Karajan vs. Karl Böhm - Weißgold versus Gold ?

  • Zwei Österreicher - beide nicht aus Wien - und dennoch mit Wien verbunden. Beide waren sowohl mit den Wiener als auch den Berliner Philharmonikern verbunden - dennoch war die Bewertung eine andere.


    Aber eigentlich gab es keinen Sieger und keinen Verlierer.


    Während der "Universaldirigent" mit Schwerpunkten, Karajan, als unschlagbar in Sachen Beethoven galt, und auch mit Mendelssohn,Tschaikowsky und Schostakowitsch sovie als Verdi-Dirigent im Blickpunkt war, so deckte Böhm das Mozart- Schubert- und Richard-Strauß-Repertoire ab.


    Beide hatten Bruckner im Repertoire (eigenartigerweise - von Ausnahmefällen abgesehen nicht Mahler).


    Im allgemeinen glt Karajan als der "berühmtere" Dirigent - ausgenommen vielleicht in Wien, wo der Anhang Karl Böhms scheinbar überwog.


    In Sachen Franz Schubert und Mozart jedoch rangierte Karl Böhm jedoch VOR Karajan. Warum das so war wäre zu ergründen. Karajan selbst akzeptierte diese Gegebenheit widerstandslos - und lud Böhm als Gastdirigent regelmäßig zu den Osterfestspielen nach Salzburg ein.


    Interssant in diesem Zusammenhang ist Bruckner, Wagner, Richard Strauß und Beethoven - Komponisten, welche BEIDE Dirigenten HERVORRAGEND interpretierten....


    Über Karajan als Mozart-Dirigenten wurde viel geschrieben - ich halte ihn nicht für ideal für diesen Komponisten - ebensowenig wie für Haydn und Schubert.


    Warum Beethoven von beiden Dirigenten kongenial dirigiert wurde - das ist mir bis heute ein Rätsel. Warum man Karajans Zyklus so eindeutig den Vorzug gab - ebenso........



    mfg aus Wien



    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich denke der Grund warum Karajan als Schubert- und Mozart-Dirigent hinter Böhm rangiert ist sicherlich unter anderem die Unterschiedliche Klangästhetik. Im Falle von Karajan verträgt sich sich besser mit dem Repertoire des 19. Jahrhunderts. Bruckner, Wagner, Brahms, Mendelssohn und Schumann hier passt sein Ton besser als bei Schubert oder Mozart.


    Böhm war hingegen der großen Bogen nicht das wichtigste, sondern er konzentrierte sich auch auf die Details, die Nebenstimmen (v.a. Streicher), was bei Schubert und Mozart nunmal den Reiz ausmacht.


    Zudem meine ich irgendwo mal gelesen zu haben, dass Karajan gerade den Schubertsymphonien nicht sehr zugetan war (v.a. 1-6), was sich ja auch in seiner Diskographie zeigt.


    Das beide als gute Beethovendirigenten gelten ist kein Widerspruch. Böhm hat sich Beethoven von der klassischen Seite aus genähert und Karajan von der romantischen. Die Ergebnisse widersprechen sich daher naturgemäß. Karajan entsprach nur dem zu seiner Zeit gängigerem Beethovenideal stärker. Viel Pathos, Dramatik, das Ständig-nach-vorne-drängende, während es Böhm auch mal ruhig angehen ließ (manche meinen ja viel zu ruhig).


    Lg
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Böhm würde ich mit zu den besten Beethoven-Dirigenten überhaupt rechnen - auch wenn er nie der Beethoven-Interpret war, wie etwa Karajan, dem man ja nachsagt, dieser Komponist wäre ihm am besten gelegen (ich persönlich mag Karajans Tschaikowsky, Wagner und Verdi mindestens genauso gern).


    Was Mozart angeht, so hat Böhm klar den Vorteil auf seiner Seite - was jedoch keineswegs heißen soll, daß Karajan Mozart nicht dirigieren konnte.


    Da Schubert nie zu meinen Favoriten gehörte, kann ich insofern nichts sagen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Felipe II.:
    Böhm würde ich mit zu den besten Beethoven-Dirigenten überhaupt rechnen


    :yes: :yes: :yes: :yes: :yes: :yes:



    Ist Karajan der bessere Bruckner-Dirigent? Als durchschnittlicher, laienhaft gebildeter Klassik-CD-Käufer habe ich die 8. Symphonie von Bruckner in den Aufnahmen von Karajan und von Böhm (beide mit den Wienern!) verglichen. Einen "richtigen" Vergleich müssen die vornehmen, die den nötigen Sachverstand haben. Das würde mich interessieren. :yes:



    Wien PO, Karajan
    Label: DGG , DDD, 88


    Die Karajan-Aufnahme ist eine Referenzeinspielung für Karajan und eine sehr gute Einspielung dieser Symphonie, die auch von Karajan-Skeptikern, -Zweiflern und -Kritikern gelobt oder zumindest geschätzt wird. Besonders gelungen finde ich den dritten Satz, der zugleich kraftvoll und sensibel das Mysterium dieser Symphonie gut wiedergibt, aber auch den voller Energie musizierten vierten Satz.




