Herbert von Karajan - wer bietet ihm Paroli ?

  • Auch wenn es manchen gegen den Strich geht:
    Herbert von Karajan hat nun mal heuer seinen 100. Geburtstag, Grund genug, daß alle Labels bei denen er tätig war die Archive durchforsten und die Karajan-Einspielungen - einmal mehr - neu verpacken und in Megaboxen an den Mann zu bringen versuchen.


    Und natürlich sind da auch die Zeitschriften und die Zeitungen, welch an diesem "Event" mitnaschen möchten.


    Tamino macht hier als elekronisch-interaktives Medium keine Ausnahme.
    Und wenn auch der eine oder andere stöhnen mag: "Bitte nicht schon wieder Karajan"- dann stelle ich fest, daß nicht nur seine Aufnahmen zu den bestgehenden zu zählen sind - ähnliches kann auch von den "Karajan-Threads" gesagt werden - deren es im Tamino-Klassikforum ja doch einige gibt.


    "Aber ist dann nicht schon alles gesagt?" Werden einige fragen...
    "Mitnichten" muß ich an dieser Stelle anworten (vor allem im Hinblick darauf, wie ausführlich besprochen wird, wenn sich 2-5 Taminos irgendwann und -wo für 3 Stunden in einer Kneipe treffen.... (SCNR) :baeh01:) - aber auch rein sachlich.


    Das einzige, was hier zu interessieren scheint, ist des Maestro Verhalten im Dritten Reich - ein Thema, das meines Wissens als er am Zenith seines Ruhmes stand (und das war ca 1955- 1980) - gar keines war.


    Und dann vierlleicht noch sein dogmatisches Wesen (andere Dirigenten waren nicht weniger dogmatisch !!)


    Der heutige Thread - er leitet eine Gruppe von Threads ein - versucht herauszufinden WARUM Karajan NOCH HEUTE der wahrscheinlich bestverkaufteste Dirigent der Gegenwart ist, bzw was er seinen (berühmten) Kollegen voraushat.


    Die vielzitiere PR kann es ja wohl nicht sein - erstens meldet sich die ja nur mehr in Jubeljahren zu Wort - zweitens steht ihr eine immer größer werdende Anzahl an gehässigen Artikeln gegenüber - was für den Ausgleich sorgt.


    Die hiemit angekündigten Spezialthreads


    (Als Beispiel - "Karajan vs Celibidache" oder "Karajan vs Karl Böhm" "Karajan vs Klemperer", "Karajan vs Solti")


    werden sich aber nicht nur mit Karajan beschäftigen, sondern auch mit seinen Zeitgenossen.


    Angestrebt ist hier nicht, zu beweisen, daß ein Maestro mit grade mal 5 Aufnahmen im Katalog, "besser" als Karajan dirigiert habe, oder, daß ein anderer Maestro lediglich durch seinen frühen Tod den "ersten Platz" in der Dirigentenhierarchie verfehlt habe, bzw welches "verkannte Talent" der beim Publikum unbeliebte Dirigent X doch sei, sondern die Frage aufzugreifen WARUM Karajan die meisten seiner Rivalen auch noch heute in die Tasche steckt. Hier geht es nicht um Einzelleistungen anhand der man "nachweisen" kann, daß X oder Y ein oder das andere Stück "stilgetreuer" oder "richtiger" origineller" oder "eindrucksvoller" dirigiert hätten, sondern um die "allgemeine Wahrnehmung" - und die ist nicht nur auf "Musikbanausen" beschränkt. Selbst rivalisierende Kollegen grteifen allenfalls den Menschen, kaum je jedoch den Künstler Karajan an.


    Also sie "Seitenthreads" - einige werde ich noch heute eröffnen - sollen sich eher mit dem im Titel genannten "Rivalen" im Lichte von Karajans Ruhm - als mit Karajan selbst befassen.


    Wir erzielen hiemit, daß - trotz des Aufhängers "Karajan" ANDERE - einst hochgelobte - aber teilweise "vergessene" Dirigenten wieder in den Blickpunkt des Interesses gerückt werden.


    Die Erfahrung lehrt (zumindestens mich), daß bei solchen Threads stets - bei allen zugegebenen Wiederholungen - Neues, oder vielmehr Schüttetes ans Licht gebracht wird, was zu (uiuiuiuiiiihhh!) weiteren CD-Käufen (zumindest meinerseits) führt...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    sondern die Frage aufzugreifen WARUM Karajan die meisten seiner Rivalen auch noch heute in die Tasche steckt.


    Hallo Alfred,


    das ist tatsächlich das Einzige, was mich an K interessiert. Wenn ich mich ihm öffne, kann ich tatsächlich Begeisterung empfinden für seine Einspielungen, auch wenn sie mir eigentlich gegen den Strich gehen, da ich all das, was er dirigiert hat, anders haben will.


    K gelingt es, seine Hörer so abzurichten, dass sie glauben, genau so müsse es klingen. In meiner grünen Pubertätszeit erging es mir doch genauso: K, Neeme Järvi und ähnliche wurden als perfekt empfunden - vor allem das Klangliche hatte daran wohl Schuld.


    Etwas gereift, stellte ich fest, dass Järvi in der Regel verdammt gegen das sündigt, was er mit seiner üppigen Wohlklangessauce verziert. Bei K beginnt man auch gegen den erstickenden Klangnebel zu rebellieren, hat man sich einmal angewöhnt, das hören zu wollen, was so alles in den Noten schlummert.


    Gerade will ich eine Regel daraus machen und erinnere mich verwundert daran, dass wir hier ein Mitglied haben, das glaubt, anhand des Notentextes beweisen zu können, dass K es am Richtigsten macht. Hier vermute ich eher eine Art Bedürfnis, die K-Fixierung nachträglich zu rechtfertigen?


    Sicher hast Du Recht, dass die PR allein nicht reichte, aber sie hat wohl doch einen Großteil zu dieser merkwürdigen Position Ks beigetragen. Dabei ist egal, wieviele Plakate jetzt von DG mit Ks Konterfei verziert werden - die PR der vergangenen Jahrzehnte wirkt nach, "man" weiß, dass K der "Beste" ist (vor allem, wenn man eigentlich keine Ahnung von klassischer Musik hat).


    Ich halte K für eine der unerfreulichsten Erscheinungen der Musik des 20. Jahrhunderts (NS-Vergangenheit ist mir komplett Wurst bei der Anhörung von Ks Aufnahmen, davon wußte ich auch bis vor kurzem nichts), aber interessant ist er sicher.
    :hello:

  • Lieber Alfred,


    nur zur Verdeutlichung: Welche Parameter sollen denn herangezogen werden? Allein künstlerische? Charismatische? Machtpolitische? Kontingente? Rezeptionssoziologische?


    Die Ursachen des Karajan'schen Welterfolgs sind sicher vielgestaltig, daher frage ich mal gleich nach möglichen Perspektiveinengungen.


    LG,


    Christian


  • Genau das ist für mich der Schlüssel - Karajan kennt jeder, auch Leute, die noch nie einen Fuß in ein Konzerthaus gesetzt haben und mit klassischer Musik wenig bis gar nichts am Hut haben. Warum habe ich mir mit 15 Jahren, als blutiger Anfänger in Sachen Klassik, die Einspielung der Beethovensymphonien mit Karajan gekauft? Weil er der einzige Name war, der mir etwas sagte. "Das ist doch der Typ mit den schönen Fauen, der mit den Sportwagen, mit der Jacht in Saint Tropez!" Ehrlich gesagt wusste ich da gar nicht, dass dieser Playboytyp aus der Yellow-Press Dirigent war, ich hielt ihn bis dahin für so etwas wie Gunther Sachs. Karajan hat sich damals genauso präsentiert und "verkauft" wie heute eine Netrebko, nur dass das bei ihm - bis zum heutigen Tag - nie jemand verwerflich gefunden hat.
    Und der durchschnittliche Klassik"konsument" verhält sich nicht viel anders als jeder andere Konsument auch: Er greift nach dem Markenartikel, den er aus der Werbung kennt ("Das muss gut sein, wenn sie's im Fernsehen sagen!"), der qualitätsbewusste Kunde schaut halt auch auf die Inhaltsstoffe....... ;)
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Welche Parameter sollen denn herangezogen werden? Allein künstlerische? Charismatische? Machtpolitische? Kontingente? Rezeptionssoziologische?


    Ein gute Frage - und deshalb schwer zu beantworten.


    ich will es dennoch tun - und versuchen meine Antwort zumindest ansatzweise zu begründen:


    "Allein künstlerische ? "


    NEIN


    Es ist jederzeit zu"beweisen", daß ein anderer Dirigent "besser" war - und sogar "warum" das so ist.
    Aus meiner Sicht ist das alles jedoch sehr subjektiv - man hat "Anhänger der Werktreue" (auch im prähippalen Zeitalter) ebenso hochgejublet wie "Revolutionäre" die die Werke gegen den Strich bürsteten.
    Es gibt hier kein wirkliches Kriterium.


    "Charismatische"


    Das kommt der Sache schon näher - allerdings ist es schwierig Charisma in die nächste Generation hinüberzuretten - speziell wenn man bereits tot ist - und WENN (und nur dann !!) es bereits charismatischere Erscheinungen - die noch am Leben und aktiv sind - gibt.....



    "Machtpolitische? "


    Wohl kaum


    "Rezeptionssoziologische??"


    Hier ist interessant anzumerken wie das einerseits heute gesehen wird - und wie die Realität der Verkaufszahle divergiert.


    Unter anderem wurde ich durch einen in den letzten Tagen gelesenen Satz, dazu inspieriert das Thema Karajan EREUT aufzugreifen.
    Der Satz lautete in etwa (aus dem Gedächtnis zitiert")


    "Für Karajan wäre es völlig unverständlich, wenn er wüsste, daß seine Klangästethik heute völlig überholt ist"


    Und da regte sich in mir Widerspruch.
    Ist dies Klangästetik in der Tat WIRKLICH überholt - oder wäre dies nur ein Wunschtraum vieler Kleingeister und "Musik vom elitären Thron-holer" - bar jeglicher Realität. Man muß hier sehen wie viele mittelmässige Möchtegern-Nachwuchs-Dirigenten auf der Strecke bleiben - weil immer noch die "alte Garde" gekauft wird - und besonders Aufnahmen des "unsterblichen Doyens der Schallpatte" - Herbert von Karajan.


    "Kontingente"


    Warum nicht ?


    Das Problem ist - daß in Einzeldisziplinen durchaus Kunkurrenz vorhanden sein mag - so war beispielsweise Karl Böhm (nicht nur im Raum Wien) der beliebtere (oder wer will: ANERKANNTERE") Mozart Dirigent - auch durch die Aufnahmepolitik der deutschen Grammophon bestätigt.
    Jedoch in der OVER-all -Performance ist Karajan weitgehend ungeschlagen - und das bis heute.


    Dieser Thread ist ja absichtlich Thematisch eher allgemein gehalten.
    Für Details stehen ja in Kürze die spezifischen Einzelthreads aus der "KARAJAN VERSUS" -Serie zur Verfügung.......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Karajan hat sich damals genauso präsentiert und "verkauft" wie heute eine Netrebko, nur dass das bei ihm - bis zum heutigen Tag - nie jemand verwerflich gefunden hat.


    Hier ist sicher was wahres dran


    Aber mir fällt dazu ein Statement von mir ein, welches ich gerne gelegentlich benutze:


    Protektion oder Vorschußlorbeeren sind an sich nichts Schlechtes,
    wenn das "Protektionskind" der Bevorzugung auch würdig ist.


    Zitat

    Und der durchschnittliche Klassik"konsument" verhält sich nicht viel anders als jeder andere Konsument auch: Er greift nach dem Markenartikel, den er aus der Werbung kennt ("Das muss gut sein, wenn sie's im Fernsehen sagen!"), der qualitätsbewusste Kunde schaut halt auch auf die Inhaltsstoffe


    Das halte ich für eine sehr gewagte Aussage.


    Zahlreiche Kritiker die ich als "über jeden Zweifel erhaben" sehe waren glühende Verehrer von Karajan, zahlreiche Sänger stellten ihm ein hervorragendes Zeugnis aus. Daß er "über Leichen ging" ist IMO ein weiteres Zeichen für seine überragende Qualität - Menschen waren ihm (der Überlieferung nach- es gibt aber auch gegenteilige Aussagen) eher egal - was zählte war das Endergebnis.
    Diese Ansicht ist mit heutigen Auffassungen schwer kompatibel (mit Ausnahmen in der Wirtschaftswelt wo man Menschen auf die Straße setzt um Profite zu optimieren - auch wenn es eigentlich keine Notwendigkeit gäbe - UND DORT WIRD ES EIGENARTIGERWEISE AKZEPTIERT) - was leider zu einer gewissen Mittelmässigkeit führte.
    Karajan war zumindest in diesem Punkt keine Ausnahme, mir sind hier der Produzent Walter Legge, und seine Frau Elisabeth Schwarzkopf im Sinn, wellch ohne Rücksicht auf sich selbst und andere künstlerische Konzepte durchsetzen - Der Erfolg - und nur er zählt in diesem Zusammenhang - gibt ihnen recht.


    Was an Karajan heute KÜNSTLERISCH ausgesetzt wird - ist genau ds was ich an ihm schätze: bedingungslose Eleganz und Perfektion.
    Dem Zeitgeist entsprechend wurden vermeintliche kompositorische Fehler unterdrückt und "elegant überspielt"
    Dies war ein Bedürfnis des Zeitgeistes - und ist vielen noch heute ein Bedürfnis. Es ist eine Frage wer sich getraut öffentlich dazu zu stehen - wenn die "Medien" jeden der sich dem Diktat des "Neoproletariats" widersetzt wahlweise zum Rechtsradikalen oder zum Halbidioten, "Staubi" oder (im besten Falle) Ahnungslosen stempeln.
    Ich selbst stehe über solchen Dingen - und kann hier unter dem Schutze des Forenbetreibers frei meine Meinung äussern..... :D


    Also um das Ganze mal kurz zusammenzufassen.


    Nach Meinung der maßgeblichen Zeitgenossen Karajans waren nicht nur die Verwendeten Inhaltsstoffe, sondern auch deren Zubereitung erstklassig.


    Die HEUTIGEN Karajankäufer implizit und generell zugleich der Ahnungslosigkeit zu zeihen - das halte ich für untergriffig und somit nich legitim.


    Ich bedaure, daß gerade ich hier in der Rolle des Karajan-Verteidigers auftreten muß - aber die WIRKLICHEN KARAJANANHÄNGER worden ja herausgemobbt- Ich habe dies nicht unterbunden - weil ein Eingriff meinerseits dem Forum mehr Schaden zugefügt hätte, als der Verlust von ein oder zwei radikalen Karajan befürwortern, die ihre Emotionen leider nicht zügeln konnten. Also schreibe ich stellvertretend für sie - um die Balance zu wahren...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Warum Karajan bis HEUTE so präsent ist, liegt meiner Meinung nach trotz aller genannten Einwände vor allem an der gigantischen PR-Maschinerie, die ihn bereits zu seinen Lebzeiten umgab. Wenn heute ein Klassikanfänger zu Karajan greift, hat das weniger damit zu tun, weil Karajan ein Jetsetter oder Trendsetter oder Machtpolitiker oder was weiß ich war, sondern damit, dass er einfach bis heute als Synonym für DEN europäischen Dirigenten gilt.


    Und das ist nicht zuletzt dadurch zu begründen, dass er stets von allen Seiten be- und umworben worden ist. Zwar ist es nach seinem Tod stiller um ihn geworden, an den letzten Wochen kann man aber erkennen, dass es nach wie vor Leute gibt, die bereits sind ihn tausendfach zu vermarkten. Warum gibt es wohl die Beethoven-Symphonien in zig verschiedenen Ausführungen, in zig verschiedenen Reihen? Warum veröffentlicht die DGG 4 verschiedene Best-of Sampler zu seinem Geburtstag (die bereits existierenden nicht mitgerechnet)?


    Weil er ein Machtmensch ist? Weil seine Aufnahmen dem Geschmack der Massen entsprechen? Weil er so ein schneidiger Kerl war?


    Nein, weil er sich gut verkauft! Und warum? Weil er der bestvermarktete Dirigent des 20. Jahrhunderts war und auf dem besten Weg ist, diesen Titel auf die ersten 20 Jahre des 21. Jahrhunderts zu behalten. Alle anderen genannten Faktoren haben nur zu dieser Vermarktung geführt.


    Andere Dirigenten hatte nie diesem Status in Europa. Jene, die bei der DGG unter Vertrag waren wurden immer kleiner gehalten als HvK. Selbst Bernstein wurde erst zum Super-Star als Karajan aus gesundheitlichen Gründen an Präsenz verlor. Levine wurde erst aufgebaut, nachdem sich Kleiber bei den Wiener Philharmonikern und der DGG unmöglich gemacht hat.
    Die meisten amerikanischen Dirigenten besaßen in Europa nie die selbe Berühmtheit wie über'm großen Teich (Ormandy, Solti).


    Hier muss ich mich Severina anschließen. Wenn Netrebko bis zu Schmerzgrenze vermarktet wird und auch für Klassikdummies interessant gemacht wird, dann wird das einhellig als Untergang der gediegenen Klassikszene angesehen. Dass Karajan als der posthume Urvater des Klassiksamplers herhalten musste ("Adagio", 1994), scheint da vergessen.


    Ich glaube auch nicht, dass die gigantischen Umsatzanteile Karajans bei der DGG auf ihn als Künstler/Interpret zurückzuführen ist. Ein großer Batzen dürfte auf die bereits oben angesprochenen Erstkäufer und die Sampler ausfallen.
    In einer Doku die im letzten Sommer auf dem Theaterkanal lief, gab der Chef des deutschen Plattenlädenverbandes (oder so ähnlich) an, dass zumindest in
    Deutschland Bernstein öfter aktiv Nachgefragt wird als Karajan.


    Jene Dirigenten wie Böhm, Solti, Celibidache, Klemperer sind nur im breiten Bewusstsein in den Hintergrund getreten, dieses Forum ist der beste Beweis, dass es in Kennerkreisen absolut nicht so ist.



    Um jetzt also auf das Thema des Thread zurückzukommen, meine ich dass Karajan nur im Hinblick auf die Verkaufszahlen und Umsätze niemand Paroli bieten kann. Aber was sagt das aus?


    Richtet sich der Status eines Schriftstellers nach den Verkaufszahlen und der Auflagenstärke seiner Bücher? Die Kunst eines Schauspielers an der Anzahl der Filme in denen er mitgespielt hat? Die Kompetenz eines Politikers an der Anzahl seiner Anhänger?


    Zu guter Letzt: Warum müssen Solti, Bernstein und Co. heute eigentlich HvK Paroli bieten? Keiner konnte ihn zu Lebzeiten vom Thron stoßen, wieso sollte es heute jemand können?


    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Gleich mal vorneweg, um nicht ständig den Eindruck zu erwecken, an HvK nichts Gutes zu lassen: Ich bin ein großer Bewunderer des Herbert von Karajan, bezogen auf viele mir bekannten Aufnahmen insbesondere der späten 40er und der 50er Jahre. In dieser Zeit mag man einige Namen finden, die Großes geleistet haben - so viele Referenzen wie Karajan haben sie nicht geschaffen. Der federnde, sehnige und dynamische Karajan-Sound, den er beim Philharmonia Orchestra verwirklicht hat, ist aus meiner Sicht kein Oberflächenprodukt, sondern ein mitreißender, den musikalischen Fluß durch orchestrale Perfektion kenntlich machender Ansatz!
    Insbesondere im Opernfach sehe ich in dieser Zeit kaum ihm gleichkommende Konkurrenz, jedenfalls nicht bei gleicher Spannweite des Repertoires.


    Dann aber, genau kann ich es nicht zeitlich festmachen, beginnt die Verdickung des Tons, der pastöse Klang, der mit Eleganz aus meiner Sicht nichts zu tun hat, sondern mit bräsiger Spießigkeit. Es scheint den Moment gegeben zu haben, von dem ab Karajan vornehmlich die Absatzchancen bei seiner klein- bis großbürgerlichen Gefolgschaft im Auge hatte und ein "Schmankerl" nach dem nächsten produzierte (Klaus Umbach nannte dies einmal das "Wunschkonzert in perpetuo", wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt). Behagliches Wohlsein, nicht der ursprüngliche, von wahrer Eleganz beflügelte Ton prägte fortan das Wirken des Meisters.


    Man könnte die Debatte über solche Entwicklungen auch bei anderen Dirigenten führen (z. B. Maazel), aber Karajans Wirkmächtigkeit ist nun einmal unerreicht. Dies liegt aus meiner Sicht an vielem:


    1. an der ursprünglich vorhandenen, niemanden verschreckenden Qualität


    2. an der schon früh erkannten Wirkung, die die Person Karajan auf Menschen haben konnte, bedingt durch Aussehen, Habitus, Projektionen. Wer eignete sich in der Zeit seines Aufstiegs (ungeachtet der braunen Anwürfe) besser als Ausstellungsstück? Furtwängler war linkisch, Toscanini wenig geschmeidig, De Sabata zu knöchern, Reiner zu bäurisch, Böhm nicht repräsentativ genug etc.


    3. an der Verbindung zu Walter Legge; beide gemeinsam hievten die Klassik-Schallplatte auf neue Höhen, zwei Vermarktungskünstler im Gleichschritt


    4. an der Chuzpe Karajans, Risiko zu spielen und kühl die Schallplattenlabels bereits früh "auszupokern"


    5. an den enormen Fähigkeiten, schnell zu arbeiten und Partituren auf ihre Möglichkeiten "abzuhören"


    6. an der Boulevardisierung seines Lebens, so daß er zum Begriff wie Gunter Sachs wurde für all die, die vom Mondänen träumten und die klassische Musik in diesem Sinn utilitaristisch dieser Ebene zuordneten


    7. an der Jovialität seines Umgangs; Musiker haben mir von einem sehr freundlichen, verständnisvollen Mann erzählt. HvK wußte, wie man Menschen gewinnt.


    8. an der (verständlichen) Ausnutzung seiner erreichten Position - der Microsoft-Effekt: die Überschwemmung des geneigten Marktes mit seinen Produkten.


    9. an der Inszenierung der Kunstpriesterrolle am Pult; die Gemeinde will Gurus, und der am gekonntesten in Szene gesetzte war insgesamt Karajan, insbesondere für diejenigen, die eine gewisse Grandeur mit dem Vorgang des Dirigierens assoziiert sehen wollten.


    10. an der richtigen Präsenz (immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort) wie dem untrüglichen Riecher für das aus dem Konzertsaal heraus expandierende Geschäft.



    So, das waren mal ein paar Ideen. Weitere werden wahrscheinlich folgen.



    LG,


    Christian

  • Meine Lieben,


    Zwar nehme ich an, daß der folgende Gedanke sicher schon irgendwo im Forum geäußert wurde, aber sei's drum:


    Kein anderer Dirigent setzte meiner Meinung nach derart gezielt auf das Medium Schallplatte, nicht nur, weil das seiner Art besonders entgegenkam, sondern auch, weil er zielsicher die Möglichkeiten dieses Mediums (ebenso wie dann des Fernsehens!) sehr gut abschätzte und extrem ausnützte. Damit erreichte er schon zu Lebzeiten eine Präsenz im und eine Verfügbarkeit für das Publikum, die konkurrenzlos war. Natürlich wirkt das auch nach. Wenn heute ein Normalverbraucher mit klassischen Interessen nach einer bestimmten Oper oder einem bestimmten Musikstück sucht, weiß er, daß er mit Karajan meistens überdurchschnittlich bis bestens bedient ist und braucht dazu kein Spezialwissen.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von georgius1988
    Warum Karajan bis HEUTE so präsent ist, liegt meiner Meinung nach trotz aller genannten Einwände vor allem an der gigantischen PR-Maschinerie, die ihn bereits zu seinen Lebzeiten umgab. Wenn heute ein Klassikanfänger zu Karajan greift, hat das weniger damit zu tun, weil Karajan ein Jetsetter oder Trendsetter oder Machtpolitiker oder was weiß ich war, sondern damit, dass er einfach bis heute als Synonym für DEN europäischen Dirigenten gilt.


    Das ist nicht ganz unrichtig, aber es fehlt ganz offensichtlich eine wichtige Schlussfolgerung.Die heutige Präsenz Karajans ist sicher auch Ausdruck dessen, dass er nach wie vor eine bekannt gute Marke ist. Der springende Punkt aber ist, dass diese Marke bei derart wenig PR längst den Großteil ihres Glanzes eingebüßt hätte, wenn irgendein Nachfolger auch nur ähnliche Bedeutung erlangen hätte können. Man hätte sich längst dem Neueren zugewandt. Da genau dies nicht der Fall war, erklärt sich die anhaltende Bedeutung Karajans.




    Zitat

    Warum gibt es wohl die Beethoven-Symphonien in zig verschiedenen Ausführungen, in zig verschiedenen Reihen? Warum veröffentlicht die DGG 4 verschiedene Best-of Sampler zu seinem Geburtstag (die bereits existierenden nicht mitgerechnet)?


    Weil die Firmen davon ausgehen, mit Karajan immer noch gute Geschäfte machen zu können, da kein ernsthafter Gegenkandidat in Sicht ist.




    Zitat

    Selbst Bernstein wurde erst zum Super-Star als Karajan aus gesundheitlichen Gründen an Präsenz verlor. Levine wurde erst aufgebaut, nachdem sich Kleiber bei den Wiener Philharmonikern und der DGG unmöglich gemacht hat.
    Die meisten amerikanischen Dirigenten besaßen in Europa nie die selbe Berühmtheit wie über'm großen Teich (Ormandy, Solti).


    Das kann man so nicht sagen. Berstein hat beginnend Mitte der 60er stetig zunehmend an Bedeutung gewonnen und war auch in Europa einer der ganz Großen. Bei Solti war es fast umgekehrt. Er hatte Anfang, Mitte der 70er in Europa seine höchste Blüte und war hinter Karajan wohl die Nummer 2 am Plattenmarkt. Sein "Abgang" nach Amerika hat seine Präsenz in Europa etwas abflauen lassen.




    Zitat

    Dass Karajan als der posthume Urvater des Klassiksamplers herhalten musste ("Adagio", 1994), scheint da vergessen.


    Wer sagt das? Außerdem stimmt es nicht. Wenn jemandem dieser Titel gebührt, ist es Leopold Stokowsky. Aber in der Frühzeit der LP hat alle Welt Sampler produziert....




    Zitat

    Richtet sich der Status eines Schriftstellers nach den Verkaufszahlen und der Auflagenstärke seiner Bücher?


    Das beste Pro-Karajan-Argument!!! Gigantische Verkaufszahlen und Auflagenstärken eines Schriftstellers sind zu seinen Lebzeiten nicht unbedingt klar einzuschätzen. Es kann die überragende Qualität sein, er kann den Puls der Zeit auf geniale Weise getroffen haben, zumeist wird es aber irgendeine Kombination der beiden Aspekte sein. Wenn sich seine Werke aber noch Jahrzehnte nach seinem Tod ohne große PR besser verkaufen als die der lebenden Konkurrenz, dann MUSS etwas an ihm dran sein, was den Käufern noch etwas besonderes zu bieten hat. Anders ist es nicht zu erklären.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitor
    Ich bin ein großer Bewunderer des Herbert von Karajan, bezogen auf viele mir bekannten Aufnahmen insbesondere der späten 40er und der 50er Jahre.[...]


    Dann aber, genau kann ich es nicht zeitlich festmachen, beginnt die Verdickung des Tons, der pastöse Klang, der mit Eleganz aus meiner Sicht nichts zu tun hat, sondern mit bräsiger Spießigkeit.


    Hallo,
    ich muss mein Statement vom Anfang einschränken: Ich meinte jenen späteren Sound und diesen angewendet auf alles von Spätbarock bis Zwölftonmusik. Der frühere Karajan mag ja künstlerisch höher stehen, ist aber nicht das von Dir so schön charakterisierte Microsoft im CD-Regal. Der frühe Karajan ist etwas für "Kenner" ebenso wie Bernstein oder die anderen, die dem späten Karajan nicht "Paroli" bieten können auf dem glorreichen CD-Markt.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Das beste Pro-Karajan-Argument!!! Gigantische Verkaufszahlen und Auflagenstärken eines Schriftstellers sind zu seinen Lebzeiten nicht unbedingt klar einzuschätzen. Es kann die überragende Qualität sein, er kann den Puls der Zeit auf geniale Weise getroffen haben, zumeist wird es aber irgendeine Kombination der beiden Aspekte sein. Wenn sich seine Werke aber noch Jahrzehnte nach seinem Tod ohne große PR besser verkaufen als die der lebenden Konkurrenz, dann MUSS etwas an ihm dran sein, was den Käufern noch etwas besonderes zu bieten hat. Anders ist es nicht zu erklären.


    Ein geradezu abstoßend schlechtes Argument (was mich den thread auch gleich wieder verlassen werden wird)!
    Es verankert HvK aber immerhin stabil zwischen Elvis und Madonna, wo er ganz gut aufgehoben ist. :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Wie kommst Du auf die Idee "ohne PR"? Wieviele "Karajan-Editionen" bzw. andere entsprechende Vermarktung seiner Tonträger hat es in den letzten 15 Jahren gegeben? (Verglichen mit sagen wir "Stokowski" oder "Walter" oder "Böhm"-Editionen)
    Und wie darauf, daß 40 Jahre der bis dato intensivsten PR in diesem Bereich ihre Wirkung mit dem Tod des Beworbenen plötzlich einbüßen sollten? Zumal vermutlich 90% der Klassikhörer in einem Alter (>30) sind, so daß sie vor dem Hintergrund dieser PR klassisch sozialisiert wurden. Warum sollten die auf einmal, nur weil der Maestro verstorben ist, eine radikale Neubewertung vornehmen? Mal abgesehen von denen, die ohne groß zu Vergleichen das kaufen, was billig, leicht erhältlich ist, was der Händler empfiehlt, oder was man halt kennt.


    Man muß sich entscheiden: geht man nach Masse, dann gewinnt Elvis. Das Kriterium ist damit weitgehend irrelevant.
    Geht man nach dem Urteil von Kennern (oder einem Kriterium wie dem positiven Einfluß auf das Musikleben) kann man HvKs Leistunge nur als - vorsichtig ausgedrückt- ambivalent einordnen.


    Aber das hatten wir alles schon 100mal. Gähn! :faint: Ich bin raus hier...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Was an Karajan heute KÜNSTLERISCH ausgesetzt wird - ist genau ds was ich an ihm schätze: bedingungslose Eleganz [...].
    Dem Zeitgeist entsprechend wurden vermeintliche kompositorische Fehler unterdrückt und "elegant überspielt"
    [...]
    Die HEUTIGEN Karajankäufer implizit und generell zugleich der Ahnungslosigkeit zu zeihen - das halte ich für untergriffig und somit nich legitim.


    Nun ja, mir ist schon klar, dass mein Posting etwas in diese etwas unschöne Richtung ging.
    Die heutigen K-Käufer sind natürlich nicht alle ahnungslos (viele schon). Und das Bedürfnis nach bedingungsloser Eleganz - wie Du es nennst - weist Dich natürlich als jemanden aus, der weiß, was er will, und der demnach nicht ahnungslos ist.
    Dennoch ist auch dieses Dein Statement letztlich wieder eine harte Kritik an K.
    Denn klassische Musik ist nicht bedingungslos elegant (das gibst Du sogar zu, indem Du schreibst "vermeintliche Fehler").
    :beatnik:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es verankert HvK aber immerhin stabil zwischen Elvis und Madonna, wo er ganz gut aufgehoben ist.


    Und offensichtlich anzunehmen, dass Elvis und Madonna auf ihren Gebieten nicht herausragendes geleistet haben, ist auch eine Form von Ignoranz.




    Zitat

    Wie kommst Du auf die Idee "ohne PR"? Wieviele "Karajan-Editionen" bzw. andere entsprechende Vermarktung seiner Tonträger hat es in den letzten 15 Jahren gegeben? (Verglichen mit sagen wir "Stokowski" oder "Walter" oder "Böhm"-Editionen)


    Immer wieder Aufnahmen aufzulegen, die sich gut verkaufen, ist keine PR! Das sollte sich bis zu dir herumgesprochen haben. Aber aktives Marketing wird für jeden Fern-Ost-Newcomer bedeutend aufwändiger veranstaltet, als ich es in den letzten 20 Jahren für Karajan insgesamt gesehen habe. Außerdem gibt es ja ohnehin immer wieder die freiwillige Presse und Institutionen wie Tamino, wo das Thema permanent am Köcheln gehalten wird. Du trägst ja selbst deinen kleinen Anteil an der Karajan-PR bei. :D




    Zitat

    Warum sollten die auf einmal, nur weil der Maestro verstorben ist, eine radikale Neubewertung vornehmen? Mal abgesehen von denen, die ohne groß zu Vergleichen das kaufen, was billig, leicht erhältlich ist, was der Händler empfiehlt, oder was man halt kennt.


    Sie würden es tun, wenn sie einen neuen Messias hätten, dem sie nachlaufen können (wie es z.B. bei Wagner zur Zeit in kleinem aber doch schon merkbaren Maße bei Thielemann der Fall ist). Aber weil es genau den nicht gibt, kann man nach wie vor sehr gut mit Karajan verdienen. Du scheinst vollkommen zu ignorieren, dass er immer noch der größte Devisenbringer im Geschäft ist, und das fast 20 Jahre nach seinem Tod. Das hat in diesem Maße nicht einmal Maria Callas geschafft (auf dem viel engeren Sänger-Markt). Aber rede dir nur weiter ein, dass das alles nichts mit künstlerischer Qualität zu tun hat und nur Ergebnis genialen Marketings ist. Die PR-Abteilungen leben von solchen Meinungen...


    :hahahaha:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Du scheinst vollkommen zu ignorieren, dass er immer noch der größte Devisenbringer im Geschäft ist, und das fast 20 Jahre nach seinem Tod. [...] Aber rede dir nur weiter ein, dass das alles nichts mit künstlerischer Qualität zu tun hat


    Warum sollte es was mit künstlerischer Qualität zu tun haben?
    :P

  • Womöglich sollten wir zunächst die Wirkung, die eine interpretatorische Leistung entfaltet, von dieser selbst abtrennen. Es kann schlichtweg kein Kriterium für die (wie auch immer letztlich zu erfassende) Güte und Qualität einer künstlerischen Darbietung sein, daß sie die Plattenläden oder die CD-Regale füllt, ja, nicht einmal, daß „Generationen von Interessierten“ sich mit dieser Darbietung auseinandersetzten oder mutmaßlich noch auseinandersetzen werden. In der Philosophie spricht man an dieser Stelle vom „Primat des Faktischen“. Etwas wird für in Ordnung befunden oder gar als unumgänglich hingestellt (und zwar auch vor der eigenen kritischen Vernuft), bloß weil es „der Fall ist“, weil es das gerade gibt und alle anderen davon sprechen, daran teilnehmen. Ein Sachverhalt zieht seine Legitimation quasi aus der Tatsache, daß er besteht. Bei näherem Hinsehen keine gute Argumentationsgrundlage.


    Kleines Selbstzitat, bitte um Entschuldigung.


    Alex.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Warum sollte es was mit künstlerischer Qualität zu tun haben?
    :P


    Weil du die Leute mit wertlosem Tand nur eine gewisse Zeit lang täuschen kannst. Du kannst ihnen nicht über Jahrzehnte einreden, dass künstlerischer Plunder höchste Qualität darstellt. Und wenn du es ihnen gar nicht einredest (minimale oder gar keine PR), werden sie es noch viel schneller überzuckern oder sich von etwas aktuellerem verführen lassen.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Womöglich sollten wir zunächst die Wirkung, die eine interpretatorische Leistung entfaltet, von dieser selbst abtrennen. Es kann schlichtweg kein Kriterium für die (wie auch immer letztlich zu erfassende) Güte und Qualität einer künstlerischen Darbietung sein, daß sie die Plattenläden oder die CD-Regale füllt, ja, nicht einmal, daß „Generationen von Interessierten“ sich mit dieser Darbietung auseinandersetzten oder mutmaßlich noch auseinandersetzen werden. In der Philosophie spricht man an dieser Stelle vom „Primat des Faktischen“. Etwas wird für in Ordnung befunden oder gar als unumgänglich hingestellt (und zwar auch vor der eigenen kritischen Vernuft), bloß weil es „der Fall ist“, weil es das gerade gibt und alle anderen davon sprechen, daran teilnehmen. Ein Sachverhalt zieht seine Legitimation quasi aus der Tasache, daß er besteht. Bei näherem Hinsehen keine gute Argumentationsgrundlage.


    Kleines Selbstzitat, bitte um Entschuldigung.


    Alex.


    Ok, aber wie lange kann man dieses Primat aufrecht erhalten, wenn es nur eine substanzlose Luftblase sein sollte? Ich glaube, der Trick funktioniert nur, wenn auch irgendetwas Substantielles dahintersteht.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Weil du die Leute mit wertlosem Tand nur eine gewisse Zeit lang täuschen kannst. Du kannst ihnen nicht über Jahrzehnte einreden, dass künstlerischer Plunder höchste Qualität darstellt.


    Warum nicht? Man muss es nicht mal permanent einreden. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass der Großteil der Konsumenten künstlerische Qualität hinterfragt, anzweifelt, Umwertungen ausprobiert? Wär doch zuviel der Anarchie!
    :hahahaha:

    Zitat

    Und wenn du es ihnen gar nicht einredest (minimale oder gar keine PR), werden sie es noch viel schneller überzuckern oder sich von etwas aktuellerem verführen lassen.


    Nun, wir brauchen hier nicht zu diskutieren. Meine Sicht auf den Konsumenten ist weniger hoffnungsfroh wie Deine. Übrigens liefere ich mir selbst die schönsten Beispiele für Manipulierbarkeit und Selbstbetrug, warum sollte ich denen, die weniger tief schürfen wollen oder weniger besessen sind als ich da größere Hellsicht zugestehen als mir?
    :beatnik:

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    In der Philosophie spricht man an dieser Stelle vom „Primat des Faktischen“. Etwas wird für in Ordnung befunden oder gar als unumgänglich hingestellt (und zwar auch vor der eigenen kritischen Vernuft), bloß weil es „der Fall ist“, weil es das gerade gibt und alle anderen davon sprechen, daran teilnehmen. Ein Sachverhalt zieht seine Legitimation quasi aus der Tatsache, daß er besteht. Bei näherem Hinsehen keine gute Argumentationsgrundlage.


    Kleines Selbstzitat, bitte um Entschuldigung.


    Alex.



    Liebes Wetterleuchten, Großmeister des flammenden Strahls,


    ist akzeptiert. Aber auch das Faktische hat ja wohl brav heraklitisch eine gewordene und werdende Komponente, daher wäre Dein Einwand nur gegen Argumentationen ex eventu anzuführen. Das hier verfolgte Erkenntnisinteresse, auch wenn viele Optimisten gern die interpretatorische Qualität zur Ursache machen, ist doch der "wahrste Grund" für den gewaltigen Nachhall des Salzburger Retters der deutschen (Musik-)sprache. Oder, um im Stil anderer Threadthemen zu verweilen: Karajan - das Faszinosum; Karajan - das Phänomen (oder gar Karajan - das wahllos Rezipierte?).
    Warum also, Alexander, warum stürmten Oma und Opa die Plattentische, weshalb macht Karajan noch heute den Hauptumsatz der DG-Klassik aus (ist aber, wie Frau Büning bemerkte, lange Zeit überhaupt nicht mehr im Gespräch gewesen bzw. habe keine Orientierung mehr vermittelt)?


    Sach' et uns, Graf!


    LG,


    Christian

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Theophilus
    [ Der springende Punkt aber ist, dass diese Marke bei derart wenig PR längst den Großteil ihres Glanzes eingebüßt hätte, wenn irgendein Nachfolger auch nur ähnliche Bedeutung erlangen hätte können. Man hätte sich längst dem Neueren zugewandt. Da genau dies nicht der Fall war, erklärt sich die anhaltende Bedeutung Karajans.


    :hello:


    Das meinst du jetzt aber nicht im Ernst???? Für welchen anderen Dirigenten, ob tot oder lebendig, gibt es ein eigene Gesellschaft, eine Foundation, die nichts anderes tut, als (Unter dem Deckmäntelchen der "Forschung") das Werk des Meisters zu pflegen und zu vermarkten?? Bis vor wenigen Jahren war das Herbert-von-Karajan-Center auf der Ringstraße, schräg vis-a-vis von der Oper, und auf der Fassade prangte unübersehbare das mehrere Meter hohe berühmte Bild des "durchgeistigten Karajan". Aber das war natürlich nicht PR, sondern bloß ein Beitrag zur Aktion "Verschönern wir unser Wien" :hahahaha: :hahahaha: Ich kam mindestens einmal täglich daran vorbei und ob ich wollte oder nicht - Karajan war ein "Fixpunkt" in meinem Leben. Witzig ist auch, dass mir eine Freundin, die damals aushilfsweise in der Arcadia jobbte (Ein Plattenladen mit Sichtkontakt zu dieser Ikone an der Hauswand) erzählte, dass die Nachfrage nach Karajanaufnahmen seit der Übersiedlung des Centers nach Salzburg zurückgegangen ist. Er verkauft sich natürlich immer noch gut, aber nicht mehr so gut wie vorher.
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Gerade will ich eine Regel daraus machen und erinnere mich verwundert daran, dass wir hier ein Mitglied haben, das glaubt, anhand des Notentextes beweisen zu können, dass K es am Richtigsten macht. Hier vermute ich eher eine Art Bedürfnis, die K-Fixierung nachträglich zu rechtfertigen?


    Du lieber Himmel, der meint ja mich! Allerdings hat er mich dabei gründlich missverstanden. Erstens sind die Notenbuchstabierer, zu denen Karajan bei aller Texttreue nicht zählt, generell nicht meine favorisierten Dirigenten. Zum Zweiten haben es - es ging konkret um den Kopfsatz der 5. Sinfonie von Beethoven - auch andere (u. a. Toscanini, C. Kleiber, F. Reiner) richtig gemacht (richtiger geht nicht). Das "Richtigste" ist in der Kunst ohnehin eine untaugliche Kategorie. Wenn ich versucht habe, am Detail zu begründen, warum eine Aufnahme Karajans aus meiner Sicht ausserordentlich gut (so gut wie wenige andere) gelungen ist, dann doch nur, weil hier im Forum so viel pauschaler und nie konkret begründeter Unsinn über diesen Dirigenten verbreitet wird.


    Loge

  • Der Vergleich mit Anna Netrebko hinkt. Weitaus zielführender wäre die Parallele zu PR, Starkult und vermeintlicher JetSet-Zugehörigkeit der Callas. Anders als die Netrebko waren Karajan und die Callas (lebende) Legenden.


    Was das Charisma Karajans angeht, so hat J. Kaiser (Bernstein-Fan) gestern in einem Inteview der Süddeutschen berichtet, dass die physiche Präsenz Karajans im Konzert durch nichts zu ersetzen und mit nichts zu vergleichen war. Das erklärt zwar nicht seinen noch immer anhaltenden Erfolg, aber immerhin etwas von seinem Nimbus zu Lebzeiten. In diesem Zusammenhang: In einem sehr lesenswerten Artikel von V. Hagedorn in der ZEIT dieser Woche wird eine nicht näher genannte Sängerin mit den Worten zitiert, er [Karajan] "hat nur die Nase herausstrecken müssen und das Publikum hat geschriehen."


    Loge

  • Zitat Severina:

    Zitat

    Das meinst du jetzt aber nicht im Ernst???? Für welchen anderen Dirigenten, ob tot oder lebendig, gibt es ein eigene Gesellschaft, eine Foundation, die nichts anderes tut, als (Unter dem Deckmäntelchen der "Forschung") das Werk des Meisters zu pflegen und zu vermarkten??


    Ach Severina, was nützt alles forschen, wenn keiner die Karajan-CDs kaufen will!?


    Theophilus hat völlig recht, für Karajan gibt es de facto keine PR mehr, zumindest nicht für den Otto-Normalverbraucher-Klassikhörer, denn dem ist völlig egal, ob geforscht wird und ob es irgendwo eine Foundation gibt. Sie können allein mit der Musik in der Interpretation Karajans etwas anfangen. (Sehr zum leidwesen einiger Forumsmitglieder).


    Allenfalls durch das diesjährige Jubiläum wird über Karajan etwas mehr propagiert... und dies völlig zurecht! Aber verglichen mit den ständigen ZDF-Werbeblocks zu Netrebko-Villazon-Neuerschinungen, ist diese moderate Propagierung Karajans eher lachhaft. Karajan hatte das nicht nötig und wird es auch künftig nicht nötig haben, er ist noch immer up to date: sicher nicht mit allen Aufnahmen aber es bleibt vieles übrig, was sich anzuhören lohnt.


    Natürlich geht der Kauf von Karajan-Aufnahmen zurück, es kommt ja nichts Neues dazu. Durch die Einführung der CD konnte Karajan faktisch sein ganzes Material noch einmal unter die Leute bringen. In der heutigen Zeit haben die meisten Fans seine Aufnahmen auf CD und DVD.


    Sollte sich allerdings herausstellen, dass die CD bzw. DVD als dauerhaftes Speichermedium versagt, und ein besseres Verfahren auf den Markt kommt, dann geht der große Boom wieder los, jetzt alles wieder neu zu beschaffen. Während Karajan hier erneut punkten wird, wird der eine oder andere Dirigent auf der Strecke bleiben.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Vielleicht mal was von der Handelsfront zum Thema:


    hier bei uns haben jetzt zum Jubiläum die Verkäufe natürlich auch angezogen.
    Hauptsächlich kaufen aktuell aber die Kunden, die nicht erst seit zwei Tagen Klassik hören. Gern genommen werden die Komplettboxen der EMI, der EMI-Beethoven-Zyklus, jetzt aktuell die Rheingold-DVD.
    Was liegen bleibt sind die Sampler, die sich an den Einsteiger richten - weil diese Käuferschicht von einem eventuell gestarteten Karajan-Hype überhaupt nicht berührt wird. Was interessiert es Max Mustermann, daß Karajan runden Geburtstag hat? Onkel Otto, der die Marsch-CD geschenkt bekommt, hat nunmal erst im Herbst Geburtstag.


    Regelmäßig verkaufen sich: die späteren Beethoven-Aufnahmen, oben genannte Adagio, Alte Kameraden und ähnlich gelagerte Fälle. Klar, das sind dann die Klassik-Einsteiger, die den Namen einfach kennen. Aber welche PR bei diesen Leuten gegriffen haben soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Gerade eben zum Beispiel hat eine ältere Dame eine alte Karajan-Aufnahme aus dem low-Budget-Bereich gekauft. Ich bin mir sicher, daß sie mit dem Namen seit Jahrzehnten vertraut ist und glaubt, Qualität zu erwerben. Daß das nicht immer der Fall ist: wer in seiner eigenen Biographie oder Diskographie :wacky: ohne Fehl und Tadel ist, werfe den ersten Stein


    :pfeif: Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...


  • Erstens stimmt dein Statement nur wenn Karajan von seiten der DGG, EMI, Decca und HvK-Centrum nicht beworben worden wäre, was aber weder zu Lebzeiten noch heute der Fall war.


    Und zweitens: nur weil sich ein Schriftsteller nach 20 Jahre seinem Tod gut verkauft, heißt das nicht, dass er qualitativ hochwertig ist. Demnach ist Karl May literarisch hochwertiger als Thomas Mann.
    Oder Thomas Bernhard ist hochwertiger als Walser.


    Das etwas an ihm dran ist, habe ich überdies nicht bezweifelt. Ich habe nur gesagt, dass für viele Käufer dieses "etwas" im Glamour/Synonymfaktor besteht und der ist eben ein Ergebnis der PR.


    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich bedaure, daß gerade ich hier in der Rolle des Karajan-Verteidigers auftreten muß - aber die WIRKLICHEN KARAJANANHÄNGER worden ja herausgemobbt- Ich habe dies nicht unterbunden - weil ein Eingriff meinerseits dem Forum mehr Schaden zugefügt hätte, als der Verlust von ein oder zwei radikalen Karajan befürwortern, die ihre Emotionen leider nicht zügeln konnten. Also schreibe ich stellvertretend für sie - um die Balance zu wahren...


    Lieber Alfred,


    so schlimm ist es ja nicht. Als wir kürzlich in Frankfurt unseren Tamino-Stammtisch hatten, wurde am Tisch viel über Karajan gesprochen. Und mehrere sagten, dass sie viele seiner Aufnahmen sehr schätzten und beim Hören die hier im Forum von einzelnen geäußerte (Pauschal-)Kritik nicht nachvollziehen könnten. Es sei ihnen aber zu mühsam und/oder unangenehm, dagegen zu argumentieren. (Ich nenne die Namen der Taminos natürlich nicht.) Wir alle wissen ja (und haben es die Tage in Parallel-Threads wieder erlebt), auf welche Weise einige hier ad personam "argumentieren", statt wenigstens einmal zu versuchen, etwas zur Musik zu schreiben.


    Loge

  • Falls damit so eine unglückliche Figur wie Helisara gemeint sein soll, der war kein Karajananhänger mehr, der erschien mir wie eine Parodie auf einen Karajanfan.

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Zitat

    Original von severina
    Das meinst du jetzt aber nicht im Ernst???? Für welchen anderen Dirigenten, ob tot oder lebendig, gibt es ein eigene Gesellschaft, eine Foundation, die nichts anderes tut, als (Unter dem Deckmäntelchen der "Forschung") das Werk des Meisters zu pflegen und zu vermarkten?? Bis vor wenigen Jahren war das Herbert-von-Karajan-Center auf der Ringstraße, schräg vis-a-vis von der Oper, und auf der Fassade prangte unübersehbare das mehrere Meter hohe berühmte Bild des "durchgeistigten Karajan". Aber das war natürlich nicht PR, sondern bloß ein Beitrag zur Aktion "Verschönern wir unser Wien" :hahahaha: :hahahaha: Ich kam mindestens einmal täglich daran vorbei und ob ich wollte oder nicht - Karajan war ein "Fixpunkt" in meinem Leben. Witzig ist auch, dass mir eine Freundin, die damals aushilfsweise in der Arcadia jobbte (Ein Plattenladen mit Sichtkontakt zu dieser Ikone an der Hauswand) erzählte, dass die Nachfrage nach Karajanaufnahmen seit der Übersiedlung des Centers nach Salzburg zurückgegangen ist. Er verkauft sich natürlich immer noch gut, aber nicht mehr so gut wie vorher.
    lg Severina :hello:


    Natürlich meine ich das ernst. Was glaubst du, hat die Präsenz in der Kärntnerstraße auf die weltweiten Verkaufsstatistiken für Auswirkungen? 0.000irgendwas Prozent! Die kontinentweiten Werbecampagnen sind für andere gemacht worden, die sich dennoch nicht so gut verkaufen.


    Ich bitte um etwas substantiellere Argumente!

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Tamino Beethoven_Moedling Banner