Tamerlano, München

  • Wer war denn in der Händel-Premiere der Bayerischen Staatsoper? Stimmt es, was der FAZ-Redakteur schreibt, dass sich Anhänger des Regietheaters lautstark beschwert hätten, ob der Originaltreue der Inszenierung? Tzazz

  • Nee, die "Regietheater-Anhänger" haben sich über die
    Inszenierung deswegen beschwert, weil sie so langweilig war (den Augenzeugenberichten in einem anderen Forum nach zu urteilen).

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Knusperhexe,


    ich war dort und habe unter "Kurznotizen aus den Opernhäusern" darüber berichtet.


    Eine Warnung vorneweg: Ich gehöre eher zu den Anhängern des Regietheaters, bin aber prinzipiell allen Arten von Inszenierungen, die gutes Theater auf die Bühne bringen, gegenüber offen.


    Die Inszenierung war sicher nicht aktualisierend und schrill bunt à la David Alden (der viele andere Händel-Opern in München inszeniert hat), sondern sehr abstrakt. Die Kostüme waren zwar aus Händels Zeit (so ungefähr jedenfalls, genau kann ich das nicht sagen), das Bühnenbild aber doch sehr karg - bis auf die oft kritisierten Wölkchen. Die Inszenierung konzentrierte sich auf die Beziehung der Personen untereinander darzustellen, was aus meiner Sicht gut gelungen ist. Vor allem die Schluss-Szene (der Tod des Bajazet) war sehr stark, auch dank der schauspielerischen Fähigkeiten von Mr. Ainsley.


    Allerdings war dies sicher keine Inszenierung zum Träumen, wie Du sie - wenn ich aus Deinen anderen Postings schließe - so sehr schätzt. Aber die Inszenierung hat auch keine Art von Deutung vorgegeben, was hier - wieder wenn ich aus anderen Postings schließe - von den "Staubis" nicht geschätzt wird.


    Die Ablehnung der Inszenierung war aus meiner Perspektive keineswegs so eindeutig, wie berichtet wird. Ja, es gab einen großen Proteststurm, der aber regelmäßig ein ebenso großes Jubel-Konzert provoziert hat. Hier waren wirklich zwei Fraktionen zu Gange. Aus meiner Umgebung habe ich am Schluss und in der Pause eigentlich auch viel positives gehört.


    Ich habe jedenfalls einen sehr schönen Opernabend verbracht, was natürlich auch (oder ganz besonders) an der verzüglichen Musik lag.


    Mal sehen, ob es auch abweichende Berichte gibt, über eine Diskussion wäre ich gespannt.


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Nee, die "Regietheater-Anhänger" haben sich über die
    Inszenierung deswegen beschwert, weil sie so langweilig war (den Augenzeugenberichten in einem anderen Forum nach zu urteilen).


    Hallo Giselher,


    ich sehe gerade, dass sich unsere Postings überschnitten haben.


    Ich fand es nicht langweilig. Ich kann mir aber zwei Dinge gut vorstellen:


    1. Möglicherweise wirkt die Inszenierung auf einer kleineren Bühne schlüssiger - klaustrophobischer (die Inszenierung war ursprünglich für die viel kleinere Drottningholmer Bühne konzipiert)
    2. Das man diese Stück auf eine ganz andere Weise inszenieren kann, die die Brutalität des Tamerlano und die Auswegslosigkeit der Figuren wesentlich stärker hervorhebt.


    Aber langweilig fand ich es nun wirklich nicht, obwohl ich langsam glaube, dass dies hier angebracht ist:


    :untertauch:


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Liebe Melanie,


    vielen Dank für Deine Berichte. Ich werde mir die Inszenierung unbedingt anschauen. Mich haben historisch getreue Inszenierungen nie gelangweilt. ein genervtes Gähnen erzielt bei mir die andere Regierichtung, aber dann mache ich die Augen zu und genieße die Musik. :yes: Oper ist doch kein Actionfilm. Freue mich auf den Münchener Opernabend.


    P.S.: Was ist dran an dem furchtbaren Gerücht, dass der Rosenkavalier neu inszeniert werden soll und an dem Hoffnung verheißenden Gerücht, dass die alte Schenk-Meistersingerinszenierung noch mal wiederbelebt wird?


    LG,


    Christoph

  • Hallo Melanie,


    ich hatte mich auf die hinsichtlich der Regie weitgehend negativen Berichte aus dem "Wagner-Forum" bezogen.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Christoph,


    ich wünsche Dir jedenfalls viel Spass... Bitte berichten...