    Wien PO, Böhm
    Label: DGG , ADD, 76


    Die Aufnahme mit Karl Böhm gefällt mir etwas besser. Ich empfinde diese Aufnahme insgesamt noch differenzierter und farbenreicher. Sie hat bei weitem nicht die PR der Karajan-Einspielung, obwohl ich sie als die ausdrucksstärkere empfinde, auch wenn z.B. Karajan im 4. Satz noch mehr Power gibt. Die Nuancen kommen für mich besser zu Gehör, die Einzelheiten werden besser wahrnehmbar. Die Aufnahme hat atmosphärisch weniger von der emotionalen, depressiven Wucht der Karajan-Aufnahme. Das macht für mich aber die Stärke bei Böhm aus, der die Musik etwas schöner und glänzender gestalten und die emotionale Tiefenschicht mitschwingen lässt, aber sie nicht so in den Vordergrund stellt.


    Das hört sich wie ein Klischee-Feuerwerk an, aber ich kann es nicht sachlich angemessener und präsziser formulieren.


    Interessant wäre auch ein Vergleich der 4. und der 7. Symphonie.


    Heute werde ich mir nochmal Karajans Achte von Bruckner anhören. Alles Gute zum Herbiläum für uns alle - wünscht Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Zitat

    Original von Andrew


    Ist Karajan der bessere Bruckner-Dirigent? Als durchschnittlicher, laienhaft gebildeter Klassik-CD-Käufer habe ich die 8. Symphonie von Bruckner in den Aufnahmen von Karajan und von Böhm (beide mit den Wienern!) verglichen. Einen "richtigen" Vergleich müssen die vornehmen, die den nötigen Sachverstand haben. Das würde mich interessieren. :yes:


    Hallo Andrew,


    falls man die Frage nach einem "besseren" xy-Dirigenten überhaupt seriös beantworten kann, so kann man es in Bezug auf Bruckner und Karajan/Böhm imo leider nicht, denn es gibt zu wenig Vergleichsmöglichkeiten.


    Böhm hat erst in den 70er Jahren (wieder?) begonnen, Bruckner Sinfonien für die Schallplatte einzuspielen und dann auch leider nur die 3., 4., 7. und 8. Ansonsten existieren nur noch einige wenige Vorkriegsaufnahmen.


    Von Karajan sind alle Sinfonien (abgesehen von "Nullte" und Doppelnullte") zumindest einmal eingespielt worden. Alle "großen Sinfonien" hat Karajan mehrfach aufgenommen. Somit entseht ein erheblich größerer "Bruckner Vergleichsmaßstab" bei Karajan als bei Böhm.


    Außerdem ist Böhm nicht gleich Böhm bei Bruckner. Bei Karajan läßt sich pauschal sagen, daß sich die verschiedenen Einspielungen einer bestimmten Bruckner Sinfonie in der Grundaussage und der klangästhetischen Behandlung nicht außergewöhnlich unterscheiden.


    Von der 7. und 8. hat das Label Audite kürzlich zwei Live-Aufnahmen der 7. und 8. mit dem SO des Bayerischen Rundfunks veröffentlicht:


    .


    Zwischen der Studioenspielung und Liveaufnahme der 7. liegen einige Monate. Die Liveaufnahme enstand später. Hier klingt Böhm wesentlich schroffer, "sanglicher" und emotionaler. Die Tempi sind fast identisch, abgesehen vom Adagio, in dem Böhm live etwas über eine Minute schneller ist.


    Zwischen beiden Aufnahmen der 8. allerdings liegen Welten. Die Liveeinspielung entstand am 16.11.1971, die Studioaufnahme im Februar 1976.
    Bei Audite überrascht Böhm in der "konsequenten Verweigerung der Monumentalität" in den ersten beiden Sätzen. Durch ungemein schnelle Tempi wird der Eindruck von Ruhelosigkeit und ständigem nach vorne streben erweckt. Im Scherzo hetzt Böhm das Orchester förmlich und liefert mit 13'06'' den schnellsten Satz, den ich jemals gehört habe (zum Vergleich: Mit den Wiener Philharmonikern benötigt er 14'23'').


    Wenn man Böhm noch nicht einmal mit sich selbst vergleichen kann, wie wollte man es denn mit Karajan versuchen? ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Wie fällt der Vergleich Bruckner 7. Karajan vs. Böhm aus?


    Ich beziehe mich auf die letzte (und für so manchen eine der allerbesten) Karajan-Aufnahme von 1989 und die Böhm-Studio-Aufnahme von 1976.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Wie fällt der Vergleich Bruckner 7. Karajan vs. Böhm aus?


    Für wen? ;)


    Ich habe Böhms Aufnahme länger nicht mehr gehört, aber ich denke, das was Andrew in Bezug auf Böhms Aufnahme der 8. schreibt, trifft auch auf die 7. zu: "etwas schöner und glänzender". Das Finale hat bei Böhm eine positiv(istisch)e Ausstrahlung, die imo von keiner anderen mir bekannten Aufnahme übetroffen wird.


