum etwas zu lesen bekommen..... :D


    Liebe Fairy Queen,


    ganz so ist es nicht - aber es fällt nicht eben leicht, über eine Oper zu schreiben, deren Text einem nicht präsent ist (und der vom Singen her auch von anwesenden Franzosen nur teilweise verstanden wurde, nicht zuletzt weil es sich um altertümliches Französisch handelte). Deshalb warte ich mit dem "Hauptteil" erst einmal, bis die CD-Einspielung, die ich bestellt habe, bei mir eingetroffen ist - die wird wohl ein Libretto bei sich haben.


    Bis dahin nur einige kleinere Beiträge und ein erster kursorischer Eindruck:


    Die Musik Lullys ist großartig, emotional aufgewühlt traf sie mich und hielt stand - keine Längen, wunderbare Harmonien, außerordentlich abwechslungsreich und voll melodischer Schönheiten, dargeboten von einem hervorragenden und engagierten Ensemble. Dass sie anders sprach als eine französische Oper des 19. Jahrhunderts gereichte ihr bei mir allenfalls eher zum Vorteil - die Leidenschaften und die Tiefen menschlicher Emotionen, die sie vermitteln konnte, brachen durch die zeitgemäße Konventionalität auf eine Weise durch, die die Begeisterung der Zeitgenossen für Lully verständlich machten - und die Größe des Wagnisses, das Gluck unternahm, als er einen Text des genialen Librettesten Quinault vertonte, das Lully selbst zu einer seiner bedeutendsten Opern verwandt hatte.


    Wenn eine Oper zu ihrem Recht auf einer heutigen Bühne kommt, so mE nicht, weil sie das Hofleben von Louis XIV darstellt, das tut sie auch, vor allem im Prologue und dann noch im 1. und 5. Akt - sondern weil sie in dieser doppelten Brechung (der antike Medeen-Stoff, die Widerspiegelung auf der Zeitebene Louis' XIV) und über sie hinaus auch den direkten Weg zu unserem Herzen findet und die so unterschiedliche Gestalt der Leidenschaften des alternden Königs, der verfolgten und verfolgenden fremden Medea, die zu ihrem eigenen Erstaunen & Erschrecken ihre Liebesfähigkeit bei sich entdeckt und an ihr untergeht, des jungen Liebespaar, das durch alle Schrecken hindurch aneinander festhält, in dieser Wahrheit dem Publikum vermittelt, wie es immer nur große Kunst kann: unverstellt von der Zeit und vom Raum.


    Liebe Grüße Peter