Kammermusik von Benjamin Britten

  • Hallo!


    Zu den Kammermusikwerken von Benjamin Britten gibt es noch keinen einzigen Spezialthread. Da ist es an der Zeit, zumindest einmal diesen allgemeinen thread aufzumachen und zu sammeln, welche Werke besonders kennenlernenswert sind.
    Konkreter Auslöser für diesen Eröffnungsbeitrag ist diese letzte Woche gekaufte und heute erstmals gehörte Aufnahme mit Brittens Cellosuiten:



    Wulf bat mich, meine Meinung dazu kundzutun; und ich fragte mich: Wo denn eigentlich? Nun, hier ist Platz dafür.
    Ich kenne mich in Brittens Kammermusik kaum aus und werde das Feld hier anderen überlassen und interessiert Anregungen aufschnappen.
    Von mir zunächst nur so viel: Die Cellosuiten (zunächst nur die ersten beiden gehört) haben bei mir den Eindruck hinterlassen, interessante Werke zu sein, aber der Funke ist erstmal nicht übergesprungen.
    Dann kenne ich noch Brittens letzte Kammermusik-Komposition, das Streichquartett Nr. 3. Damit kann ich nicht viel anfangen...
    Interessieren würde mich noch "Lachrymae" für Viola und Klavier. Gibts da eine empfehlenswerte nicht zu teure Aufnahme?


    So, nun sind die Britten-Fans gefragt! :hello:


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Interessieren würde mich noch "Lachrymae" für Viola und Klavier. Gibts da eine empfehlenswerte nicht zu teure Aufnahme?


    So, nun sind die Britten-Fans gefragt! :hello:


    Viele Grüße,
    Pius.


    Hallo Pius!


    Also ich bin auf diesem Gebiet bestimmt kein Fachmann- auch kein großer Liebhaber, versuche aber trotzdem mal die Disskussion etwas in Gang zu bringen.


    1. zu Lachrymae op.48
    wie ich meiner Aufnahme mit Y. BASHMET entnehme wurde das Werk für den Musiker W. PRIMROSE geschrieben. Der wurde von BRITTEN und PEARS 1949 in den US besucht und zum Aldenburgh Festival eingeladen. Als PRIMROSE antwortete, dass er nicht beabsichtige in nächster Zeit GB zu besuchen erwiderte BRITTEN: "If you come, I'll write a piece for you" ...
    Es wurde dann am 20.Juni 1950 von PRIMROSE mit Klavierbegleitung durch BRITTEN beim Aldeburgh Festival uraufgeführt.


    Neben der originalen Verison für Viola und Klavier wurde später von Britten eine Verision für Viola und Streichorchester erstellt.



    Diese CD enthält die Version für Viola und Streichorchester, von einer Versionder Version Viola/Klavier mit Bashmet/Richter habe ich viel gutes gehört.



    2. Besitze ich noch eine Aufnahme der Cellosonate C-Dur op.65 mit Gutman/Richter und die Cellosuiten 1-3 mit Tim Hugh.
    Deine Einschätzung der Cellosuiten kann ich nur zustimmen, die Aufnahme der Cellosonate ist schon durch die genannten Interpreten eine echte Bereicherung.




    Gruß pt_concours


    PS Nenne doch bitte den Cellisten deiner Aufnahme!
    (ich finde Empfehlungen einer preiswerten Aufnahmen immer schwierig, , nicht nur, dass sich das ja oft ändert, ich werde in solchen Fällen meist einfach nur die Aufnahmen erwähnen, die ich besitze oder kenne, das weitere überlasse ich dann dem "Frager".
    Im übrigen halte ich auch die (hier offenbar verbreitete) Angewohnheit Werke ersteinmal mit einer billigen (und eventuell nicht hochklassigen) Kennenzulernen für zweifelhaft, zumal als Kauf.)

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Hallo, pt_concours!


    Zitat

    Original von pt_concours
    PS Nenne doch bitte den Cellisten deiner Aufnahme!


