Kent Nagano - Zwischen München und Montréal

  • Erfreulicherweise gibt es auch herausragende lebende Dirigenten - und einer der interessantesten unter ihnen ist Kent Nagano.



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    (Hier im Zwiegespräch mit dem Hector Berlioz meines Avatars. Aufgrund seiner gelungenen Aufnahme meiner "Nuits d'été" mit Bernarda Fink erteile ich Kent gnädig meinen Segen - auch wenn's nicht so aussieht. Allerdings kommen bereits in meiner "Damnation de Faust" modernere Telefone vor, als sie da links neben ihm stehen. Aber lassen wir das.)



    Kent Nagano wurde 1951 in den USA geboren und wuchs im kalifornischen Morro Bay auf. Seine Großeltern väterlicherseits waren 1917 aus Japan in die Vereinigten Staaten eingewandert. Nagano lernte bereits früh Klavier und Klarinette, studierte Musik in Santa Cruz und San Francisco, wurde 1976 Opernkorrepetitor in Boston und leitete dann das Berkeley Symphony Orchestra. Nagano bewunderte Olivier Messiaen und dirigierte in Berkeley die amerikanische Erstaufführung von Messiaens "La Transfiguration de notre Seigneur Jésus Christ". Der Komponist reiste zu dieser Aufführung an, war begeistert und brachte Nagano 1984 als Assistenten Seiji Ozawas bei der Einstudierung von Messiaens Oper "Saint Francois d'Assise" an der Pariser Oper unter.


    Naganos Karriere beschleunigte sich: Ab 1984 dirigierte er regelmäßig das Boston Symphony Orchestra, 1989 wurde er musikalischer Leiter der Opéra National de Lyon. Auf diesem Posten, den er bis 1998 innehatte, machte Nagano die Lyoner Oper zu einem international beachteten Haus. Das teils ungewöhnliche, von ihm dirigierte Repertoire ist gut auf CD und DVD dokumentiert. Parallel zu seiner Operntätigkeit leitete Nagano von 1991 bis 2000 das Hallé Orchestra Manchester.


    Von 2000 bis 2007 war Kent Nagano mit großem Erfolg Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Man attestierte ihm oft, die interessantesten Konzertprogramme der Hauptstadt zu gestalten. In dieser Zeit gastierte er auch häufig an der Oper von Los Angeles. Aber auch mit seinem Berliner Orchester führte Nagano gelegentlich Opern auf: so Wagners „Lohengrin“ und „Parsifal“ im Festspielhaus Baden-Baden und Schrekers „Die Gezeichneten“ bei den Salzburger Festspielen.


    Seit 2006 nimmt Nagano wiederum parallel zwei Chefposten ein: zum einen als Nachfolger von Charles Dutoit beim Orchestre symphonique de Montréal. Zum anderen als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper München – was mich besonders freut, da ich ihn somit öfter am Pult erleben kann. In München dirigierte er bereits die Uraufführung von Usuk Chins „Alice in Wonderland“ sowie als Premieren Brittens „Billy Budd“, „Chowanschtschina“ von Mussorgsky und einen Abend mit der Uraufführung von Wolfgang Rihms „Das Gehege“ und „Salome“ von Strauss. Diese Saison sind noch „Idomeneo“ und „Ariadne auf Naxos“ geplant. Bei einer kürzlich erlebten Aufführung dirigierte Nagano einen großartigen, überaus nuancen- und farbenreichen, dabei doch schlanken „Parsifal“. Das Orchester hat sich offenbar ganz auf diesen Musizierstil eingestellt – ein enormer Unterschied zu dem vorher von Zubin Mehta geprägten Klangbild.


    Drei Aspekte sind m.E. für Nagano besonders bezeichnend:


    - Er ist gleichermaßen ein herausragender Dirigent von Opern und symphonischem Repertoire.