    Karajans Sichtweise ist "klassizistischer". Mich überraschte, daß er sich im 1. Satz nicht scheute, eher fahle Farben aufzuzeichnen, anstatt polierten Schönklang zu bieten. Das Scherzo habe ich bei Karajan etwas "feinsinniger" in Erinnerung, aber unterm Strich handelt es sich für mich um zwei empfehlenswerte Einspielungen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich bin erfreut hier immer wieder nachlesen zu können, daß mein Bemühen alte Clichées hinwegzufegen in diesem Thread teilweise von Erfolg gekrönt ist.


    Ich glaube es gibt Repertoire wo Böhm und Karajan gleichermaßen punkten konnten - und solches wo einer der beiden - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung federführend war.


    Böhm war in Sachen Mozart zu Lebzeiten unangreifbar - zumindest von Karajan - allenfalls konnten ihm Bruno Walter und Joseph Krips das Wasser reichen.


    Auch in Sachen Haydn hatte Böhm die Nase vor Karajan - aber Eugen Jochum hatte in dieser Hinsicht - ähnlich wie bei Bruckner eine (damals) unangreifbare Position


    Beethoven - Wenngleich Karajans Beethoven 1960/62 damals Maßstäbe setzte nahm die Deutsch Grammophon Gesellschaft den Zyklus auch mit Karl Böhm auf - und sie wusste warum. Der positivistische Glanz wie er einige Beiträge weiter oben im Thread beschrieben wurde war auch hier evident- ich selbst beschrieb es stets als strahlend triumphierenden Ton.......


    Schubert - vor einigen Tagen noch hätte ich hier geschrieben, daß Karajan Böhm puncto Schuber niemals das Wasser reichen könne. Damals hatte ich aber die Karajan Aufnahme der 8. und 9, Schubert unter Karajan noch nicht gehört. Sie wurde hier im Forum vorgestellt- und bei meiner nächsten Bestelluing ist sie dabei - so elektrisiert aben mich die paar Sekunden der Hörbeispiele.....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,
    ich muß ganz offen bekennen, daß Böhm mir menschlich zutiefst unsympathisch war, sein Verhalten im Dritten Reich war mindestens ebenso ekelhaft anbiedernd wie das Karajans, und wie Böhm mit Musikern umsprang, spottet jeder Beschreibung. Sein unkonstruktives verletzendes Nörgeln brachte Musiker soweit, daß sie weinend die Probe verließen. Und wenn mir ein Philharmoniker erzählte, Böhm sei der absolut widerlichste Dirigent gewesen, mit dem er jemals zu tun hatte, spricht das wohl Bände.


    Jedoch...


    Jedoch hat mir dieser Karl Böhm in einigen Aufnahmen gezeigt, daß er Karajan weit überlegen sein konnte. Seltsamerweise gerade auch bei dem Komponisten, der Karajan so wunderbar gelegen gewesen sein soll, nämlich Richard Wagner.
    Man vergleiche etwa Böhms "Tristan" mit dem Karajans: Während Karajan im Pathos schwelgt und luxuriöse Farben wabern läßt, bedient sich Böhm eines wesentlich intellektuelleren Zugriffs, kühlerer Farben, mehr Details, eines umfassenderen Blicks auf das Ganze. Auch beim "Ring" stehe ich nicht an, Böhm den Vorzug einzuräumen: Erstaunlich, wie leicht und genau dieses Orchester klingt, wie fabelhaft sich der distanziertere Zugriff macht, wie glänzend Böhm Wagners Farben nachspürt, ohne, wie Karajan, ein vorgefaßtes Klangkonzept überzustülpen.


    Was ich weiters schätze, ist Böhms fast wilde Interpretation von Haydns "Jahreszeiten", meiner Meinung nach die beste nicht-HIP-Interpretation des Werkes.


    Bruckner war meiner Meinung nach Böhms Sache weniger, und er war, im Gegensatz zu anderen, die ohne inneres Bedürfnis nur eine Mode mitmachten, klug genug, seine Finger fast ganz, nämlich mit Ausnahme einiger Lieder, von Mahler zu lassen. Dafür hat Böhm für die maßstabsetzenden Einspielungen der beiden Opern Alban Bergs gesorgt.


    Tatsache ist, daß Böhm immer mehr dem Gedächtnis entschwindet und fast nur noch in Anekdoten präsent ist, die ihn als Widerling zeigen. Schade - denn es war mehr dran an Böhm. Nicht immer, vielleicht nicht einmal sehr oft, aber wenn ihm ein Werk lag und ihm an einem Werk etwas lag, dann konnte Böhm Karajan tatsächlich mühelos überflügeln.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Was ich weiters schätze, ist Böhms fast wilde Interpretation von Haydns "Jahreszeiten", meiner Meinung nach die beste nicht-HIP-Interpretation des Werkes.