    Steht doch auf dem Cover (keine Adleraugen? ;) ) - William Butt.
    Wie gesagt, ich kann die Qualität der Interpretation überhauptnicht einschätzen.
    Ansonsten besitze ich nur noch eine einzige CD mit Britten-Kammermusik, nämlich die folgende, die ich mir zum Opernbesuch von "Death in Venice" kaufte (Britten verarbeitet Motive der Oper in seinem dritten Streichquartett):



    Wie gesagt, behagt mir dieses Spätwerk nicht besonders, auch das frühe Quartettino (von 1930) ist nicht mein Fall. Die Simple Symphony ist auch als Streichquartett schön anzuhören, aber so dolle ist das Werk ja auch nicht.


    Es muß sie doch geben, die Perlen in Brittens Kammermusikwerk!?


    Nun sind aber die Britten-Fans aufgefordert, ich kann wirklich nicht mehr sagen als das bisherige...


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Die Perle IST die Cello-Suiten-Trias, vielleicht taugt der Butt nicht wirklich, vielleicht liegt Dir aber, lieber Pius, die Welt Brittens einfach nicht.


    Die Cello-Suiten sind mit Sicherheit keine leichte Kost und wandern bei mir recht selten ins Laufwerk. Dann aber beeindrucken sie umso mehr. Es ist faszinierend wie groß der Ausdrucksgehalt und die Vielfalt an Ausdrucksbekundungen in diesem Werk ist.


    Mir liegt dabei die erste Suite noch am meisten. In der Direktheit, in der sich Schmerz und Aufbegehren gleich zu Beginn mitteilen, gibt es IMO wenig vergleichbares in solistischer Besetzung. Es ist Brittens ganz eigener Schwanengesang, voll der Momente des Zweifels, der Einsamkeit, des Aufbegehrens.


    Ich besitze die folgende, für meine Ohren genügsame, Einspielung:



    :hello:
    Wulf

  • Aber die Cellosuiten sind ganz bestimmt schon der Perlen welche. Gerade bei diesen herben Werken, diesen technisch schweren Charakterstücken, denen der Solist die Gestaltung geradezu abtrotzen muss, kommt es, wie mir scheint, ganz entscheidend auf die Ausdruckskraft und den Formungswillen des Musikers an. Die Aufnahme von William Butt kenne ich leider nicht, diejenige von Tim Hugh ist brav, nur bleibt sie leider brav. Zwei Aufnahmen sind jede eine Klasse für sich und lohnend, es sind


    die zweite Einspielung von Pieter Wispelweij (Channel classics)
    [amx=B000063TD2]300[/amx]
    und diejenige von Jean-Guihen Queyras bei Harmonia mundi France
    [amx=B00000DG0B]300[/amx]
    Die von Wispelweij vielleicht um Nuancen einfallsreicher, ausdifferenzierter, aber Queyras gleichwohl herausragend und empfehlenswert, allemal als Aufnahme im Midprice-Bereich.


    Trotzdem greife ich immer wieder auf Rostropovich (London/Decca) zurück, für den Britten die Suiten komponiert hat - und das heißt natürlich: für dessen persönliche Technik, Gestaltungskraft, Virtuosität Britten geschrieben hat:

    Rostropovich hat nur die ersten beiden Suiten aufgenommen, zur Aufnahme der später ebenfalls für ihn geschriebenen dritten hat er nach eigener Aussage Zeit seines Lebens nie die Zeit gefunden. Warum letztlich doch immer wieder zu Rostropovich? Ich könnte es mit Bestimmtheit nicht sagen: ich empfinde seine Auffassung nicht grundsätzlich den Einspielungen von Wispelweij und Queyras überlegen, alle drei sind auf ihre Art gleich stark. Aber Rostropovichs Aufnahme hat den Anstrich der Authentizität für sich, nachdem sein Freund Britten bei den Aufnahmen sozusagen neben ihm saß. Und sie enthält die hörenswerte, tonsprachlich sehr typisch wirkende Cellosonate op. 65 von 1960, mit Benjamin Britten am Klavier.