    - Sein Repertoire ist ungewöhnlich breit gestreckt. Seit seinen Anfängen hat er sich stark der Musik des 20. Jahrhunderts zugewandt, viele Uraufführungen geleitet und sich ständig für weniger bekannte Werke der Moderne eingesetzt. Zum anderen hat er in Berlin und gelegentlich jetzt auch in München immer wieder Alte Musik in die Konzertprogramme integriert, auch solche vor Bach. Das klassisch-romantische Repertoire wird dabei nicht vernachlässigt, steht aber nicht dermaßen im Mittelpunkt wie bei anderen Dirigenten.


    - Sein Musizierstil ist zwar durchaus „strukturbetont“ zu nennen, dabei sehr farbenreich und transparent (also „französisch“). Er ist aber immer wieder für Überraschungen gut, gerade was Tempofragen betrifft.




    Nun zu einigen Einspielungen.


    An erster Stelle nenne ich die einzige vollständige, in jeder Hinsicht grandios gelungene Aufnahme von Messiaens Oper „Saint Francois d’Assise“ mit dem Hallé Orchestra und José van Dam in der Titelrolle. Sie entstand 1998 im Rahmen der von Peter Sellars in der Felsenreitschule inszenierten Produktion bei den Salzburger Festspielen.





    Nagano hat interessanterweise einige unvollendete Opern aufgeführt und eingespielt. So dirigierte er in Salzburg mit dem DSO Berlin Zemlinskys „König Kandaules“ und mit dem gleichen Orchester Aufführungen von Schönbergs „Moses und Aron“ und – wie bereits berichtet – in München Mussorgskys „Chowanschtschina“.


    Aus seiner Zeit in Lyon möchte ich auf zwei exzeptionelle Einspielungen mit unvollendeten (bzw. von anderen vollendeten) Opern hinweisen. Zum einen die bisher einzige und gleichzeitig maßstäbliche Aufnahme von Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ in der Kaye-Fassung mit Rezitativen:




    Zum anderen die vorzügliche Aufnahme von Busonis „Doktor Faust“, in der sowohl die alte Vervollständigung von Philipp Jarnach als auch die neue von Antony Beaumont enthalten ist:





    Symphonisches Repertoire: Zunächst eine relativ frühe (1990) Strawinsky-Doppel-CD mit dem London Symphony Orchestra bzw. dem London Philharmonic, die beispielhaft Naganos Musizierstil zeigt (Feuervogel, Sacre, Perséphone, Symphonie für Bläser):




    Deutsch-österreichische Symphonik: Bei Bruckner hat sich Nagano neben der Erstfassung der Dritten bezeichnenderweise der weniger gespielten Sechsten angenommen:




    Von Mahler hat Nagano ganz zu Anfang seiner Zeit beim DSO Berlin eine vielbeachtete Dritte vorgelegt (inzwischen sehr preiswert zu haben), die besonders durch einen unglaublich sensibel und nuancenreich musizierten ersten Satz auffällt. Außerdem eine ganz außergewöhnliche Achte – trotz einiger sängerischer Schwächen und z.T. ausgesprochen langsamer Tempi ist das in ihrer bohrenden Intensität die Aufnahme, die mir das Werk ein wenig nähergebracht hat:




    Was haltet Ihr von Nagano, von seinen Aufnahmen, wie habt Ihr Konzerte und Opernaufführungen mit ihm erlebt?



    Viele Grüße


    Bernd

  • Mit einer weiteren straffen und energetischen Messiaen-Aufnahme möchte ich Zwielichts interessante Ausführungen veranschaulichen:



    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Original von WolfgangZ
    Mit einer weiteren straffen und energetischen Messiaen-Aufnahme möchte ich Zwielichts interessante Ausführungen veranschaulichen:



    Besten Gruß, Wolfgang


    Dem schließe ich mich an, und möchte um folgende CDs erweitern:




    Poulenc: Dialogues des Carmelites
    Obwohl diese Aufnahme nicht ganz die Referenz mit Duval/ Prêtre erreicht.


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Hallo.


    Dann ist es wohl an mir, Spätromantisches beizusteuern:


    Sehr schätze ich Naganos Einspielung der 4. Brahms (die auf der selben CD enthaltenen Schönberg-Stücke kann ich mangels einer Vergleichseinspielung bei mir nicht wirklich bewerten). Gleiches gilt für seine DVDs Lohengrin und Parsifal. In jedem Fall habe ich den Eindruck, dass mir sehr viel von der Partitur zu Ohren gebracht wird, dabei das Gefühl nicht auf der Strecke bleibt, ohne dass es jemals gefühlig und verschwiemelt würde.


    Seine Bruckner- und Mahler-Aufnahmen wurden schon genannt. Auch bei diesen bin ich froh, dass er (für mein Empfinden auch bei Mahler 8 ) ohne Bombast auskommt, sondern - das klingt jetzt wahrscheinlich etwas platt - die Musik in den Vordergrund rückt. Die Aufnahmen wirken für mich stets schlüssig, überzeugend.


    Rake's Progress und Arbeiten von Messiaen habe ich jüngst bestellt. Ich bin gespannt.


    Leider habe ich seine aktive Zeit in Berlin versäumt. Nun wollen wir bald mal nach München fahren, um den Besuch bei Freunden mit einem Opernbesuch zu verbinden.


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Lieber Bernd,


    das ist wirklich ein sehr verdienstvoller Thread, der hoffentlich einmal nicht zu einer weiteren Karajan - Diskussion missbraucht wird.


    Nagano hat sich wirklich in ganz besonderer Weise um die Musik des 20. Jahrhunderts verdient gemacht, und leider sind wegen der vielen Streichungen des französischen Erato - Kataloges auch einige seiner Lyoner Aufnahmen bereits zum Opfer der Schmalhanspolitik der großen Labels geworden. Das gilt auch für eine seiner besten, nämlich die von Kurt Wells DIE SIEBEN TODSÜNDEN mit einer glänzenden Teresa Stratas, der dieser Komponist mit gutem Grund besonders am Herzen lag:



    Meiner Ansicht nach übertreffen beide sogar die sehr beachtliche Aufnahme von Gardiner/Otter, denn Stratas' klingt wie von Weill selbst erträumt. Leider gibt es sie offiziell derzeit nur für einen stattlichen Preis im Marketplace, aber wer sie irgend günstig bekommen kann, sollte sie sich zulegen, bietet sie doch nicht nur eine vollständige Aufnahme dieses Balletts mit Gesang, sondern auch eine vorzügliche Darbietung von Weills Zweiter Symphonie.


    Als DVD alternativlos, aber auch kaum zu übertreffen ist seine Aufnahme von Franz Schrekers DIE GEZEICHNETEN



    Seine wohl ebenfalls maßstäbliche Einspielung von John Adams' EL NINO kenne ich nicht, da ich mit Adams wenig anfangen kann, ist aber sicher auch einen Hinweis wert.


    Bei einer kurzen Probe war ich übrigens auch sehr beeindruckt von Naganos DVD - Sammlung "Monumente der Klassik". Bislang aber war sie mir noch zu teuer, da ich sie mir, wenn schon, gerne komplett zulegen würde. Kann jemand aus eigener Kenntnis mehr dazu sagen, ob der zusätzliche Gewinn durch seine persönliche Präsentation die X-te Anschaffung von Symphonien Mozarts, Beethovens, Schumanns, Brahms, Bruckners und Strauss wert ist?


    :hello: Rideamus

  • Hallo Rideamus,


    die "Monumente" besitze ich. Für mich hat sich die Anschaffung gelohnt. Dies allerdings weniger wegen des Beiwerks als wegen der Aufnahmen der jeweiligen Werke. Die persönliche Präsentation fällt mir ebenso zu kurz aus wie Einblicke in die Probenarbeit und Stellungnahmen der Musiker zu den Besonderheiten der jeweiligen Stücke - wobei Präsentation wie Stellungnahmen sehr interessant sind. Erschwerend kommt hinzu, dass auch noch die Komponisten als Zeichentrick-Figuren auferstehen, und aus Zitaten, die ihnen zugeschrieben werden, Dialoge mit Zeitgenossen gebastelt werden. Das ist nahezu ärgerlich, richtet sich aber wohl auch an ein eher weniger "vorbelastetes" Publikum.


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Danke, Bernd, für diesen Thread; er entledigt mich einer Arbeit, die ich mir vorgenommen hatte, aber sicherlich nicht mit einem so hervorragenden Einleitungs-Statement hätte beginnen können.


    Kent Nagano ist für mich einer der interessantesten Dirigenten der Gegenwart. Er ist für mich auch insoferne ein Phänomen, als er als Amerikaner japanischer Herkunft einen rein europäischen Klangstil pflegt.
    Und was sind das für Klänge!
    Perfekt ausbalanciert, sehr genau intoniert - und doch steckt mehr in Naganos Interpretationen als die reine Oberflächenpolitur, der man derzeit ein Denkmal errichten will.
    Grandios zu nennen sind Naganos Messiaen-Einspielungen. Man sollte sie alle haben - so viele sind es nicht: Außer den bereits genannten gibt es noch diese:

    Die "Liturgies" entfalten eine jubilierende Pracht und zugleich auch eine Lichtigkeit wie auf keiner anderen Aufnahme, und der "Réveil" ist nicht nur exakt sondern auch klangschön aufgeführt. Die einzige ernstzunehmende Konkurrenz zur Boulez-Aufnahme.


    Absolut begeisternd bei Nagano ist für mich überhaupt alles, was dem französischen Repertoire angehört, speziell Poulencs "Karmeliterinnen" mit einem untrüglichen Instinkt für Farbe und dramatische Spannung aufgeführt.


    Auch Mahlers Achte ist eine faszinierende Auseinandersetzung: Eine so perfekte Balance von kammermusikalischer Disziplin und Klangpracht legt bei diesem Riesenwerk sonst kaum jemand an den Tag - wobei Nagano auch an den emphatischesten Stellen nicht ins Schwelgen gerät, sondern den Klang genau unter Kontrolle hält. Das mag ihm - auch in Zusammenhang mit seinen bemerkenswerten Bruckner-Einspielungen - den Ruf eintragen, ein "kühler" Dirigent zu sein. Aber gerade aus dieser gewissen Zurückhaltung entsteht ein unglaubliches Feuer.


    Unbedingt hinweisen will ich noch auf diese Aufnahme:

    Nagano schafft es, die heterogenen Elemente so gegeneinander auszuspielen, daß man sie als wesentliche Faktoren einer Klangdramaturgie wahrnimmt und nicht als Stilparade. Wer erfahren will, wie unglaublich stark Bernsteins "Mass" als ein Werk des Musiktheaters ist, sollte eher zu Naganos Einspielung greifen als zu der vielleicht aufgepeitschteren, aber auch viel stärker in Einzelteile zerfallenden unter Bernstein selbst.


    :hello:

    ...

  • Lieber Bernd,
    danke für diesen (zwie)lichtvollen Thread in den Zeiten finsterer Jubiläen! Herr Nagano gehört für mich tatsächlich zu den interessantesten unter den aktuell aktiven Dirigenten. Einerseits, weil er ein Repertoire pfegt, daß sich nicht im Abarbeiten des kanonischen Gesicherten erschöpft, sondern auch und besonders die Seitenpfade im Blick hat; andererseits aufgrund seines analytischen Zugriffs auf die Werke, seiner straffen, ja manchmal sehnigen Lesarten, die jedoch (so jedenfalls mein Eindruck) kaum einmal einen Konstruktivismus auf Kosten des Ausdrucks pflegen.


    Live gesehen/gehört habe ich Herrn Nagano leider noch nie (und das, obwohl er 2002/03 Artist in Residence am Konzerthaus Dortmund war :O), aber ich kenne und schätze viele seiner auf Tonträgern dokumentierten Interpretationen, darunten die hier im Thread schon genannten Einspielungen von Busonis »Doktor Faust«, Messiaens »Turangalila« (der »Saint Francois d’Assise« steht schon lange auf dem Plan – wenn der nicht so unverschämt teuer wär...), oder auch die DVD mit Schrekers »Gezeichneten«.


    Weitere Einspielungen die ich unbedingt empfehlen würde sind folgende:



    Naganos Lesart ist hier klar strukturalistisch, wobei die Werke zugleich ungeheuer spannungsgeladen und expressiv musiziert werden. Insgesamt gefällt mir Naganos Varèse ein Quentchen besser als die ebenfalls grandiosen, aber deutlich kühler angelegten Interpretationen von Boulez. Nagano schafft es hier einfach Struktur und Sinnlichkeit wundervoll zusammenzubringen.


    Ja, und dann diese:



    Unter den seit Mitte der 1980er Jahre erschienenen Einspielungen von »La Damnation de Faust« gefällt mir diese nach der Dutoit-Aufnahme am besten. Nagano geht die Partitur sehr energetisch an, spielt aber auch die eher lyrischen Passagen wundervoll aus (etwa gleich den Beginn oder auch die Lieder der Marguerite). Der »Ritt zum Abgrund« wird bei Nagano tatsächlich zu einem Höllenritt. Außerdem hat er mit Jose van Dam einen ziemlich teuflischen Méphistophélès im Ensemble.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Lieber Medard,

    Zitat

    Insgesamt gefällt mir Naganos Varese ein Quentchen besser als die ebenfalls grandiosen, aber deutlich kühler angelegten Interpretationen von Boulez.


    Wie konnte ich nur auf die Varèse-Einspielungen vergessen...?
    (Vielleicht, damit Du sie ins Treffen führen konntest? :D )
    Ich gebe Dir recht: Nagano hat für Varèse das ideale Händchen, da blüht die Musik kraftvoll auf und entfaltet eine eruptive Energie, die ihr Boulez in seiner eine Spur zu rein-analytischer Aufführungsweise nicht zugestehen will. Nagano ist aber auch Chailly überlegen, der die konstruktivistische Disziplin zugunsten des rein sinnlichen Erlebens meiner Meinung nach allzusehr zurückstellt.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Unbedingt hinweisen will ich noch auf diese Aufnahme:

    Nagano schafft es, die heterogenen Elemente so gegeneinander auszuspielen, daß man sie als wesentliche Faktoren einer Klangdramaturgie wahrnimmt und nicht als Stilparade. Wer erfahren will, wie unglaublich stark Bernsteins "Mass" als ein Werk des Musiktheaters ist, sollte eher zu Naganos Einspielung greifen als zu der vielleicht aufgepeitschteren, aber auch viel stärker in Einzelteile zerfallenden unter Bernstein selbst.


    Ah, Edwin, Du hast recht! Für Bernstein hat Nagano ein Händchen! Seine Interpretation von »Mass« ist hinreissend. Wundervoll ist übrigens auch seine – leider inzwischen anscheinend gestrichene – Einspielung von Bernsteins (IMO völlig zu Unrecht) weitgehend vernachlässigter Musical-Kantate »A White House Cantata« (mit einem überwältigend gut aufgelegten Ensemble):



    Wünschenswert wäre, daß Nagano vielleicht auch Bernsteins Symphonien und – ich wage es kaum zu hoffen – »A Quiet Place« einspielte...


    Viele Grüße,
    Medard

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  • Lieber Medard,
    Die "White House Cantata" ist schon wieder gestrichen? ;(
    War eine hinreißende Aufnahme eines Werks, das zeigte, wie unglaublich intelligent Musical sein kann.
    Mir wäre es am liebsten, Nagano machte sich an den "Quiet Place". Da ist Bernsteins eigene Aufnahme auch etwas unbefriedigend, weil er unter dem Druck dirigierte, das Werk durchsetzen zu wollen und deshalb das Pathos ins Maßlose übertrieb.
    Abgesehen davon hoffe ich, daß sich Nagano auch anderer Messiaen-Werke noch annimmt. Vor allem "Des canyons" mit der seltsamen, bewußt außer Balance gebrachten Orchesterbesetzung hätte ich gerne einmal unter ihm gehört.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Er ist für mich auch insoferne ein Phänomen, als er als Amerikaner japanischer Herkunft einen rein europäischen Klangstil pflegt.


    Was ist denn ein "europäischer Klangstil"?


    Kann man das bei heutigen Orchestern (Dirigent: Halb US-Amerikaner, halb Japaner, Konzertmeister: Halb Russe, halb Deutscher, Solist: Israeli, der in Frankreich lebt et cetera.) überhaupt noch festmachen?


    Oder ist das europäisch ein Adjektiv, das (mittlerweile?) losgelöst ist von der kontinentalen / nationalen Bindung?

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Hallo Edwin,


    Nagano wird "Les Canyons..." am 21., 22. und 23. November mit den Münchner Philharmonikern in München aufführen. Ob hier auch ein Aufnahmetermin folgt, ist mir nicht bekannt.


    Ich habe mir die Termine aber bereits gemerkt und werde wohl mindestens zwei Aufführungen besuchen, das Stück wird ja nicht so oft gespielt...


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Hallo Marc,
    Du hast recht, die Nivellierung tritt auch beim Klang ein. Wenn Du Dir aber Naganos Aufnahme etwa der "Karmeliterinnen" anhörst und sie dann mit der alten Dervaux-Aufnahme vergleichst, wirst Du merken, wie ähnlich die Aufnahmen im Klangstil sind, vor allem in der Abtönung zwischen Streichern und Holzbläsern, aber auch im Blech, das nicht den Brass-Klang hat, wie wir ihn an den US-Orchestern so oft bewundern, sondern einen weniger brillanten, dezenteren Klang, der Nuancen hinzufügt, aber keine Halogen-Scheinwerfer aufstrahlen läßt.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Marc


    Was ist denn ein "europäischer Klangstil"?


    Hallo Marc,


    "europäisch" ist an Naganos Klangstil, daß er (zumindest) Bruckner in antiphonaler Violinenaufstellung spielen läßt, also 1. und 2. Violinen nicht nebeneinander, sondern links. bzw. rechts außen platziert.


    Diese Orchestaraufstellung ist für einen Amerikaner höchst ungewöhnlich.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von lohengrins
    Sehr schätze ich Naganos Einspielung der 4. Brahms (die auf der selben CD enthaltenen Schönberg-Stücke kann ich mangels einer Vergleichseinspielung bei mir nicht wirklich bewerten).


    Ja, der Brahms ist wirklich ganz fantastisch! Ich würde mir eine Aufnahme weiterer Sinfonien oder Konzerte aus diesem Bereich wünschen.
    Das Schönberg-Stück (Orchestervariationen op. 31) ist aber leider etwas schwach, da er es wie einen Brahms spielen lässt. Da gibt es deutlich bessere Alternativen.
    Sonst scheint er aber ein gutes Händchen für Neue Musik zu haben, wie mir scheint.



    LG, Peter.

  • Zitat

    Zitat petemonova
    Das Schönberg-Stück (Orchestervariationen op. 31) ist aber leider etwas schwach, da er es wie einen Brahms spielen lässt.


    Ich halte das für ein Experiment Naganos, das er besser nicht mit dem "Ewigkeitswert" einer Aufnahme versehen hätte. Schönberg hat sich ja permanent auf Brahms berufen, und zwar auf dessen Technik der Motivverwandlung. Nagano scheint mir genau von diesen Brahms-Bekenntnissen Schönbergs auszugehen, was dem Stück nicht gut bekommt. Meiner Meinung nach ist das aber einfach ein gleichwohl interessanter Irrtum nach der Regel "irren tun sich alle einmal, aber die Großen irren sich genial".
    :hello:

    ...

  • Die Nachrichtenagentur dpad berichtet:


    München. Der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, Kent Nagano, wird mit der Bayerischen Europamedaille geehrt. Nagano sei "ein Ausnahmetalent, das Bayern zu einem der weltweit führenden Opern- und Konzertstandorte macht", sagte Europaministerin Emilia Müller (CSU) am Montag in München. Mit seinem überragendem Können sei er in ganz Europa ein kultureller Botschafter des Freistaats.


    Nagano bekommt die Auszeichnung am Donnerstag überreicht. Mit der 1990 erstmals verliehenen Bayerischen Europamedaille werden Persönlichkeiten gewürdigt, die sich auf besondere Verdienste um Bayern in einem vereinten Europa erworben haben.


    LG

    .


    MUSIKWANDERER