    Vollste Zustimmung!
    Für mich ist die Aufnahme untopbar bis heute. :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Alfred,


    Karajan vs. Böhm ist natürlich in mehrfacher Hinsicht ein reizvolles und erhellendes Thema; denn es gibt bei diesen beiden Dirigenten Aspekte, die sie auf das Engste verbinden (Herkommen, große Teile des jeweiligen Kernrepertoires, ästhetischer Konservativismus), und solche, die sie zu denkbar größten Gegensätzen werden lassen (pointiert: Karajan: Stardirigent mit ausgeprägtem Personalstil; Böhm: Anti-Star als Diener hinter dem Werk).


    Gemessen an dem Renomée, das Böhm ab den 60er Jahren in der Welt genoss und den zahlreichen Aufnahmen, die er für führende Labels produzieren durfte, ist es heute seltsam still um ihn geworden. Zwar gab es zum 100. Geburtstag Böhms 1994 immerhin eine Briefmarke, ansonsten war es das aber. Sondereditionen sind meines Wissens nicht erschienen. Bücher über ihn sucht man vergeblich. Selbst in dem umfangreichen Buch „Große Dirigenten“, das Wolfgang Schreiber unlängst geschrieben hat, ist Böhm nur am Ende, also unter den „Sonstigen“ mit einer kurzen Beschreibung gewürdigt, während andere ein je eigenes Kapitel für sich (z. B. Furtwängler, Toscanini, Karajan, Bernstein) oder zumindest eine ausführlichere Beschreibung in einer Gruppe vergleichbarer Dirigenten (z. B. F. Reiner Kubelik, Sawallisch, Boulez) erhalten haben. Ich meine, dass Karl Böhm damit nicht angemessen gewürdigt ist. Er gehört jedenfalls in die letztgenannte Gruppe. Allerdings meine ich auch, dass er am Ende nicht in die erstgenannte Gruppe „ganz großer“, Epoche machender oder stilbildender Interpreten unter den Dirigenten zählt. Das sind regelmäßig solche, die den Werken einen deutlichen Personalstil aufprägen. Karl Böhm aber war – und das ist für mich eines der wesentlichen Merkmale seines Schaffens – ein Dirigent, der nahezu vollständig hinter einem Werk zurücktritt. Er war auch deshalb eine Art „Anti-Star“, während Furtwängler, Toscanini, Karajan oder Bernstein regelrechte „Stars“ waren. Die interessierten Menschen, die alle schon zig Mal eine 5. Beethovens gehört haben, lassen sich in besonderer Weise faszinieren, wenn sie hören, wie („ganz besonders“) es gerade dieser oder jener Dirigent wieder gemacht hat. Bei Furtwängler hörte man den Furtwängler-Beethoven, bei Karajan den Karajan-Beethoven, und zwar regelmäßig vom ersten Ton an! Bei Böhm wusste und schätzte man natürlich auch, dass es Böhm war, der dirigierte. Aber es war dann eben doch Mozart, den man weitgehend ungetrübt vom nachschöpferische „Ich“ des Interpreten hörte. Gleiches gilt für seine Aufnahmen. Möglicherweise liegt hier ein Grund dafür, dass wir heute (da wir hunderte hervorragende Einspielung im Kernrepertoire zur Auswahl haben und sich eine gewisse Synthese-Vorstellung von einem Werk in uns manifestiert hat) durch die individuellen, dezidierten Interpretationen der Vergangenheit in besonderer Weise angesprochen werden. Und wir gerade diese Interpreten besonders hoch einschätzen, weil sie uns ja auch erkennbar entgegentreten.


    Den Menschen Karl Böhm finde ich nach allen, was man über ihn lesen kann, insgesamt durchaus sympathischer als seinen Ruf. Natürlich war er im Dritten Reich wenigstens ein Mitläufer. Aber wie Karajan oder die meisten Künstler war er dabei ein apolitischer Opportunist. Dazu zählte auch heute die überwältigende Mehrheit der Menschen. Beachtliche Arbeit als Dirigent muss er (auch wenn Hitler ihn wohl als „zweitklassig“ bezeichnet hat) schon damals geleistet haben, sonst wäre er kaum auf die sog. „Gottbegnadeten-Liste“ der Reichskulturkammer gelangt, die ihn in der Endphase des Krieges vor dem Fronteinsatz bewahrte. Im persönlichen Umgang soll er sich als Zyniker und Sarkast hervorgetan haben. Damit dürfte er raubeiniger gewesen sein als Karajan, der immer wieder durch seine Höflichkeit und Ausgeglichenheit (auch gegenüber dem Orchester) verblüffte. Trotz vereinzelter seelischer Verletzungen, die Böhm hier und da Orchestermusikern durch sein Wesen zugefügt hat, wird man annehmen dürfen, dass die jahrzehntelange enge Zusammenarbeit etwa mit den selbstbestimmten Wienern insgesamt von einem hohen Maß an gegenseitiger Wertschätzung und Zuneigung getragen war. Nicht ohne Grund werden die Wiener Karl Böhm 1967 zu ihrem „Ehrendirigenten“ ernannt haben – eine Auszeichnung, die ansonsten nur noch Karajan (1983) zuteil wurde. Gegen Ende seines Lebens soll Böhm gesagt haben, er liebe die „Wiener“ wie man einen Menschen liebe. Vielleicht war auch das überaus vertraute Miteinander zwischen Orchester und Dirigent dem einer langen Ehe ähnlich.