    Für die dritte Suite ziehe ich wieder eine andere Aufnahme vor, und das ist die Einspielung durch Boris Pergamenschtschikow (1986 für aulos) - eine bedauerliche Aufnahmetechnik, aber volle Entschädigung durch diesen großen Gestalter am Cello - sehr empfehlenswert (auch wegen des sonstigen enthaltenen Programms):


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Bei mir findet sich, jeweils lange nicht mehr gehört, aber in meiner Erinnerung als "schön" vorhanden:


    - Sonata for cello and piano mit M. Rostropowitsch (Vc) und B. Britten (Kl):


    - eine Aufnahme der Lachrymae mit Tabea Zimmermann (viola) und Hartmut Höll (Klavier); EMI, gekoppelt mit Schostakowitsch, Sonata op. 147 und Strawinsky, Elegie für Viola solo).


    - die Streichquartette 1 - 3 + Streichquartett D-Dur (1931) + Simple Symphony op. 4 für Streichquartett, mit dem Britten Quartet (Collins Classic, 1991).


    Bilder finde ich nicht, auf Nachfrage gern mehr.

  • Hallo,


    Zitat

    Pius schreibt: Von mir zunächst nur so viel: Die Cellosuiten (zunächst nur die ersten beiden gehört) haben bei mir den Eindruck hinterlassen, interessante Werke zu sein, aber...


    Das trifft so ziemlich auch mein Empfinden. Ich kenne, so glaube ich, so in etwa die gesamte Kammermusik Brittens (ist ja nicht allzu viel); Rostropovich habe ich die dritte Suite selber spielen gehört; ich empfand das, wie oben bereits gesagt, als ziemlich emotional, aber auch aufgrund meiner mangelnden Fähigkeit des Einordnens ziemlich irritierend. Insgesamt gilt auch für mich: Es scheint, als seien dies interessante Werke; aber so recht weiß ich auch nach langer Zeit noch nicht so recht, warum.


    Am häufigsten höre ich die Werke für Streichquartett, und zwar die drei mit Opusnummer. Interessant und emotional ergreifend sind alle drei; wie eigentlich alle mir bekannten Werke Brittens empfinde ich sie als kühl und direkt, irgendwie unheimlich. Irgendwie erreicht mich Brittens Musik, auch die Kammermusik, so, als käme ein fremder Mensch, der mir etwas mitteilen wollte, geradezu ohne Umwege, mir direkt ins Gesicht blickend und nicht einmal blinzelnd, auf mich zu, bliebe wenige Zentimeter vor mir stehen und spreche mich mit großen Augen anblickend ohne Umschweife an.


    Aus dem Grund dieses von mir empfundenen frostigen Charakters der Musik Brittens stören mich fast sämtliche interpretatorische Weichverzierungen wie z.B. unnötiges Vibrato.


    Aber gerade diese Kühle, ich möchte sagen: psychologische Kühle, faszinieren mich sehr und gehen tief. In den Opern kann ich diese psychologische Art sehr gut nachvollziehen, da sie als Mittel zum Lebendigmachen des Inhalts als auch dann zum Inhalt selbst wird; bei den Streichquartetten z.B. fällt es mir dagegen schwerer, mir über das Verhältnis von Inhalt und Ausdruck Klarheit zu verschaffen; ich bin zur Zeit lediglich auf mein Gespür, dass da viel passiert, angewiesen.


    Das erste Quartett op. 25 hat sehr schöne und spannende Momente bzw. Einfälle, ist von seiner Ausdrucksart her auch ziemlich einheitlich, wirkt auf mich jedoch etwas gewollt. Wie die beiden späteren Quartette auch hat es einen scheinbaren Höhepunkt, und zwar das Andante.


    Viel reifer und besser finde ich die beiden späteren Quartette, op. 36 und op. 94. Ein wohliges Bauchkribbeln bekomme ich stets beim langgezogenen Finale des zweiten Streichquartetts, der „Chacony“ (fast doppelt so lange wie die beiden Sätze vorher zusammen).


    Das dritte Quartett wirkt etwas dezenter und feiner, dennoch genauso kühl und geheimnisvoll. Der Höhepunkt bzw. der Punkt, wo alles hinzulaufen scheint, ist hier ebenfalls der letzte Satz.