    @Giselher: die habe ich auch gesehen und auch die Kritik in der SZ ging in dieselbe Richtung. Daher bin ich ja auch an anderen Meinungen interessiert, um zu überprüfen, ob ich einfach Glückspillen genommen hatte vor der Aufführung :-)


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Zitat

    Original von Mela
    Daher bin ich ja auch an anderen Meinungen interessiert, um zu überprüfen, ob ich einfach Glückspillen genommen hatte vor der Aufführung :-)
    Viele Grüße,
    Melanie


    Liebe Melanie,


    das Gefühl, Glückspillen genommen zu haben, kommt bestimmt in erster Linie von dieser grandiosen musikalischen Umsetzung, die in weiten Teilen sicherlich auch des Komponisten Zustimmung gefunden hätte, obwohl er für die Rolle des Andronico "Senesino", einen Mezzosopran-Kastraten ausgesucht hatte und alle Stars der damaligen Zeit liebend gerne für ihn sangen. Da Frau Nesi auf der Bühne auch eine sehr männliche optische Ausstrahlung hatte und sie diesen schwierigen Part stimmlich sehr gut meisterte, war die Wahl bestimmt in Ordnung. Einzelne waren ja der Meinung, es wäre die bessere Rolle für David Daniels gewesen, aber wen hätte man denn statt dessen für den Tamerlano nehmen sollen? In dieser minimalistischen Bewegungsrolle konnte er sicherlich noch die größtmögliche Bedeutung herausarbeiten und seine wenigen Arien (bes. die im 2. Akt) waren einfach atemberaubend gesungen.


    Man findet auch wieder sehr viele interessante Beiträge zur Entstehung dieser Oper und auch der Inszenierung von Pierre Audi im Programmheft. Was mir bisher entgangen war ist, dass Herr Audi diesen Tamerlano nicht nur 2000 für Drottningholm inszenierte, 2002 mit viel Beifall wieder aufnahm, sondern auch an seine Amsterdamer Oper (er ist dort künstlerischer Direktor) 2005 in adaptierter Form übernahm, da, wie in München, die Bühne sehr viel größer war. Auch in Schweden wurde es ein großer Erfolg und deshalb freute er sich sehr über die Arbeit mit neuen Sängern hier. Wie groß muss da der Schock bei ihm und seinem Team gewesen sein, als ihnen bei der Premiere dieser Buh-Orkan um die Ohren prasselte.


    Ein Argument für diese Regiearbeit war u.a., dass sich alle Konzentration auf die Sänger richten sollte, auf ihre Körpersprache und die Intensität ihres Singens und Spielens und deshalb wäre Tamerlano auch so eine minimalistische Produktion und außer einem Stuhl gibt es ansonsten eben kein einziges Mobiliar.


    Ich persönlich kam mit dieser Regie relativ gut zurecht, da ich ja auch Ballett sehr liebe und man sich dort ja total auf Körpersprache und Musik einlassen muss und die Requisiten ebenfalls oft spärlich sind. Man darf halt nicht groß überlegen, was z.B. Herr Konwitschny oder Herr Loy (von seinem Saul konnte ich kaum genug bekommen) aus Tamerlano gemacht hätten (bei Herrn Alden kann man es sich ungefähr vorstellen). Ich hörte auf den Gängen eigentlich nur negative Bemerkungen über diese Inszenierung und nach der Pause war das Parkett ziemlich geleert. Die Ränge blieben aber voll, denn musikalisch war es ja wirklich ein Hochgenuss, auch für mich Händel-Laien.


    :hello: Ingrid

  • Hallo Ingrid,


    danke für Deine Eindrücke, Dir hat es ja auch offenbar gut gefallen.


    Das das Parkett nach der Pause ziemlich geleert gewesen ist, kann ich eigentlich kaum glauben. Haben die Leute keine Ohren?


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Ich habe mal eine Frage an die Händel-Fans (bin auch Einer!) bezüglich des Tamerlano:
    diese Oper lief bei uns vor drei Jahren auch im Programm und ich fand sie im Vergleich zu meinen Lieblingen Giulio Cesare und Alcina musikalisch wirklich viel schwächer.
    Hinzu kam eine schreckliche Inszeneirung (modern und unglaublich karg, aber dabei ohne einsehbaren Sinn und Verstand) und zwei schrille Counter-Tenöre-ich war wirklich bedient! Trotz unseres sehr guten Concert d'Astrée.
    Mein Mann war sogar so bedient, dass er anschliessend einen herrausragenden Giulio Cesare unter McVicar Regie verschmähte, nach dem Motto: nie mehr vier Stunden Händel mit einer Da Capo Arie nach der Anderen!
    War das in München so interessant gemacht, dass die Längen vergessen waren?
    Neid!!!!! :yes:


    F.Q.