    Ich würde meinen, dass Böhm als Interpret dem genialen und vielseitigeren Karajan (Böhms Kernrepertoire ist eine Teilmenge des weiteren Karajan’schen) nur dann das Wasser reichen konnte oder ihn vereinzelt auch einmal überflügeln konnte, wenn Böhm eine Sternstunde hatte. Hierzu im einzelnen: Eine Sternstunde hatte Böhm etwa im Schlusssatz der 6. Sinfonie Beethovens (Wiener, DG), in der er zeigt, dass er einen Klang auch regelrecht erblühen lassen konnte. Dem freien Fließen der Musik in diesem Satz kommt Böhms lose Führung sehr zugute. Beim übrigen Beethoven aber würde ich (natürlich verallgemeinernd) sagen, dass Karajans immenser Gestaltungswille und seine enorm suggestive Gestaltungskraft (er wusste sehr genau was er wollte und – entscheidend – bekam es auch!) dem hochgradig konstruierten, treibenden und dämonischen Zug der Beethovenschen Form idealer gerecht wird, als der manchmal ein wenig zu sehr in schön tönender Bewegung versinkende Böhm. Ähnliches gilt insgesamt für Bruckner, dessen gigantische Formen auch erst einmal übergreifend zu bezwingen sind. Hier hat Karajan mit seinem 70er Zyklus neue Maßstäbe gesetzt. Gleichwohl gelang Böhm auch hier vereinzelt Außerordentliches, Gleichrangiges. So etwa mit seiner Einspielung der 4. Sinfonie Bruckners (wiederum ein Werk, das auch stark von frei fließenden atmosphärisch-romantischen Klängen geprägt ist). Auch die etwas freieren, unbeschwerteren Schubert-Sinfonien, die Böhm sehr überzeugend spielen lässt, sind in diesem Kontext zu sehen. Karajan bietet hier eine wesentlich andere, dramatischere, Beethoven nahe Interpretationen, oder – wie im Fall der 9. Schuberts von 1969 – einen furiosen Ritt über Schuberts himmlische Längen – undenkbar bei Böhm. Beider Aufnahmen Schubert’scher Sinfonien sind auf ihre Weise sehr beachtlich. Sicherlich hat aber auch georgius1988 Recht, wenn er in diesem Zusammenhang anmerkt, dass der Klang Karajans stark von der Spätromantik (was hier nicht jedem zusagt) und der Böhm ein wenig mehr klassisch ausgerichtet war. Bei Mozart war Böhm auch deshalb eine sichere Bank, während man bei Karajan hier ein wenig differenzieren muss. In ihren jeweiligen Spitzen (Karajan: Cosi 50er, Figaro 50er; Böhm: Cosi 60er, Zauberflöte 60er, Sinfonien) gehören sie jeweils zu den Referenzeinspielungen. Bei R. Strauss, auch einer Domäne von Böhm, liegt Karajan am Ende deutlich vorne (bei Karajan wären jedenfalls zu nennen: Orchesterstücke, Salome, Rosenkavalier; bei Böhm jedenfalls: Capriccio). Bei Wagner verhält es sich ähnlich wie bei Mozart. Beider „Ring“ wird seit jeher unter unterschiedlichen Vorzeichen gerühmt. Natürlich ist der aufwendig einstudierte Ring Karajans ungleich detaillierter, nuancierter („kammermusikalisch“) gestaltet und fasziniert durch einen großen Klangfarbenreichtum. Dafür besticht Böhms Bayreuther-Mitschnitt durch Authentizität, ebenso überzeugende dramatische Bögen und ein durchweg hervorragendes Sängerensemble. Auch beim Tristan haben beide Herausragendes hinterlassen (hier ist derjenige Böhms allerdings geradezu legendär). Bei Karajan ist die Höhe bei Wagner noch breiter, denn es kommen noch Meistersinger und Parsifal hinzu. Daneben wären zahlreiche andere Komponisten aufzuzählen (Alfred hat auch schon darauf hingewiesen), bei denen Karajan Herausragendes vollbracht hat, während Böhm gar nicht oder nicht nennenswert in Erscheinung tritt (Verdi, Tschaikowsky, Mendelssohn, Debussy, Sibelius, Mahler etc.).


    Insgesamt ist Karajan (für die Interpretationsgeschichte und in der Breite seiner Spitzen) also schon ein anderes, bedeutenderes Ereignis als der mitunter ebenfalls faszinierende Böhm.


    Loge

  • Hallo


    Ich bin in einzelnen Punkten nicht ganz Loges Meinung. Bei Strauss muss Böhm unbedingt noch mit FroSch, Salome , Elektra, Arabella und Daphne genannt werden (die Salome besteht sehr gut neben Karajan; und die Ariadne gehört eigentlich auch in die Böhm-Ruhmesliste). Auch die Vier letzte Lieder mit Lisa della Casa haben Referenzcharakter. Ebenso sind die Orchesterwerke nicht zu verachten. Hier gibt es harte Konkurrenz von mehreren Seiten (vor allem Kempe), aber bei Strauss-Opern ist Böhm wohl in Summe an die erste Stelle zu setzen (vor Sawallisch, Solti und Karajan).


    Bei Wagner vergisst Loge völlig auf Böhms hervorragende Meistersinger (1944)! Der 1939 eingespielte 3. Akt dieses Werks gilt bei so manchen Enthusiasten als DIE Referenz schlechthin. Und wäre nicht Gwyneth Jones mehr als nur eine Geschmacksfrage, gäbe es von Böhm den vielleicht besten Holländer. Also auch bei Wagner ist Böhm einer der ganz großen (wenn auch mit weniger Platten).


    Böhm hat viel weniger Platten eingespielt als Karajan, so dass man nicht so viele Vergleiche hat. Aber die drei letzten Tschaikowsky-Symphonien sind dem greisen Böhm recht gut gelungen, und besonders den Brahms finde ich erwähnenswert. Dass er meines Wissens keine Verdi-Oper eingespielt hat, ist schade, aber einige Rundfunkmitschnitte beweisen, dass er das sehr gut beherrschte (er war ja gelernter Operndirigent). Und neuerdings ist ja wieder sein Wiener Freischütz erhältlich. Kleineres Repertoire ja, aber er hält sich damit sehr beachtlich. Und MIR liegt sein Beethoven sehr... (sein Fidelio sollte auch noch erwähnt werden!)



    PS: Ganz sträflich wurde auf Papa Haydn mit seinen Symphonien vergessen! Ich glaube, dass auch hier die Mehrheit mit mir einer Meinung sein wird, dass dabei Karl Böhm die Nase vorne hatte. Insgesamt würde ich Böhm bei der Wiener Klassik den Vorzug geben, nach Schubert ist Karajan auf symphonischem Sektor wohl der stärkere Interpret.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Wie fällt der Vergleich Bruckner 7. Karajan vs. Böhm aus?


    Ich beziehe mich auf die letzte (und für so manchen eine der allerbesten) Karajan-Aufnahme von 1989 und die Böhm-Studio-Aufnahme von 1976.


    Also Böhms Adagio in der Siebten ist mir das Allerliebste geworden.
    Allerdings höre ich die gesamte Symphonie nur selten, deswegen müsste ich erst wieder hineinhören. Das Gleiche gilt für den Karajan-Bruckner, der aber keinen tieferen Eindruck bei mir hinterlassen hat, was ohnehin für die meisten Karajan-Einspielungen gilt, bei denen es häufig vorkommt, dass ich an den schönen Satz aus der Offenbarung des Johannes denken muss:


    "Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." (Off 3:16)


    Interessant jedenfalls fände ich einen Vergleich der Strauss-Aufnahmen.
    Bei Richard Strauss ist mir Böhm jedenfalls am Besten in Erinnerung geblieben, etwa hier:



    Oder im Gegensatz dazu:



    Den Rosenkavalier finde ich allerdings todlangweilig, insofern weiß ich auch nicht, wie Karajan hier einzuschätzen ist, obwohl die Interpretation dieser Oper ja auch von Seiten seiner Kritiker oft wohlwollend angesprochen wird.


    Aber ... wenn ich so drüber nachdenke, dann ... sind die Karajan-Einspielungen, die ich noch hoch einschätzen würde, wohl tatsächlich Sachen von Strauss, vorallem die ganz "frühen" Sachen und die etwas späteren.


    Also das beeindruckendste Stück von Strauss sind vielleicht die Metamorphosen, und da würde ich Karajan schon relativ weit vorne ansiedeln, wobei ich nur zwei verschiedene Karajan-Einspielungen davon kenne - eine von '71 mit den BP, eine frühere Mono-Aufnahme, bei der kein Datum angegeben ist.

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Zitat

    Original von Theophilus
    und die Ariadne gehört eigentlich auch in die Böhm-Ruhmesliste). Auch die Vier letzte Lieder mit Lisa della Casa haben Referenzcharakter.


    Einverstanden. Hatte ich vergessen. Hier liegen aber beide gleichermaßen mit vorne.


    Loge

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Aber die drei letzten Tschaikowsky-Symphonien sind dem greisen Böhm recht gut gelungen [...]


    Ich glaubte bisher immer, daß es lediglich eine Live-Aufnahme der Vierten gibt.
    Bei welchem Label sind die Tschaikowsky-Sinfonien mit Böhm denn erschienen?


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nö, London Symphony Orchestra.


    Die 5. war Böhms erste Digitaleinspielung für die Deutsche Grammophon und ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie viel Inhalt in der Sinfonie steckt, wenn man nicht einmal überdramatisch herumlärmt. Für mich eine der schönsten stspanntesten Deutungen dieses Werkes.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Norbert
    Nö, London Symphony Orchestra.


    Die 5. war Böhms erste Digitaleinspielung für die Deutsche Grammophon und ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie viel Inhalt in der Sinfonie steckt, wenn man nicht einmal überdramatisch herumlärmt. Für mich eine der schönsten stspanntesten Deutungen dieses Werkes.


    Ja das ist richtig. Und die 5. ist die einzige digital aufgenommene, 4. und 6. sind noch analog.


    Ich kann mich noch daran erinnern, wie überrascht ich war, als Böhm die Tschaikowsky-Aufnahmen herausbrachte. Ich hatte nie zuvor davon gehört, dass er Tschaikowsky im Repertoire gehabt hätte.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Scheinbar sind die besagten Aufnahmen derzeit nur sehr schwer zu bekommen. Habe nur die 5. Sinfonie auf dem Amazon-Marketplace gefunden.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Diese beiden Dirigenten gegeneinander ausspielen funktioniert, meiner Meinung nach, gar nicht.


    Beide waren große Richard Strauss - Dirigenten, beide sowohl mit den Wiener-, als auch, mit den Berliner Philharmonikern, in Bestform.


    Beide hatten einen "direkten Draht" zu Mozart, Verdi, Puccini und Wagner,
    aber auch zu Johann Strauss jun.


    Beide waren Direktoren der Wiener Staatsoper und beiden gelang es großartige Operngeschichte zu schreiben,


    jeder auf seine Art, in großartiger Manier.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Diese beiden Dirigenten gegeneinander ausspielen funktioniert, meiner Meinung nach, gar nicht


    Es ist auch nicht jnotwendiog sie "gegeneinander auszuspielen" - aber es ist sicher interessant Unterschiede zu suchen und zu finden - zu sehen warum der eine als "Mozartpapst" gehandelt wurde, während man hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde, der andere habe kein Gefühl für Mozart.


    Karajans Beethoven-Einspielungen- heute oft kritisiert, einst über jene von Böhm gestellt (ein Urteil dem ich micht nicht anschliessen möchte - sie sind meiner Meinuig nach gleichwertig haben aber eine verschiedene Sichtweise) galten lange Zeit als Non plus Ultra, während jene von Böhm - sowohl mit den Wiener als auch den Berliner Philharmonikern trotz bester Kritiken - irgendwann im "öffentlichen Bewusstsein" ausgelöscht wurden - ausser in Japan !!!


    Bei Schubert wiederum ist es genau umgekehrt, wahrscheinlich wissen viele Klassikfreunde nicht mal, daß Karajan Schubert Sinfonien aufgenommen hat. Er hat - und zwar sowohl für die EMi als auch (einige wenige) für die Deutsche Grammophon Gesellschaft.


    Ich habe diesen Thread harausgekramt, weil heute das Thema Karajan versus Böhm - so nebenbei - im Thread "Was höre ich gerade jetzt" zur Sprache kam. Ich finde persönlich das Thema zu interessant um es so nebenbei abzuhandeln


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • So ganz nebenbei war das gar nicht, lieber Alfred, da dieser Thread für mich oftmals eine Art Kontaktanbahnungsstelle ist. Zum Threadthema: Karl Böhm war meiner Wahrnehmung nach der ehrlichere der beiden Dirigenten. Wenn ich mich durch den mir bekannten Böhm durchhöre begene ich einem Musiker, dem ich jede Sichtweise als authentisch abkaufe - auch seinen Mozart, den ich nicht so sehr schätze wie Du. Bruckner, Beethoven, Schubert, Brahms, Wagner, Strauss, Berg - was Böhm da hinterlassen hat sind in meinen Ohren Sternstunden. Beide - Karajan und Böhm - traten in mein Bewusstsein in den frühen 1970er Jahren, und Karajan wurde wahrgenommen als der schneidige Tausendsassa. Karl Böhm hingegen war der gütig wirkende Großvater, der auf Plattencovern - ähnlich wie Kubelik - schon mal mit Strickjacke zu sehen war. Rein visuell verkörperten die ganz andere Welten. Karajan mit schneidigen Chronometern am Arm, im Flugzeug, im schnittigen Auto und auf der Party von Onassis - das war damals auch sehr ungewöhnlich (ähnlich übrigens bei der Callas). Die Bilderwelt, von der ich hier spreche, wirst Du noch erinnern, für alle Heutigen ist der Gegensatz in der (gesteuerten) Bilderwirkung Karajan gegen den Rest absolut nicht mehr vorstellbar.


    Ich hatte gestern die beiden Boxencover der Beethoven-GA's gepostet: bis auf den heutigen Tag wird in der Bildkommunikation offensichtlich an der Idee von Vati Böhm vs. schnittiger Karajan festgehalten. Die Musik spricht indes eine andere Sprache.


    Ich habe ja durch dieses Forum Karajan schätzen gelernt. Den Böhm ziehe ich ihm dennoch vor.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Interessant wie die Eindrücke doch so verschieden sind:
    Ich hatte NIE den Eindruck von "Vati Böhm" sondern den eines Grandseigneurs, eines großen Herrn mit leicht näselndem überlegend kritisierenden Unterton, eines kalkulierenden Strategen am Pult, der immer genau wusste was er wollte, und (fast) immer das gewünschte Ergebnis erzielte.
    Böhm hat in seinen mittleren Jahren langsamer dirigiert als gegen Ende seines Lebens, er war einer der wenigen Dirigenten, die im Alter immer schneller wurden, wobei er immer den Eindruck erweckte, SO und nicht anders müssen die Tempi sein. Das Geheimnis wie er diesen Eindruck erzielte dürfte die Aufrechterhaltung der Proportionen zueinander gewesen sein, die bei Böhm ja eine bemerkenswerte war.


    Karajan hingegen wurde als Salonlöwe und als mediengeil vermarktet. Beides stimmt nur bedingt. Karajan soll zu Beginn seiner Karriere äusserts menschen- und kamerascheu gewesen sein, und zahlreiche Kameraleute vergrämt haben.
    Irgendwann dürfte er jedoch draufgekommen sein, daß er Salon und Medien benötigte um seine künstlerischen Vorstellungen durchzusetzen - und nun machte er Gebrauch von beidem.



    Diese beiden Mini-Beschreibungen beider Komponisten haben jedoch nichts mit Musik zu tun - die war - wie so oft - völlig von den privaten Persönlichkeiten gelöst.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ...
    Karajan hingegen wurde als Salonlöwe und als mediengeil vermarktet. Beides stimmt nur bedingt. Karajan soll zu Beginn seiner Karriere äusserts menschen- und kamerascheu gewesen sein, und zahlreiche Kameraleute vergrämt haben.
    Irgendwann dürfte er jedoch draufgekommen sein, daß er Salon und Medien benötigte um seine künstlerischen Vorstellungen durchzusetzen - und nun machte er Gebrauch von beidem.
    ...


    Das stimmt ja gar nicht! Karajan war das absolute Gegenteil eines Salonlöwen! Aber er verstand es meisterhaft - um nicht zu sagen auf geniale Weise - die Medien für sich zu nutzen. Einmal populär geworden schaffte er es auf verblüffende Weise mit minimalstem zeitlichem Aufwand maximale mediale Wirkung zu erzielen. Natürlich war die gesamte künstlerische Arbeit auch mit einem klaren Konzept der medialen Darstellung verbunden. Und wenn jemandem diese Tatsache etwas suspekt vorkommt, will ich nichts dagegen sagen, jedoch daran erinnern, dass Karajan vor gut 40 Jahren auf seinem Gebiet etwas erfunden hat, was heute für jede Öffentlichkeitsperson selbstverständlich ist.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Interessant wie die Eindrücke doch so verschieden sind:


    So verschieden sind die Wahrnehmungen gar nicht mal. Bezogen habe ich mich auf die Bilderwelt, in der die beiden präsent waren. Da spielt es so gesehen auch keine Violine, ob Karajan tatsächlich ein Salonlöwe war oder nicht. Und Böhm auf den Plattencovern und in den Illustrierten hatte schon etwas großväterliches. Die Wiener Perspektive wird gewiss eine andere gewesen sein. im fernen Dortmund indes (wo die Sonne verstaubte...)...


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Zitat Alfred:
    Bei Schubert wiederum ist es genau umgekehrt, wahrscheinlich wissen viele Klassikfreunde nicht mal, daß Karajan Schubert Sinfonien aufgenommen hat. Er hat - und zwar sowohl für die EMi als auch (einige wenige) für die Deutsche Grammophon Gesellschaft.


    So unbekannt sind die Schubert-Aufnahmen von HvK gar nicht.
    Es ist auch die einzige GA, die ich von den Schubert-Sinfonien habe, weil ich dort mit Karajan sehr zufrieden bin und gar keine andere haben möchte.
    *** Und die DG-CD mit den Sinfonien Nr. 8 und 9 ist sogar den EMI-Aufnahmen dieser beiden letztem Sinfonien vorzuziehen.
    Die Große C-Dur mit ihren sogenannten "himmlischen Längen" ist unter Karajan (DG) der Wahnsinn. Ich empfinde seine Leseart als Kurzweiliger; und nicht nur weil er auf die IMO dort lästigen Wiederholungen (ähnlich wie Szell) verzichtet.


    Aber es gibt auch hier mit Karajan nichts gegen Böhm auszuspielen.
    *** Durch einen Böhm-Fan aus einem anderen Forum habe ich auch die hochdramatischen DG-Aufnahmen der Sinfonien Nr.8 und 9 kennen und schätzen gelernt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Unpassenderweise schiebe ich hier eine Karajan-Anekdote ein :


    Karajan liebte die moderne Technik. Es war in Salzburg 1966. Der Maestro probte mit den Philharmonikern die Fernsehaufzeichnung der "Carmen", umzingelt von Kabeln, Kameras und Mikrophonen. In der Pause kam man ins Gespräch und Karajan begeisterte sich an Aufnahmetechnik der Zukunft : "Man wird bald so weit sein, daß dieser ganze Apparat überflüssig ist. Dann wird es keine sichtbaren Kameras geben. Stellen sie sich vor, sie sehen plötzlich einen Mann im Zimmer stehen....".
    Darauf eine Stimme aus dem Orchester : "Den kriegt jeder einschlägige Facharzt wieder `raus" !