    Fazit: Wie gesagt, bewundere ich die Musik der Quartette sehr, empfinde aber stets (vielleicht ändert sich das ja noch mit steigendem Wissen) eine gewisse kühle Distanz zwischen mir und der Musik. Aber möglicherweise ist ja genau dies das Wesen und die Kraft der Musik, ich weiß es nicht.


    Ich finde die Kammermusik Brittens auf jeden Fall "besonders" und kennenlernenswert..


    Gruß,



    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Pius
    Hallo, pt_concours!



    Steht doch auf dem Cover (keine Adleraugen? ;) ) - William Butt.
    Viele Grüße,
    Pius.


    Ja klar, deutlich braunweiß auf weiß. :D



    Zitat

    Original von Gurnemanz
    Bei mir findet sich, jeweils lange nicht mehr gehört, aber in meiner Erinnerung als "schön" vorhanden:


    - Sonata for cello and piano mit M. Rostropowitsch (Vc) und B. Britten (Kl):


    Also doch, mir war auch so, als gäbe es eine Aufnahme mit Britten/Rostropwitsch! Dann aber vielleicht gleich diese:




    Suite für Violoncello Nr. 1 G-Dur
    Suite für Violoncello Nr. 2 D-Dur op. 80
    Sonate für Violoncello und Klavier C-Dur op. 65

    Mstislaw Rostropowitsch, Benjamin Britten


    ich meine ja, dass Rostropowitsch auch der Widmungsträger von einer oder gar mehreren Cellowerken BRITTENs ist.


    Ich kenne nur die oben abgebildete CD in der Kopplung SCHUBERT, SCHUMANN, DEBUSSY.


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Zitat

    Original von pt_concours
    ich meine ja, dass Rostropowitsch auch der Widmungsträger von einer oder gar mehreren Cellowerken BRITTENs ist.


    Lieber pt_concours,


    natürlich gar von mehreren. Rostropovich war mit Britten eng befreundet und, wenn man so will, seine Muse für Brittens Musik für Cello. Gewidmet hat Britten ihm nicht nur seine drei Cellosuiten, sondern auch seine Cellosonate und seine Cello Symphony. Das macht ja, wie oben schon gesagt, die gemeiname Aufnahme der Sonate so interessant und authentisch.


    Liebe Grüße, Ulrich



  • Ich kenne von den Streichquartetten Brittens nur das zweite und das dritte. Während ich beim etwas konventionellen zweiten Streichquartett Uwes Eindruck der Distanziertheit gut nachvollziehen kann, scheint mir das dritte Quartett doch ein sehr persönliches, unmittelbar ergreifendes Werk zu sein - hier spürt man die Nähe des späten Britten zum späten Schostakowitsch. Gerade die (Toten-)Klage des letzten Satzes, der Passacaglia, nimmt mich immer wieder gefangen, seitdem ich das Werk in den 90er Jahren vom Auryn-Quartett live gehört habe.


    Aufgrund meines Initiationserlebnisses im Konzert bevorzuge ich bis heute die Auryn-Einspielung:





    Ganz hervorragend aber auch die neuere Aufnahme mit dem Brodsky-Quartett:




    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Das macht ja, wie oben schon gesagt, ....


    Liebe Grüße, Ulrich


    Hallo Ullrich!
    Oh, tut mir leid, ich hatte etwas den Überblick verloren... :untertauch:
    (je später der Abend...) 8)


    Dabei war alles wirklich vorbildlich beschrieben und bebildert, so wünscht man es sich immer! :jubel:
    Gruß pt_concours

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  • Das ist eine sehr schöne, sensible Beschreibung dessen, wie Brittens Musik wirken kann, vielen Dank; mein eigenes Empfinden ist nicht viel anders. Die von Dir beschriebene Kühle hält mich bislang davon ab, mich allzu intensiv auf Britten einzulassen, ich habe Probleme mit dieser Art "Sprödigkeit". Dabei erinnere ich mich an eine sehr berührende Aufführung des "Death in Venice" in Frankfurt und auch das 3. Streichquartett, das ja Motive der Oper aufnimmt (oder umgekehrt?) mit dem Klagegesang als Abschluß, finde ich ergreifend.


    Meine Haltung bleibt ambivalent, doch macht mir die Diskussion hier Lust, mich wieder einmal mit dem spröden Engländer näher zu beschäftigen...

  • "herbe Musik", (Uwe: ) "kühl und direkt, irgendwie unheimlich ... frostiger Charakter ... kühl und geheimnisvoll ... gewisse kühle Distanz zwischen mir und der Musik", (Gurnemanz: ) "Sprödigkeit", (Pius: ) "der Funke ist erstmal nicht übergesprungen" - mit vielen von uns scheint diese Musik ihre Schwierigkeiten zu haben: freiwillig scheint sie sich dem Hörer nicht öffnen zu wollen, will sich ihm nicht so ohne Weiteres hingeben. Obwohl ich die Cellosuiten nun schon lange und in unterschiedlichsten Aufnahmen kenne - jedes Hören ist für mich wieder anstrengend, ist für mich ein Akt des Mich-den-Anforderungen-dieser-Stücke-Aussetzens :beatnik: , und der Eindruck des spröden Herben bleibt immer noch erhalten. Für Suiten gilt das, für die Cellosonate, für die Streichquartette gleichermaßen.


    Es scheint aber ein Zug zu sein, der - warum auch immer - für Brittens Kammermusik typisch ist. Ihr beschreibt einen ganz anderen Zugang, eine ganz andere Wirkung bei seinen Opern. Wenige Chorstücke des letzten Jahrhunderts kenne ich, die so zugänglich sind wie die "Ceremony of Carols". Vollblütig und unmittelbar ansprechend können sinfonisch geprägte Stücke wie seine Cello Symphony sein. Das War Requiem finde ich gewaltig, bedrohlich, erschlagend, aber niemals spröde, sondern sehr unmittelbar erfahrbar und zugänglich. Die Serenade op. 31 wiederum, die ich so unmittelbar zugänglich in ihrer Lieblichkeit, Lyrik oder Dramatik empfinde, wird von einigen in dem entsprechenden Thread, in dem dann irgendwie doch nicht alle über dasselbe Musikstück sprechen wollten, als spröde empfunden - in der Wahl ihrer Mittel steht sie der Kammermusik ja nicht so ganz fern.


    Möglicherweise hat Brittens höchstpersönliche Tonsprache dieses Spröde, Abweisende, was uns bei der Kammermusik so auffällt, wo eine gewisse musikalische Reduktion der Mittel stattfindet. Möglicherweise benötigt Britten darüberhinausgehende Ebenen, auf denen er zusätzliche Wirkung erzielen kann - die große Bühne der Oper, des Oratoriums, der Sinfonik -, um diese unmittelbare Ansprache des Hörers zu erreichen. Die karge Tonsprache wird die gleiche bleiben, aber sie findet durch die ergänzenden Elemente ihre Erweiterung und damit ihren Weg in den Hörer hinein.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Möglicherweise hat Brittens höchstpersönliche Tonsprache dieses Spröde, Abweisende [...]


    So erscheint es offensichtlich nicht nur mir, sondern einigen, die sich aufrichtig um einen Zugang zu Britten bemühen. Was mich dabei bewegt, ist die Frage, was musikalisch-kompositorisch eigentlich bei Britten passiert, wie er es anstellt, einen derartigen Eindruck des Kargen, Spröden oder Kühlen zu erreichen: Wie macht er es? Und: Will der Komponist bzw. seine Musik das überhaupt?


    (Doch vielleicht hat Edwin diese Frage an anderer Stelle bereits ausführlicher besprochen...?!?)

  • Ojeoje,
    da hatte ich doch die ganze Zeit Brittens Cellosonate C-dur op. 65 vergessen! :O
    Das fünfsätzige Werk ist deutlich eingänglicher und unkomplizierter als die Cellosuiten.
    Da die CD unter "Richard Strauss" bei mir einsortiert ist, war sie mir (und auch das Werk) gänzlich aus dem Sinn gekommen...
    Dabei findet man, wenn man mit der Suchfunktion nach "Britten Pius" fahndet, diesen Beitrag.
    Peinlich, peinlich...



    Viele Grüße,
    Pius

  • Streichquartett-Fans möchte ich die Aufnahmen eines Ensembles ans Herz legen, das sich immer mehr zu meinem aktuellen Lieblingsquartett entwickelt: das englische Sorrel Quartet.



    Ich kenne zwar deren Britten-Aufnahmen (noch) nicht, aber mit meinen ersten beiden CDs mit Schubert und Schostakowitsch bin ich dem Quartett bereits völlig verfallen.


    Besondere Kennzeichen dieses aus vier Damen bestehenden Ensembles sind ein äußerst intelligenter Vibrato-Einsatz (sehr variabel, insgesamt auf ein Minimum reduziert) gepaart mit traumhaft sicherer Intonation - in dieser Kombination nur noch mit dem Artemis Quartett vergleichar -, und das sonore Cello bildet ein Fundament für den besten Streichquartettklang den ich kenne.


    Während man dies alles als Äußerlichkeiten abtun könnte, bestechen die Interpretationen durch eine mir sehr sympatische Natürlichkeit / Unaufgeregtheit und eine eher hintergründige Expressivität, wie sie besonders Schostakowitsch und vermutlich auch Britten gut ansteht. Jedenfalls wird im direkten Vergleich - bezogen auf Schostakowitsch - etwa das Brodsky Quartet ziemlich deklassiert (Intonation, Vibrato, Klang, Interpretation).


    Britten steht nicht auf meiner unmittelbaren Wunschliste, daher leider keine genaueren Informationen zu den abgebildeten CDs. Sollte ich jemand anders neugierig gemacht haben, dann war das bestimmt nicht meine Absicht :D


    Gruß,
    Khampan

  • Zitat

    Original von Pius
    Das fünfsätzige Werk ist deutlich eingänglicher und unkomplizierter als die Cellosuiten.


    Eben eine typische Yo-Yo-Ma-glatte Interpretation, die Eingängigkeit sogar dort provoziert, wo eigentlich nicht vorhanden. Die "Original"-Einspielung mit Rostropovich und Britten himself legt mit großer Klarheit und erforderlichenfalls Härte auch die Komplexität des Werks, die Unebenheiten, die Widerspenstigkeit, die einem allenthalben begegnen, frei. Diese Sonate ist kein niedliches Hascherl ...


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Ich kenne zwar deren Britten-Aufnahmen (noch) nicht, aber mit meinen ersten beiden CDs mit Schubert und Schostakowitsch bin ich dem Quartett bereits völlig verfallen.


    Also "verfallen" bin ich dem Sorrel Quartet zwar nicht, aber nachdem ich gestern und vorgestern die sehr hörenswerte erste CD ihrer Britten-Serie gehört habe, habe ich heute die 2. bestellt. Gibt es z.T. sehr günstig am Gebrauchtmarkt.
    Das Sorrel Quartett war ein reines Damenquartett, hat sich aber schon vor 10 Jahren aufgelöst. Am bekanntesten ist vielleicht ihr Schostakowitsch-Zyklus.



    .

  • Bei jpc finden sich für 7,99 die Streichquartette 1-3, dazu das D-Dur- Konzert ohne Opuszahl und die Streichquartettfassung der "Simple Sinfonie", eindringlich und virtuos gespielt vom Britten-Quartett.


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Genau diese Aufnahme habe ich auch - und quasi als "Pflichtübung" habe ich nun begonnen Werke daraus zu hören. Es ist interessant im Thread zu lesen, wie vile Ex-Taminie - etliche davon der Moderne nicht abgeneigt - Brittens Kammermusik als "sperrig" oder "kühl" bezeichnen. Damit befinde ich mich also in guter Gesellschaft, will mich aber nicht festlegen, da ich bislang - quasi als Einstieg - lediglich das dreisätzige Streichquartet in D- dur aus dem Jahre 1931, ein Jugendwerk also, gehört habe. Harenberg Kammermusikführer behandelt das Stück in aller Kürze indem er darauf hinweist, daß hier deutlich der EinFluß von Bartok und Strawinsky zu hören sei. Die Aufnahme sei "eindringlich und virtuos" vom Britten Quartett interpretiert, schreibt Dr. Pingel im vorangegangenen Beitrag - dem schliesse ich mich vollinhaltlich an.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Google gibt keinen Thread für die drei Cello-Suiten Opp.72, 80,87 Benjamin Brittens im Forum an. (Die Suchfunktion des Tamino-forums kann man in der Pfeife rauchen.) Diesen Thread habe ich gefunden.


    Ich habe diese Solowerke für Cello in mehreren Einspielungen im Regal. Die hohe Qualität der Kompositionen hat mich beim ersten Hören angesprochen. Die Musik ist hoch emotional und durchschreitet alle Bereiche des Empfindens. Für mich ist sie nicht sperrig. Man muss sich mit dem Werk intensiv beschäftigen. Als ich die Opp. 72,80,87 in der Aufnahme von Peter Wispelwey kennengelernt hatte, hatte ich die Aufnahmen rauf und runter gehört. Er hat sie gleich zwei Mal eingespielt 1990 für das Label Globe und 2002 für das Label Channel Classics.



    Kürzlich habe ich in der Lagerräumung des Werbepartners die Aufnahme mit dem Cellisten Antoine Pierlot erstanden. Es ist Zeit diese drei Suiten wieder aus den Beständen meiner Sammlung hervorzuholen.


    (Für die in letzter Zeit aufgetretene Unart die Cover in halber Briefmarkengrösse wiederzugeben, muss ich den Werbepartner jpc rügen.)



    Sucht man beim Werbepartner nach diesen drei Solo-Werken für Cello, stellt man fest, dass gegenwärtig 16 (in Worten sechzehn Aufnahmen, eine davon als DVD und CD) um die Gunst der kaufenden Hörer werben.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Beeindruckend wie viele Cellisten und Cellistinnen sich mit diesem Werk intensiv beschäftigt haben. Mit den 16 erhältlichen und 12 nicht erhältlichen sind insgesamt 28 Einspielungen entstanden.


    Angesichts der grossen Auswahl an beim Werbepartner erhältlichen Aufnahmen frage ich mich, welche sind hörenswert.









    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber moderato mit der Wiedererweckung des Threads zu Brittens Kammermusik machst Du mir wahrscheinlich völlig unbeabsichtigt eine Freude. Zu Beginn meiner Forumsmitgliedschft habe ich sehr häufig die Suiten gehört, weil Britten und Tippett so ziemlich die einzigen Briten waren, die ich hatte. Wie hätte ich in dem Strom der britischen Musik, wie er hier im Forum gepflegt wird überhaupt noch mithalten können ? :)


    Bei der Menge an Einspielungen musst Du wahrscheinlich bedenken, dass es Musik gibt, die den Interpreten manchmal mehr interessiert als den Rezipienten. Ich hatte das in dem kleinen Thread zu Ysaÿes Solosonaten schon einmal erwähnt. Das führt dann zu einer Menge an Einspielungen, die aber gegebenenfalls auch wieder schnell verschwinden. Umgekehrt werden diese Werke auch nur von Interpreten eingespielt, die sich ernsthaft damit beschäftigen. Daher meine Vermutung, dass sich wahrscheinlich jede Interpretation lohnt :)


    Von den von Dir aufgeführten Interpreten besitze ich (natürlich Rostropowitsch bei den ersten zwei) Müller-Schott, Queyras, Ramm und Walton. Eine wichtige Interpretation, die ich noch habe ich die von Rohan de Saram.




    Über Müller-Schott hatte ich nach den Kauf kurz geschrieben, kann aber nicht sagen, ob der Eindruck noch für mich heute stimmig ist.


    Musik des 20./21. Jahrhunderts - gerade gehört - kurz kommentiert


    Ich werde schauen, ob ich Zeit habe, noch ein wenig zu ergänzen....

  • Streicherlastig ist der Britten-Kammermusik-Thread bisher. Ein klein wenig kann ich zur Holzbläsermusik beisteuern.

    Für die Oboe hat Benjamin Britten auch komponiert und das eher schmale Repertoire für das Doppelrohrblatt Instrument erweitert. Fürs Klavier hat er ebenfalls etwas beigesteuert.


    Die Aufnahme des Labels Hyperion mit Sarah Francis (Oboe), Michael Dussek (Klavier), Delme Quartet ist vergriffen, die ich auf dem Regal habe.


    Temporal Variations f.Oboe & Klavier

    2 Insect Pieces f. Oboe & Klavier

    6 Metamorphoses nach Ovid op. 49 f. Oboe solo

    Phantasy Quartet op. 2 f. Oboe & Streichtrio


    Holiday Diary op. 5 f. Klavier

    5 Walzer f. Klavier

    Night Piece f. Klavier



    Die Aufnahme mit Alexei Utkin und dem Hermitage Chamber Orchestra kenne ich (noch) nicht. Sie ist erhältlich.

    Es sind die gleichen Werke für Oboe, allerdings sind es jeweils Fassungen mit Streichorchester (ausser das Solowerk selbstverständlich).



    Eine dritte Scheibe des Labels MDG gibt's beim Werbepartner mit den Interpreten Gernot Schmalfuss (Oboe), Mamiko Watanabe (Klavier) und dem Mannheimer Streichquartett. Die Werke sind die gleichen, aber wieder in Kammermusikbesetzung.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Sehr intim, im besten Sinne kammermusikalisch, ist Nocturnal für Gitarre solo Op. 70, das Benjamin Britten für Julian Bream komponiert hatte, der es als 19-Jähriger in Auftrag gab. 1963 brachte er es zur Aufführung.

    Basis der Variationen und Pasacaglia bildet das Lauten-Lied „Come, heavy Sleep“ des Renaissance-Komponisten John Dowland.



    Komm, schwerer Schlaf, das Bild des wahren Todes,

    Und schließe diese meine müden, weinenden Augen,

    Deren Tränenquell meinen lebendigen Atem stoppt,

    Und mein Herz zerreißt mit Seufzer-geschwollenen Schreien.

    Komm und besitze meinen müden Gedanken, meine erschöpfte Seele,

    Dass das Leben stirbt, bis du mir gestohlen wirst.


    Komm, Schatten meines Endes und Gestalt der Ruhe,

    Verbündeter des Todes, Kind seiner schwarzgesichtigen Nacht;

    Komm du und bezaubere diese Rebellen in meiner Brust,

    Deren wache Fantasien meinen Geist erschrecken.

    O komm, süßer Schlaf, komm oder ich sterbe für immer;

    Komm, ehe mein letzter Schlaf kommt, oder komm nie.


    Britten führt erstmals in der Musikgeschichte eine kompositorische neue Gestaltungstechnik der Variationentechnik ein:

    Es ist ein umgekehrtes Variationenwerk, denn das Thema des Liedes erscheint erst am Ende der Komposition.

    (bei 14 min 06 s). Mir ist kein anderes Werk bekannt, das so aufgebaut ist.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • In diesem klug moderierten Fernsehinterview, das von der kanadischen CBS 1968 ausgestrahlt wurde, erfährt man etwas über Brittens Sicht auf das Komponieren, seine Stellung in der Gesellschaft als Komponist, sein Verhältnis zur menschlichen Stimme und den Beatles.

    Der Interviewer ist entspannt und führt ein Gespräch. Keine Stichwortkarten hat er in der Hand. Man beachte die Körpersprache.


    Englischkenntnisse sind erforderlich.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ein schönes Interview! Er hat wahrscheinlich nicht viel mit Stockhausen zusammen komponiert :).

  • Eine Doppel-CD mit sämtlichen Werken für Cello von Benjamin Britten gibt es beim Werbepartner.


    Kim Bak Denizen, Cello; Per Salo, Piano


    Schmunzeln musste ich, wenn ich das Cover betrachte. Da kommt nur einer als Urheber in Frage.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928