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  • Hallo Fairy Queen,


    Für mich schon, aber scheinbar ja nicht für alle im Publikum :no:


    Die Oper ist aber sicher spröder als andere Händel-Opern (z.B. Giulio Cesare). Es passiert ja eigentlich auch sehr wenig. Die ganze Oper kreist um die Grundkonstellation: Tamerlano liebt Asteria, die Tochter des durch ihn besiegten Bajazet. Demzufolge hassen Asteria und vor allem Bajazet Tamerlano, in dem sie auch den Barbar sehen. Asteria liebt hingegen Tamerlanos Freund Andronico, der zwischen Dankbarkeit zu Tamerlano und seiner Liebe hin- und hergerissen ist, was wenigstens etwas Verwirrung stiftet, bis er sich endgültig für Asteria entscheidet. Hinzu kommt noch Tamerlanos ursrpüngliche Braut Irene, die in einer Mischung aus gekränkter Ehre und Ehrgeiz in die Handlung eingreift. Gehandelt wird sehr wenig: Tamerlano droht und wütet zwar, aber es passiert danach nichts. Asterias Mordversuche an Tamerlano scheitern alle kläglich. Erst der Selbstmord des Bajazet am Schluss beendet den Stillstand.


    Dieser Selbstmord ist eine großartige ungewühnliche Szene. Hier bricht Händel das übliche Arien-Schema und ersetzt es durch eine Abfolge von Rezitativ, Accompagnato-Rezitativ und Ariosos. Diese Szene war auch einer der Höhepunkte in München.


    Es gibt aber weitere gute Musik in der Oper: Das Duett Andronico / Asteria, die große Arie der Asteria "Cor di Padre e cor d'amante" usw.


    Ich habe diese Oper aber auch schon konzertant gehört, ich bin scheinbar hart im nehmen :D


    Im ürbigen hat Vivaldi denselben Stoff vertont (naja es ist ein Pasticcio). Aber wenn man mal Lust auf ein Feuerwerk an herrlichen Arien, brillant musiziert hat, ohne gleich in Gefühlstiefen tauchen zu wollen, kann ich die Aufnahme von Fabio Biondi sehr empfehlen. Das wirkt wirklich wie Glückspillen auf mich (nein, die hatte ich nicht vor der Münchner Aufführung gehört.)


    Viele Grüße nach Lille,


    Melanie

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    War das in München so interessant gemacht, dass die Längen vergessen waren?
    Neid!!!!! :yes:
    F.Q.


    Liebe Fairy,


    bei dieser Inszenierung kann man wohl kaum von "interessant" sprechen (eher einigermaßen erträglich), aber musikalisch spürte man die Längen überhaupt nicht. Es war wirklich Genuss pur. Ich war sogar bei der Rundfunkübertragung voll dabei und bin nicht eingeschlafen, obwohl ich kein Wort verstand. Dagegen flüchtete ich bei Orlando, obwohl das bei Alden Action pur war und mein Liebling Daniels die Hauptrolle sang. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ertrug ich keinen einzigen Ton mehr, was bei Tamerlano nie der Fall war. Selbst bei Alcina, von Loy inszeniert und mit Harteros und Kasarova brillant besetzt, spürte ich allüberall die Längen (die Sitze im Prinzregententheater sind z.B. nicht gepolstert ;) )


    Liebe Grüße
    Ingrid

  • Musikalische Leitung Christopher Moulds


    Tamerlano Max Emanuel Cencic
    Bajazet John Mark Ainsley
    Asteria Sarah Fox
    Andronico Mary-Ellen Nesi
    Irene Maite Beaumont
    Leone Vito Priante



    Cassiodor wird am 27. dabei sein und ist sehr gespannt, vor allem auf Beaumont und auf Cencic (wenngleich er dessen Modegeschmack nicht unbedingt teilt :wacky:)




    Moulds hat u.a. in Köln (Giulio Cesare) mit Händel schon sehr überzeugt.


    Salve,


    Cassiodor :hello: